Rolling, rolling, rolling

„BOOOOOOOUUUUUUMMMMMMMMMMMMM!!!!!“
Als ich das Schulgelände verlasse, explodiert ein Böller. Übelst laut. Die sich aus der Schule, in die Freiheit ergießende Schülermasse schreit auf und rennt an mir vorbei. Hassan aus der Siebten, die ich heute in der zweiten Stunde hatte, grinst mich im Vorbeirennen an: „Frau Freitag, Gasafi lebt!“
„Gadafi“ rufe ich ihm hinterher, aber er hört nichts mehr.
Gasafi, denke ich, tzzzzzzz, diese Kinder…

Am Nachmittag habe ich meine Klasse für eine Schulbibliotheksführung angemeldet. Unmissverständlich werden sie vorher von mir gebrieft: „Alle siebten Klassen machen so eine Führung. Ich möchte, dass der Bibliothekstyp nachher sagt, dass ihr die netteste und die ruhigste Klasse wart! Verstanden?“ Sie nicken und wir wandern gesittet durchs Schulgebäude. Meine Klasse rennt nicht. Meine Schüler prügeln sich in meiner Gegenwart nicht über die Gänge. Wir betreten leise und entspannt die Bücherei. Alle setzen sich und hören der Einweisung zu. „Das darf man nicht und das nicht und das natürlich auch nicht und dies schon mal so dermaßen gar nicht und denkt bloss nicht, dass ihr das dürft usw.“ 10 Minuten lang wird erzählt, was passiert, wenn jemand versucht in die Systemsteuerung (EDVler-hör mal kurz weg – hier zeigt sich, wie ich keine Ahnung von Computers habe) – also wie man bloss nicht versuchen sollte in das Innenleben der Rechner zu gelangen. Es gäbe eine Direktübertragung zum Systemmanager der Schule, der genau sehen könnte, wer an welchem Rechner manipuliert. Ich muss mir echt das Lachen verkneifen. Aber die Schüler fressen es. Meine Klasse läßt alles über sich ergehen. Sie sind absolut leise. Es ist bereits 15 Uhr. Sie hatten durchgehend Unterricht. Ich auch. Ich bin müde. Sie auch. Die Armen, denke ich – jetzt passiert das, was immer passiert, wenn eine Schülergruppe ruhig ist. Der Erwachsene, der auf die Kinder einredet denkt: „Na Mensch, die hören aber gut zu, die scheinen ja richtig interessiert daran zu sein, was ich zu sagen habe.“ Trugschluss! Sie sind lediglich leise. Der Vortrag wird dadurch nicht interessanter.

„Also, da hinten seht ihr verschiedene Romane, die sind nach Themen geordnet.“ Die Schüler drehen sich zu den Büchern und jeder fängt an vorzulesen: „Tiere, Abenteuer, Humor, Liebe, Drogen…heheheh – Drogen.“
Anil meldet sich: „Gibt es auch Erotik?“
Der Büchereiwart grinst. Ich auch. Die Jungs kichern. Selina flüstert: „Was ist Erotik?“ Orkan flüstert zurück: „Nackte Leute.“
Dann füllen sie ihre Büchereikarten aus und irgendwann klingelt es.

Letzte Stunde des Tages. Wird schon fast dunkel. Grauenhaft. Jetzt beginnt die düstere Zeit. Englisch Klasse Sieben. IBO!!!!
Seit ein paar Stunden mache ich mit denen so eine Art Wochenplan. Entgegen meiner Erwartung läuft es echt super. Ich stehe nicht mehr wie sonst vorne und bin die Einzige, die sich anstrengt, sondern laufe rum und helfe, oder sitze an meinem Pult und unterschreibe die bearbeiteten Aufgaben der Schüler. Fast alle arbeiten sehr viel mehr als sonst. Ich lobe sie viel und sie freuen sich darüber viel. Letzte Woche hat Ibo gefehlt. Heute ist er wieder da. Er beginnt eine Aufgabe zu bearbeiten. Eigentlich ist der doch recht normal, denke ich. Als er die zweite Aufgabe machen soll, steht er plötzlich auf und geht nach hinten. Wie ein gefangener Tiger läuft er hin und her. Ich beobachte ihn und denke:“Der soll bloss nicht wagen, in die Nähe der Pinguine zu gehen, die hinten stehen.“
„IBOOOO, Pfoten weg von den Figuren!!!!“ Er dreht sich um und geht Richtung Fenster. Plötzlich wirft er sich auf den Boden. Dort kugelt er sich von einer auf die andere Seite, als hätte er einen Bauchdurchschuss. Ich beobachte ihn. Die anderen Schüler sehen ihn nicht und arbeiten ruhig weiter. Er rollt weiter. Hin und her und Hin und her. Ich gucke zur Uhr – noch 10 Minuten. „Lohnt sich nicht, den jetzt noch zu beachten, denke ich, ist ja lustig, dass es ihm gar nichts ausmacht, auf dem dreckigen Boden zu sein“. Meines Wissens nach, wird der nie gewischt, sondern nur gefegt. Und das auch nur einmal in der Woche. Danke Ibo, jetzt ist er hinten wenigstens schon sauber.

Löcher

„Jetzt haben sich die Mädchen schon wieder über eure Ausdrucksweise beschwert.“ teile ich den Jungen meiner Klasse mit.

Die Mädchen durften schon nach Hause und die versammelte Männlickeit versucht mich jetzt möglichst unschuldig anzugucken. „Das kann doch nicht wahr sein, dass ihr soooo eklige Sachen sagt…“
„Was denn, wir haben doch gar nicht…“ versucht sich Berat aus der dem Thema zu winden.

„IHR HABT NICHT????? Berat, du hast doch gesagt: Dein Loch ist so groß, da kann ein ganzer Kopf durch.“
„WAAAASSSS????“ Berat guckt total entsetzt „Das habe ich nicht gesagt! Niemaaaals!“
Taifun weiss es allerdings besser: „Doch hast du gesagt!“
„Nein, ehrlich, habe ich nicht gesagt. Ich schwöre!!! Orhan hat…“
„Was hab‘ ich? Nichts hab‘ ich!“ Orhan guckt jetzt Berat giftig an. Bis eben hat ihn die ganze Konversation nur mäßig interessiert. Aber Berat sieht seine Chance. Er schiebt Orhan vor und sich aus der Schusslinie: „Orhan hat gesagt, dein Loch ist so groß, da passt ein ganzer Mensch durch.“
Orhan schweigt, also gehe ich davon aus, dass das stimmt.

„Und du Berat, du hast nichts gesagt?“
„Nein, ich hab‘ nicht gesagt, da passt ein Kopf durch. Echt nicht.“ nach kurzer Pause „Ich habe gesagt eine Hand passt da durch.“
„Ach, und das ist besser, oder was?“
Berat ist mittlerweile sehr leise geworden: „…aber ich habe nicht Kopf gesagt, ich habe Hand gesagt und ich meinte auch nicht DAS Loch.“
„Welches Loch meintest du denn?“
Gespannt gucken wir nun alle zu Berat. Der überlegt, welches Loch er denn nun gemeint hat.
„Na, na, also nicht das Loch…also eben ein anderes.“

„Okay Berat, lass mal jetzt. Ihr sollt überhaupt nicht so reden und Kopf, Hand oder ein ganzer Mensch… das ist jetzt auch egal. Das muss aufhören, sonst kommt wirklich mal deine Mutter her und wir diskutieren das hier aus. Ich könnte mir vorstellen, dass sie äußerst interessiert ist, was du zu dem Thema zu sagen hast.“

Berat betrachtet die Tischplatte. Die anderen sind auch recht kleinlaut geworden. Für mich ist das Thema damit beendet und den Rest der Stunde lasse ich die Jungs mit LÜK-kästen spielen. Friedlich gehen sie nach dem Klingeln ins Wochenende, aber ich bin mir sicher, dass wir dieses Thema noch lange nicht abgearbeitet haben, vor allem, weil Anil heute gefehlt hat und der bestimmt auch noch viel beizutragen hat.

klein klein

geheilt von der suppe bin ich heute überall hin, wo ich hin musste und gerade erst nach hause gekommen. großbuchstaben bekomme ich aber nicht mehr hin. leider bin ich jetzt zu müde, um hier noch groß was zu erzählen, aber ich wollte mich noch schnell für die vielen gute besserungswünsche bedanken und für die klippert impressionen.
Ich bin ja auch ein kind der gruppenarbeit. damals an der neu erblühenden gesamtschule – alle lehrer hatten ohrringen, latzhosen und wallende tücher und alle standen total auf gruppenarbeit. gruppenarbeit von früh bis spät. eigentlich gab es gar nicht anderes. unsere gesamtschule wurde damals sogar extra so gebaut, dass es hinter jedem klassenraum noch mehrere kleinere räume gab: für gruppenarbeit!!! Yeah!
Das lief immer gleich ab: „her Meyer, wir gehen für die gruppenarbeit nach hinten in den anderen raum, okay?“
Herr meyer, etwas unsicheer junglehrer mit idealen und altzhose: „okay.“
und wir dann im gruppenarbeum, mit unserer gruppenarbeit: lass erstmal was essen.“ ich erinnere mich an tausende von stunden im gruppenabrbeitsraum – gegen die wand gekippelt, essend und quatschend. Und gegen ende der stunde: „Oh scheiße, wir sollten doch irgendwas machen.“ und dann haben wir schnell irgend einen müll zusammengekliert und sind dann beim klingeln zu herrn meyer. „herr meyer, wir sind noch nicht ganz fertig. wir brauchen noch mal ein oder zwei stunden.“

Und jetzt kann mir keiner erzählen, dass sich die kinder heute so doll geädert haben…in bezug auf die gruppenarbeit.
ich gucke hier mit einem auge eine sendung über hip hop und könnte mich total bepfeifen darüber, wie die fantastischen vier früher aussahen – die klamotten…hahahahaha.

okay, ich fühle die adern dick werden und mein cholesterin schmerz auch schon. ich mache mal lieber schluss. falls ihr noch was biologische lernen wollt, dann geht mal zu frl. krise und ömür. diesen namen habe ich übrigens noch nie irgendwo anders gehört, als bei fräulein krise. gibt es den überhaupt? stimmen vielleicht auch diese ganzen geschichten von ihr nicht? und frl krise, was ich dich noch kurz fragen wollten, wenn du dasd hier gerade liest: Änderst du eigentlich die namen bei deinen geschichten, weil fände ich schon nicht so gut, wenn du dir geschichten ausdenkst und dann noch nicht mal die namen änderst?

Verzichte auf provozierende Latzhosen

Vorhin bei der Konferenz ist es passiert. Ich habe es richtig gemerkt: Krankheit kroch an mir hoch. Kalte Knie und Hals. Mist. Schnell nach Hause und in die Badewanne. Draußen: Regen – Schirm vergessen – na toll. Und im Bus: Niesattacken. Jetzt sitze ich am Schreibtisch und meine Knie sind schon wieder kalt. Ich fühle mich schon krank. Zu krank, für die Wirbelsäulengymnastik. Toll: Krank und Rückenschmerzen. Der Freund ist in der Küche und macht Suppe. Vielleicht hilft das noch.
Scheiß Herbst. Wie hatte ich mich auf Herbst gefreut. Keine Sonnenbrandgefahr mehr und endlich wieder zu Hause bleiben dürfen. Zu Hause: Licht an und voll gemütlich. Aber wenn ich mich hier so umgucke, dann ist das hier weit entfernt von gemütlich. Überall ist Staub und Dreck – wahrscheinlich habe ich einfach Staub- und Dreckallergie und muss deshalb soviel niesen. Würde mir aber auch nichts nützen, wenn dem so wäre. Und überall in meinem Zimmer steht Zeugs rum. Ich habe ungefähr 1000 Billyregale und trotzdem stehen sieben Leitzordner neben und sechs weitere unter meinem Schreibtisch. Und auf dem Tisch – schon wieder lauter Haufen. Haufen und Dreck. Und diese Regale – was da für ein unnützer Scheiß drin ist. Eine Million Didaktikbücher, in die ich NIE reingucke. Jedes einzelne habe ich mit der Überzeugung gekauft, dass ich erst eine richtig gute Lehrerin sein kann, wenn ich genau dieses oder genau jenes Buch habe. Und was ist? Ich bin schlecht wie eh und je und sage den Schülern, dass aus denen nichts wird. Wieviel Geld ich da in den diversen Schulbuchverlagen gelassen habe… die Verkäuferinnen haben mich schon mit Vornamen begrüßt und mir Kaffee hingestellt, wenn ich kam.

Da steht auch dieser fette Ordner von Lionsquest: Erwachsen werden. Klar habe ich das Seminar bei denen gemacht. Mit Inbrunst habe ich dort teilgenommen. Und nun? Nun steht der Ordner da und sammelt den Staub für meine Allergie. Kann ich den Ordner nicht einfach den Schülern geben: „Hier – Erwachsen werden! Lesen und machen!“
Klippert!!! Klippert – in allen seinen Auswüchsen. Methodentraining! Buähhhhh – Klippert – der hat sich auch ’ne goldne Nase damit verdient und muss nicht mehr in die Manege. Ist der überhaupt mal Lehrer gewesen? Und was sehe ich denn da „Survival in der Schule“ – was ist das denn? Muss ich direkt mal nachgucken.
„Tricks für Lehrer und was Schüler daraus lernen können“ von 1988. Wo kommt das denn her? Riecht auch wie 1988. Mal sehen was das ist: Ah, die Kapitel fangen alle mit der, die, das an. Sympatisch – überfordert mich nicht gleich.

Der Unterrichtsbeginn
Die Konferenz
Die Tafel
Der Hausmeister
Das Tagebuch
Die Kleidung
Der Abschied
Die Pausenaufsicht
Die Hohlstunde
usw.
Die Hohlstunde – hahahahahahahaha muss ich an meine Zahnlücke denken – da soll noch ein Inlay rein, da bräuchte ich aber noch das Kapitel: Die Zahnarztterminmachung.
Also ich würde das: Die Freistunde – nennen.

Ist ein witziges kleines Buch. Ich ende heute mal mit Trick Nr 6:

„Sei in deiner Kleidung bescheiden, wenigstens am Anfang deiner Laufbahn. verzichte auf provozierende Latzhosen, Ohringe und wallende Tücher. Such etwas Preiswertes, Mausgraues im Sommerschlussverkauf, so dass du aussiehst wie der nette Mann von nebenan. So wirst du es mit niemandem verderben.“

Schön. Meine Lehrer haben sich damals nicht daran gehalten, aber meine Kollegen scheinen das Buch zu kennen, denn Latzhosen sehe ich eher selten.
Ahhh, da kommt die Suppe.

Fass mein Piiieeeppp an

Es weht ein leichter Hauch von Pubertät durch meine Klasse. Die Mädchen sind noch immun, aber bei den Jungen docken erste sexuelle Interessen an. Endlich!
„Frau Freitag, wissen Sie was die Jungs immer zu uns sagen?“ fragt mich Selina auf dem Hof.
„Nein, was denn?“
Jetzt kichert sie und guckt auf ihre Schuhe.
„Die sind sooooo eklig!“ mischt sich jetzt Dilay ein.
„Na, was sagen die denn jetzt?“ frage ich. Langsam interessiert es mich ja auch. Aber was die Jungen sagen scheint soooo eklig zu sein, dass man es nicht mal wiedergeben kann.
Irgendwann traut sich Dilay: „Die sagen immer so Sachen wie: Fass mein Piiiieeep an.“ Nachdem sie mir das mitgeteilt hat, guckt sie peinlich berührt in die andere Richtung. Jetzt steht auch Gina neben uns und berichtet empört: „Ja, und sie sagen immer: Willst du mir einen blasen?“
Dilay und Selina schütteln sich vor Empörung. Jetzt reden sie alle durcheinander: „Jaaaa, das ist soooo eklig.“
„Immer sagen sie das. In Deutsch und in Erdkunde. Am schlimmsten ist Anil, aber Orhan macht auch immer mit und dann kichern sie immer voll lange darüber.“
„Frau Freitag, das ist schrecklich. Die sollen damit aufhören.“
Das pubertäre Verhalten der Jungs scheint den Mädchen wirklich gegen den Strich zu gehen und ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Empörung der Mädchen sie zu immer ekligeren Fragen anstachelt. Die Wirkung ihrer perversen Sprache verfehlt ja ihre Wirkung nicht: Mädchen schocken, damit die Mädchen sie beachten.

„Wisst ihr Mädels, die sind wie kleine Kinder, die sich darüber freuen, wenn sie Popo und Kacke sagen können.“ versuche ich zu erklären. „Kacke“ wollen meine Schülerinnen aber auch nicht hören und wahrscheinlich schon gar nicht von ihrer Klassenlehrerin. Das sind richtige kleine Damen, die ich da in der Klasse habe. Ich kann mir noch nicht mal vorstellen, dass es stinkt, wenn die aufs Klo gehen.
„Also meine Lieben, das geht natürlich nicht, dass sich die Jungs vor euch so benehmen. Ich überleg mir was. Versprochen.“ Zufrieden hüpfen sie Richtung Freizeitbereich.

Heute dann die große Ansage an die Jungen: „Jetzt mal was für die Jungen! Es gibt hier in der Klasse Beschwerden über eure Ausdrucksweise. Die Mädchen möchten nicht, dass ihr so dreckig mit ihnen redet. Das muss aufhören. Und zwar sofort. Wir machen das ab jetzt folgendermaßen: Ihr Mädchen schreibt sofort auf, wenn jemand was unangemessenes zu euch sagt. Genauer Wortlaut und wo und wann das gesagt wurde. Am Besten noch dazu, wer das noch gehört hat. Dann gebt ihr mir das und ich werde dafür sorgen, dass der Junge, von dem das kommt einen Brief an seine Eltern schreibt, worin steht, was er gesagt hat. Diesen Brief schicken wir dann nach hause und der muss von euren Eltern unterschrieben werden.“

Ich sehe, wie die Jungen sich diese Situation vorstellen. Keiner sagt was. Ich bin sicher, diese Maßnahme wird die perverse Ausdrucksweise meiner Schüler gehörig eindämmen. Ich gucke in die Runde. Die Mädchen grinsen mich dankbar und zufrieden an.

Aus dir wird nichts

„Ihr sollt jetzt noch den Vokabeltest schreiben, dann noch diesen einen Hörtext im Buch bearbeiten – also nur zuhören und mitlesen, dazu ein paar kleine Aufgaben, dann gebe ich euch die Arbeit zurück und dann ist auch schon Schluss.“ diesen Stundenplan hauche ich mit letzter Kraft dem Widerwillen von 20 durchgeknallten Siebtklässlern entgegen. „Guckt mal, ihr seid heute nur so wenig Schüler, ihr seid fertig vom Tag, wir hatten alle heute schon so viel Unterricht, ich habe Kopfschmerzen… lasst uns mal versuchen, heute eine ruhige letzte Stunde zu haben.“
Beim Anblick der Schüler wird mir sofort klar, dass daraus nichts wird. Ich habe mein Pulver schon längst in anderen Klassen verschossen. In der blöden Achten, die ich auf eine Arbeit vorbereiten wollte, wogegen die sich aber äußerst erfolgreich gewehrt haben.

Am Ende der Stunde und meiner Kräfte habe ich sogar noch einen Schüler vor die Tür gestellt und ihm draußen mit finsterster Miene angezischt: „Aus dir wird nichts werden!“ Dreimal habe ich das sogar wiederholt: „Nichts wird aus dir werden – g a r n i c h t s!!!“ Der hat mich nur mit großen Augen ungläubig angeglotzt und ich bin wütend wieder in die Klasse. In der Pause tat mir das schon wieder voll leid. Sowas Gemeines und Vernichtendes habe ich noch nie zu einem Schüler gesagt. Aber der hat echt sooo gestresst und ich konnte einfach nicht mehr. Ich werde mich bei Zeiten beim Schüler entschuldigen. Aber der muss mir ein wenig entgegenkommen. Nicht mitarbeiten und meinen Unterricht non-stopp zerstören fetzt ja auch nicht.

„Also ihr Lieben, dann bleibt mal so schön ruhig, wie gesagt, mein Kopf tut weh und die Stunde wird schon schnell vorbeigehen.“ Ruhig blieben sie ÜBERHAUPT nicht. Immer wieder musste ich rummeckern, den Unterricht stoppen und auf der Metaebene diskutieren: „So geht das hier nicht! So kann ich euch hier nicht unterrichten…“
Ibos neuste Masche: Immer, wenn ich mich an die Tafel drehe flüstert er: „Mama.“ Jedesmal, wenn ich sein MAMA höre, bin ich so heilfroh, nicht seine Mama zu sein, dass ich mich gar nicht über diese Unterrichtsstörung aufrege. Sie macht mich eher zufrieden. „Mama“ Ich: hihihihi NEIN, zum Glück bin ich das nicht!!!!

Gegen Ende der Stunde brechen jegliche Dämme. Jetzt schnattern sie alle durcheinander. Unterricht ist nicht mehr erkennbar. Jetzt geht es nur noch ums nackte Überleben bis zum Klingeln. Mit letzter Kraft flüstere Ich: „Seid doch noch mal die letzten fünf Minuten leise. Ich habe Kopfschmerzen.“

„Da hilft Aspirin.“ schreit mir Firat freudig entgegen. „Das isst meine Mutter auch immer, wenn sie Kopfschmerzen hat.“ Firat sitzt direkt vor meiner Nase.
„Aspirin. Ja. Es würde schon helfen, wenn du nicht so schreie würdest.“
„Oder sie nehmen diese Punkte, die man im Wasser tut.“ schlägt er mir jetzt noch begeistert vor. Wo hat der zu dieser Stunde nur noch diese Energie her?

Irgendwann das erlösende Klingeln. Stühle hoch, tschüß und ab nach Hause. Auf die Couch. Und nachdem ich diese Punkte im Wasser zu mir genommen habe, geht es mir sogar langsam etwas besser.

Und dann hat der gesagt und dann hab‘ ich gesagt…

„Cybermobbing.“ sagt der Freund und reicht dem Deutschlehrer die Butter. „Hast du gesehen, den Film? War auf dem Ersten.“
Der Deutschlehrer schüttelt den Kopf und beißt in sein Bagel „War das da, wo der Vater gleich am Anfang geheult hat?“
Der Freund nickt.
„Ohhh nein, das sah ja schlimm aus, das habe ich mir erst gar nicht angesehen.“
„Ich MUSSTE das ja gucken.“ sagt der Freund und guckt vorwurfsvoll zu mir.
„Ej komm, der Fim war gar nicht so schlecht.“ versuche ich mich und den Film zu verteidigen. „Der war ziemlich realistisch gemacht. Da kommt bestimmt bald Unterrichtsmaterial zu raus. In einer neunten oder zehnten Klasse würde ich den auch zeigen. Meine sind da ja leider noch zu jung zu.“

Aber mit Cybermobbing kennen sich meine Schüler auch schon in der Siebten aus. Bei Facebook sind sie ja alle schon. Finde ich etwas zu früh und ich werde mich auch nicht mit ihnen befreunden, bevor sie in der neunten oder zehnten Klasse sind.
Maria aus meiner Klasse steckt zur Zeit in einer ziemlichen Cyberaffaire fest. Sie hat in der letzt Woche immer wieder einzelne Unterrichtsstunden gefehlt und deshalb habe ich mich heute mal nach dem Unterricht mit ihr zusammengesetzt und sie ein wenig interviewt.
„Mit wem musstest du denn nun was klären und konntest deshalb nicht zu Deutsch gehen? Maria, erkläre mir das jetzt noch mal, ich versteh das immer noch nicht.“
„Aaaaalso, Mustafa und Ozan hatten gesagt, dass ich Scheiße über sie laber. Aber das stimmt gar nicht und da wollte ich das mit denen klären.“
„Mustaf? Ozan? Sind die auf unserer Schule?“
„Ja, in der Achten.“
„In welcher Klasse?“
„Weiß ich nicht.“
„Wie sehen die denn aus?“
„Weiß ich nicht. Ich habe die ja noch nie gesehen.“
„Äh, aber wieso… ach, kennst du die von Facebook?“
„Ja und da hat dieser Ozan mich angechattet und meinte ich soll nicht so Scheiße über ihn labern, sonst passiert was. Und dann habe ich mich mit dem verabredet, auf dem Hof, weil ich das klären wollte.“
„Wie? das verstehe ich nicht. Du kennst den gar nicht und willst mit dem irgendwas „klären“?“
„Ja, ich wollte das klären, also mit dem reden, damit der aufhört über mich zu reden. Hat er aber nicht und jetzt redet die ganze Schule über mich. Das ich eine Bitch sei und dann kamen zwei Mädchen aus der neunten und die haben mich voll angemacht, ich soll Ozan in Ruhe lassen und die eine meinte, Ozans Freundin ist voll sauer auf mich und wenn die mich erwischen würde, dann könnte ich mein Testament machen. Dabei kenne ich doch diesen Ozan gar nicht. Und dann kam ein Mädchen und meinte ich sei eine Schlampe, weil ich ihr Mustafa ausgespannt hätte und ich solle nur abwarten, ich könnte noch was erleben. Aber den kenne ich ja auch nicht.“
„Aber auf Facebook bist du mit diesem Mustafa und diesem Ozan befreundet, oder“
„Ja, aber alle sind mit allen befreundet. Die ganze Schule ist doch da.“
„Also Maria, ich glaube du gehst jetzt erstmal nach Hause und räumst dein Facebook-Account ein wenig auf. So richtige Freunde scheinen das ja nicht zu sein. Weißt du, ich bin ja auch bei Facebook, aber ich bin nur mit Leuten befreundet, die ich auch persönlich kenne und die ich auch in der richten Welt nett finde. Kennst du denn alle Leute mit denen du bei Facebook befreundet bist?“
„Ja eigentlich schon. Also das sind alles Freunde, oder Freunde von Freunden, die ich aber auch kenne.“
„Wie viele Freunde hast du denn bei Facebook?“
„Nicht so viele, ungefähr 500.“

Ich habe langweilig

Diese funktionierende Klasse geht mir ein wenig auf die Ketten, denn es passiert gar nichts. Mann, vor vier Jahren, da hatte ich um diese Zeit aber schon die ersten Tinnitusattacken auf dem rechten Ohr und sooo viel zu tun. Meine neue Klasse: Die rennen nicht durch den Raum, die schlägern sich nicht, die schwänzen nicht und die haben sogar ihre Sachen mit. Oh Mann, wenn ich die vor vier Jahren gehabt hätte, dann hätte ich wohl keinen Blog angefangen und dann hätte ich jetzt auch kein Buch und keine Millionen.

Aber was nützen mir die Millionen, wenn ich mich langweile? Da sitze ich hier in meiner Villa, mein Houseboy bringt mir Cocktails, am Wochenende fahre ich nun schon seit Monaten an mein Wassergrundstück und tuckere mit der Yacht durch die Gegend. Aber das fetzt auch nicht mehr. Ich brauche Action.
Wie schön war doch die Zeit, als ich früher nach Hause kam und mir der Schädel brummte und ich gar nicht wußte, was ich zuerst aufschreiben soll. Eine Geschichte krasser als die andere. Und jetzt? Alles läuft in gesitteten Bahnen. Es kam noch nicht einmal die Polizei, es gab noch keine Klassenkonferenz, ich habe noch nicht mit irgendwelchen Eltern telefoniert. Am Ende lernen die Schüler auch noch was. Wo kommen wir denn da hin? Worüber soll ich mich denn dann aufregen?

Frl. Krise hat’s gut. Die kann sich jetzt schön ein Jahr lang darüber amüsieren, wie ihre Klasse langsam ausbildungsmäßig den Bach runter geht. Ich habe dieses Jahr auch nicht diese herrlichen Kunststunden, in den 10ten Klassen, wo man den Schülern irgend so eine ewiglangdauernde Deppenaufgabe stellt, an der sie sich dann monatelang abarbeiten und ich mich mit denen über Gott und die Welt unterhalten kann. Mit den Siebten kannst du dich nicht so gut unterhalten. Die hören dann immer gleich auf zu arbeiten und die muss man irgendwie auch besser im Blick behalten.

Ich habe langweilig!!!! Vielleicht hätte ich nicht reduzieren sollen. So mit einer halben Stelle und zwei freien Tagen, das fetzt nicht. Vielleicht sollte ich an eine Privatschule gehen, ich habe gehört, dass man da auch in den Ferien arbeiten darf.

Wann kommt meine Klasse endlich in die Pubertät? Meine alte Klasse, die sind schon pubertär und geschminkt auf die Welt gekommen. Aber ich habe noch Hoffnung. Neulich fragte ich Volkan, ob er eigentlich gerne zur Schule kommt und er grinste: „Ja, wegen Mädchens.“ Aber mehr wollte er mir nicht verraten.

Dann eine Kollegin vorhin zu mir: „Heute Abend kommt ein Film im Ersten, den sollten sich alle Schüler ansehen.“
„Ich weiß schon, was du meinst, dieser Film übers Cybermobbing. Aber denk mal nicht, dass meine Schüler so bekloppt sind, sich beim Onanieren zu filmen. Die haben ja nicht mal ihre eigenen Namen bei Facebook.“
Ich werde mir den Film ansehen und ich weiß jetzt schon, dass ich mich darüber aufregen werde, denn jetzt mal ganz ehrlich, welcher Jugendliche würde sich denn dabei filmen? Das ist doch total weit hergeholt. Hand aufs Herz, ihr lieben Leser – wer hat sich schon mal dabei gefilmt?

Vielleicht sollte ich mich mal auf dem Schülerklo verstecken, meine Schüler dort filmen und das dann ins Internet stellen – da käme bestimmt ein wenig Action auf.
So, ich muss noch meinen Unterricht vorbereiten. Laaaaangweilig! Und dann rufe ich das Fräulein an und lasse mir aus ihrem spannenden Alltag berichten – bei der passiert ja wenigstens noch was. 😦

Monsieur Leroc est aux lit

„Frau Freitag, warum müssen wir eigentlich Bio lernen? Planzen. Warum müssen wir das lernen? Wer will denn später einen Beruf mit Pflanzen haben?“
„Na, aber…“
„Ich muss doch nicht wissen, wie die Planzen von innen aussehen. Es reicht doch, wenn ich weiß, dass sie da sind und dass sie schön sind.“ sagt Tarik.
„Tja, also ich weiß auch nicht, aber ich finde ihr solltet schon wissen, wie Pflanzen funktionieren. Vielleicht braucht man das später doch mal.“ sage ich, denke aber, dass sie das alles sowieso wieder vergessen werden. Was weiss ich denn noch von den Pflanzen? Was weiß ich überhaupt noch aus meiner Schulzeit? Also: ich kann noch erklären warum Seen umkippen, wie man Dreisatz rechnet, -s,-s,nichts, -ons, -ez, -ent; – irgendwelche Französischen Endungen, dann weiß ich noch, dass Ratten bei Dichtestress homesexuell werden und ihre Jungen fressen, dann: Monsieur Leroc est aux lit, ilähmmalade, Madam Leroc arrive, elle apporte une lettre et deux journaux, le doctor arrive, vite le cigar sou le lit, ouvre la fenetre, dann, dass die Schwimmblase in einem Fisch aussieht, wie ein Kaugummi, Andreas Gyfius – Alles ist eitel – habe ich sehr schön interpretiert, Dihybrider Erbgang, Masse Berechnung im freien Fall, Marokkokrise, Rommel, Brecht, Römische Bäder hatten Fußbodenheizung, Sechs-Tage-Krieg, Nord-Irland Konflikt…

Ein ziemliches Sammelsurium an Fakten. Völlig nutzloses Halbwissen, im besten Fall kann ich sagen, davon habe ich schon mal was gehört. Aber was ich aus meiner Schulzeit noch genau weiß, sind solche Sachen: zB, dass ich unbedingt die Tennis-Special-Turnschuhe haben musste, bevor Petra die hatte, damit die nicht „nachgekauft“ sagen konnte.
Dass es mir heut leid tut, dass ich einen Klumpen Ton durch den Kunstraum geschmissen habe, weil den meine Lehrerin abgekriegt hat und dass ich in der Grundschule einen Kopfstand auf einem Stuhl gemacht habe, als wir gerade mit Wasserfarben malten und ich umfiel und dabei das dreckige Tuschwasser in die Schultasche von Marion Fichtelholz gelaufen ist. Die hat dann total geheult und ich musste mit ihr die Schulbücher tauschen und hatte deshalb das ganze Jahr diese dreckig gewellten Bücher. Nicht schön.

Und ich weiß noch, wie wichtig es war nie krank zu sein und immer in die Schule zu kommen, weil man sonst ganz wesentliche Dinge in den Pausen nicht mitbekommen hätte und die sich daraus ergebenden Insiderjokes hätte man dann nicht verstanden. Eine Erkältung, konnte dich direkt zum Außenseiter in deiner Clique machen. Jeden Mittag zum Supermarkt: Chips und eine Dose Cola. Der Mathelehrer hatte Mundgeruch. Physik war sehr langweilig. In Französisch hing grundsätzlich eine Seite aus einem Porno an der Tafel. Jede Stunde der gleiche Joke – Lehrer klappt die Tafel auf und muss erst die Pornoseite abmachen. Das war aber nicht ich. Aber ich fand es lustig. Wie habe ich nur das Abitur geschafft? Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, kann ich mich an vieles erinnern, aber an den Unterricht…irgendwie nicht.

Ibo

So, geschafft. Wieder drinne. Nach diesen 100 Tagen Herbstferien denkt man ja am Sonntagabend immer, dass man das am nächsten Tag überhaupt nicht mehr packt. Wie ging dieses Unterrichten eigentlich noch mal? Und schlecht gelaunt war ich gestern, oh mann. Weil ich in den Ferien absolut gaaar nichts für die Schule gemacht habe, musste ich gestern 6 Stunden am Schreibtisch sitzen. Nicht schön!Und als ich heute morgen aufgewacht bin war es noch dunkel!!! Wie soll ich das denn noch 24 Jahre aushalten???? 24 Jahre – das ist ja ein ganzes Leben…

Aber dann in der Schule – mein Raum – sonnendurchflutet und ich auch. Die Kollegen sind alle erholt und nett. Meine Klasse – auf angenehmste Weise sediert bis zum geht-nicht-mehr, bearbeiten sie die Aufgaben, die ich ihnen gestellt habe. So macht das Unterrichten Spaß. Auch die anderen eintausend Siebten Klassen, die ich bis zur Mittagspause bespaßen musste waren easy. Aber dann fällt mir schlagartig ein, dass ich ja kurz vor 16 Uhr noch die Siebte von Vanessa habe. Die mit meinem speziellen Freund: IBO!

Meine gute Laune senkt sich zum Nullpunkt, obwohl dort auf dem Hof immer noch die Sonne scheint und mich fast jeder Schüler freundlich nach meinen Ferienerlebnissen fragt. Ibo, I. B. O., denke ich, ach nö, nicht den auch noch nachher. Im Lehrerzimmer frage ich seine Klassenlehrerin, ob es was Neues gibt zu Ibo.
„Was meinst du denn?“
„Na, ist der denn wieder da?“
„Klar, da war doch nur ein Stück Zahn ab.“
„Und der ist noch ganz normal in deiner Klasse.“
„Ja, da müssen wir jetzt den üblichen Weg gehen: Aktennotizen, Sitzung, Tadel, Klassenkonfernz, dann Umsetzung in eine andere Klasse und dann fliegt er vielleicht irgendwann von der Schule.“ sagt Vanessa.
Umsetzung in eine andere Klasse….bloss nicht, dann kommt der am Ende noch zu mir. Also ich werde keine Tadel schreiben. Da habe ich ihn lieber zwei Mal in der Woche – aber in meine Klasse darf der nicht kommen.

Und dann kommt die Ibo-Stunde. Die Schüler kommen rein. Ich habe eine neue Sitzordnung erstellt. Ibo sitzt am Fenster. Alleine. Und hat er gestört? Überhaupt nicht! Er hat super mitgearbeitet und sogar ein paar ganz schlaue Sachen gesagt. Ich habe mich zu ihm gesetzt und habe ihn gelobt. Er hat gelächelt. Ich auch. Und dann hat er sogar noch einen Witz gemacht, der ziemlich lustig war. Irgendwas mit Hämorrhoiden. Der ist ziemlich smart und eigentlich irgendwie auch ganz süß. Aber ich hatte auch nie gesagt, dass ich ihn häßlich finde. Ich glaube Ibo geht okay. Wer hätte das gedacht?