„BOOOOOOOUUUUUUMMMMMMMMMMMMM!!!!!“
Als ich das Schulgelände verlasse, explodiert ein Böller. Übelst laut. Die sich aus der Schule, in die Freiheit ergießende Schülermasse schreit auf und rennt an mir vorbei. Hassan aus der Siebten, die ich heute in der zweiten Stunde hatte, grinst mich im Vorbeirennen an: „Frau Freitag, Gasafi lebt!“
„Gadafi“ rufe ich ihm hinterher, aber er hört nichts mehr.
Gasafi, denke ich, tzzzzzzz, diese Kinder…
Am Nachmittag habe ich meine Klasse für eine Schulbibliotheksführung angemeldet. Unmissverständlich werden sie vorher von mir gebrieft: „Alle siebten Klassen machen so eine Führung. Ich möchte, dass der Bibliothekstyp nachher sagt, dass ihr die netteste und die ruhigste Klasse wart! Verstanden?“ Sie nicken und wir wandern gesittet durchs Schulgebäude. Meine Klasse rennt nicht. Meine Schüler prügeln sich in meiner Gegenwart nicht über die Gänge. Wir betreten leise und entspannt die Bücherei. Alle setzen sich und hören der Einweisung zu. „Das darf man nicht und das nicht und das natürlich auch nicht und dies schon mal so dermaßen gar nicht und denkt bloss nicht, dass ihr das dürft usw.“ 10 Minuten lang wird erzählt, was passiert, wenn jemand versucht in die Systemsteuerung (EDVler-hör mal kurz weg – hier zeigt sich, wie ich keine Ahnung von Computers habe) – also wie man bloss nicht versuchen sollte in das Innenleben der Rechner zu gelangen. Es gäbe eine Direktübertragung zum Systemmanager der Schule, der genau sehen könnte, wer an welchem Rechner manipuliert. Ich muss mir echt das Lachen verkneifen. Aber die Schüler fressen es. Meine Klasse läßt alles über sich ergehen. Sie sind absolut leise. Es ist bereits 15 Uhr. Sie hatten durchgehend Unterricht. Ich auch. Ich bin müde. Sie auch. Die Armen, denke ich – jetzt passiert das, was immer passiert, wenn eine Schülergruppe ruhig ist. Der Erwachsene, der auf die Kinder einredet denkt: „Na Mensch, die hören aber gut zu, die scheinen ja richtig interessiert daran zu sein, was ich zu sagen habe.“ Trugschluss! Sie sind lediglich leise. Der Vortrag wird dadurch nicht interessanter.
„Also, da hinten seht ihr verschiedene Romane, die sind nach Themen geordnet.“ Die Schüler drehen sich zu den Büchern und jeder fängt an vorzulesen: „Tiere, Abenteuer, Humor, Liebe, Drogen…heheheh – Drogen.“
Anil meldet sich: „Gibt es auch Erotik?“
Der Büchereiwart grinst. Ich auch. Die Jungs kichern. Selina flüstert: „Was ist Erotik?“ Orkan flüstert zurück: „Nackte Leute.“
Dann füllen sie ihre Büchereikarten aus und irgendwann klingelt es.
Letzte Stunde des Tages. Wird schon fast dunkel. Grauenhaft. Jetzt beginnt die düstere Zeit. Englisch Klasse Sieben. IBO!!!!
Seit ein paar Stunden mache ich mit denen so eine Art Wochenplan. Entgegen meiner Erwartung läuft es echt super. Ich stehe nicht mehr wie sonst vorne und bin die Einzige, die sich anstrengt, sondern laufe rum und helfe, oder sitze an meinem Pult und unterschreibe die bearbeiteten Aufgaben der Schüler. Fast alle arbeiten sehr viel mehr als sonst. Ich lobe sie viel und sie freuen sich darüber viel. Letzte Woche hat Ibo gefehlt. Heute ist er wieder da. Er beginnt eine Aufgabe zu bearbeiten. Eigentlich ist der doch recht normal, denke ich. Als er die zweite Aufgabe machen soll, steht er plötzlich auf und geht nach hinten. Wie ein gefangener Tiger läuft er hin und her. Ich beobachte ihn und denke:“Der soll bloss nicht wagen, in die Nähe der Pinguine zu gehen, die hinten stehen.“
„IBOOOO, Pfoten weg von den Figuren!!!!“ Er dreht sich um und geht Richtung Fenster. Plötzlich wirft er sich auf den Boden. Dort kugelt er sich von einer auf die andere Seite, als hätte er einen Bauchdurchschuss. Ich beobachte ihn. Die anderen Schüler sehen ihn nicht und arbeiten ruhig weiter. Er rollt weiter. Hin und her und Hin und her. Ich gucke zur Uhr – noch 10 Minuten. „Lohnt sich nicht, den jetzt noch zu beachten, denke ich, ist ja lustig, dass es ihm gar nichts ausmacht, auf dem dreckigen Boden zu sein“. Meines Wissens nach, wird der nie gewischt, sondern nur gefegt. Und das auch nur einmal in der Woche. Danke Ibo, jetzt ist er hinten wenigstens schon sauber.