Der Sohn Gottes

„Aber, Frau Freitag, jetzt sagen Sie mir mal das hier! Wenn Jesus der Sohn von Gott ist, dann ist er doch auch ein Gott und es gibt doch nur einen Gott.“, fragt mich Erdem.
Wir befinden uns mal wieder in einem dieser intereligösen Workshops, die man unseren Klassen imme überhilft. Irgendwie geht man wohl davon aus, dass unsere Schüler besonders religiös sind. Ich kann mich nicht daran erinnern in meiner eigenen Schulzeit derartig oft mit Religion konfrontiert geworden zu sein. Abgesehen von Reli in der Grundschule wo ich die Arche Noah und immer wieder Engel in ein Heft gezeichnet habe.
Die Arche Noah kam heute gar nicht vor. Heute ging es um den Islam. Außer mir und Eugen sind in meiner Klasse fast nur Muslime. Wie religiös die wirklich sind, weiß ich gar nicht. Okay, Erdem läßt keine Gelegenheit aus, uns mitzuteilen, was für ein Supermoslem er ist. Wir warten auf die U-Bahn, um in eine Moschee zu fahren.
„Dann ist doch Jesus also auch ein Gott.“
„Erdem, wenn dein Vater Zahnarzt ist, bist du dann auch Zahnarzt?“ Erdem überlegt. „Dann bist du doch auch nur der Sohn vom Zahnarzt. Und Jesus war eben auch nur der Sohn von Gott. Ich nehme mal an, dass sich Gottsein nicht vererbt. Aber sicher bin ich mir da nicht.“ Für mich ist das Thema damit erledigt und ich wende mich wieder Furkan und Emre zu, die viel zu dicht an der Bahnsteigkante stehen. Erdem ist noch nicht überzeugt.
„Aber Jesus ist doch ein Mensch. Wie kann denn der Sohn von Gott ein Mensch sein?“ Wenn ich ihn jetzt nicht stoppe, dann muss ich noch erklären, wie die Jungfrau Maria ein Kind bekommen konnte. „Erdem, bei religiösen Dingen kannst du mir doch nicht mit Logik kommen. Guck mal, im Islam gibt es doch so ein fliegendes Pferd.“ Das weiß ich, weil das Pferd wohl Burak hieß und mir irgendein Burak die Geschichte mal erzählt hat. „Also ein Pferd kann doch auch nicht fliegen.“
„Na ja…“, sagt Erdem.
„Nein! Fliegende Pferde gibt es nicht!“
„Doch damals schon.“
Die U-Bahn kommt. Ich will nach Hause. Aber jetzt muss ich erst noch in eine Moschee und morgen in eine Kirche, übermorgen ins jüdische Museum. Und Kermit singt: „Welches Ding ist an-handers? Welches könnte es sein?“
Den ganzen Tag Religion. Man muss das und darf das nicht und die machen so und die anderen so, aber eigentlich ist das das Gleiche und das heißt wieder nur anders und so weiter. Und dann wieder: „Was fällt euch ein zu bla, bla bla und Moderationskarten und Eddings und Karten auf denen Sachen stehen. Kreuz und Engel und Gott und Frieden und Fasten und Davidstern und Kirche. Judenmütze wird nicht aufgeschrieben, weil dann doch jemand weiß, dass die Kippah heißt.
Ich döse weg. Zwangsläufig kommt dann die Diskussion, ob nur die Mädchen vor der Ehe keinen Sex haben dürfen und wieder wissen nur die Mädchen, dass das eigentlich auch für die Jungs gilt. Die Jungs grinsen und sagen: „Ja, aber Gott sieht nicht!“ Dann hören wir, dass alles was Frauen im Islam verboten ist auch Männern verboten ist und alles was Frauen dürfen Männer auch dürfen. Ich wache wieder auf. Denke: Aha. Das hatte ich immer ganz anders auf dem Zettel.
Vor mir sitzt Amina. Amina meldet sich. „Aber wenn das stimmt mit Männern und Frauen und das die alles gleich dürfen, warum darf dann ein Mann vier Frauen heiraten und ich nicht vier Männer?“ Ich flüstere: „Das wäre voll anstrengend. Vier Männer. Das willst du gar nicht.“ Dann bin ich ruhig, denn die Antwort interessiert mich auch. Als Antwort gibt es eine Erklärung, wie es dazu kam, dass Männer mehrere Frauen heiraten dürfen. Als wäre die offensichtliche Ungleichheit an dieser Stelle mit: und wenn Krieg war und damit die Kinder dann keine Waisen werden und sowas erklärt.
Aygül hat auch noch eine Frage: „Warum dürfen Jungs eine Christin oder eine Jüdin heiraten, aber ich darf nur einen Moslem heiraten.“ Ich liebe meine Mädchen. Weiter so! Laßt euch nicht mit diesen duseligen Erklärungen abspeisen. Ihr habt die Arschkarte! Das wisst ihr und das könnt ihr ruhig sagen. Aber alle ihre Fragen werden wegerklärt.
Machen eigentlich alle Schulen diese interreligiösen Workshops? Warum machen wir nicht was zu Transgender? Jeder kann sein, wer und was er will. Religion ist so yesterday. Können wir nicht über Mode reden oder Computerspiele oder Ufo361? Oder ob das VW-Zeichen wirklich ein Hakenkreuz wird, wenn man es ganz schnell dreht.
Drei Tage nur Religion geht mir an die Nieren. Kein Sex vor der Ehe, tzzzzz. Ich bin 50 und nicht verheiratet. Meine erstes Horrorfilmerlebnis hatte ich in der Kirche bei Pfarrer Badoreck. Ein Film über Jesus und der Schocker war, als er zu den Leprakranken geht und die immer unrein, unrein rufen. Und meine Oma hatte im Schlafzimmer ein Bild von Jesus ohne Hals, aber mit sehr langen Haaren – Jesus halt – und der hat mir immer hinterher geguckt. Egal wo ich stand. Der glotzte mich immer direkt an. Auch sehr gruselig.
Nee, nee Religion heb ich mir fürs Alter auf. So kurz vorm Ende – da kann man dann ja nochmal religiös werden. Aber dann werde ich katholisch. Da kann man ja schnell nochmal für alles beichten. Man weiß ja nie. Am Ende ist da doch was dran, an Himmel und Hölle. Vielleicht steht ja im Koran auch, dass Frauen und Männer immer das gleiche tun dürfen und vielleicht gibt es ja auch fliegende Pferde.

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