Schon wieder eine neue Unterrichtsmethode erfunden


Müde. Sehr Müde. Aber muss ja, muss ja, schreiben, Kaffee, Zigaretten, Sport… einer muss ja.

So. Wolltet ihr nicht schon immer mal wissen, wo der Spruch: „Wer zuerst kommt malt zuerst“ herkommt? Der kommt aus meinem Unterricht. Eine spontan erfundenen Unterrichtsmethode.

Heute morgen begebe ich mich widerwillig in meinen Raum. Früh genug, um noch die Zeichenvorlagen zu suchen, die ich meiner Klasse heute im Kunstunterricht vorsetzen will. Ich brauche noch ein paar kleine Noten von ihnen und für große künstlerische Würfe sind wir alle schon zu müde. Ich suche also diese Vorlagen in meinen Schränken, in den Regalen. Nichts. Ich finde viel, aber nicht das was ich suche.

Vor einigen Jahren wäre ich in dieser Situation in Panik ausgebrochen. Noch 10 Minuten bis zum Unterrichtsbeginn und noch keine Aufgabe in Sicht. Heute – abgebrüht berufserfahren – grabe ich mich durch die Berge von Material, die ich in meinem Raum angehäuft habe und werde fündig. Aquarellvorlagen. Das isses. Ein Kollege hatte mir mal lauter alte Kalender mit kitschigen Blumenmotiven geschenkt. Alles aquarelliert.

Ich finde ungefähr 20 verschiedene Motive. Die magnetisiere ich alle an der Tafel. Ich kann kaum hinsehen – sie sind so kitschig, geradezu romantisch. Dazu schreibe ich: Neues Thema: Aquarellieren. So. jetzt können sie kommen. Es kommt nur Esra. „Ohhhh, wie schöööön. Machen wir das heute?“ Dann kommt Peter und dann klingelt es.

Ich fange an die Nichtanwesenden aufzuschreiben. „Peter, hier ist ein Blatt, schreibe mal jeden der Reihe nach auf, der jetzt reinkommt.“ Nach zehn Minuten sind alle da. Ich erkläre die Aufgabe. Wir klären schnell, was Aquarellieren ist. Die Italienerin klärt uns auf – ach ich liebe meine kosmopolitische Klasse. „Ich will das mit den Rosen.“ schreit Ayla. „Nein, das will ich schon „kreischt Christine.

Ich bleibe ganz cool. Früher wäre die Stunde jetzt ins Chaos entglitten, denn die Alphatiere hätten sich die Vorlagen genommen, die sie sich ausgewählt hatten und die Opferschüler hätten schweigend geschmollt und jegliche Mitarbeit für den Rest der Stunde boykottiert, wegen Ungerechtigkeit.

„Sorry Ayla, aber es gibt schon eine Reihenfolge. Als erstes darf Esra sich ein Bild aussuchen. Dann Peter. Wer zuerst kommt malt zuerst.“

Peter liest die Namen vor, alle kommen gesittet nach vorne, suchen sich ein Motiv aus, ich händige das Aquarellpapier aus und alle beginnen zügig mit der Arbeit. Es gibt keinen Streit und keinen Stress. Ich bin begeistert, von meinem Unterrichtseinstieg.

Nach zehn Minuten herrlichster Ruhe kommt Bilal mit einem total vollen Rucksack zu mir. „Frau Freitag, darf ich was essen?“
„Nein, wir haben doch jetzt Unterricht.“
Er öffnet seinen Rucksack und der ist voll mit kleinen Tüten vom Bäcker, trocknen Chinanudeln und Süßigkeiten. Es sieht aus, als würde er das Wochenende in der Schule verbringen wollen.
„Frau Freitag, bitte, ich hab‘ so Hunger. Hier, hier, nehmen Sie auch was. Hier!“
Er zieht eine Tüte raus.
„Hier hmmmm lecker Vanillietasche, mit Schockolade, für Sie, hier, nehmen Sie.“ Ich nehme die Tüte. Sieht lecker aus, diese Tasche. Ich breche ein winizig kleines Stück ab und als ich es in den Mund stecke bemerke ich, wie ich von meiner gesamten Klasse beobachtet werde.

„Abbooooo, sie isst!“ Und ab da gab es kein Halten mehr. Alle holten ihr Frühstück raus, Bilal verteilte großzügig Süßigkeiten (geizig sind meine Schüler nicht) und dann wurde gegessen, bis zum Klingeln.

„Frau Freitag, wir machen einen Deal“, sagt Bilal beim Rausgehen „Ich bringe Ihnen immer Vanielletaschen mit und sie schreiben nicht mehr auf, wenn ich zu spät komme“. Ich schüttle nur den Kopf, weil ich mit der Gummischlange im Mund nicht sprechen kann. Abdul schiebt Bilal durch die Tür und sagt: „Abooo Frau Freitag wäre voll fett am Ende des Schuljahres.“

Einsatz moderner Medien im Unterricht fetzt

Heute der Durchbruch!!!! Ich bin KING TEACHER!!!!! Ihr wollt wissen, wie das ist? SUUUUPER!!! Ach, ihr wollte wissen, wie das geht? Okay, dann mal aufgepasst:

Als ich heute morgen aus dem Fenster sah und alles in schönsten Schnee gehüllt vor mir lag, war mein erster Gedanke: Scheiße, die Siebte habe ich direkt nach der großen Pause, na toll. Die werden total durchweicht, mit Schneebällen und hochroten Köpfen in meinen Raum stürmen und alles nass machen.

Im Lehrerzimmer sehe ich auf dem Vertretungsplan auch noch, dass eine Englischkollegin fehlt und die Schüler (ein paar aus ihrem Kurs) zu mir in die Gruppe kommen sollen. Na, das kann ja heiter werden – wie Frl. Krise immer sagt. Ich wappne mich mit einem Vokabeltest und der halbgaren Vorbereitung und begeben mich gehe in Richtung Waterloo.

Die Schüler erscheinen, setzen sich, sie sind recht trocken, einige wissen sogar noch, dass ich einen Test angekündigt habe und lechzen jetzt nach den Blättern, weil sie mit jeder verstreichenden Sekunde die Vokabeln wieder vergessen könnten. Wie übervolle Wassergläser, die man durch den Raum trägt, aus denen das ganze Gelernte raus schwappen kann. Die meisten allerdings lassen das typische: „Ohaaaa, Test? Haben Sie nicht gesagt.“ hören.

Sie schreiben den Test, alles läuft in recht gesitteten Bahnen. Nur Mert nervt. Mert sitzt direkt vor meiner Nase. Mert nervt immer. Er macht Geräusche. Wenn ich an der Tafel schreibe, dann klatscht er unterm Tisch. Er öffnet das Buch nicht, wenn ich sage: „Öffnet das Buch.“ Er schreibt nicht, wenn ich sage: „Schreibt.“ Er ist nicht still, wenn ich sage: „Seid still.“ Er macht eigentlich nie das, was ich sage. Wenn alle im Buch lesen und er sich langweilt, dann fragt er mich zehnmal hintereinander: „Auf welcher Seite sind wir?“ Er müsste nur zu Deliah gucken, die direkt neben ihm sitzt. Macht er aber nicht. Nein, er fragt mich. Immer wieder. Ich reagiere nicht. Dann gibt er irgendwann auf: „Ich kann ja nicht mitmachen, Sie sagen mir ja nicht auf welcher Seite wir sind.“

So geht das nun schon seit einigen Wochen. Der Rest der Gruppe arbeitet im Großen und Ganzen gut mit. Na, sagen wir mal: einige arbeiten immer mit, einige nie, aber niemand stört so penetrant und permanent, wie Mert. Jede Stunde biete ich ihm einen Neustart an. Nie schaffen wir einen Neustart. Jede Stunde fängt er wieder an zu stören und ich werde sauer oder ignoriere ihn.

Heute sehe ich mitten im Unterricht, dass er die Backen voll hat. „Mert, was hast du da im Mund?“ „Haribo.“ „Sag mal geht’s noch? Jetzt ist Unterricht. Da wird nicht gegessen!“ Er grinst nur. Wenig später sehe ich ihn wieder kauen und nicht mitarbeiten. Und als er noch sein Trinken rausholt und genüsslich seinen Durst löscht, reicht es mir. Ich gehe hektisch an meinen Schreibtisch und setzte mich hin. Dann gucke ich in meine Schultasche – eine reine Übersprungshandlung, weil ich gar nicht weiß, was ich machen will und da sehe ich eine Klassenliste mit den Adressen und Telefonnummern der Schüler. In meiner Strickjackentasche ist mein Handy. Ich nehme es raus und sage ruhig: „Okay Mert, dann rufe ich jetzt einfach deine Mutter an und erzähle der mal, wie du dich hier benimmst.“ Die Klasse hält den Atem an. Ich wähle. „Lieber eins und eins Kunde, diese Nummer ist leider nicht vergeben.“ Mist. Vielleicht habe ich mich nur verwählt. Ich versuche es nochmal und siehe da:

„Efendim…“ Merts Mutter meldet sich am anderen Ende der Leitung. Ich stehe auf und gehe zur Tür: „Ja, guten Tag, hier ist Frau Freitag, die Englischlehrerin von Mert. Wir sind gerade im Unterricht und der Mert stört den Unterricht so sehr, dass die anderen Schüler gar nicht richtig lernen können.“

Dann gehe ich vor die Tür und sage ihr, dass sie doch mal am Abend mit ihrem Sohn sprechen soll und dass er sich morgen besser benehmen muss, da ich sie sonst zu einem Gespräch in die Schule bitten müsste. Als ich wieder in die Klasse komme: Totenstille. Streng und bestimmt sage ich: „Noch jemand Bedarf nach einem Elterngespräch heute Abend?“ Hat wohl niemand, denn der Rest der Stunde läuft ruhig und geordnet, bis zum Klingeln. Mert holt noch einmal kurz zu einem Störversuch aus. Ich hole mein Handy raus und flüstere: „Pass auf, ich drücke einmal die Wahlwiederholung und sage deiner Mutter, dass sie kommen soll, um dich abzuholen.“ Sofort ist er leise und arbeitet mit und findet sogar die richtigen Seiten im Buch.

Und mit dem Satz: „Boahhhh, sie ist strenger als Frau Hinrich!“ wird mir mir noch der Ritterschlag verliehen. Ich bin hin und weg. Endlich geschafft – so muss sich das Paradis anfühlen!!!!!

Showdown der Entschuldigungen

Elternsprechtag. Wie ich den liebe. Die Schüler, die wissen, dass ich am Abend ihren Eltern gegenüber sitze, sind heute ganz lieb und demütig gewesen.
Elda und Esra kamen sogar in der Mittagspause zum Lehrerzimmer. Ich saß gerade über einem Teller nicht ganz so leckerer Nudeln.
„Frau Freitag, können wir noch mal mit Ihnen reden? Wegen heute Abend und so?“
Jetzt werden noch mal alle Register gezogen. Esra bemüht sogar noch eine kranke Großmutter, wegen der ihre Eltern z.Z. große Sorgen hätten. Elda kommt wieder mit der türkischen Hochzeit. Ich denke an die Nudeln.
„Passt mal auf ihr Lieben, lasst uns einfach heute Abend darüber sprechen. Und jetzt geht mal nach Hause.“

Dann beginnt der Elternsprechtag. I love it! Ich stelle immer ein paar Stühle für die Wartenden vor die Tür und immer, wenn ich kurz rausgehe, um den nächsten reinzubitten, sitzen die lieben Kleinen dort mit leidendem Gesicht, neben ihren Erziehungsberechtigten. Wenn sie reinkommen, kann ich an den Gesichtern ablesen, bei wie vielen Kollegen sie schon waren.
„Na, bei wem wart ihr denn schon? Und was habt ihr denn dort zu hören bekommen?“

Als ich die Tür öffne und Marcella und ihre Mutter verabschiede, sitzt da Abdul und neben ihm die Übersetzer-Tanten-Cousine. Sie grinst mich breit an. Super. Auf die ist echt Verlass. Die kommt immer. Mama Abdul muss sich leider entschuldigen, sie ist mit der Schwester beim Arzt, aber Mama lässt schön grüßen. Schade, die hätte ich auch gerne gesehen, vor allem, weil es für Abdul eigentlich gar nicht so schlecht aussieht.
Noch nie hatte ich so viel Positives über ihn zu sagen. Die Cousine schreibt alles mit, lässt sich alles genau erklären, fragt nach und macht Vorschläge. Und das alles in dieser herrlichen leicht hektischen wachen Coolness die sie umgibt. Sie ist voll da. Totale Präsenz. Man könnte es present perfect nennen. Ich will sie heiraten. Sie soll bei mir wohnen. Ich will Schüler sein und sie soll sich um meine Leistungen kümmern. Ich beneide Abdul, dass er mit ihr so viel zu tun hat. Und dann hat er auch noch diese süße liebe Mutter, die immer anfängt zu weinen. Diese Cousine ist wie ein teuflischer Engel. Die ist echt super. Beim Verabschieden fragt Abdul: „Frau Freitag, wie lange ist noch bis zur Notenabgabe?“
„Ungefähr fünf Wochen.“
In Abduls Kopf rechnet es. Dann strahlt er: „Super, immer nach dem Elternsprechtag bin ich zwei Monate gut in der Schule. Das haut dann ja noch hin.“

Dann kommt Elda mit ihrer Mutter. Showdown. Wird Frau Freitag die gefälschten Entschuldigungen auf den Tisch legen oder nicht? Ist das das Ende von Eldas freiem Leben? Wird sie heute nacht noch in die Türkei verschickt und dort zu einer Heirat mit einem Bauerssohn gezwungen? Wird Elda ihr Leben ungeliebt im kargen Anatonlien zwischen einem brutalen Ehemann und vielen Schafen verbringen müssen?

Eldas Mutter ist eine bildhübsche moderne türkische Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat.
Wir reden über Eldas Leistungen, die eigentlich keinen Grund zur Klage geben. Ich erkläre die Schulabschlüsse und nenne die Fächer, in denen sich Elda noch verbessern muss.
Und dann greife ich in mein Regal und hole alle Entschuldigungen von Elda raus.
„So Mama Elda, gucken Sie mal, welche von denen hier tragen denn Ihre Unterschrift?“
„Die beiden schieben die Zettel hin und her. Wir unterhalten uns über die einzelnen Daten und es stellt sich raus, dass mindestens ein Zettel gefälscht ist. Ich nehme die Entschuldigungen wieder an mich.
„Passen Sie auf, mir machen das so: Wenn Elda krank ist, dann rufen Sie einfach kurz in der Schule an. Die Entschuldigungen erkenne ich, bis auf die eine hier alle an, okay?“
Dann erzählt Elda noch, dass Frau Hinrich gesagt hat, dass sie ihr Deutsch verbessern muss.
„Aber Frau Freitag, wie soll ich das denn machen?“
„Lesen!!! Du musst lesen!“ rate ich ihr, greife hinter mich ins Regal und gebe ihr „Arrabqueen“. „Hier, lies das mal. Geht um Zwangsheirat.“
An der Tür flüstere ich ihr zu: „Zwangsheirat, wegen gefälschter Entschuldigungszettel.“

Warum machen Sie so?

„Frau Freitag, vielen Dank!!! Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir gestern Abend für einen Ärger von unseren Eltern bekommen haben.“ Esra steht vor mir und bebt vor Wut. Ihre Augen sind schon ganz wässrig. Gleich fängt sie noch an zu heulen.

„Sie haben unser Leben ruiniert. Nur, weil wir Ihnen egal sind.“
„Esra, warte mal, gerade weil ihr mir NICHT egal seid, habe ich angerufen.“

Esra ist sauer. Elda auch. Sie wollen mir nicht mehr zuhören. Alle Erklärungsversuche laufen ins Leere.
„Wissen Sie was Eldas Mutter mit ihr gemacht hat? Das glauben Sie gar nicht. Warum haben Sie angerufen?“
„Esra, ich…“
„Sie hätten ihre Mutter mal sehen müssen!“
„Laß doch Frau Freitag mal ausreden.“ mischt sich Elif ein.
„Danke Elif, aber ich glaube das bringt jetzt gar nichts. Ich rede später mit denen.“

Was war passiert? Inspektöse Freitag war wieder aktiv. Gestern sehe ich in meinem Fach, dass Esra und Elda am Dienstag in der ersten Stunde gefehlt haben. In Geschichte wurde ein angekündigter Test geschrieben. Die Geschichtslehrerin wollte von mir wissen, wer unentschuldigt und wer entschuldigt gefehlt hat – wegen des Nachschreibens.

Esra und Elda kleben aneinander wie Pech und Schwefel. Wie Hundekot und Profilschuhsohle, wie Siamesische Zwillinge. Sie haben jeden Tag die gleichen Klamotten an – meistens Durchsichtiges im Animalprintlook. Zur Zeit viel schwarz und beige – Sandfarbe oder Kamel.

In den letzten Wochen fällt mir auf, dass die beiden oft in den ersten Stunden fehlen und dann immer gemeinsam. Von Elda bekomme ich dann ganz abstruse Zettel: Elda hatte in der ersten Stunde Bauch- Zahn- Kopfschmerzen. Ich habe mich jetzt schon des öfteren gefragt, weshalb diese Schmerzen dann verschwinden. Selten wache ich mit Bauchschmerzen auf und mein Kopf tut auch erst nach der Arbeit weh. Ich vermute seit langem, dass Elda die Entschuldigungen selbst unterschreibt. Die Unterschrift der Mutter wirkt recht kindlich.

Gestern bekomme ich jedenfalls in meiner Freistunde einen investigativen Anflug, schnappe mir die Türkischlehrerin und bitte sie bei Eldas Mutter anzurufen. Und zu fragen, ob ihre Tochter das Haus am Dienstag pünktlich verlassen hätte. Ich steh gespannt-gebannt neben dem Telefon und lausche dem: Üjfdhgierzthgvdhgi4güüüü öretmin jdkfhefhhüüüyrygüllim entschuldigungszettel düglqwetujpäfdsügljgimm.
Die Mutter fragt, ob Esra auch gefehlt hätte und bedankt sich, mit der Bitte immer gleich anzurufen, falls soetwas nochmal vorkommen würde. Dann telefoniere ich noch mit Esras Mutter. Auch sie hat ihre Tochter pünktlich aus dem Haus geschickt.

In der Pause laufen mir die ahnungslosen Elda und Ersa über den Weg. „Sagt mal ihr zwei Hübschen, wo wart ihr denn am Dienstag in Geschichte?“ Ich antizipiere schuldbewußtes Grinsen. Aber nichts da. Sebstgerecht gucken sie mich an und legen gleich los.
Esra sagt, dass sie beim Frauenarzt und Elda, dass sie mit Bauchschmerzen zu Hause saß. Erwartungsvoll gucken sie, ob ich das schlucke. Ich warte und dann kommt noch das i-Tüpfelchen auf ihrem Lügengebilde: „Hat Ihnen Herr Werner nicht die Entschuldigungen gegeben?“
Ich: „Nein, hat er nicht.“
Gemeinsam blöken sie nun los: „Oh Mann, was können wir dafür, dass er das nicht macht?“

Und jetzt reicht es mir: „Okay Schluss jetzt. Ich habe eben mit euren Müttern telefoniert. Es reicht. Lügt mich nicht weiter an.“
Jetzt gucken sie blöd aus der Wäsche, aber nur für ein paar Sekunden. „Frau Freitag, wir sagen jetzt wie es wirklich war. Wir sind pünktlich los und der Bus hatte Verspätung und dann sind wir zu spät gekommen und dann dachten wir, dass wir dann lieber eine Entschuldigung bringen, weil wir ja sonst eine Fehlstunde haben.“
„Ja, und die habt ihr jetzt auch.“ sage ich, drehe mich um und gehe.

Beim Rauchen erzählt mir ein Kollege, wie sie sich in seiner Stunde lautstark über die Scheiß Frau Freitag aufgeregt haben. Ich denke zufrieden – na, da habe ich ja wohl alles richtig gemacht. Oder?
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Wie man richtig Eindruck macht

Heute kam die gute Laune wieder zurück. Und heute ist viel passiert. Hier ein paar Impressionen eines Donnerstags in der Schule.

Gestern hat mir Mariella eine herzzerreißende Nachricht auf facebook zukommen lassen. Dass sie nur sich die Schuld gibt und nicht mir. Und ob ich ihr nicht helfen könnte, sie würde mich jetzt wirklich BRAUCHEN. Knack, aua, das Mutterherz… was habe ich gemacht?

Ich habe mir heute das Schulgesetz genommen und nachgeguckt, ob das überhaupt rechtens ist, dass die Schule den Anmeldetermin bestimmt. Und siehe da – die dürfen den zwar bestimmen, aber eigentlich erst nach den Halbjahreszeugnissen. Ich werde jetzt erstmal abwarten, was die Prüfungskommission sagt. Wenn die sie nicht zulassen, dann werde ich Herrn Werner bitten Mariella zu stecken, dass sie mit ihrer Mutter zum Schulrat gehen soll. Evtl. werde ich vorher auch noch mal kurz mit dem reden. Aber erstmal soll sie noch schlottern und Buße tun.
Und falls sie am Ende doch zugelassen wird, fangen ihre Probleme ja erst richtig an, denn sie hat sich ja so wenig um ihre Prüfung und das Thema gekümmert, dass sie jetzt in einem Bereich geprüft werden soll, von dem sie so dermaßen gar keine Ahnung und auch kein Interesse hat. Sie hatte sich ja mit Emre zusammen angemeldet. Das Thema lautet ungefähr: Der Vergleich von Westcoast Hip Hop mit deutschem Gangsta – Rap. Tja, Emre könnte dazu viel sagen, aber der ist ja nun gaaaaar nicht zugelassen, denn der hat mir den Elternzettel nicht mal am Dienstag gegeben. Außerdem hat er im Moment so viele Fünfen und Sechsen, dass er sowieso nicht zugelassen werden würde.

Dann hatte ich heute einen Superaneinanderrassler mit Marcella. Ich liebe Marcella, aber sie raubt mir den letzten Nerv. Heute hat sie in der Englischstunde non-stop gequatscht. Ihre Zensuren sind ein Graus. Sie hätte echt das Potential das Abitur zu machen, aber z.Z. sieht es leider nur nach schlechten Hauptschulabschluss aus. Jedenfalls macht sie heute gaaaar nichts außer Quatschen. Als ich sage: „So, ich sammele jetzt eure Ergebnisse ein“, fängt sie plötzlich an zu schreiben. 30 Minuten nur rumgesessen und gelabert und dann fängt sie an. Da habe ich ihr dann voll wütend das Blatt weggerissen, auf dem aber eigentlich fast nichts stand. Und weil ich so sauer war habe ich da keine gute Figur gemacht und da ist dann ein Stück von dem Blatt zerrissen.

„Ja toll Frau Freitag!“ schreit sie mich an „nur weil Sie ihre Tage haben brauchen sie nicht mein Blatt kaputt zu machen.“
„Erstmal habe ich die gar nicht und dann ist das kein angemessener Ton. RAUS!!!“ Irgendwie ging sie nicht. Ich habe sie ignoriert, sie kam wieder angeschleimt und hat mir die Tafel gewischt. Ich werde das nachher auf facebook mit klären. Easy.

Und dann habe ich noch voll den gutvorbereiteten Unterricht in der Siebten Klasse gehalten. Voll strukturiert, mit informierendem Unterrichtseinstieg (alles was in der Stunde passieren soll steht als Ablauf an der Tafel – sozusagen ein Stundenprogramm und wird sukzessive (Frau Dienstag!) abgehakt.)
Dann habe ich richtig geil unterrichtet. Muss ich echt sagen. Mit übertriebenen Gesten und Mimik und voll präsent und ruhig und die Schüler voll leise und so und voll mitgemacht und alles war super und dann war ich auch noch voll Mrs Konsequent. Drei Schüler stehen zu Beginn einer schriftlichen Phase auf und holen sich von Mitschülern Blätter.

„Eray, Mohamad und Emil, wo sind EURE Blätter?“
„Zu Hause.“
„Okay, dann geht ihr jetzt nach Hause und holt euer Arbeitsmaterial.“
Eray: „Meinen Sie das ernst?“
„Und ob!“
(Mohamad findet plötzlich doch noch seinen Block.)
Die Klasse hält den Atem an. Dann „Abbbooo, er wohnt voll weit.“
Ich: „Pech. Muss er sich halt beeilen.“

Soviel Konsequenz hatten weder die Schüler, noch ich mir zugetraut. Ehrfürchtig arbeiteten sie nun unter meinem Kommando wie die Guppis. Ich bin in ihrer Achtung meilenweit gestiegen. Nach 20 Minuten kamen sogar Eray und Emil mit ihren Blöcken, die sie in meiner Stunde allerdings nicht mehr brauchten.
Aber ab jetzt nur noch so.

Iiich liiebe dich HonigPerle

So, erstmal Danke für die vielen Tipps. Die meisten von euch sind ja fürs Augen zudrücken. Also, so sieht es im Moment aus: Ich habe Mariella und Emre auf Facebook geschrieben, dass sie eigentlich zu spät dran waren, und dass die einzige Möglichkeit sich noch anzumelden wäre, die Sachen vor der NULLTEN STUNDE in das Fach der Jahrgagsleiterin zu legen. Und selbst dann könnte ich nicht garantieren, dass sie noch angenommen werden würden.

Und weil ich gerade so gut dabei war, bei Facebook, habe ich allen anderen geschrieben, dass ich hoffe, dass sie ihre Gliederungen mit abgegeben haben, denn das stand ja bekanntlich auch auf den Anmeldungen. Dann bin ich zum Mittagessen zu meinen Eltern gefahren. Eben gehe ich bei Facebook rein und alle haben sich zurückgemeldet. Alle außer Emre und Mariella. Alle schreiben mir, dass sie mit ihren Fachlehrern abgeklärt hätten, dass sie die Gliederungen nachreichen. Okay, dass klang alles gut. Mariellas und Emres Schweigen … weiß ich nicht, was ich davon halten soll.

Dann sehe ich, dass Abdul online ist und chatte ihn an: „Abdduuuuuullll, hallöle!!!!!! Abduuuul, hier unten halloooo.“ Bisher hat er sich noch nicht zurückgemeldet. Vielleicht traut er sich nicht, oder er hat es noch nicht gesehen. Jedenfalls steht jetzt mein Laptop vor meiner Nase und ich schreibe auf meinem Computer.

Und ich möchte euch mal zeigen, wie die Schüler sich hier auf facebook unterhalten. Elif hat ein Bild von sich gepostet und bekam daraufhin 69 Kommentare. Auf dem Bild ist sie geschminkt – fett Lipgloss und Make-Up ohne Ende und sie trägt ein neues Kopftuch. Das Untertuch ist knallpink und das Drübertuch schwarz mit großen pinken Blumen. Jetzt die Kommentare. Ich schreibe die mal wörtlich ab:

Arife: Elif duu hübschee schnekke sieht sehrr schöön aus (herz, herz, herz)

Taddellido Huhu: hihi ich auch an dich mein schazt (herz) dieses kopftuch steht dir so sehr eliii sieht voll schön aus (herz, herz)

Esra: Uiii wie süß meine HonigPerlee… (herz)

Elif: Dankeeschööön (herz, herz)

Elif: Dankee meine Diloos

Elif: uiiii Esra (herz, herz, herz)

Esra: uiii Elif (herz, herz, herz)

Fatima: ey Elif du bist Prinzessinya wallah (4X herz)

Elif: ayyyy Fatima ‚ du schamööR

Fatima: häää was soll bitte schamör heissen? schleimer auf türkisch oder was -.-‚?

Elif: neiin neiin das sagt mann zu den diiee soo nette sprüche sagen und es ist auf deutsch (herz)

Fatima: asoh hahahah oki

Mona: aiiii Elif meine kleine Prinzessiiiin, du siehst sooooo süüüüüß (herz) ich hoffe du denkst bisschen öfters also nur jetzt an mich (3X herz)

Elif: immer dooch meine Süßeeee

Jimmmy PinCe: uuhhhhh wie sexiiiii Babyyyyy du bis einfach nur süüüüssss einfach soooo (4xherz)

Elif: Ayyyyy schatziiii iich lieb dich voll & und dankeschööön

Jimmy PrinCe: baby is sehr schlimm… hab mich selber markiert hahahah (herz, herz) nur aus liebe zu dir du weisst (23x herz)

Fatima: okeeyyy und wer bist du?! -.-‚ kommst einfach von ecke keiner kennt dich?!

Jimmy PrinCe: Elif kennt mich … mehr brauch ich nicht…

Und so geht das dann endlos weiter. Es gibt noch kleine Verwirrungen, wer eigentlich Jimmy Prince ist. Stellt sich raus, dass das Esra ist mit neuem Profilbild. Dann wird sich mit 1000 Liebesschwüren entschuldigt und so weiter.

Aber fällt euch mal auf, wie höflich und nett die miteinander sind auf facebook? In meinem Erwachsenen- facebook hat mir noch nie jemand: Schatziii ich liebe dich!!! geschrieben und die machen das dauernd. Wenn ich ein Bild poste bekomme ich zwei Daumen hoch gefällt mir von irgendwem. Das wars dann. Hier bei Kinderfacebook is echt viel lustiger. Viel wärmer und freundlicher und mehr Action. Also Leute, nehmt euch mal ein Beispiel daran. Nettsein heißt die Devise. Probiert das einfach mal aus!!!

In facebook liebe ich sie alle

Ach die Kinder… wenn die doch in der Schule auch so wären wie bei facebook. Im Internet sind die echt top. Lustig, schlagfertig, gewitzt und freundlich. Aber in der Schule – omg. Für alle, die sich mit dem Schülertalk auf facebook noch nicht so gut auskennen, möchte ich hier mal ein paar Besonderheiten beschreiben. Hat bei mir etwas gedauert, bis ich alles so einigermaßen gecheckt habe. Also, meine Schüler schreiben z.B. immer oki und asu (ach so) oder yetzt oder Ich liebe dich meine Pauerlocke. Und sie fangen jeden Satz mit hahahahaha an und sie denken lol heißt lach‘ opfer lach‘.

Ich bleibe ja die meiste Zeit in der Beobachterrolle und kommentiere wenig (lesen tue ich aber ALLES). Aber manchmal kann ich nicht an mich halten. Marcella schrieb z.B. neulich: Status: I’m in love. Habe ich runter geschrieben: Mir wäre lieber du wärst IN SCHOOL. Prompt kam von ihr ein: hahahahaha…Freitag, ich werde mich verbessern – sie werden sehen, aber ich muss ihnen was gestehen ich bin in Geschichte eingeschlafen, aber ich werden mich verbessern. Am nächsten Tag kam sie wieder zu spät. Aber schön, dass wir drüber geredet haben.

Mariella schrieb mir vorgestern ja schon, dass sie noch immer nicht wüßte, was sie werden möchte. Habe ich ihr gleich einen Link zur Arbeitsargentur geschickt. Sie hat sich sofort mit lauter smilies bedankt und geschrieben: Ich hab Sie ganz doll lieb. Auch wenn ich das in der schule nicht so zeige 🙂 Am nächsten Tag hat sie mich wieder angeranzt, weil ich sie nicht während des Unterrichts zum Klo lassen wollte.

Gestern war ich schon um 5 Uhr wach und checke so beim Kaffee, was meine Schüler bis spät in die Nacht auf facebook so getrieben haben, da sehe ich, dass Bilal, der jeden Tag zu spät kommt schon online ist. Habe ich ihm gleich geschrieben, dass er ja heute wohl pünktlich sein kann, wenn er sich jetzt schon hier im Internet rumtreibt. Er kam auch pünklich – breit grinsend wollte er mir dann während meiner Einführung erklären, dass er gerade geduscht hätte und mir deshalb nicht gleich antworten konnte.

Ach ja facebook… Danke Mr Zuckerman, macht echt Spaß in ihrer blau-weißen Welt.

Die Schüler posten ja auch manchmal schöne Videos. Eins hat mich heute sehr beeindruckt. Der coolste Lehrer der Welt. Ich erblasse vor Neid und werde mich gleich ransetzen und meinen Lehrervortrag zum Thema Restaurantbestellungen vertonen. Guckt euch das unbedingt mal an und dann nehmt euch alle mal ein Beispiel daran. Mathe kann ja soooo Spaß machen…

Manchmal geht’s


Heute bin ich milde gestimmt, denn ich habe mir gerade Wolle gekauft, um Strümpfe zu stricken – es wird Winter, gehe gleich mit Frau Dienstag zum Sport und soeben habe ich mit dem Freund die letzten Kunstarbeiten meiner Benetton-Klasse zensiert. Die letzten Zensuren, die ich brauchte, um ihnen einen Zwischenstand ihrer derzeitigen Leistungen zu geben. Alles ist erledigt und ich bin hochzufrieden und deshalb, wie gesagt recht milde gestimmt.

Heute bin ich mit meinem Rollkoffer zur Schule getrottet. Ich kam mir vor, als würde ich verreisen, aber der Koffer war nur voll mit den Bewerbungsunterlagen, die ich von der Bewerbungsmesse am Anfang des Schuljahres zusammengesammelt hatte. In der Schule habe ich dann zwei fette Aktenordner damit gefüllt. Die habe ich dann in der Hausaufgabenstunde mit meiner Klasse auf den Tisch gestellt. Ich wußte durch einen kurzen facebook-chat, dass z.B. Mariella aus meiner Klasse noch gar nicht weiss, was sie werden will.

Ich also hin zum schnatternden Mädchentisch, die sich gerade wieder über sehr schulferne Dinge austauschen wollten. Den einen Leitzordner knalle ich Mariella direkt vor die Nase: „Hier guck‘ mal, was du werden willst.“ Den anderen gebe ich Elif. „Da ist was drin zu medizinischer Fachangestellten. Das musst du mal suchen.“

Und jetzt ging das herrliche Treiben los. Begeistert blätterten sie durch die Broschüren von Rossmann, Netto und Ikea. „Hier Ayla, hier is Bürokauffrau, für dich. Willst du doch werden.“ Vorher hatte ich die 16 Hausaufgabenhefte verteilt, die ich auf der Messe abgestaubt hatte. Alle wollten unbedingt eins haben und die blöden Stundenpläne von irgendeinem Bleistifthersteller standen auch hoch im Kurs.

Ronnie, der immer nur auf seinem Platz sitzt und mit Peter quatscht und noch niiiiiie irgendwas in der Schule – für die Schule getan hat: „Ich will auch eins!“
Und endlich hatte ich mal die Gelegenheit für eine kleine persönliche Rache: „Ronnie, du machst doch gar keine Hausaufgaben. Da brauchst du auch kein Hausaufgabenheft.“ Die anderen füllten begeistert ihre neuen Stundenpläne aus. Willst du Schüler beglücken, dann gib ihnen Formulare und Listen.

Auch die Ausbildungsplatzsuche gestaltete sich positiv: „Frau Freitag, abooo, kann ich den Zettel mitnehmen?“ „Miriam, guck hier, dis Heft hier von Handelskammer is‘ voll hamma, da steht alles drin.“

„Frau Freitag, woher haben Sie dieses Buch (Berufe aktuell)?“
„Na, das müsstet ihr alle bekommen haben. In der Berufsorientierung.“
„Nein, haben wir nicht. Ich schwör‘, wenn ich dieses Buch hätte, abooo hier steht soooo viel drin. Wo kriegt man das, Frau Freitag?“

„Im Berufsinformationszentrum. Da waren wir auch schon. Da fandet ihr es soooo schlimm. Erinnert ihr euch?“

Als es klingelt gehen alle beschwingt in die Pause. Ausbildungsplatzsuche kann ja soooo einen Spaß machen. Sie fühlen sich schon so, als hätten sie mehrere Angebote, nur weil sie mal durch ein paar Prospekte geblättert haben. Eine Bewerbung hat noch keiner geschrieben.

Aber sie beschäftigen sich mit ihrer Zukunft und sie haben auch noch Spaß daran. Was will ich mehr. Für nächste Woche mache ich einen Termin beim BIZ und gehe mit denen, die wollen dorthin. Freiwillig, in unserer Freizeit. Tue ich eben so, als sei ich ihre Eltern.

Bezauberndes Binnendifferenzieren


Zur Zeit bin ich echt nicht so gut auf meine Klasse zu sprechen. Nicht nur, weil ich schon jetzt darüber sauer bin, wie viele Schüler am Freitag ihre Anmeldungen für die Prüfung NICHT abgeben werden, dass sie sich nicht um einen Ausbildungsplatz bewerben oder, dass sie dauernd krank sind, nein, auch ihre unendliche Faulheit geht mir gegen den Strich.

Heute wollte ich ihnen ein besonders schönes Bonbon der englischen Grammatik beibringen. Entgegen jeglicher Fremdsprachendidaktik mögen Schüler eigentlich reine Grammatikstunden ganz gerne. Denn wenn sie einmal die Formel verstanden haben, lechzen sie geradezu nach Beispielsätzen, die sie dann regelanwendend umwandeln können.

Heute soll man den Schülern die Grammatik ja unterjubeln. Sie sollen gar nicht merken, dass sie ein grammatikalisches Phänomen vor sich haben. Ich liebe aber diesen Old-School-Style: An der Tafel – oben: Adjektive und Adverbien oder Comparison of Adjectives oder Direct speech and Reported Speech. Dann schön Beispielsätze, dann die Regel erarbeiten lassen, dann die Formel anschreiben und dann Beispielsätze ohne Ende. Bitte nicht weitersagen, dass ich ab und zu noch so unterrichte.

So, also wir sitzen, bzw. die Schüler sitzen da und ich stehe an der Tafel und produziere Sätze zum Umformen. Ronnie, Peter und Adul sind voll dabei. Hinten unterhalten sich allerdings Elif, Esra und Miriam über ihr spannendes Wochenende. So toll kann das gar nicht gewesen sein, denn die meiste Zeit hat Elif nur immer wieder: Ich liiiiIIIbe DicH meIn SchaTzzzz! an Esra gepostet, die dann 1000 Mal: Ich dIIIch auCCh mein DarrrLing fÜR iMMer und EwiG… zurück schrieb.
Trotzdem haben sie sich viel zu erzählen. Unter anderem höre ich: „Halloween war so hammer“ und „echt, dis hat er gesagt?????“

Ständig muss ich Elif ermahnen: „Ellliifff, page 17 in your textbook!!! No, that’s your Workbook. Stop talking, please!“

Es nervt mich echt total. Ab und zu schleudere ich eine Ich-Botschaft nach hinten: „Miriam, ich habe echt Schwierigkeiten hier was zu erklären, wenn ihr da hinten immer nur quascht.“ Die nehmen sie zur Kenntnis, sind eine Minute ruhig, tun so, als arbeiteten sie mit, um dann wieder die Köpfe zusammen zu stecken.

Dann sollen sie die Sätze von der Tafel abschreiben und noch fünf weitere Sätze im Buch bearbeiten. Vorher sollten sie ganz kurz die Regel aus dem Buch abschreiben. Echt eine Sache von 30 Sekunden. Nach 10 Minuten sehe ich die Mädchen hinten wieder quatschen.

„Hallo die Damen, schreiben! Nicht quatschen!“
„Wir sind fertig.“
„Ach, mit allen Sätzen?“
„Welche Sätze?“
„Ihr solltet die Sätze von der Tafel kopieren und die aus dem Buch bearbeiteten.“
„Ähhhh, ich dachte, wir sollten nur die Regel abschreiben.“

So geht das 20 Minuten lang. Ronnie, Peter und Abdul und noch ein paar Streber aus meiner Klasse brühten derweil über den Sätzen aus dem Buch, überschlagen sich mit der Ergebnisssicherung an der Tafel. Als ich den ersten Satz, der mitlerweile über 30 Minuten dran stand wegwischen will, um die Buchsätze anzuschreiben, blökt Miriam von hinten: „Haaaaalt, den habe ich noch gar nicht abgeschrieben!!!“

Als Ronnie, Peter und die anderen fertig sind, reicht es mir. Ich nehme das Workbook, setze mich zu Marcella, die auch gut mitarbeitet an den Gruppentisch und sage: „Okay, wer noch was lernen möchte, kommt bitte hier zu mir.“ Sofort kommen die Schüler, die die ganze Zeit mitgemacht haben, an unseren Tisch. Gemütlich sitzen wir dort und lösen gemeinsam noch mehr Übungsaufgaben im Workbook. Nach fünf Minuten merkt Esra, dass ich nicht mehr vorne stehe und fragt empört: „Ähhhh?? Und was ist mit uns?“

„Ihr könnt auch herkommen, wenn ihr arbeiten wollt.“
Keine der Damen bewegt sich. Bilal fragt, ob er rausgehen kann. Kann er nicht. Mit den Schülern an meinem Tisch arbeite ich intensiv, bis es klingelt. Gut gelaunt gehe ich in die Pause. Binnendifferenzierung, sage ich nur. Die, die arbeiten wollen, können arbeiten und die anderen sollen bleiben wo der Pfeffer wächst. Und morgen mache ich das wieder so!

Einfach mal so oder auch anders


Jetzt mal wieder etwas positiver in die Zukunft schauen. Morgen komme ich bestimmt in die Schule und alle meine Schüler erzählen mir freudig, dass sie sich am Wochenende auf mehrere Ausbildungsplätze beworben haben. Und wenn nicht, dann ist das ja auch nicht so schlimm, denn irgendwo müssen diese ganzen Millionen von Arbeitslosen ja herkommen.

Stellen wir uns mal vor, wir hätten gerade Vollbeschäftigung und meine Schüler würden sich nicht bewerben… Die Ausbilder würden zu uns auf den Hof kommen und mit Geschenken um unsere Schüler buhlen. Keiner müsste eine Bewerbung schreiben, man bekäme den Ausbildungsvertrag gleich dort auf dem Hof in der großen Pause. Wie stünde ich denn dann da?

„Sehen Sie Frau Freitag, das stimmt alles nicht, was Sie immer sagen. Gucken Sie, ich habe gleich zwei Plätze als Mechatroniker bekommen und sogar Mehmet hat ein Angebot von Lufthansa, er kann da Pilot werden oder Stewardess.“ Schlimm wäre das. Unglaubwürdig würde ich wirken. Die Schüler würden mir gar nichts mehr glauben. „Pah, think soll ein unregelmäßiges Verb sein? Wahrscheinlich lügt sie wieder.“ Nein, nein, also Vollbeschäftigung – ohne mich.

Ich freue mich sehr auf diese Woche. Denn meine Klasse hat mal wieder die Chance mich zu verblüffen. Am Freitag sollen sie ihre Anmeldungen für ihre Realschulprüfung abgeben. Wenn sie das bis Freitag nicht machen, können sie nicht an den Prüfungen teilnehmen und vor allem können sie dann nicht das zehnte Schuljahr wiederholen. Bis Freitag heißt bis Freitag! Ich werde nur den eigenen Tod als Entschuldigung gelten lassen, obwohl, da könnten ja auch die Eltern die Anmeldung vorbeibringen.

Das Wiederholen der letzten Klasse ist bei uns schwer in Mode gekommen, da es so bequem ist. Man muss sich um nichts kümmern und darf noch ein Jahr kuschelig in der Schule sitzen und Kindergeld gibt es auch noch weitere 12 Monate. Okay, wenn die Lehrer zustimmen darf auch jemand, der nicht durch die Prüfung gefallen, oder an ihr gar nicht teilgenommen hat, das Jahr wiederholen. Aber das muss abgestimmt werden und ich werde bei keinem meiner Schüler dafür stimmen.

Am Freitag werde ich sehen, ob meiner Klasse ein qualifizierter Schulabschluss genauso wichtig ist, wie der Besuch des Heideparks. Eigentlich sollte man doch meinen, dass bessere Berufschancen einen Dreifachlooping und eine Holzachterbahn schlagen würden, aber ich bin mir da leider gar nicht so sicher.

Ende des letzten Schuljahres – ich erinnere mich, als sei das gestern gewesen, haben meine Schüler mich ja echt überrascht, als sie von einem Tag auf den anderen 40 Euro für unseren Heideparkausflug und einen unterschriebenen Elternbrief mitbrachten.

Ich hab’s, wir machen die Realschulprüfung im Heidepark! Zwischen den schriftlichen Arbeiten ist jeweils eine Stunde Zeit, mit der Achterbahn zu fahren und vor der Mündlichen entspannen sich die lieben Kleinen bei einer Runde Scream. Wenn das nicht schülerrelevanter Lebensweltbezug ist, dann weiss ich auch nicht mehr.