Sonntagsblues

Mein Kopf ist leer. Stunden sitze ich nun schon am Schreibtisch und bereite vor. Eigentlich vor und zurück. Wie heißt es so schön, die Nachbereitung. Die Nachereitung erfolgt bei mir zunächst verbal. Ab und zu korrigiere ich etwas. Allerdings nicht, wenn es sich vermeiden läßt.

Frage mich, was meine Schüler jetzt wohl machen? Die sitzen garantiert nicht am Schreibtisch. Cola trinken, sich im Wohnzimmer breit machen, langweilen… und dann morgen wieder schlecht gelaunt in der Schule erscheinen. Ich auch. Werde mich auch gleich auf der Couch lang machen. Leider habe ich keine Cola.

Mehr Geld!

Eine gar nicht so schlechte Idee kam heute von Abdul: „Frau Freitag, stimmt es, dass die Lehrer mehr Geld verdienen, wenn sie viele Tadel geben?“

Ich: „Hääähhhh???? Wie kommst du denn da drauf? Abdul, wenn das so wäre, dann hättest du jetzt schon mindestens drei. Einen fürs zu spät kommen und zwei für diese bekloppte Frage.“

Ein Teil meines Gehirns nimmt allerdings den Gedanken auf und erfreut sich an der Vorstellung, das Gehalt durch Ordnungsmaßnahmen aufzubessern. Kopfpauschalen aufs „Vor die Tür schicken“, für jedes Anschreien gibt es einen Zehner extra. Da klingelt die Kasse. Den fettesten Bonus erhält der Kollege, der es schafft am Ende des Schuljahres möglichst viele Schüler von der Schule verwiesen zu haben. Jeden Nachmittag versammeln wir uns zu Klassenkonferenzen und haben Dollarzeichen in den Augen.

„Los Leute, wer stimmt für die Versetzung in die parallele Kerngruppe? Ich will nächste Woche in den Skiurlaub, also jetzt mal die Finger hoch.

„Frau Freitag, Sie sind voll streng geworden…früher haben Sie nie Tadel gegeben, jetzt immer…aber Ihre Jacke ist schön? Neu? Echtes Leder?“

„Samira! Reden ohne dran zu sein…Tadel!“

Ich muss schon zugeben, an diese Art der leistungsbezogenen Vergütung könnte ich mich gewöhnen. Ihr nicht auch?

Wenn die Fee kommt

Nur mal angenommen gleich taucht so eine Fee auf und sagt: „Wünschen Sie sich was!“, dann wünschte ich mir folgendes:

Ich bin Klassenlehrerin an meiner Schule. Ich habe fast alle Fächer in meiner Klasse. Die Kinder können meinetwegen sein wie sie sind. Aber jetzt kommt’s: In meiner Klasse gibt es nur 11 Schülerinnen und Schüler. 11!!!!! Und wir stellen alle Tische an die Wände und jeder bekommt seinen eigenen Arbeitsplatz. Jeder hat dort eine Schreibunterlage, Stifte, Schere, Kleber, Klarsichthüllen, Hefter, Bücher, Duden, Taschenrechner, Fineliner, Filzer, Radiergummi und sogar einen Anspitzer. Alles in so Schreibtischbehältern aus Metall und eine schöne Holzbox auf auf jedem Tisch, für die größeren Sachen. Dann hat jeder so Ablagedinger aus buntem Plastik, für unerledigte und erledigte Arbeiten.

Ich sitze am Pult, die Schüler arbeiten selbstständig. Wenn sie Fragen haben stehen sie leise auf, kommen zu mir und werden von mir beraten. In der Mitte stehen auch Tische, für wunderschöne kurze Frontaleinlagen. Ab und zu schieben wir die Tische zusammen, um herrliche Gruppenarbeit zu verrichten. Oder wir machen niedliche Stuhlkreise. Mit 11 Leuten werden das sehr kleine Kreise.

Die Fee sagt: „Sind Sie sicher, dass Sie nur das wollen? Nicht lieber was anderes? Ewige Jugend und Schönheit bis ins Grab? Reichtum? Wollen sie nicht lieber eine lieber Fähigkeit, ein Talent haben? Endlich mal was können können? Oder einen schicken roten Spider, ein Haus am See? Gute Haut und mehr Haare auf dem Kopf? Konfektionsgröße 36 und trotzdem 85 C? Einen Flachbildschirmfernseher? Eine saubere Lunge oder 1 000 000 Euro?“

„Nein!“ antworte ich „Das will ich alles nicht! Ich will genau das, was ich eben gesagt habe: Eine Klasse mit 11 Schülern, die alle mit dem Gesicht an die Wand gucken.“

„Tja“ sagt die Fee „Das geht leider nicht. 11 Schüler…wie stellen Sie sich das denn vor? Da bin selbst ich machtlos. Sorry.“

Harte Mädchen

Okay, ich weiss, dass die meisten Menschen sich diesen Doku-Schrott wie Die Mädchen-Gang nicht im Fernsehen ansehen wollen. Ich habe es genossen. Jede Minute. Ich würde mir eine Standleitung in dieses Haus mit diesen krassen Mädels wünschen und die den ganzen Tag beobachten.

Warum eigentlich? So genau kann ich das gar nicht sagen, aber ich lache mich schlapp, wenn die Mädchen sich da als die überharten Schlägerbräute präsentieren. „Verpiss dich du Fickfehler!“ sagt die eine vor der Kamera und vor ihrer Freundin zu ihrer Mutter. Und wie sie sich aufregen, dass sie in einem Dorf gelandet sind. In einem mega Spießerhaus, das sie aber total toll finden. Weil es einen WÖÖRLPUHL hat.

Und wie begrüßt man sich als harte Braut? „Wieviele Anzeigen hast du?“ Da werden die Straftaten abgecheckt. Wer hat das schlimmste Verbrechen begangen? Die darf dann die Chefin sein. Überhaupt ging es gestern hauptsächlich darum, wer die Chefin ist. Die Russin, die gleich bei der Kofferkontrolle ausflippt? Und wie findet frau sich als Gruppe zusammen? Ganz klar, indem man sich ein Opfer sucht, auf dem man rumhacken kann. Gemeinsamer Feind hält warm. Und das Opfer ist schnell gefunden. „Sie sieht voll Hartz4 aus.“ Herrlich, weil die anderen ja alle aus der Oberschicht kommen und  mit ihren Schulabbrecherkarrieren ja sicher Jobs in Führungspositionen anstreben.

So. Opfer gefunden und mit der Lesbe in ein Zimmer verbannt. Dann wird erstmal vorsichtig abgelästert: „Was hälst du von….“ Und dann ganz offen gemobbt. „Lass mal in das Zimmer gehen.“ Und später: „Da stinkt es voll. Geh‘ mal rein.“ Und dann gehen sie zu viert in das Zimmer und stressen rum, als wären sie in diesem „Projekt“, um genauso blöde zu sein, wie sie sowieso den ganzen Tag sind.

Es ist doch auch viel wichtiger, welche Position man in der Gruppe einnimmt, als sich ernsthaft zu ändern. „Ich lass mir überhaupt nichts sagen. Wenn ich was nicht machen will, dann mach‘ ich das auch nicht.“ Aber diese traute Wir halten zusammen, weil die eine so blöd ist – Gang wird nicht lange halten. Denn die haben noch nicht ausgedealt, wer die Chefin ist. Außerdem sind die Mädchen zu unterschiedlich und jede einzelne ist es gewohnt die Chefin ihrer Kleinstadtbahnhofsgang zu sein. Und das Hauptstadtmädchen mit den drei Kindern, die nicht mehr bei ihr leben, wird sich aus allem raushalten, denn die anderen werden sie nie akzeptieren und solange die die andere als Opfer haben läuft ja alles gut für sie. Sie kann sich schön hinter ihrem „Ich will mich ändern, denn ich will meine Kinder zurück“ verstecken.

Lustig und überraschend war, dass die Psychologin nicht mit den Mobbern, sondern mit dem Opfer gesprochen hat: „Du hast dich zurückgezogen und nicht gezeigt, dass du auch so eine harte Schlägertussi bist wie die anderen.“ Das Gespräch war eher ein Vorwurf, dass sie nicht so bescheuert ist wie die anderen. Oder ist der Ansatz: Einsicht, durch auch mal Opfer sein?

Und das Schöne ist, die Mädchen haben alle soviel auf dem Kerbholz, dass es einem schwer fallen wird, Mitleid zu empfinden, wenn sie dann endlich anfangen zu heulen. Und das werden sie. Heulen. Alle werden heulen. Darüber, dass sie eine schlechte Kindheit hatten, dass sie keine Zukunft haben, dass ihnen ein Nagel abgebrochen ist und weil sie so bekloppt sind und sich selbst hassen. Am Ende werden einige von ihnen wehmütig schwören ein neues Leben anzufangen und dann mit dem nächstbesten Idioten ein Kind bekommen, dass sie dann auch wieder schlecht behandeln. Naja, wenigstens ist damit mein Bedarf an diesen herrlichen Fernsehsendungen ein Leben lang gedeckt.

Die frechen Mädchen

Heute läuft im Bildungssender RTL2 die erste Folge von Die Mädchengang, oder Die schrecklichen Mädchen, ich weiß nicht so genau wie das heißt. Aber ich freue mich schon seit Wochen darauf. Bratzen, Schlampen, weibliches Gesox, unterste Schublade, schlecht geschminkt, ohne Augenbrauen, dafür gerne mit hellgrauen Jogginghosen. Blondierte oder schwarzgefärbte Haare, riesen Ohringe, Klamotten zwischen Ich geh‘ ins Fitnessstudio und Ich muss zur Arbeit in den Puff. Gerne trägt dieses Klientel auch weiße Stiefel und steckt die Jeans da rein. Und das Wichtigste – den Großteil der Freizeit verbringt man im Solarium oder im Nagelstudio. Für sie wurden die French Nails erfunden. Und sie kauen immer Kaugummig – mit offenem Mund, wie Kühe auf der Weide.

Soweit zum Aussehen. Jetzt das Verhalten: Bezeichnend für diese fleischgewordenen Mädchen-Pitbulls ist, dass sie immer sofort hochgehen. Egal was man sagt, sie antworten immer mit: „Waaass??? Willst du in die Fresse, Missgeburt?“ Sie leiden unter einem ausgeprägtem Verfolgungwahn und denken immer man starrt sie an. Ein Paradoxum: Einerseits kleiden sie sich so, dass man sie einfach anstarren muss, weil sie soooo scheiße aussehen und andererseits bekommt man von ihnen aufs Maul, wenn man auch nur in ihre Richtung blickt. Auch wenn sie schon seit Generationen deutsch sind sprechen sie gerne so, als hätten sie einen heftigen Migrationshintergrund. Das finden sie cool.

Jungen gegenüber benehmen sie sich so, als wollten sie ständig Eins in die Fresse. Sie wissen genau, dass die meisten Jungs davor zurückschrecken, Mädchen zu schlagen und gerade deshalb beschimpfen und beleidigen sie Jungen aufs Heftigste.

Und sie haben immer Probleme und sie müssen immer WAS KLÄREN. Hat man solche Mädchen-Exemplare in der Schule, sieht man sie nicht oft im Unterricht, denn sie sind ständig mit anderen Mädchen im Streit und müssen dann stundenlang WAS KLÄREN. Klärt sich aber nie was. Wenn man Pech hat, gibt es auf dem Hof die schönste Mädchenkeilerei.

Oh ich freue mich so, die im Fernsehen zu sehen. Die übertragen einem so schön die eigenen Aggressionen. Wenn man die sieht möchte man sie nur schütteln und waschen und anders anziehen und ihnen normales Sprechen beibringen. Bei uns an der Schule gibt es mehrere solcher Tussis. Zum Glück habe ich nur eine davon in meiner Klasse und die ist auch nur eine milde Version und eigentlich ganz umgänglich. Ich würde mir die Kugel geben, wenn ich solche Weiber unterrichten müßte. Meine Mädchen stressen ja auch ganz gut, aber die sehen wenigstens nicht so häßlich aus und die können auch normal sprechen und so aggro sind die auch nicht. Wenigstens nicht mir gegenüber.

Herrlich, heute geht es los. Und morgen kann ich dann in der Schule alles analysieren. In mehreren Klassen haben wir schon darüber gesprochen. Im Lehrerzimmer guckt ja keiner diesen Schrott. Und ich wette jetzt schon, dass eine von denen ritzt. Und die werden ständig rauchen und saufen und sich die ganze Zeit vor der Kamera produzieren. Und ich werde mit Tee auf der Couch liegen und mich freuen, dass ich keine von denen persönlich kenne und auch keine von ihnen zu irgendeinem Schulabschluss bringen muss. Welcheein Glück ich doch habe.

Ein neuer Beruf?

Nur mal angenommen, ich bin plötzlich  Fachbuchredakteur. Ich arbeite in einem Schulbuchverlag und bin für die neuen Deutschbücher der Oberschulen zuständig. Ich schlafe erstmal gemütlich bis Acht und mache mich dann gut gefrühstückt auf den Weg in die Redaktion. Dort ist es nett, sonnig, alles sehr modern. Ich begrüße die Sekretärin, die mir die Post und einen Kaffee reicht. Dann schlendere ich in mein Büro. Großer Schreibtisch, voll mit herrlichstem Bürokram und ein super Computer mit vielen bunten Post-its. Erstmal Emails checken, Kaffee trinken, Termine angucken. Was steht denn heute an? Meine Lieblingskollegin kommt rein und erinnert mich an das Meeting um 10.30 Uhr im kleinen Konferenzraum.  Bis dahin blättere ich in den neuen Ausgaben der Fachzeitschriften, beantworte zwei-drei Emails und esse einen Apfel.

Meeting: Gesund belegte Brötchen werden gereicht, Mineralwasser und Saft in kleinen Flaschen stehen bereit. Wir besprechen das neue Deutschbuch. Klasse 5, 6, und 7 sind schon raus. Heute: Brainstorming für Themen im Buch und Arbeitsheft Klasse 8. Flip-Chart, Whitboard, Beamer – name it – we have it! Aufgrund meiner langjährigen Schulerfahrung bin ich unter den Kollegen klar im Vorteil. Man hört genau zu, wenn ich was sage. Man fragt mich nach meiner Meinung – immer. Ich bin sozusagen die Verbindung zwischen dem Verlag und der Wirklichkeit. Niemand außer mir hat schon mit Jugendlichen gearbeitet.

Chefredakteur: „Okay Leute, was haben wir? Wo wollen wir hin. Achte Klasse. Vierzehn, fünfzehn Jahre.“ Kurze Pause. Blick in die Runde. Dann: „Frau Freitag, worum geht es in dem Alter? Ich dachte an Tier- und Umweltschutz…“

Ich lehne mich zurück, schließe die Augen: „Tierschutz…Umweltschutz..“ Ich tue so, als würde ich nachdenken, nehme mir eine Flasche Wasser und gieße sie in Zeitlupe ein. Dann spinge ich plötzlich auf, bewege mich zielstrebig zum Beamer.:“ Achte Klasse, wenn Sie nichts dagegen haben, zeige ich Ihnen etwas… Ich habe da eine Kleinigkeit vorbereitet. Jemand macht das Licht aus und auf der Wand erscheint eine rote Fläche, dann ein riesiger Schriftzug: Der gemeine Achtklässler! Lady Gaga singt Pokerface und dann erscheinen Jugendliche auf einem Schulhof. Alleine, in Gruppen, gut gelaunt, im Streit, Mächen, Jungen. Die Musik schafft die richtige Atmosphäre. Alles sehr MTV und trotzdem realistisch. Ich stelle mich neben den Beamer: „Achte Klasse das ist: Verliebtsein, der erste Kuss, Klamotten, Gewichtzunahme, Musik, Streit mit den Eltern, überhöhte Handyrechnungen, Absturz der Schulleistungen, Pickel, Streit mit den Freundinnen, Muskelaufbau bei den Jungen, Solarium, scheiß Eltern, scheiß Lehrer, scheiß Schule und keine Ahnung was man später machen soll. Tierschutz… ? Umweltschutz…? In der achten Klasse geht es nur um die eigene Person!“ Die letzen Worte lasse ich besonders dramatisch klingen. Plötzlich bricht tosender Beifall aus. Der Chef springt auf und umarmt mich: „Frau Freitag, Sie haben uns mal wieder gerettet. Was würden wir ohne Sie machen?“ Und zu den anderen: „Los, los Leute, ihr habt gehört, was die Jugend bewegt! An die Arbeit, bis Donnerstag will ich erste Entwürfe sehen!“

Zufrieden gehe ich in mein Büro und entwerfe ein Kapitel zum Thema Erörterung: Gangsterrap – okay oder nicht okay? Um 13.30Uhr gehe ich in die Kantine und esse einen fettarmen Salat, scherze mit den Kollegen aus, lasse mir noch mal zu meiner Präsentation gratulieren und dümpel dann noch bis um 17.30 Uhr in meinem Büro rum. Dann fahre ich direkt zum Yoga. Abends bin ich fürs Kino verabredet und sehe einen französischen Film in schwarz-weiß.

Um Mitternacht komme ich leicht angetrunken und zufrieden in meine Wohnung, wo ich von zwei netten Katzen begrüßt werde. Glücklich schlafe ich nicht nur ein, sondern auch bis zum nächsten Morgen durch.

Meinen Urlaub verlängere ich durch Überstunden und verbringe den auf traumhaften Inseln. Mein Leben könnte so schön einfach sein…

Der Lehrer und der Samstag

Der Lehrer ist am Samstag müde, weil er am Freitag noch dachte: Jetzt beginnt ein neues Leben – das Wochenende. Am Freitagnachmittag dreht der Lehrer immer voll auf. Statt sich auszuruhen und aufzuräumen quatscht der Lehrer sich die Woche aus der Seele und läuft hochtourig überdreht in den frühen Abend. Da will der Lehrer dann die Freizeitaction, auf die er die ganze Woche verzichtet hat. Plötzlich will der Lehrer leben.

Er telefoniert mit allen drei Leuten, die er noch kennt. Die Hälfte von denen sind auch Lehrer. Dann raucht und trinkt der Lehrer und labert und labert. Obwohl er nur so wenig Freunde hat, verprellt er diese auch noch, indem er sie beim Pokern gnadenlos verlieren läßt und sich dann so lange in seinem Sieg suhlt, bis sie genervt das Lehrerdomizil verlassen.

Alleine bleibt der Lehrer in seiner unaufgeräumten, dafür enorm verauchten Wohnung zurück und kann nicht einschlafen. Er wälzt sich von links nach rechts und denkt über sich, sein Leben und seine Pokerstrategien nach. Klar gewinnt er beim Pokern. Blufft er sich doch auch täglich durch seinen Beruf.

Samstag Morgen wacht der Lehrer auf und fühlt sich extrem unausgeschlafen. Anstatt wie in der Werbung im Bett zu frühstücken und die Zeitung zu lesen setzt sich der Lehrer gleich wieder vor den Fernseher und raucht. Tendenzen der Verwahrlosung. Der Lehrer bildet sich allerdings ein, dass er mit dieser Hartz 4 Lifestyleimitation seinem Klientel näher kommt, Professionalisierung nennt er das. Kopfschmerzen und leichte Übelkeit befallen ihn dort auf der Couch. Er fühlt sich wie ein Entschuldigungszettel seiner Schüler. Draußen nervt die Sonne, die dem Lehrer suggeriert, dass er den ersten Frühlingstag und überhaupt den ganzen Frühling versäumen wird, wenn er sich nicht sofort auf die Straße begibt.

Draußen sind überall zufriedene Kleinfamilien oder gutaussehende Alleinemenschen, die sich geschäftig durch den Vormittag bewegen. Zielstrebig und glücklich, denn sie haben bestimmt alle noch die super Nachmittagspläne, bevor sie dann auf die Megasamstagnachtparties gehen. Der Lehrer schleicht sich einsam um ein Parkhaus und denkt spazieren gehen, spazieren gehen, spazieren gehen, Vitamin D, Vitamin D, Vitamin D. Heimlich wünscht er sich Regen, damit er sich wieder in seine verrauchte Bude verziehen kann. Ein elender Wettersklave ist er geworden.

Zu Hause denkt er essen, rauchen, Couch und schläft erschöpft vom Nichtstun ein. Erwacht und der Tag ist vorbei. Man versteht eigentlich nicht, warum sich der Lehrer immer wieder so übertrieben auf das Wochenende freut, wenn er dann mit dem Samstag überhaupt nichts anzufangen weiss. Und nach dem Samstag kommt ja auch noch der Sonntag. Wäre der Lehrer stark religiös hätte er wenigstens an diesem Teil des Wochenendes weniger Probleme.

Der Mensch braucht Struktur

So, wieder eine Woche rum. Jetzt sind doch auch bald die Osterferien, oder? Wie ist das eigentlich in den richtigen Berufen? Merkt man da auch so deutlich, dass die Zeit vergeht? Und wie gliedert sich das Arbeitsjahr eines Nichtlehrers. Ihr habt ja NUR euren popligen Urlaub, den ihr euch aber dann schön außerhalb der Ferienzeiten legen könnt – es sei denn ihr habt Kinder, sorry, aber das wolltet ihr ja so, oder?

Jetzt können sich mal alle angesprochen fühlen, die hier mitlesen und nicht diesen wunderbaren Traumjob des Lehrens ausüben. Ihr, die ihr doch im Gegensatz zu uns viel härter und länger und richtiger arbeitet. Ihr arbeitet wahrscheinlich auch am Wochenende und an Weihnachten. Im Gegensatz zu euch weiß ich nämlich nicht, wie sich ein NORMALER Beruf anfühlt. Komischerweise weiß ja jeder über den Lehrerberuf Bescheid. Und das nur, weil man mal Schüler war. Ich bin auch schon mal im Flugzeug geflogen, würde mir aber nicht anmaßen, irgendwas zum Beruf des Piloten zu sagen. Ich esse jeden Tag Brot. Aber was verstehe ich vom Bäckersein? NIIICCCHHTTSSS!

Für uns teilt sich das Arbeitsjahr in drei Hälften. (Schön gesagt, oder? Man merkt, dass ich kein Mathelehrer bin.) Die eine Hälfte ist das erste Halbjahr, die zweite Hälfte ist das zweite Halbjahr und die dritte Hälfte ist der große Neidfaktor: Sommerferien. Zur Zeit befinden wir uns auf der Anfangsstrecke zweites Halbjahr, steuern auf die Osterferien zu und ab da geht es zielstrebig in einem Rutsch zu den Sommerferien. Die schlimmste Zeit ist zwischen den Herbst- und den Weihnachtsferien, am schönsten ist es im Mai – bedingt durch etliche freie Tage. Die natürlich nur uns Lehrern bekommen und die wir eigentlich gar nicht verdient haben.

Mit gefällt diese Zerstückelung des Jahres ganz gut. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, eine Arbeit zu machen, die das ganze Jahr ähnlich oder sogar gleich ist. Wahrscheinlich strukturiert die sich ja auch – Inventurzeit, Zwischenden-jahrenzeit, dichte Auftragslagenzeit usw.

Aber heute beginnt erstmal die kleine Ferienzeit – das Wochenende. Regeneration. Also herzlichen Glückwunsch zum Wochenende. Die nächste Woche kommt bestimmt.

Frühlingsmission Teil II

Erste Stunde, ich komme rein, bin übertrieben nett. Warte, Tafelanschrieb, warte, dann Schülergrüppchen. Ich: smile! „Guten Morgen, ihr Lieben.“ Schüler: smile. Ich übertieben weiter nett sei. Schüler auch übertrieben nett. Wir alle total happy. Ich bin so glücklich, dass ich mich mit der Hälfte der Klasse gleich für die Mittagspause verabrede.

Zweite Stunde. Gleiche Schüler wie eben, nur weniger. Wir rücken voll übertrieben nah zusammen, machen gemeinsam den herrlichsten Frontalunterricht, der nur funktioniert, wenn man sich voll lieb hat. Wir lieben uns alle und arbeiten wunderbar zusammen. D.h. ich arbeite am meisten, aber sie murren nicht, wenn sie etwas von der Tafel abschreiben sollen.

„Kriegen wir heute alle eine Eins?“ fragt Sabine.

Ich „Wofür, dafür, dass ich die Tafel voll geschrieben habe?“ kurze Mental-Note zu mir: Ich wollte doch nicht ironisch oder sowas sein. „Ja, ich merke, dass ihr euch heute alle sehr anstrengt.“ Beim Rausgehen sagt Esra sogar: „Hat Spaß gemacht heute.“ Und ich muss zugeben: „Ja, mir auch.“ Glücklich gehe ich in die Pause. Rauche und denke, ich bin doch wirklich eine Superlehrerin. Bis der Englischlehrer kommt und mich mit Horrormeldungen über meine Klasse zutextet. Die gleichen Kinder, die eben noch so übertrieben gut bei mir gearbeitet haben. Ich denke: Tja. Lächle ihn an und sage irgendetwas, was ich schon wieder vergessen habe, dann klingelt es zum Glück.

Freistunde. Lehrerzimmer. Höre mir diverses Gejammer an. Meckere ein wenig mit – so auf bildungspolitischer Ebene – eine sichere Art des Meckerns, denn keinem Anwesendem tut es weh und man stärkt die Solidarität und die Chance ist recht gering, dass jemand das hört und sagt: „Frau Freitag, wenn Sie hier so schlau daher reden, dann kommen Sie jetzt mal gleich mit und verändern Sie das Bildungssystem, Sie scheinen ja ganz genau zu wissen wie das geht.“

Innerlich erquicke ich mich ja immer noch an dem Ich bin Superlehrer-Gefühl.

Plötzlich Anflug von leichtem Kopfschmerz. Laune droht zu kippen. Es klingelt zum Unterricht. Kunst. Einige Schüler pünktlich, andere nicht. Innerlich steigt Wut auf: Warum kommen die kleinen Scheißer eigentlich jedesmal zu spät. Jetzt holt der auch noch sein Trinken raus. Warum muss ich dem da hinten eigentlich immer wieder sagen, dass der seine bescheuerte Baseballkappe absetzen soll. Die Mädchen checken das wohl auch nie, dass ich nicht möchte, dass ihre häßlichen Lederimitatsbeutel, die sie Schultaschen nennen auf den Tischen liegen. Jetzt holt die Tussi auch noch ihren Lippenstift raus. Der neuste Trend ist ja momentan Handcreme großzügig an alle Mitschüler verteilen. Das machen vor allem die Jungen, weil sie sich wohl nicht schminken können und auch irgendwas haben wollen, was den Unterricht stört. Ich denke: Nicht aufregen. Hinsetzen und warten. Ich bin doch der Frühling. Ich bin doch die aufgehende Morgensonne. Lächeln!!! Ich grinse gequält und sehe mich im Raum um – eine Mischung aus Kosmetiksalon und Restaurant. Außer mir ist kaum jemand daran interessiert, die bombenspitzenmäßige neue Aufgabe, die ich schon motivationshalber an die Tafel gehängt habe erklärt zu bekommen.

„Was ist Frau Freitag, warum gucken sie so schlecht gelaunt?“

Ich – schlecht gelaunt…was soll das jetzt? – mein Kopf schmerzt immer mehr. An Anfangen ist gar nicht zu denken. Mützen, Taschen, essen, schminken und endloses Gequatsche. Ich hole tief Luft und erkläre, warum ich einen Anflug von schlechter Laune bekomme bei dem Anblick, den sie bieten.  Sie murren, wiegeln ab und lassen dann doch die Einführung über sich ergehen. Als ich das Material verteilt habe, fragt Erol: „Frau Freitag, haben Sie einen Bleistift?“

Mittlerweile bin ich schon längst kein Frühling mehr, sondern notiere mir in meinem Notenheft, dass Erol WIEDER keinen eigenen Bleistift dabei hat. Er sieht das, leiht sich einen Bleistift und verlangt, dass ich den Eintrag wegstreiche. Ich betone, dass er keinen EIGENEN Bleistift hat. Er schmeißt den geliehenen Bleitift in den Mülleimer und schmollt lautstark an seinem Platz.

Irgendwann ist auch dieser Schultag vorbei und ich schleppe mich schlecht gelaunt nach Hause, nehme Aspirin und stelle frustriert fest: Ein Sonnenstrahl macht wohl doch noch keinen Frühling.

Ab morgen kommt der Frühling

Ab morgen mache ich alles anders. Ab morgen werde ich ein neuer Mensch. Warum? Einfach so. Mein persönliches Experiment zum Wochenende.

Ich werde nett sein. Übertrieben nett, zu allen. Zu den Schülern, den Kollegen, den Hausmeistern, den Sekretärinnen, der Schulleitung, sogar zu den ganzen seltsamen MAE-Kräften, die sich in unserer Schule tummeln. Vielleicht auch schon zu den Leuten auf der Straße und denen in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Ab morgen kein Zynismus mehr, keine gemeinen Sprüche zu den Schülern, auch wenn die mir noch so drängend im Kopf rumschwirren. Aktives Zuhören, Empathie, Herzenswärme. An den Beziehungen arbeiten ist morgen angesagt. Mich um alle Problem der Schüler kümmern. Mögen sie auch noch so bescheuert sein. „Und dann hat sie gesagt und dann hab’ ich gesagt und dann hat sie gemeint….“ Ich werde zuhören (aktiv), spiegeln, Konflikte erhellen, auswerten, zusammenführen, schlichten, zur Versöhnung beitragen und natürlich positiv verstärken. ETEP lebt!

Wenn es nichts zu loben gibt, dann wird eben nichts gesagt. Ansonsten loben, loben, loben!!! „Du atmest, toll! Das machst du super! Da kannst du bestimmt auch den Stift nehmen und die Aufgabe bearbeiten.“ „Du hast keinen Bleistift? Macht doch nichts, die sind auch nicht zu leicht zu beschaffen. Beim Bäcker gibt es die ja nicht und ich verstehe, dass du immer vergisst dir einen zu kaufen. Hier nimm’ meinen, kannst du behalten. Überhaupt, wartet mal, ihr bekommt heute alle einen Bleistift von mir geschenkt. Woll’n wir mal nicht so geizig sein. Hier Samira, verteile mal.“ „Ach Abdul, du hast dir zwei genommen…kein Problem, ich sehe daran, dass du dir wirklich vorgenommen hast zu arbeiten.“

Das wird super, das wird ein ganz neues Leben, ganz neue Erfahrungen. Ich weiß mittlerweile ziemlich gut, wie es ist, mit schlechter Laune zu unterrichten. Mal sehen, wie ich morgen als lebender Sonnenschein rüberkomme. Frau Freitag bringt den Frühling in die Schule. Herrlich. Ich freu’ mich!

Und das alles geht bestimmt auch ohne Vorbereitung, dazu hab’ ich nämlich heute gar kein Bock mehr. Lächeln muss reichen…