She did the corn but not the apple

Ach Kinder, die Zeitverschiebung…manomann…und immer noch ein wenig jetlag…und dann diese Zweifler und Mahner…warum kann und darf denn Frau Freitag nicht dem regnerischen Binz entkommen und sich ein wenig in den Vereinigten Staaten amuesieren (see, no umlauts!)?

Irgendeine hoehere Macht scheint, mir eine Lehre erteilen zu wollen, denn wir sind aus New York City nach Vermont gefluechtet…ich dachte hier waere es vielleicht nicht so heiss. Und jetzt sitzen wir seit Stunden im Motelzimmer, denn es regnet, als wuerde die Welt untergehen. Fuer die Schlauberger unter euch lieben Lesern – check the weather report of Brattleboo, Vermont – bingo- es regnet.

Was soll das? Habe ich nicht ein wenig trockenes Sommerwetter verdient? Habe ich nicht hart genug gearbeitet im letzten Schuljahr? Ich wuerde mir so gerne dieses kleine Hippiestaedchen ansehen, aber es regnet echt doll, schlimmer noch als in Binz und wenn mir hier niemand eine Arche baut und mich reinsetzt, kann ich das Motel nicht verlassen. Zum Glueck haben wir dieses Paerchen aus Los Angeles kennengelernt und die haben uns ihren Laptop geliehen. Ich habe ihnen meinen Passport gegeben. Fairer Deal. Nur als Pfand…

Ich habe ja einen kleinen Regenschirm – Leute, kauft euch einmal in eurem Leben einen Knirps und ihr werden immer gluecklich und trocken sein. Theoretisch koennte ich also rausgehen und euch berichten, wei es hier ist. Aber der feine Herr Olli hat natuerlich keinen Regenschirm…  wie auch, er ist doch noch so jung. Regenschirme sind ja einfach nur uncool und deshalb zu vernachlaessigen. Er hat auch sehr viel Angst um seine neuen Turnschuhe, die sehen noch so neu aus. Ausserdem scheint er das Amerikanische Fernsehen zu geniessen. Er glotzt schon seit Stunden. Heute morgen war er ganz fasziniert von einer Sendung auf A&T, in der es um Zwangsneurosen ging. Eine Frau kann keine harten Sachen essen, weil sie Angst hat, dass ihre Zaehne brechen, dann ausfallen und wenn einmal einer raus ist, dann hat sie bald keine mehr. Und dann kommt da der Supertherapeut.

Sie stehen vor einem Tisch mit Tacochips, Maiskolben und zwei Aepfeln. Sie macht eine Riesenshow aus dem Verzehr von ein paar lumpigen Chips. „So how does it feel?“ fragt der Superdoc. Sie sieht aus, als wuerde sie sich jeden Moment aus dem Fenster stuerzen, verzieht das Gesicht, klappt die Oberlippe ueber ihre Zaehne und fluestert: „Not good at all.“

Dann labert der Doc weiter rum und sie sagt auch irgendwas weinerliches und dann geht es auf zum Corn. Der Maiskolben, die grosse Herausforderung…Sie haelt den mit spitzen Fingern und heult fast. Es dauert Minuten, gefuehlte Stunden, bis sie ihn an ihren Mund hebt. Olli und ich bewegungslos auf dem Bett. Voellig gebannt: Wird sie es tun? Wird sie in den Maiskolben beissen? Sie starrt ihn als sei der eine Miniatombombe. Und dann – yeahhh- supervorsichtig beisst sie rein. Du spuerst foermlich, wie jeder ihrer Zaehne abbricht. Sie guckt so verzweifelt. Warum quaelt der Typ die arme Frau so. Ich bekomme automatisch Zahnschmerzen.

„Great, you did the corn!“ der Doc ist begeistert. Sie ist voellig neben der Spur. Dann sagt er, dass sie jetzt nicht die kleinen nervenden Teile vom Maiskolben aus ihren Zaehnen popeln darf und sich erst in drei Stunden ihre Zahnbuerste bekommt. Das ist zuviel fuer sie. Und dann will dieser Mengele auch noch, dass sie in den Apfel beisst. „Oh no, I am sorry I can not do the apple!!!“ Jetzt erwacht ihre persoenliche Resistanz. „But you did the corn. Are you sure you can not do the apple.“ “ Absolutly sure! I will not do the apple.“

Und dann kommt eine Frau mit Halbglatze und du denkst – ach die Arme die hatte Chemo, aber nein, sie reisst sich die Haare raus… leider konnten wir die Story nicht sehen, weil Olli unbedingt diese Sendung ueber die Hochsehfischer sehen wollte. Aehnlich wie die Icetrucker.

Sollte es weiter so regnen wird das ein Blog der die das sich mit dem Amerikanischen Fernsehprogramm am Morgen, Nachmittag und am Abend auseinandersetzt…da haette doch auch niemand was dagegen, oder?

Aber drueckt mir mal die Daumen, dass hier bald wieder die Sonne scheint. Mit Olli hier, die ganze Zeit im Zimmer… das wird auf die Dauer bestimmt auch langweilig.

Lost in transportation

Also hier bin ich wieder. Wir sind jetzt in New York City. Und oh boy, ist das heiss und schwuel hier. Du fuehlst dich wie in jemandens Mund. Etwas wiederlich, aber besser als zu kalt. Und kalt sind diese verdammten airconditioned orte. Also der Zug nach New York war so kalt, dass Olli und ich uns mehrere Jacken und Pullies uebereinander gezogen haben. Ach ja Olli, wo ist der eigentlich? Er wollte nur noch mal eine rauchen und dann auch reinkommen. Der raucht hier, als gaebe es kein morgen. Und ich darf das alles bezahlen. Die Zigaretten kosten hier ueber 7 Dollar. Und Olli will in jeden verdammten Laden rein. Ich haette nicht gedacht, dass er so eine Fashion Queen ist. Wir haben ihm bereits zwei Paar Turnschuhe und mehrere T-Shirts gekauft. : „Die gibt es nur hier…Ich schwoere Ihnen Frau Freitag, Sie kriegen das Geld von meinen Eltern wieder….“ Na ja, was soll ich machen? Bin ich doch auch nicht aus Stein und wenn er sich doch so ueber jede neue Sache die er bekommt freut…

Die Kreditkarte glueht und ich bin der Meinung, dass wir schnell weiterziehen sollten, vielleicht nach Neuengland. Dort soll es doch ganz schoen sein. Und da kann man vielleicht baden gehen und muss nicht den ganzen Tag shoppen. \

Ollie will heute abend ins Kino. In diesen Bruno Film. Ich weiss nicht…ist das das richtige fuer einen Teenager? Gestern waren wir in einer Bar (zum Glueck sieht Olli aelter aus als er ist, sonst haetten die ihn bestimmt nicht reingelassen), jedenfalls denk ich das ist eine normale Bar und dann ist das so ein halber Stripjoint. Wo die Frauen an Stangen tanzen. Peeeeeinlich!!!! Ich hab schnell meine Cola ausgetrunken und dann Olli gezwungen endlich bei seinen Eltern anzurufen. Er sagt die seien nicht zu erreichen. I think he is not trying hard enough.

Okay, da kommt Olli, er hat Hunger. Der kann einem echt die Haare vom Kopf essen. Ist das normal, dass diese Teenager soviel essen?

Okay, ich melde mich mal in den naechsten Tagen.

Ueber die vielenKommentare freue ich mich sehr. Ich kann verstehen, dass einige von Euch denken, dass denkt die sich doch alles aus. Aber get this: Wenn ich nicht mit oliver krueger in Amerika sitzte, wie kommt es denn dann, dass hier weder Umlaute, noch essszetts sind? Seht ihr, manchmal sind die Sachen nicht so simpel wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Und unter uns gesagt, es ist doch nicht ungewoehnlich, sich im verregneten Binz unwohl zu fuehlen… Da muss doch Frl. Krise nicht gleich das Schulamt alarmieren. Die sollte mal lieber gecheckt werden, ob sie nicht wieder Elfenbeinschmuck aus Afrika schmuggelt.

Am Bahnhof

Leider habe ich heute gar keine Zeit zu schreiben. Wir muessen gleich einchecken, in den Zug nach New York City. Die machen hier einen Staatsakt aus allem, hier wirst du ja fast schon in der U-Bahn gescannt und untersucht. Paniknation…

Hier am Bahnhof haben die Computer, die man fuer eine halbe Stunde freischalten kann. Und jetzt wollte ich eigentlich schreiben, was wir gestern noch so gemacht haben, aber Oliver will noch was essen vor der Zugfahrt. Jetzt rennt er rum und sucht ein Burger King. Hier auf dem Bahnhof gibt es tausend verschiedene Fast Food Laeden. Aber er will unbedingt zu Burger King – und nur Burger King. Das andere schmeckt ihm nicht sagt er. Okay, aus New York dann mehr. Hier ist es uebriegens unheimlich schwuel. So richtig sonnig ist es hier auch nicht, aber dafuer sehr heiss.

Dahin wo`s nicht immer regnet

In Hamburg am Bahnhof war ein Reisebuero und die hatten da noch Restfluege und da sind wir rein und haben so rumgesponnen, wo man hinfliegen koennte, wo es nicht regnet und so. Und es gabe einen total billigen Flug nach Washington DC. Ich weiss auch nicht was in dem Moment mit mir los war, aber ich habe die Kreditkarte gezueckt und jetzt sitze ich hier in einer Buecherei in der Naehe vom Weissen Haus, Oliver raucht draussen und dann wollte er noch in diesen Turnschuhshop.

Die Anreise hierher war allerdings die Hoelle. Wir mussten ja erstmal zu den Kruegers nach Hause, um Olivers Pass zu holen. Ich habe meinen ja immer dabei. Glueck gehabt. Der Flug ging naemlich ziemlich frueh, wir haben die eine Haelfte der Nacht bei Burger King und die andere auf dem Flughafen verbracht. Oliver hat im Flugzeug die ganze Zeit geschlafen, ich habe vier Filme geguckt und alles gegessen und getrunken, was man uns gebracht hat.

Oliver hatte seinen Eltern eine SMS geschickt. Ich hatte eigentlich darauf bestanden, dass er sie anruft, aber er schwoerte, dass sie ihr Handy nicht anhatten. Komisch hier, so ganz ohne meine geliebten Umlaute… Und dann nach dem Flug stehen wir bei der Immigration. Die Leute da – voll unfreundlich: “ What`s the porpuse of your visit?“ was sollte ich denn dadrauf antworten? Ich will Urlaub machen wo es nicht immer regnet? Pleasure? Shopping? Ich will endlich einen Ipod…? „What`s  your occupation, Ma`m?“ Stolz teile ich ihm mit „I`m a teacher!!! A highschool teacher. We have holidays now. Summerholidays.“ Soviel wollte der Officer dann doch nicht hoeren und stempelte gealngweilt alle Papiere ab. Und wir musste unsere Finger scannen lassen. Immer vier Finger und dann den Daumen. Beide Haende.

Jedenfalls sind wir erstmal in Washington. Es ist so heiss hier, dass wir versuchen moeglichst nur in Supermaerkten, oder anderen Geschaeften zu sein – Hauptsache Aircondition. Oliver findet Amerika gut. Es sei so amerikanisch. Amerikanisch findet er gut. Aber irgendwie auch nicht alles. Muss ich noch mal rausfinden, was er genau meint. Morgen wollen wir nach New York City. Ich muss aber erstmal rausfinden, wie wir da hinkommen.

Es regnet immer noch

Gegen acht kommt der Freund. Gutgelaunt geht er direkt ins Badezimmer: „Mensch, das war eine Supertour. Wir waren beim Jagdschloss in Granitz und in Prora. Du glaubst gar nicht, wie unheimlich es dort aussah im Regen. Ich hab’ Fotos gemacht. Zeig’ ich dir gleich, auf einem ist sogar ein riesiger Blitz drauf. Echt geil. Und der Krüger, wie der fährt…echt super. Wusstest du dass die beiden schon seit zwanzig Jahren im Radrennverein sind? Die nehmen sogar an Wettkämpfen teil. Wo wart ihr eigentlich? Wir haben am Schloss auf euch gewartet.“

Ich verstehe nichts mehr, weil die Dusche zu laut ist, gehe auf den Balkon und rauche. Es regnet immer noch. Hinten am Meer sieht man auch immer wieder Blitze.

„Bist du fertig? Die Krügers wollen in die Kakadu-Bar und ich hab’ ihnen vom Blue Moon erzählt, da könnten wir auch noch hingehen. Die Dusche ist aus und der Freund kommt nur mit dem Handtuch bekleidet aus dem Badezimmer, stellt sich vor den Spiegel und kämt seine Haare. „Ich will nicht in die Kakadu- Bar.“  „Wieso, wir sind dort verabredet. Wir müssen noch alles besprechen, wegen morgen. Der Krüger will ein Segelboot ausleihen. Stell’ dir mal vor, die haben beide einen Hochseesegelschein, na ja, die sind ja auch aus Hamburg.“

„SEGELN? Ich geh auf keinen Fall segeln. Morgen regnet und stürmt es wieder. Ich will nach Hause. Ich hab’ keinen Bock mehr. Binz nervt.“  Jetzt guckt mich der Freund zum ersten Mal, seit seiner Rückkehr richtig an. „Nach Hause? Spinnst du? Nur weil es ein bisschen nieselt?“

„NIESELT?“ schreie ich, „Ich wäre heute fast gestorben auf dieser Scheißradtour. Das ist alles scheiße hier. Ich will hier nicht mehr sein. Das sind meine Ferien und ich muss mich erholen! Ich will nach Hause.“ „Aber wir haben doch für 10 Tage gebucht.“ „Ist mir egal. Du kannst ja noch bleiben.“ Der Freund sieht meinen Koffer. „Komm lass uns erstmal in die Kakadu-Bar gehen und dann reden wir noch mal. Du musst ja nicht mit segeln kommen. Aber ich hätte echt Bock dazu. Wollte ich schon immer mal machen. Und der Krüger meint, bei Sturm fetzt das so richtig.“

In der Bar warten die Krügers schon. Oliver steht neben seiner Mutter und guckt wieder schlecht gelaunt auf den Boden. „Na, Frau Freitag, schlapp gemacht heute?“ fragt mich der Krüger gutgelaunt. „Ach, wissen Sie,  Radfahren…“ mir fällt nichts ein. „Der Regen…mein Rad war kaputt.“ Oliver grinst. Der soll bloß die Klappe halten. Frau Krüger fummelt ihrem Sohn am Kopf rum: „Oliver, mach dir doch mal die Haare aus dem Gesicht. Du kannst ja gar nicht sehen.“ Ich finde seine Frisur sieht eigentlich ganz gut aus. Wenigstens hat er noch Haare, im Gegensatz zu seinem Vater. Der beugt sich mit dem Freund über eine Landkarte: „Hier müssten wir lossegeln und dann mit der Strömung…“

„Ich gehe mal kurz raus.“ sage ich zu Frau Krüger. Unter dem Vordach am Eingang quetsche ich mich an die Wand und rauche. Es regnet immer noch und meine Schuhe sind vom ersten Tag immer noch leicht feucht. Plötzlich steht Oliver neben mir. „Darf ich mal ziehen?“

„Sag’ mal wissen deine Eltern, dass du rauchst?“ Keine Antwort. „Segeln.“ „Ja, die wollen um 8 Uhr los.“ Oliver klingt nicht begeistert. „Segeln im Sturm. Um acht. Na, ohne mich. Ich fahre heute nach Hause. Meine Sachen sind schon gepackt. Ich glaub’ ich werd’ mal jetzt einfach gehen. Mach’s gut, Oliver.“ Damit lasse ich ihn stehen und gehe zurück ins Hotel.

Dort schreibe ich dem Freund eine kurze Nachricht, er soll nicht böse sein, sich beim Segeln amüsieren und mich später anrufen. Dann nehme ich meine Koffer und gehe zum Bahnhof. Binz nervt echt. Ist mir nie so extrem aufgefallen wie heute. Der Zug geht erst in einer Stunde und ich werde wohl heute Abend nur bis Hamburg kommen. Na, macht nichts, besuche ich Barbara, die kenne ich noch aus der Schule und die habe ich schon ewig nicht mehr gesehen.

Als der Zug schon eingefahren ist, kommt Oliver angerannt. Völlig außer Atem und mit einer Reisetasche über der Schulter springt er in den Zug: „Kein Bock mehr auf Binz.“ In dem Moment schließen die Türen und der Zug fährt los.

Tour de Rügen

Morgens beim Frühstück, bin ich schon ganz aufgeregt: „Ist das nicht toll, dass wir hier mal Leute kennen lernen? Und jetzt machen wir auch noch eine Radtour mit denen.“ „Hmm, is’ toll.“ Der Freund hört mir gar nicht richtig zu, er kämpft mit dem Ei. Es ist etwas zu weich und jetzt trennt er das flüssige Eiweiß vom Eigelb. Er weiß nicht wohin mit dem Eiweiß. „Das war doch echt nett gestern Abend mit denen. Dieser Krüger, der ist ja total lustig und sie ist auch wirklich nett. Hast du gehört, die wird nächstes Jahr Seminarleiterin. Aber der Sohn. Viel Text hatte der ja nicht.“ „Ist halt ein Teenager.“ „Ja, aber trotzdem. Der sagt ja gerade mal ja und nein. Sonst hat der den ganzen Abend gar nichts gesagt. Ah, da kommen sie. – Ach du scheiße, wie sehen die denn aus?“

Herr und Frau Krüger stehen vor uns, in voller Radfahrermontur. Hautenge Radlerhosen und dazu passende Trikots. Solche mit Taschen auf dem Rücken. Er hat einen kleinen Rucksack und sie hält eine Wasserflasche aus schwarzem Plastik in der Hand. Beide haben Fahrradhelme dabei. Aber nicht irgendwelche, sondern solche, die hinten schmaler werden.

„Kann’s los gehen?“ fragt Herr Krüger. „Klar. Sie sind ja gut ausgerüstet. Dann mal auf zu Pauli’s Radshop. Mal sehen was für Gurken der heute im Angebot hat.“ sagt der Freund. Ich bin sprachlos. Die beiden sehen so profimäßig aus – Herr Krüger hat sogar die Beine rasiert. Frau Krüger dreht sich noch mal um: „Oliver, kommst du?“ Oliver trägt dasselbe T-Shirt und dieselben zu großen Jeans wie am Vortag und trottet langsam und schlecht gelaunt hinter seinen Eltern her. Viel Radtourbock scheint er nicht zu haben. „Na, freust du dich schon aufs Radfahren?“ fragt Frau Freitag ganz die freundliche Pädagogin. „Es regnet gleich.“ „Ach, “ versuche ich ihn zu beruhigen „das nieselt bestimmt nur ein wenig.“

Aber als wir vor die Tür treten sehe ich dicke, schwarze, tief hängende Wolken am Himmel. Pauli leiht uns fünf etwas abgenutzte Mountainbikes zum Spezialpreis. Herr Krüger verhandelt gut. „Und Frau Freitag, keinen Helm?“ „Nee nee, lassen Sie mal, da fühl ich mich nicht wohl mit. Ich fahr auch nicht so besonders schnell.“

Ich nicht, aber die Krügers. Kaum sitzen sie auf ihren Rädern, pesen die auch schon in einem Affenzahn die Strandpromenade runter. Der Freund hinterher. Der Teenager und ich bilden das Schlusslicht: „Na, deine Eltern fahren ja ganz schön rasant.“ keuche ich schon nach den ersten Metern. „Sind beide im Radrennverein.“

Ich bin schon nach zehn Minuten völlig aus der Puste. Meine Beine tun weh, mein Hintern schmerzt, der Sattel ist viel zu hart, ich komme mit der Gangschaltung nicht klar und jetzt fängt es auch noch an zu regnen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich dachte wir radeln so ein wenig am Meer lang. Zum Glück ist der bocklose Oliver bei mir. Lustlos passt er sich meinem Tempo an. Der Freund und die Krügers sind nicht mehr zu sehen.

Der Regen wird immer doller. „Na Oliver, Spaß ist was anderes, oder wie siehst du das?“ Oliver gibt ein verächtlich klingendes Geräusch von sich. Ich glaube er stimmt mir zu. „Scheiße, meine Hose ist schon ganz nass. Und mit dem Wind…scheiße jetzt wird es echt kalt.“ Ich fahre durch eine große Pfütze „Na toll, warum haben diese Drecksmountainbikes keine Schutzbleche. Eine schwule Dreckskacke ist das.“ brabble ich vor mich hin. Oliver grinst: „…ja, echt schwule Dreckskacke…“

„VERFICKTE ARSCHRADTOUR MISTSCHEISSE!!!“ schreie ich und fühle mich etwas besser. Wir sind schon außerhalb von Binz und hier scheint kein Mensch mehr in Hörweite. Hier ist überhaupt niemand zu sehen. Die Zivilisation hört hier auf. Es gibt auch keine richtigen Straßen oder Wege mehr. Wir ackern uns durch aufgeweichten Matsch. Ich habe Schwierigkeiten die Kontrolle über das Fahrrad zu behalten. Ständig verkantet sich das Vorderrad. „Geht’s?“ fragt Oliver als ich fast vom Rad falle.

Als es das erste Mal blitzt kriege ich einen Mordsschreck und beim dazugehörigen Donner rutsch ich mit dem Vorderrad weg und fliege über den Lenker direkt in den Matsch. Oliver kichert. „Sehr witzig! Scheiße, Scheiße, verfickte Scheiße, jetzt sind meine Sachen komplett versaut. Ich hab’ keinen Bock mehr! Ich fahr nicht mehr weiter. Ich bleibe jetzt hier sitzen. Die müssen doch irgendwann wieder zurückkommen.“

Ich suche meine Zigaretten in der Jackentasche. Die meisten sind total aufgeweicht und die nassen Finger helfen auch nicht. Aber eine ist noch halbwegs trocken. Die anderen zerknülle ich mit der Packung und schmeiße sie in einen Busch. „Kann ich mal ziehen?“ fragt der Teenager und als er inhaliert sieht er das erste Mal irgendwie zufrieden aus. „Radfahren ist echt nicht mein Ding. War’s noch nie.“ sage ich und nehme die Zigarette wieder an mich. “Ich fahre auch lieber U-Bahn“ sagt er und stößt dabei den Rauch aus, als hätte er gerade an einem Joint gezogen.

Wir sitzen noch eine Weile unter einem Baum im Matsch und warten bis es aufhört zu regnen, dann schieben wir die Fahrräder wieder nach Binz. Wortlos gebe ich meins bei Pauli’s Radshop ab. Pauli guckt auf meine völlig verdreckte Hose, zum Glück sehe ich ihn durch meine nasse Brille nicht richtig, aber ich glaube er grinst.

Im Hotel schalte ich den Fernseher an und lege mich in die Badewanne. Meine Klamotten deponiere ich auf dem Balkon. Vom Badezimmer höre ich Ben Wettervogel: „…das massive Sturmtief zieht nach Norden und wird an der Küste für weitere ungemütliche Tage sorgen. In der Mitte und im Süden Deutschlands stabilisiert sich das Azorenhoch und bringt wieder Sommertage mit Temperaturen über dreißig Grad.“

Eine Stunde später habe ich meine Sachen gepackt.

Binz – die Zweite

Gestern Abend waren wir in diesem einen kleinen Fischrestaurant essen. Leider mag ich keinen Fisch, aber die haben da auch Schnitzel. Ich sehe mir die ganze Zeit die Leute an. Hier sind vor allem Ehepaare unterwegs. Die Frauen gucken gelangweilt durch die Gegend und die Männer stopfen sich monoton ihr Essen rein. Viel reden tun die nicht miteinander. Glück haben die mit den Kleinkindern. Da ist für Action gesorgt. „Florian, lass die Gabel. Justin, du wolltest die Cola, jetzt trink’ sie auch aus…“

Am Fenster sitzt ein Ehepaar mit ihrem Teenagersohn. Der Mann erzählt was, die Frau lacht, der Sohn guckt aus dem Fenster.  Die sehen ganz nett aus. Der Mann ist ein wenig dick und verliert bald seine Haare. Er ist braungebrannt. Sie auch und beide haben sich offensichtlich schön angezogen für den Abend. Den Sohn konnten sie wahrscheinlich nicht dazu bringen, sich was Gutes anzuziehen. Er trägt Turnschuhe und ein T-Shirt mit irgendeiner Band drauf.

„Guck mal die da drüben, die waren aber noch nie hier, oder?“ frage ich den Freund. Der weiß gar nicht wen ich meine und konzentriert sich weiter auf die Filettierung seiner Dorade.

„Was der wohl macht? Der ist bestimmt selbstständig. Der verdient bestimmt gut. Der sieht so zufrieden aus und sie sieht auch nett aus. Aber der Sohn, voll gelangweilt…warum fährt der denn mit seinen Eltern in den Urlaub, der ist doch bestimmt schon 17 oder 18. In dem Alter war ich doch schon alleine unterwegs, oder mit Freunden, Interrail durch Europa. Hast du eigentlich auch Interrail gemacht?“

„Was?“

„Na Interrail, mit dem Zug durch Europa. Ach egal. Guck mal die haben sich noch eine Flasche Wein bestellt. Darum sind die so ausgelassen. Sollen wir auch was trinken?“

Und ihr glaubt es nicht, aber die wohnen in dem gleichen Hotel wie wir. Nach dem Essen hing ich mit dem Freund in dem Hotelaufenthaltsraum ab und ich habe mir noch eine Cola bestellt. Die haben dort so einen Raucherraum. Draußen konntest du ja nicht rauchen, hat ja immer noch geregnet.

Und da war dann also diese Familie. Die Frau hatte sich noch mal umgezogen. Der Mann hat mich dann angesprochen, weil er wissen wollte, wo man sich hier in Binz günstig Fahrräder ausleihen kann. Die kommen aus Hamburg und sind zum ersten Mal auf Rügen. Er ist  irgendwas bei einer Versicherung und sie ist Grundschullehrerin – ha, eine Kollegin!!!! Welch ein Glück, na für Gesprächsstoff war gesorgt.

Der Sohn saß die ganze Zeit gelangweilt neben uns und hat in den Illustrierten geblättert. Der geht in die elfte Klasse, kommt nach den Ferien in die Zwölfte. Eigentlich wollte er mit seinen Freund nach Mallorca fliegen, aber  der Freund hatte sich beide Arme gebrochen und darum ist er dann mit seinen Eltern mit. Er scheint es aber irgendwie schon zu bereuen.

Ich freue mich jedenfalls, dass wir hier mal Leute kennen gelernt zu haben und morgen machen wir gemeinsam eine Fahrradtour über die Inseln. Wir kennen uns hier ja sehr gut aus. Wird bestimmt lustig. Um 10 Uhr soll’s losgehen.

Binz – erster Tag

Jetzt sind wir angekommen. Den Eintrag gestern hatte ich vorgeschrieben. Die Zugfahrt verlief unspektakulär. Hier regnet es. Überhaupt hat es die ganze Zeit im Zug auch geregnet. Also draußen. Der erste Tag ist ja immer noch recht interessant, auch wenn wir jedes Jahr im gleichen Hotel sind. Gefällt uns halt hier. Zimmer beziehen – wir haben immer das gleiche Zimmer, seit 10 Jahren – Nummer 14. Alles in die Schränke verstauen, Badezimmersachen auspacken und dann raus. Ans Meer. Schön ist das Meer. Schön, aber da es regnet will man da nicht rein. Wir haben praktische Jacken und einen Schirm, deshalb macht uns der Strandspatziergang im Regen nichts aus.

Wir haben zum Glück einen Fernseher. Urlaub da wo du schon mal warst, ohne Fernsehen – grenzwertig. SAT 1 flimmert irgendwie, aber wird schon gehen. Ich freue mich jetzt schon auf Montag – Superlehrerzeit. Nach dem Meerbegrüßungsspatziergang noch einen Kaffee in Hildes kleinem Cafe und Kuchen. Dann zurück ins Hotel und chillen. 10 Tage hier – bei dem Wetter, na Prost Mahlzeit. Der Freund hat sich nachmittags hingelegt ich auch, aber im Gegensatz zu ihm, habe ich nur an die Decke gestarrt. Wann gibt es Abendbrot? Wo gehen wir Essen? Soll ich mich noch mal umziehen, vorher duschen? Werden meine Schuhe trocknen?

Falls jemand überlegt, bald nach Binz zu fahren – macht das nicht, ist nicht so toll im Moment. Fahrt lieber in den Süden. Hat mir der Doktor nicht die Türkei verordnet? Leider haben wir schon vor einem halben Jahr gebucht. Kriegst du ja sonst auch kein Zimmer mehr hier. Bei meinem aufregenden Alltagsleben an der Atta besteht doch ein gravierender Unterschied zu meinem eher langweiligen Urlaubsleben. Ist das Entspannung? Ist Langeweile Erholung?

Wäre es interessanter, wenn ich meine Klasse hier hätte? Wichtig könnte ich hier durch die Hotelgänge rennen und ihnen sagen, dass sie leiser sein müssen. Drohen, dass ich sie nach hause schicke, sollten sie noch mal im Zimmer rauchen. Gluckenmäßig könnte ich sie vor der Hotelleitung verteidigen: „Und Sie meinen wirklich, dass das nur daran liegt, dass sie keine Christen sind…“ Ach, ich könnte mich hier so aufspielen und würde abends völlig erschöpft einschlafen. Herrlich. Der Freund schläft auch so. Immer noch. Ich werde mal gucken, was heute Abend im Fernsehen läuft. Hoffentlich hört der Regen morgen auf.

Phantomschmerzen

Die Sprache geht wieder, aber das Gehirn…na ja, the Ferienmodus kicks in. Was soll man denn in einem Blog der, die, das (????) von Schule handelt (gemerkt? – Schule wieder ohne Artikel) in den Ferien schreiben, wenn gar keine Schule stattfindet? Nix Schule – nur Ferien.

Da hat man es doch mit einem Alltagsbeschreibungsblog viel besser: Heute bin ich da gewesen und dann dort und dann habe ich das gemacht und das und das Wetter war so lala. Gedacht habe ich mir dieses und jenes und zu Essen gab es was ganz Besonderes.

Ich hingegen bin ja ohne meine Schule völlig aufgeschmissen. Empfinde Phantomschmerzen, wo sind meine Schüler, ich will unterrichten, au, au, au, ich bin doch Frau Freitag, sprecht mich hier mal nicht sechs Wochen mit meinem Vornamen an. Ich habe doch gar keinen, ich bin doch Lehrerin. Mein Vorname ist Frau. Was die Schüler wohl gerade machen? Und wie finden eigentlich Eltern die Ferien? Wahrscheinlich eher anstrengend.

Unsere Schüler langweilen sich ja in den Ferien oft und wenn die Schule wieder angefangen hat, dann darf man auf gar keinen Fall Themen stellen wie: Schreib’ dein schönstes Ferienerlebnis auf. Geht gar nicht. Ich beginne die ersten Stunden immer mit: „Schön, dass ihr da seid. Hat irgendjemand was besonders Interessantes erlebt in den Ferien, was er uns miteilen möchte?“ Gab nur einmal ein Mädchen, die hatte in einem Film mitgespielt. Und dann gehe ich auch schnell zum Tagesgeschäft über.

Im Lehrerzimmer wird schon am ersten Tag gestöhnt und dann ein wenig aus dem Urlaub erzählt. Eigentlich würde es auch reichen, wenn man eine Liste mit den Ferienzielen aufhängen würde. Es geht ja sowieso nur um Abgleich. DomRep, Toskana, Binz, Kreta, Irland, Island, Galapagos – boing- Galapagos hat gewonnen! Ich will immer schnell Alltag. Ich liebe Alltag. Ich bin alltagsüchtig. Ferien stören meinen Alltag. Alles soll normal sein, strukturiert, alltäglich halt. In den Ferien ist gar nichts normal. Ich war gestern bis um zwei Uhr draußen. Wo gibt es denn so was? Im meinem Alltag jedenfalls nicht. Jammer, jammer, jammer…

Reiseplanung

Frl. Krise hat’s gut, die fährt jedes Jahr nach Kenia. In so ein Luxusresort. Ist direkt in der Serengeti. Muss schweineteuer sein, ich frage ja immer wie viel das kostet, aber da schweigt sie sich aus: „Über Geld spricht man nicht“ bekomme ich dann nur zu hören. Muss aber ganz toll dort sein, sie schwärmt immer davon. Da gibt es wohl ganz tolles Essen und die Sonnenuntergänge seien traumhaft.

Ich würde das auch gerne mal sehen. Aber ich habe ja keinen Freund, der Chefarzt ist und der mich dahin einlädt. Im Herbst hat sie eine Karibikkreuzfahrt gemacht. Leider war sie die meiste Zeit der Fahrt in ihrer Kabine, weil sie sehr seekrank war. Als es ihr besser ging war die Fahrt auch schon fast vorbei. Diese Reise konnte sie nicht empfehlen.

Und sie schwärmt von der Neuseelanddurchquerung, da hatten sie eine Tour gebucht, und haben im Beduinenstil Neuseeland durchquert. War wohl sehr abenteuerlich, aber die Landschaft muss dort ganz großartig sein. Ach, Frl. Krise die hat es gut, die fliegt ja auch über die Brückentage nach Salzburg in ein Wellnesshotel und Ostern hat sie Aryuveda in Nepal gemacht, die sah so top aus als sie wiederkam.

Wir fahren morgen nach Binz. Auf Rügen. Mit dem Zug. Für zehn Tage. Wie jedes Jahr. Immer Binz, Binz, Binz. Langsam kann ich Binz nicht mehr sehen. Aber was soll’s Urlaub ist Urlaub, auch in Binz.