Bücher-Schmücher Teil 2

Okay, die Fachangestellte in der Englischen Buchabteilung beobachtet mich, wie ich meiner Freundin demonstriere, dass sich englische Taschenbücher meiner Meinung nach nur suboptimal aufschlagen lassen.
Ich merke gar nicht, dass sie mich anspricht. Was heißt anspricht? Sie meckert mich an.
„HALLO SIE, SO KANN MAN BÜCHER IN EINER BUCHHANDLUNG NICHT BEHANDELN. SIE MACHEN DAS BUCH KAPUTT: DA BRICHT DER RÜCKEN…USW.“
Ich gucke mir das Taschenbuch an. Es sieht tadellos aus. Ich halte es der Verkäuferin unter die Nase, um sie zu beruhigen: „Hier, ist nicht kaputt. Der Rücken ist noch ganz.“
Sie hört aber nicht auf und meckert und meckert. Eigentlich möchte ich ihr sagen: „Sie schicken doch die kaputten Bücher sowieso als sogenannte Remmis wieder zurück an die Verlage, also warum regen Sie sich jetzt so auf?“ Das sage ich aber nicht, weil ich völlig fasziniert bin von ihrer Anmecker. Vielleicht ist fasziniert das falsche Wort. Ich bin fassungslos, dass ich – eine erwachsene Frau am hinteren Ende des mittleren Alters – sich in der Öffentlichkeit anmeckern lassen muss. Innerlich koche ich. Kein schönes Gefühl.

Sie ist wie so eine Maschine. Eine Anmeckermaschine. Ich lege das Buch wieder auf seinen Stapel zurück, hole tief Luft, hebe beide Hände und sage: „Okay, das war jetzt meine Anmecker des Tage. Vielen Dank.“
Zu meiner Freundin sage ich: „Ich muss jetzt hier raus, sonst platze ich.“

Draußen rauche ich eine Zigarette und habe Schwierigkeiten, mich zu beruhigen. Es regnet. Es ist kalt. Ich werde von Passanten angerempelt. Ich will nach Hause. Meine Freundin kommt.

„Du, ich habe die Verkäuferin gerade nochmal angesprochen und gesagt, dass der Ton ja eben wohl nicht okay war. Und da meinte sie, dass sie heute einen schlechten Tag hat, weil sie eine Email mit einer schlechten Nachricht bekommen hätte.“

Ja – FUCK YOUR FUCKING EMAIL!!!!! Ich hätte das Buch nehmen sollen und den Rücken richtig durchbrechen sollen. „Hier! JETZT ist es kaputt!“ Und dann hätte ich ihr noch ein 10 Euro Schein vor die Füße schmeißen sollen.
Oder so: „Sprechen sie mit MIr? – Are you talking to me? Sprechen SIE in DIESEM Ton mit mir? Sie arbeiten doch hier, oder? Und ich bin hier KUNDE und ich habe gerade für 45 Euro Bücher in IHREM Laden gekauft und SIE wagen es mich hier öffentlich anzumeckern??? Ich würde gerne Ihren Chef sprechen, damit ich die gerade gekauften Bücher zurückgeben kann….“

Ich lasse mich nicht mehr anmeckern!!!! Schon gar nicht da, wo ich KUNDE bin!!! Wo sind wir denn?

Ich bin doch kein Kind mehr. Ha, als Kind auf dem Hof hinter unserem Haus hat mir mal ein anderes Kind gesagt – als wir irgendeinen Unfug gemacht haben: „Du hast es gut, du kriegst ja nur Anmecker. Ich krieg Verkloppe.“

Bücher – Schmücher

„Ein Buch. Ein Buch ist immer ein gutes Geburtstagsgeschenk.“, sage ich.
„Hmm.“, antwortet der Freund. Bei uns herrscht strikte Arbeitsteilung. Ich besorge Geschenke und er wickelt ein. In der U-Bahn freue ich mich schon auf den Besuch des Kulturkaufhauses. Erlebnisshoppen am Samstagnachmittag.
Da ich in letzter Zeit so ein schlechter Konsument war, möchte ich das heute ausschweifend zelebrieren. Ich habe mich dafür extra mit einer Freundin verabredet.
Es ist kalt. Es regnet. Macht mir alles nichts aus. Ich will shoppen. Und ich bin sogar vorbereitet. Ich habe Plan A und Plan B. Nicht wie Rosa – die hatte neulich sogar Plan Z: „Ich habe mich jetzt am OSZ beworben und als MTA und Plan Z ist dann zahnmedizinische Fachangestellte.“ Lucky her.
„Also, ich dachte ich kaufe das neue T.C.Boyle….“, erkläre ich meiner Freundin ungefragt „T.C. Boyle ist immer geil. Kannst nix falschmachen mit T.C. Boyle und dann kaufe ich außerdem Unterwerfung von Wellbäck. Das wollte ich auch lesen… ich habe zwar noch nichts von dem gelesen, aber das klingt ja wohl interessant… Frankreich wird von den Muslimen regiert…“
„Warum kaufst du denn zwei Bücher?“
„Ja, pass auf, voll schlau. Wenn er T.C.Boyle schon hat, dann kriegt er Unterwerfung und wenn er T.C. Boyle noch nicht hat, dann behalte ich Unterwerfung. Und andersrum.“
„Und wenn er beide schon hat?“
„Hat er nicht. Sind beide erst als Hardcover draußen.“

Bei Dussmann ist voll. Bei Dussmann ist die Luft schlecht und es wird gebaut. Ich latsche von einem Neuerscheinungstisch zum nächsten. Dann zur Musikabteilung, dann zu den Fernsehserien… schade, dass er Breaking Bad schon hat. Vielleicht doch kein Buch, sondern eine Serie? nee, Buch ist besser. Dann hoch in die Kunstabteilung. Ich wollte nochmal ein Buch suchen mit Graffitischriften. Erst finde ich nicht Graffiti, dann gibt es so ein Buch, wie ich will gar nicht. Dann hoch zu den Kreativesschreiben-Büchern. Ich will doch so gerne Schriftsteller kennenlernen. Tue ich aber nicht. Deshalb will ich Bücher von Schriftstellern. Puh, voll der Betrug – nur Rolltreppe in den ersten Stock. Dann musst du Treppensteigen. Anstrengend. Die Freundin will zu Musik-CDs. Wir trennen uns. Treffpunkt in 20 Minuten in der Englischen Buchabteilung. Ich Treppe hoch, noch ne Treppe hoch. Dann oh – ganz oben wird gebaut. Na toll. Wieder runter. Ich kaufe T.C. Boyle und Unterwerfung und zahle 45 Euronen. Früher wären das 90 Mark gewesen. Mein lieber Scholli… voll viel für zwei Bücher. Aber wat soll’s die Kollegen sollen ja auch leben.

Wenig später…
Englische Buchabteilung. Hier ist das Licht gedimmt. Warum? Wir gucken uns Bücher an. Die Freundin sagt: „Kauf dir doch das T.C. Boyle Buch als Taschenbuch“.
Ich nehme ein Taschenbuch in die Hand und halte es ihr unter die Nase.
„Ich lese die nicht gerne. Diese englischen Taschenbücher.“ Ich blättere durch die Seiten. Sie lassen sich kaum öffnen. Weil die Bücher immer SO sind: Die einzelnen Seiten kann man gar nicht aufmachen.“ Meine kleine Guck-mal-wie-scheiße die-Bindung-bei diesen-Teilen-ist – Demonstration geht weiter.
Was ich nicht merke, ist, dass ich die ganze Zeit von einer Angestellten der Englischen Buchabteilung dabei beobachtet werde….

tbc – ich muss zur Auqagymnastic, Frau Dienstag killt mich, wenn ich zu spät komme. Sorry.

Abschied

Jetzt hat das eine halbe Stunde gedauert, bis sich wordpress geöffnet hat. Dieses WordPress denkt sich auch: Pffff, Lehrerblog… so eine schlechte Lehrerin unterstützen wir nicht mehr. Heute war aber wieder ganz okay. Ich habe mir die Präsentationen meiner Schüler angehört. Präsentationen, die sie nächste Woche halten müssen. Süüüüß. Wie aufgeregt die immer sind. Und die machen ja echt noch krassere Rechtschreibfehler in ihren Powerpoint Folien als ich.

Hamid drückt auf einen Knopf vom Computer. Leichenberge in Auschwitz.
Hamid: „Und hier sehen Sie die Taten des DDR-Regimes.“

Inhaltlich sollten wir heute eigentlich nicht eingreifen…

Jetzt geht es in einem Rutsch auf den Abschluss zu. Präsentation, Deutsch, Mathe, Englisch, Englisch mündlich und dann Tschüß. Crazy. Dann sehe ich meine lieben Kleinen nur noch bei irgendwelchen Klassentreffen.

Vorher noch Abschiedsfeier. Bei uns ist es üblich, dass die Schüler vor der Abschiedsfeier keine Abschiedsfeier wollen. Sie denken, dass sie uns damit irgendwie eins auswischen können, wenn sie keine Feier wollen. Dabei sind die meisten Kollegen froh, wenn ihnen die Abschlussfeier der Zehnten erspart bleibt. Ich nicht. Ich feiere gerne.

Alle paar Wochen sollen wir in unseren Klasse abfragen, wieviele Leute an der Feier teilnehmen, damit die Planer planen können. Da ich mittlerweile die Dynamik kenne, frage ich gar nicht. Ich mach das so:

„Leute, im Juli ist doch die Abschlussfeier. Rosa, machst du dir da eine Hochsteckfrisur? Hamid, was für einen Anzug ziehst du an? Vincent, hast du einen Anzug?“
Dilay: „Ich komme nicht zu der Feier.“
Ich: „Warum nicht? Darfst du nicht oder willst du nicht?“
Dilay: „Ich will nicht.“
Ich: „Wie? Du willst nicht Frau Freitag in ihrem rosa Pailettenkleid sehen?“
Rosa: „Ist das ein langes Kleid?“
Ich: „Nee, super kurz. Mini!“
Dilay: „Woher ham Sie?“
Ich: „Hochzeitsshop Neukölln. Kottbusserdamm.“

Und im Lehrerzimmer Frau Schwalle: „Frau Freitag, hast du in deiner Klasse gefragt, wieviele mitkommen?“
Ich: „Ja.“
Frau Schwalle:“Und? Wieviele?“
Ich: „Alle.“

Klein und schlecht

Oh Gott, ich bn der Loser-Lehrer des Jahrhunderts!!!! Ich bin die aller, aller schlechteste Lehrerin ever.
Gestern noch so voll obenauf mit dem Referendaren gesprochen: „Nun gib nicht gleich auf. Das wird schon… mach mal so und so und mach mal lieber nicht so, sondern so und blah, blah, blah“. Wochenlang sonne ich mich in der Einbildung, dass ich es doch voll drauf habe. Beglücke jeden mit meinen pädagogischen Tipps, wie ein blasenschwacher Hund.

Heute morgen bin ich schon um kurz vor sechs Uhr wach, weil ich es gar nicht abwarten kann, zur Arbeit zu gehen, weil die mir ja soooo leicht von der Hand geht. Burnout – pah, da lache ich doch drüber. Ferien… wer braucht denn sowas? Den ganzen Weg zur U-Bahn tanze ich – besoffen vor Freude, dass die Woche wieder anfängt und ich wieder meine Lehrerinnenmagie entfachen kann. Ha.

Ich bin sogar eine Stunde zu früh in der Schule. Weil ich so… ach, weil ich bescheuert bin und zu Hause nichts mit mir anzufangen weiss. Sagen wir doch, wie es ist.

Und dann habe ich meine Klasse. Alles läuft gut. Ich mache Sprüche, sie arbeiten nicht, ich mache noch mehr Sprüche, sie lachen, ich lache… alles wie immer. Ich gehe in die Pause und denke: Läuft bei mir!

Dann die Siebte. Sie arbeiten doch auch immer soooo schön. Die arbeiten so konzentriert und ruhig, dass ich davon manchmal ganz high werde und sie sogar ab und zu von hinten filme, um mir das zu Hause anzusehen. Für die triste Zeit, wenn ich mal nicht unterrichte – also zu Hause.

Und dann… Tarik mein bester Mann fehlt. Ich denke – na um so besser, denn Tarik ist ja recht betreuungsintensiv.

Was war denn nun so schlimm, Frau Freitag???? Huähhhhhh, heul, schluchz… keine Ahnung, die Kinder waren laut und haben sich blöde angemacht und sind aufgestanden und ich wurde immer schlecht gelaunter und habe auch rumgemeckert – nicht so doll, aber doch immer wieder und dann wurden die Kinder auch übellaunig und alles war doof. Und am Ende habe ich ihnen das auch gesagt. Wie bescheuert ich die Stunde fand. Bescheuert habe ich nicht gesagt. Didaktisch minderwertig habe ich auch nicht gesagt. Ach scheiß egal was ich gesagt habe… die Stunde war für den Arsch. Sie haben zwar gearbeitet, aber… huähhhhh, ach ich weiss auch nicht…ich bin arm und klein und schlecht.

Was bilde ich mir eigentlich ein, irgendjemandem Tipps zu geben? Mit welchem Ziel? Dass sie dann genau so schlechte Lehrerinnen werden wie ich???? Referendar – vergiss bitte alles, was ich jemals gesagt habe. Ich habe KEINE Ahnung. Such dir eine RICHTIGE Lehrerin, die weiss, wie man das macht.

Und was soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch nur Lehrerin sein? Ist schlechteste Lehrerin überhaupt ein Beruf? Darf ich überhaupt Geld dafür bekommen? Für diese Stunde heute würde ich gerne mein Gehalt zurückgeben. Geht das? Ich bin ein mieser Hochstapler. Ein Schul-Krull. Ein pädagogisches Plagiat. Ein Didaktik-Depp. Ein Nichts, ein Niemand. Ein verwarzter Wurm am Arsch der Schlechtigkeit….. huähhhhhhhh.

Sympathy for the Devil

„Wenn wir 20 Jahre hingehen, dann bezahlen wir 50 Euro im Jahr.“, sagt Frau Dienstag.
„Hä, wieso? Also warte mal… wenn wir jeden Monat 83 Euro zahlen würden, dann bezahlen wir nur ein Jahr lang. Oder 42,50Euro zwei Jahre lang…“
„Oder 20 Euro drei Jahre.“
„Nee, 21 Euro und 25 Cent.“

Wir haben unsere Seele verkauft. Frau Dienstag und ich. Gestern.

„Aber wie lange dauert es denn nun, bis wir die Einmalzahlung abbezahlt haben?“, fragt Frau Dienstag die kleine Mitarbeiterin.
Die guckt verwirrt zu Frau Dienstag, dann zu mir, dann wieder zu Frau Dienstag: „Was meinen Sie?“
„Na, habt ihr da nicht mal eine Rechnung aufgestellt. So nach dem Motto – nach soundsoviel Jahren hat man das Geld wieder drin.“
Das arme Ding weiß immer noch nicht was Frau Dienstag will. Wenigstens siezt sie uns artig. Wir duzen sie natürlich. Die ist ja gerade mal so alt wie unsere Schüler… wo kommen wir denn da hin, wenn ich solche jungen Menschen siezen würde. Und natürlich haben die noch nicht so eine Rechnung aufgestellt. Wenn sie sowas könnten, dann müssten sie doch nicht hier arbeiten.

In einem Überschwung an Lebenslust unterschreiben wir die Verträge. Verträge mit dem Teufel. Wie gerne würde ich hier schreiben, dass wir jetzt lebenslang Mitglieder bei Amnesty International sind, mehrere Patenkinder in Syrien gekauft hätten oder wenigstens für goldene VIP-Pässe im Swinger Club Königwusterhausen unterschrieben hätten. Aber nein – es ist ein Pakt mit dem Teufel. Wir haben jetzt eine LEBENSLANGE Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Mit unserer Unterschrift haben wir uns gestern verpflichtet, bis wir sterben zusammen zum Sport zu gehen. Jetzt müssen wir mit 84 noch zum Zumba. Künstliches Hüftgelenk hin oder her – Step Aerobic ist jetzt Pflicht. Poolnudel und Wasserjogging bis ins Grab.

Aus dem Vertrag kommste nicht mehr raus. Nie mehr! Da stecken wir jetzt länger drin, als im Arbeitsleben. Es wird keinen Fitnessrenteneintritt geben.

Um unsere Tat zu verdrängen, gehen Frau Dienstag und ich erstmal schnell zur Aqua-Gymnastik. Es ist voll anstrengend. „Ob wir das mit 75 noch können?“, fragt mich Frau Dienstag keuchend zwischen Unterwassser-Hanteltraining und Unterwasser-Boxübungen.
Ich zucke mit den Schultern. Uns wird nichts anderes übrieg bleiben. Unterschrieben ist unterschrieben.

Nach dem Duschen schleichen wir aus dem Studio.
„Irgendwie fühle ich mich schlecht.“, sagt Frau Dienstag.
„Warum?“
„Vor zwei Wochen war da ein Schild, da stand: 5 Jahre Trainieren für 999 Euro, und da dachte ich: Cool, das machen wir. Und jetzt haben wir für 999 Euro einen lebenslangen Vertrag.“
„Ist doch viel besser.“, sage ich.
Frau Dienstag bleibt stehen und guckt mich traurig an: „Ich weiß nicht… mir wären 5 Jahre irgendwie lieber gewesen.“

Strike!

„Aber das ist ja noch die Frage, ob morgen überhaupt Schüler in deinem Kurs sein werden.“, sagt Frau Schwalle und die zwei neuen Kolleginnen gucken sie verwirrt an.
„Wieso?“
„Was ist denn morgen?“

WAS MORGEN IST?????? Ich glaub ich spinne!!!! Hinter welchem Parallelunviversum leben denn diese beiden????

„Was morgen ist????“, frage ich – etwas zu laut. „Morgen streiken wir!!!! Du bist doch auch Angestellte, oder???“
Die eine nickt. Die andere teilt uns mit wahrnehmbarer Erleichterung mit, dass sie als Referendarin ja verbeamtet sei.

„HALLLOOOO? Wie kann man denn nicht mitbekommen, dass morgen im gesamten öffentlichen Dienst gestreikt wird???? Püppi, es gibt noch mehr als Unterrichtsvorbereitung und Kompetenzblahblah. Ich verteile die Buttons, die wir für die verbeamteten Kollegen gemacht haben. Sie haben die Auswahl zwischen: Ich will auch und Ich darf nicht. „Aber erst morgen tragen!“ Sie nicken und stecken sich die Button in die Hosentaschen. Einer anderen Kollegin drücke ich die Plakate in die Hand: „Kannst du die bitte morgen hier aufhängen?“
„Gerne!“ Auf die ist Verlass.

Ich höre euch hier schon fragen: Warum streiken denn die angestellten Lehrer? wollt ihr wieder mehr Geld? Bekommt ihr nicht schon genug Geld? Ja. Wir bekommen einen ganzen Haufen Geld. Jeden Monat und auch in den Ferien (wie Frau Dienstag immer und überall lautstark verkündet). Und trotzdem streiken wir. Weil wir können! Und weil ich es als meine Pflicht empfinde, wenn ich dazu aufgerufen bin. Es geht ja nicht nur um uns. Es geht ja um alle im öffentlichen Dienst beschäftigte Arbeitnehmer. Und die haben nicht alle ein fettes Lehrergehalt.

Außerdem würde ich mich ja schön scheiße fühlen, wenn ich die anderen da draußen auf der Straße marschieren lassen würde, und dann aber selbst nur das Geld einstreiche. Und machen wir uns mal nichts vor: wenn jeder sagen würde: „Mein Unterricht darf morgen aber nicht ausfallen, weil dann die Welt untergeht… nächste Mal bin ich aber wieder dabei, versprochen…“, wer wäre denn dann morgen auf der Straße?

Wenn ich was zu sagen hätte – habe ich ja leider nur hier – dann würde ich die erstreikte Gehalterhöhung nur denen auszahlen, die sich dafür engagiert haben.

„Herr König, was ist denn mit dir?“, fragt Frau Schwalle den nachdenklich dreinschauenden Kollegen.
„Ich habe noch zwei Nachschreiber, die sollten eigentlich morgen die Arbeit nachholen. Aber ich wollte ja streiken gehen.“
„Na, dann schick die doch zu mir. Ich darf ja nicht streiken. Aber einer mehr auf der Straße ist ja gut.“, sagt Frau Schwalle und Herr König lächelt erleichtert. „Echt? Super. Vielen Dank!“ Danke Frau Schwalle. So soll das sein. Und diesen Gefallen verbuche ich nicht unter „die streikenden Kollegen vertreten.“

Liebe Beamte: Ihr könnt unsere Schüler beaufsichtigen. Ihr könnt gerne mit ihnen darüber sprechen, warum wir nicht da sind. Aber ihr sollt keinen Vertretungsunterricht mit ihnen machen.
Und im Lehrerzimmer erwarte ich von euch, dass ihr die angestellten Lehrer morgen fragt, was sie in der Schule machen und warum sie nicht auf der Straße sind. Wie sollen wir denn unsere Schüler zu mündigen Bürgern erziehen, wenn wir ihnen nicht vorleben, wie man für seine Rechte eintritt?

Also liebe Kollegen: Wir sehen uns morgen auf dem Alex! Ich bin die mit der Brille.

Hamid und der Telefonjoker

„Frau Freitag, Hamid war heute eine halbe Stunde zu spät bei Mathe.“, sagt Frau Schwalle und guckt mich böse an.
„Ich hab aber pünktlich Schluss gemacht.“
„Er sagt, dass er zum Schulleiter musste, wegen einer Zeugenaussage.“
„Zeugenaussage?“, frage ich, um Zeit zu gewinnen und Frau Schwalle nickt.

Am Freitag hatte es bei uns in der Schule wieder einen kleinen Anschlag gegeben. Irgendwelche Idioten haben mit dem Feuerlöscher Unsinn gemacht. Also den Feuerlöscher unsachgemäß verwendet. Sprich: kein Feuer gelöscht. Stellt sich die frage, ob erst Feuer machen, um dann mal den Feuerlöscher zu benutzen, besser gewesen wäre. Ich würde sagen: Nein.

Kurz bevor ich nach Hause gehen will, sehe ich Schulleiter Fischer im Sekretariat. Sofort schüttet meine Inspektor-Drüse Hormone und allerlei Botenstoffe durch meinen gesamten Körper. Message an den Aktivitätsauslöser: Nachprüfen…Nachprüfen…Nachprüfen!

„Entschuldigung Herr Fischer, ich hätte da mal eine Frage.“
„Ja, was denn Frau Freitag?“
„Sie haben doch heute Schüler befragt, zu dem Vorfall mit dem Feuerlöscher, oder?“
„Ja, hab ich.“

Mental-Note an die individuelle Verbesserungszentrale: Ich muss mal lernen meine Fragen und Anliegen besser zu formulieren. Ich stottere immer viel zu viel rum.

„Äh, ja, also Herr Fischer, ich wollte nur fragen, ob da auch Hamid aus meiner Klasse dabei war.“
Herr Fischer denkt kurz nach. Mental-Note: Einfach mal nach Fragen, kurz nachdenken, kommt gut. Mal ausprobieren!
Dann schüttelt er den Kopf: „Nein, da waren ein Mustafa, Kevin und Osman. Kein Hamid.“

„Aha. Danke Herr Fischer. Ich wollte das nur wissen, weil Hamid gesagt hat, dass er bei Ihnen war und dann ist er 30 Minuten zu spät in den Unterricht von Frau….“ Herr Fischer rollt leicht genervt die Augen. Mental-Note: Manchmal muss man nicht alles erklären.

Nachhauseweg. Die U-Bahn kommt nicht. Ich nehme mein Handy. WhatsApp fetzt.
Ich tippe: „Hamid, warum warst du zu spät bei Frau Schwalle?“
Kling. Er: „Polizei hat mich abgerufen. Angerufen“
Ich: „Und was wollten die?“
Kling. Er: „Wollten reden wegen der Sache.“

Die Sache (eine kleine Körperverletzung) ist eine, sich seit Monaten hinziehende, Zeugenaussage, die Hamid nicht tätigen kann, weil der Angeklagte nie erscheint. Hamid findet das auch nicht weiter schlimm, weil er jedes mal 20 Euro bekommt, wenn er wieder eingeladen wird. Und jetzt rufen die Hamid also an, weil sie reden wollen. Kann sein, muss aber nicht sein.

Ich glaube, das ist ein eindeutiger Fall für die SPUSI!!!

Ich: „Hamid, geh morgen zu Frau Schwalle und zeig ihr dein Handy Telefonprotokoll. Da steht ja drin, wann die dich angerufen haben und wie lange du mit denen telefoniert hast.

Kling. Mental-Note: Ruhig mal den Ton abstellen in der U-Bahn.
Er: „Bei iphone gibt es sowas nicht.“

Ich: ????? Na ob das stimmt? Sofort verschicke ich an fünf Iphonebesitzer eine SMS und führe mit zwei von ihnen noch technische Gespräche. Ergebnis: Sowas gibt es beim Iphone auch!

Ich: „Hamid, doch gibt es. Können wir morgen gucken.“
Kling. Er: „Ok“
Ich: „Ok“

Die Sache ist noch nicht geklärt. Es bleibt spannend. Leider sind es bis morgen noch so viele Stunden. Oh Mann, ich liiiiebe meinen Job!

Oh nee, nicht das noch!

Der Freund ist krank. Na toll.Ich rufe ihn immer an, wenn ich aus der U-Bahn komme. Damit er weiss, dass ich im Anmarsch bin und er die Küche nochmal aufräumt und den Kaffee aufsetzt. Und heute ist da nur so ein Stimmchen: „Hallloooo.“ Ein sehr trauriges kleines Hallooo. Und ich weiss sofort, was los ist und denke: Scheiße – krank. Der Freund soll nicht krank sein. Wir kriegen morgen Besuch und der sollte/wollte doch noch die Bude klarmachen. Mein erster Impuls: „Na toll! Krank!!! Dit könn‘ wa ja jetzt jaanich jebrauchen!“ Aber ich überdenke meinen ersten Impuls und lege mir eine andere Strategie zurecht: „Ach du armer Hase… du klingst aber nicht gut. Geht es dir schlecht?“ Und er gleich so: „Jaaaaaa.“ Jammernde kleine Nebengeräusche dazu.

Um Zeit zu gewinnen, gehe ich erstmal Brot kaufen und noch so kleine Salate und Bulgur und so Schnickschnack, weil ich Hunger habe und der kranke Mann mir bestimmt nichts zu Essen auf den Tisch stellen kann und auch, um ihn ein wenig aufzupäppeln.

Dann krauche ich in die Wohnung hoch und bin so ganz verständnisvoll: Ach du Armer! Leg dich erstmal hin und willst du einen Kaffee und eine Iboprofen und so weiter und hier ist ein Glas Wasser und er so: Hähhhh? Was ist denn mit ihr los. So kennt man Frau Freitag gar nicht. Aufopfernde Pflegerin ist nicht gerade ihre Paraderolle.

Und dann liegt er hier in der Küche, während ich die Englischarbeiten meiner Klasse korrigiere. Ich korrigiere und er pennt. Wir haben natürlich auch eine Couch in der Küche. Couch ist mein Leben. Wenn jemand fragen würde – auf was könntest du nicht verzichten – meine Antwort – ganz klar: Couch! Am liebsten würde ich immer eine Couch dabei haben. Geht ja nicht. Viel zu schwer. Aber man kann schon in jedes Zimmer eine stellen finde ich.

Der Freund jedenfalls schläft und Iboprofen durchwabert seinen Körper und siehe da: Plötzlich steht er auf und ist im Badezimmer verschwunden. Ich werde ihn mal nicht weiter stören. Ich glaube er putzt.

Ich korrigiere mich: Auf was kann Frau Freitag auf keinen Fall verzichten? Couch und Freund!

Das Kleid

„Gucken Sie! Gucken Sie, Frau Freitag, ist das Kleid blau-schwarz oder weiß-gold?“, schreit Rosa und stürzt auf mich zu. Sie will mir ihr Handy unter die Nase halten, aber ich brauch das Bild gar nicht zu sehen. Hinter Rosa – alle Mädchen meiner Klasse. Die Hälfte schreit „weiß-gold“, die andere „blau-schwarz“.

„Kinder!!!! Das Kleid, das Kleid…!!! Die ISIS ist schon in Brandenburg, aber euch interessiert nur dieses blöde Kleid!“ Keiner hört mir zu, nur Vincent grinst. Natürlich ist das Kleid blau-scharz. Kann nicht mal jemand was wirklich interessantes auf Facebook posten? Wen interessiert denn dieses blöde Kleid? Oder wie Vincent sagen würde: „Juckt.“

Ich betrachte meine Schülerinnen, wie sie sich um Rosas Handy drängeln und blau-schwarz und weiß-gold schreien. Warum können wir nicht über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens sprechen?
Ich hätte da so viele Fragen:

Was passiert noch mit dem IS?
Was will Putin?
Ist Putin der blonde Teufel aus dem Reich der Mitte, vor dem Nostradamus damals warnte?
Was ist mit den Zähnen von Thomas Roth passiert?
Werden die Pioniere bei Newtopia sich irgendwann mal einen Laptop besorgen und sich dann Möbel schenken lassen?
Wer aus meiner Klasse schafft den Mittleren Schulabschluss?
Brauche ich jetzt noch eine neue Übergangsjacke oder wird es schlagartig warm?
Warum sind in meinem Impfpass mal Kreuze und mal Kullern?
Bin ich denn nun gegen Masern geimpft?
Brauche ich für den Sommer nicht doch noch einen neuen Bikini?
Oder soll ich mir lieber gleich einen Badeanzug kaufen?
Ist Botox wirklich so schlimm?
Was ist der Hinz-Betrag?
Warum ist Heidi Klum so doof?
Wer glaubt denn wirklich, dass Heidi Klum Döner isst?
Machen die nicht vielleicht doch eine neue Staffel von Breaking Bad?
Sollte Frau Dienstag nicht vielleicht doch Schulleiterin werden?
Soll ich mir ein Kleid kaufen für die Abschlussfeier meiner Klasse?
Kommt die Türkei noch in die EU?
Können Leute die jünger sind als ich wirklich ein Land regieren?
Ist das Kleid nicht vielleicht doch weiß-gold?
Wem gehört eigentlich dieses Kleid?
Wann können wir mit dem Unterricht anfangen?

Ja, ich hätte so einige interessante Sachen, über die ich mit meiner Klasse sprechen könnte. Aber wie gesagt heute interessierte nur: blau-schwarz oder weiß-gold. Geklärt haben wir das leider noch nicht.

Der Klassiker

Kunst siebte Klasse. Es klingelt. Vier Jungs fehlen.
„Wo sind Mustafa, Farid, Emre und Fuat?“
„Die sind eigentlich da.“, sagt Tarik.
„Na, dann mache ich schnell die Anwesenheit und dann legen wir los.“
„Aber wir sind doch da!“, empört sich Tarik.
„Ich schreib euch ja auch gar nicht auf, sondern die, die fehlen.“
Gesagt – getan. Dann fangen wir an. Sie pinseln. Ich gehe rum und gebe meinen Senf dazu ab. Plötzlich geht die Tür auf. Emre.
„Warte bitte draußen, Emre, ich hol dich gleich rein.“, sage ich und lasse ihn erstmal ein bisschen zappeln. Meistens sind Zuspätkommende abgehetzt und aufgedreht. Deshalb ist es immer gut, sie vor der Tür warten zu lassen. Außerdem bestimmt ja immer noch der Lehrer, wann jemand reinkommt, der nicht pünktlich ist.

„Emre, warum bist du zu spät.“, frage ich, nachdem mir Emre sein: „Entschuldigungdassichzuspätbin“ entgegen genuschelt hat.
„ich wusste nicht, dass wir jetzt Kunst haben, weil ich dachte, wir haben Bio und da war ich bei Bioraum und da war keiner usw…“ Ich zeige in den Raum mit den pinselnden Schülern. „Und woher wussten die alle, dass sie jetzt Kunst haben?“
„Keine Ahnung?“
Er geht zu seinem Platz. Achtung: Immer drauf achten, dass es bei den Zuspätkommern keine großen Begrüßungsarien gibt. Die sollen nicht noch den großen Auftritt haben und wieder Unruhe in den Unterricht bringen.

Nach drei Minuten stehen Mustafa, Farid und Fuat in der Tür. Ich lasse sie ebenfalls draußen warten und gehe dann zu ihnen.
„Und wo wart ihr?“
Fuat verstaut gerade eine Flasche Cola in seiner Tasche. Ich fasse die Flasche an. Kalt!
„Wir haben den Raum nicht gefunden. Wir äh…“
„Die waren bei EDEKA!“, ruft Emre von drinnen.
„Stimmt das?“, frage ich streng.
„Nein!“, sagt Fuat.
Ich zeige auf die Cola-Flasche in seiner Tasche: „Und wo ist dann die Cola her?“
„Darf man sich nichts von zu Hause mitbringen?“, fragt Fuat empört. Ich gebe den Jungs zu verstehen, dass sie reinkommen und mit der Arbeit beginnen sollen. Mustafa zischt irgendwas zu Emre.
Emre steht auf. Er sollte etwas aus dem Sekretariat holen. Während er zur Tür geht zischt Mustafa noch irgend etwas.
Vor der Tür ruft Emre: „Hurensohn“.
BÄNG!!!!
„HAT ER EBEN HURENSOHN GESAGT?“, schreit Mustafa und alle nicken.
„Okay! Er kriegt Schläge!!!“
„Mustafa!“, sage ich.
„Nein, Frau Freitag, ich schwöre, er kriegt Schläge nach Unterricht!“ Wieder nicken alle. Denn Schläge nach Unterricht scheint die einzige Reaktion auf Hurensohn zu sein. Außer mir sind sich da alle einig.
Ich setze mich zu Mustafa und frage leise: „Was ist denn los?“
„Frau Freitag, wir waren alle bei EDEKA. Emre auch. Warum verpetzt er uns? Ich halte immer zu ihm. Und jetzt macht er so. Und dann sagt er auch noch „Hurensohn“. Ich schwöre, nach der Stunde…“

Emre kommt wieder. Stille. Er setzt sich und arbeitet. Kein Pieps von ihm. Die ganze Stunde lang. Das gab es bisher noch nie. Normalerweise hält dich Emre die gesamten 45 Minuten auf Trapp. Aber heute ist er „Liebes Kind“. Er weiß, die Kacke ist am Dampfen.

Kurz vorm Klingeln räumen wir auf.
„So, Emre und Mustafa, ihr bleibt bitte noch mal kurz hier.“
Mustafa will gehen. Steht schon im Flur. „Mustafa, ich wollte dich auch noch was fragen.“ Wollte ich zwar gar nicht, aber manchmal kann man schon ein bisschen tricksen. Die Neugier treibt ihn wieder rein und wir setzen uns alle zusammen um einen Tische.

Und dann der Klassiker: ‚Aktives Zuhören‘ und ’spiegeln‘.

„Emre, weisst du warum Mustafa sauer ist?“
Mustafa sagt es ihm. Ich spiegele: „Und du fühlst dich jetzt verraten von Emre, weil du so oft im Unterricht zu ihm hältst.“
Mustafa nickt.
Es geht eine Weile hin und her. Jeder sagt wie er sich fühlt und am Ende kommt der Vorschlag, dass sich Emre bei Mustafa entschuldigen soll. Sie geben sich die Hand. Mustafa verspricht mir, dass er von Schlägen absieht und beide gehen erleichtert in die Pause.

Ich denke: Hast du super gemacht, Frau Freitag. Krass, wie dieses Spiegeln immer hilft.

Den ganzen Tag sonne ich mich in dem Gefühl sooo eine geile Lehrerin zu sein. Aber gerade eben in der U-Bahn denke ich: Ja toll, jetzt haben sie sich wieder vertragen und es gab keine Gewalt. Aber was ist mit EDEKA? Und was ist mit Fuat… der hat mich ja richtig dreist angelogen… da hätte ich doch was machen müssen. Die dürfen doch nicht zu EDEKA!!!! Und ich sag gar nichts dazu… Oh Mann, ich bin soooo schlecht. Ich bin wahrscheinlich die schlechteste Lehrerin ever!