Der Ton und die Musik

Okay, ich habe ein bisschen Kopfschmerzen und ich glaube ich werde krank. Der Hals kratzt. Heute darf Dieter nicht im Auto rauchen. Soviel steht schonmal fest. Ich sage einfach: „Kannst du heute mal bitte nicht rauchen?“ Oder soll ich das gar nicht als bittende Frage formulieren, sondern sagen, dass ich nicht möchte, dass er im Auto raucht? Vielleicht denkt er dann ich bin zickig. Ich glaube das denkt er sowieso. Und soll ich das vorher sagen, also, wenn er noch gar nicht raucht, oder so eher beiläufig, wenn er die Packung rausholt? Wie formuliert man das am besten? Und soll ich dann auch gleich sagen, dass er mich nicht immer Mensch Mädel nennen soll?

„Ich hab vorhin festgestellt, dass du ein halbes Jahr älter bist, als mein Sohn.“, sagt Dieter zur Begrüßung.
„aha.“
„Aber nicht, dass du mich jetzt Papa nennst.“
„Nee, nee, keine Angst.“
„Hehe, das wäre ja was. Papa. Weil ich könnte ja dein Vater sein.“
Bist du aber nicht, denke ich. Und ich habe gar nicht das Bedürfnis, jeden Mann, der älter als ich ist, Papa zu nennen. Das wäre ja auch seltsam. „Herr Schulleiter, Papa, äh, sorry…“
Da braucht der Dieter also keine Angst zu haben.

Wir gehen zum Auto und er raucht. Ich rauche nicht, weil ich ja sonst meine‘ ich bin ein bisschen krank‘- Story später nicht so gut rüberbringen kann. Dieser Weg zum Auto ist immer etwas unangenehm. Worüber redet man. Ich versuche mir immer neue Fragen zur theoretischen oder zur praktischen Prüfung auszudenken und Dieter labert immer irgendwas vom Wetter.

Wir fahren so rum. Ich versuche alles richtig zu machen. Entspannt mit dem Rücken am Sitz zu kleben und nicht wie ich mir das bei Frau Dienstag abgeguckt habe mit der Nase an der Windschutzscheibe zu hängen. Ich bemühe mich sehr die Kupplung ganz weich kommen zu lassen und dabei noch sanft Gas zu geben. In meinem Kopf höre ich dauernd: „Rückspiegel, Seitenspiegel, Schulterblick, Rückspiegel, Seitenspiegel, Schulterblick…“. Ich möchte wirklich alles richtig machen. Nur eine Sache vergesse ich immer: Bevor ich blinke, wenn ich zum Beispiel auf eine rote Ampel zufahre, da vergesse ich immer wieder in die Spiegel zu gucken. Irgendwie geht das nicht in meinen Kopf rein, dass ich in die Spiegel gucken soll, wenn ich nur auf die rote Ampel zurolle und noch gar nicht abbiege. Ich muss ja später sowieso nochmal…. aber ich soll ja nicht denken. Ich soll ja nur machen, was Dieter sagt. Und Dieter sagt: „Einparken.“ Heute parken wir, was das Zeug hält. „Spiegel auf Spiegel, rollen lassen, anhalten, nochmal gucken, dann hart nach rechts eindrehen, bis 45 Grad entstehen, und dann nach links lenken.“ Und irgendwie will das nicht klappen. Ich lande entweder auf dem Bordstein oder zu stumpf oder zu spitz irgendwo, wo ich dann nicht mehr einparken kann. „Mensch Mädel, ich hab doch gesagt 45 Grad. Warum machst du das denn nicht.“ Ich versuche es immer wieder. „Mensch Mädel, mach doch einfach, wie Dieter sagt. Jetzt hast du zu langsam gelenkt. Jetzt zu schnell. Toll, das war der Bordstein.“ Was mache ich nur falsch? Ich will das wirklich lernen. „Sag mal Dieter, 45 Grad von was denn eigentlich?“
Er erklärt mir von was. „Weißt du nicht was 45 Grad sind?“ Naja, denke ich 5 Grad wärmer als beim Bikram-Yoga. „Du hattest doch Geometrie, oder nicht?“
„Ja, ja schon. Aber ist schon etwas länger her.“ Hier ein schönes Beispiel, wo Mathe dann doch mal im Alltag vorkommt. hätte ich damals mal besser aufgepasst. Ich probiere weiter und irgendwann klappt es. Ich erwarte Lob. Lob kommt nicht. Statt Lob heißt es nur: „Nächste Möglichkeit nach rechts.“ Wir sind wieder auf einer großen Straße. Ich fahre 50. Schalte weich, bremse vorbildlich, biege tangential ab. Ich finde ich mache alles gut.

Dann fahren wir auf eine rote Ampel zu.
„An der Ampel links abbiegen.“, sagt Dieter und ich betätige den Blinker.
Plötzlich haut Dieter mit der Hand gegen das Plastik vor ihm. „Du hast wieder nicht in die Spiegel geguckt. RÜCKSPIEGEL, SEITENSPIEGEL, SCHULTERBLICK! WIE OFT SOLL ICH DAS DENN NOCH SAGEN?“ Oh Scheiße, das hatte ich wirklich vergessen. Aber die Ampel war ja sowieso noch rot und…
„Ich sage das immer wieder und du machst das nicht.“
„ich mach das doch nicht mit Absicht nicht.“
„Mehr als dir das immer wieder zu sagen, kann ich aber nicht. Dann sage ich dir das einfach nicht mehr.“
Häh? Wie ist er denn jetzt drauf?
„Häh? Was meinst du?“
„Na, dann sage ich dir das einfach nicht mehr. Und dann wirst du ja sehen, in der Prüfung…“
„Moment mal! So geht das ja wohl nicht. Du MUSST mir das doch sagen! Du bist doch der Fahrlehrer!“
„Wieso? Wenn du nicht machst was ich sage, dann bringt das doch nichts. Dann kann ich das auch sein lassen.“
Jetzt werde ich auch lauter: „Häh? Soll ich dann einfach auch mal keine 50 Euro mehr mitbringen? Deine Aufgabe ist doch mir das beizubringen. Und ich LERNE das noch und wenn ich das nicht mache mit dem Blinken, dann, weil ich es vergesse. Wenn du denkst, dass ich so ein hoffnungsloser Fall bin und du mir das nicht beibringen kannst, dann gib mich doch an Murat ab.“
Der spinnt ja wohl… „dann sagt er mir nichts mehr“… das ist sein verdammter Job!

Wir fahren schweigend weiter. Ich mache das Fenster auf. „Mensch ist das voll hier. Was ist denn heute los?“ Dieter wechselt das Thema, plaudert den Rest der Stunde über irgendwas. Ich parke nochmal ein. Er lobt mich sogar. „Ja, war okay jetzt.“
Rauchen will er auch nicht.

An der Fahrschule steht Murat. Dieter gibt mir die Hand. „Und geh in dich!“, sagt er. Jetzt reicht es aber. Ich sage: „Du aber auch!“ Er guckt mich verwundert an. „Dieter, der Ton macht die Musik! Ich möchte nicht die ganze Zeit angemeckert werden!“ Das wird ihm zu denken geben. Vielleicht hört nach dem Rauchen im Auto auch das Mensch Mädel und das Gezeter auf… Vielleicht friert aber auch morgen die Hölle zu.

Die Erika

„Kannst du das Fenster aufmachen?“, frage ich. Dieter raucht mittlerweile Kette, während er mich mit genervtem Ton durch Tempelhof manövriert.
„Fenster is doch auf.“
„Aber ein bisschen weiter, die Luft ist so schlecht und es ist so warm hier drin.“
Wir diskutieren hin und her und dann mache ich mein Fenster auf, aber dann zieht es ihm und irgendwann sage ich, dass es ja auch nicht normal sei, dass der Fahrlehrer während der Stunde raucht. Er wundert sich, weil ich ja auch rauchen würde. Ja, aber eben nicht während der Fahrstunde und das sei ja auch nochmal was anderes – draußen oder im Auto rauchen.

Heute versuche ich nur zu machen, was Dieter sagt. Wenn er nichts sagt – zum Beispiel wohin ich lenken soll beim Einparken, dann bleibe ich einfach stehen und warte. Nicht denken. Das hat er mir jetzt so oft gesagt, dass ich wirklich aufhöre zu denken und warte, bis ich seine Anweisungen höre. Ich antworte sogar einmal: „Mit yes, Sir.“ Ich bin aber auch kurz davor einfach das Auto zu verlassen und zur U-Bahn zu gehen. Dieter neben mir – das ist absurdes Theater. Er ist so eine Karikatur eines Fahrlehrers. Eines Berliner Fahrlehrers. Berliner sind ja schon an sich wie Fahrlehrer. Ich bin ja selbst Berliner, weiss also wovon ich spreche. Und dann ist Dieter auch noch alt.

„Weisst du was ich gerne wüßte?“, fragt Dieter.
„Nee.“
„Ich wüßte gerne, was die Erika macht.“
Ja, das wüsste ich auch gerne. Das nervige an so Dieter-Typen ist, dass sie immer erwarten, dass man nachfragt. Ich glaube sie denken, dass ist dann gelungene Konversation. Sie fragen was und dann müsste man ja eigentlich antworten. Aber was antwortest du denn auf „Weisst du was ich gerne wüsste?“? Also musst du wieder nachfragen. „Was wüsstest du denn gerne?“ Na ja, jedenfalls die Erika.
„Die hatte ich kurz nach meiner Scheidung kennen gelernt. Eine süße Maus war das. Aber die Kleene hat leider so geklammert.“
„Oh.“
„Tja, ja. Die Erika… dit wurde dann ooch nüscht mit uns beeden.“
„Bist du denn jetzt verheiratet, Dieter?“
„Nee.“
„Na, dann melde dich doch mal bei der Erika.“ Ich erwarte ein: „Gute Idee, das werd ich mal machen.“ Stattdessen: „Die hat wahrscheinlich vier Gören und so einen Arsch.“ Die rechte Hand hat Dieter an der rechten Scheibe und die linke vor meinem Gesicht. Sooo dick ist Erikas Arsch wohl jetzt.
„Ist doch gut.“, sage ich. Außerdem könnte Dieter froh sein, wenn ihn Erika noch nehmen würde. So mit dem Raucherhusten, dem klapperndem Gebiss und dieser ewigen Sprücheklopferei. Aber was weiss ich denn schon. Ich soll ja nicht denken. ich soll ja nur machen, was Dieter sagt.

Ich denk Dieter

Dieter stresst. Das Wetter stresst auch. Es ist zwar voll warm aber depressiv grau draußen. Und man schwitzt sofort. Draußen und auch im Auto, weil Dieter immer die Heizung so aufdreht.
„Mensch Mädel, warum machst du nicht einfach, was ich dir sage?“, fragt Dieter, nachdem die Fahrstunde vorbei ist und wir in dem überhitzten Auto sitzen. Ich starre geradeaus. „Einfach nur machen, was ich sage.“
„Ja, ja, ich weiss. Nicht denken.“ Du sollst nicht denken, sagt er immer. Was ist das für ein komischer Satz? Nicht denken… das kann ich gar nicht. Ich denke: Dieter, du rauchst zuviel. Dieter, rauch doch bitte nicht während der Fahrstunde. Dieter, sag doch nicht immer „Mensch Mädel“. Dieter, erzähl mir bitte nicht dauernd so einen Scheiß mit Küche und Multitasking und Frauen und Männern und Autofahren. Dieter, sag doch einfach, dass du denkst, dass Frauen es nicht drauf haben. Ach Dieter, denke ich, wenn du wüsstest…

„Ich sag doch ganz genau, was du machen sollst.“ Irgendwie ist Dieter der Meinung, dass ich mit Absicht die Kupplung in den falschen Momenten trete. Ich bin mir gar keiner Schuld bewusst. Ich mache alles so wie immer. Nur heute ist das wohl falsch.
„Hast du denn den Eindruck, dass ich nicht mache, was du sagst?“, frage ich. Ruhig mal was fragen – kommt immer gut.
„Ja, den Eindruck habe ich.“ Natürlich mache ich immer noch viele Fehler, auch wenn ich heute voll gut rückwärts eingeparkt habe, aber die mache ich doch nicht mit Absicht. Denkt Dieter, dass ich die Fehler mit Ansicht mache? Was hätte ich denn davon? Ich versuche die ganze Stunde nur das zu machen, was er mir sagt und er meckert die ganze Zeit rum. Es muss schwer sein, Fahrlehrer zu sein. Die, denen man das beibringen soll, die können ja nicht Autofahren.

Sorry Dieter, ich will dir das Leben nicht so schwer machen. Ich werde mir mehr Mühe geben. Versprochen. Vielleicht ist Dieter auch nur schlecht drauf. Dabei habe ich ihn sogar versucht mit einem Witz aufzuheitern.

„Weisst du was ich gestern gemacht habe?“, fragt er, als wir durch die Dreißigerzone schleichen.
„Nee?“
„Ich hab unter meinem Bett gesaugt und das Bett gewischt und das Spannbettlaken abgezogen und ein neues auf die Matratze gemacht…“
„War schon wieder ein Jahr rum, ja?“, frage ich, weil ich glaube, dass so was Dieters Humor ist. Mike hätte das Bettthema ganz anders aufgezogen.
„Was?“, fragt Dieter.
„War schon wieder ein Jahr rum, oder wie?“
„Nee, zwei.“
Oh Mann Dieter mein Witz war ja schon lahm aber deiner ist ja nun unterirdisch. Zwei Jahre das Spannbettlaken nicht wechseln ist ja nun nicht doppelt so komisch wie ein Jahr. Ein Jahr ist doch schon eklig. Oder wechselst du das wirklich nur einmal im…
Und überhaupt – ist das beziehen des eigenen Bettes eine Wochenendebeschäftigung, die so toll ist, dass man die weitererzählt? Na, wenn man das selten macht, dann ja. Und Dieter, weisst du, was ich gestern gemacht habe? Ich hab mir die Zähne geputzt. 2016 ist ja wieder ein Schaltjahr.


Ich bin dann wohl Hans

Ein Brief. Ein offizieller Brief mit einem Adressenfester. Finanzamt? Nee, die haben doch immer so Umweltschutzbriefumschläge. Was steht denn da oben, über meiner Adresse in einer 4er Schrift?
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten. Hähhh? Was ist das denn? Was habe ich falsch gemacht? Welche Ordnungswidrigkeit habe ich denn begangen. Ich zeige dem Freund den Brief. Er hat gar kein Mitleid, sondern verarscht mich nur: „Oh, hat der perfekte Bürger was falsch gemacht? Auwei auweia, kommt die Polizei gleich?“ Der Doofe.
Ich öffne den Brief. Und es ist die Zulassung zur Prüfung zur Ersterteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B.
Au Backe, jetzt schon. Ich könnte jetzt morgen die theoretische Prüfung machen. Und dann auch bald die praktische. Ich hatte mit dem Brief so Anfang Februar gerechnet. Jetzt ist mir das noch alles viel zu früh. Ich übe zwar immer ein bisschen mit meiner Führerschein-App. Aber ich hatte noch nie null Fehler und das mit der Brems- und Anhaltewegberechnung, das schiebe ich nun schon Wochen vor mir her. „Das gucke ich mir dann noch mal genauer an.“

Ich gehe zur Fahrschule. Dieter steht schon im Schnee und raucht. „Rate mal, was ich heute bekommen habe!“, sage ich.
„Deinen Zulassungsbrief für die Prüfungen.“
Ich nicke. „Ich weiss aber gar nicht, ob ich schon genug kann.“
„Weisst du was mein Grundschullehrer immer gesagt hat?“
„Nee.“
„Der hat immer gesagt: Was Hänschen nicht lernt lernt Hans nimmer mehr.“
Dann bin ich wohl Hans. Aber was will Dieter mir damit sagen?
„Häh? Was meinst du denn damit? Meinst du ich kann das nicht mehr lernen, oder wie?“
Dieter legt mir großväterlich den Arm um die Schulter: „Mädel. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass man in deinem Alter…“
„Jetzt komm mir nicht schon wieder damit. Das habe ich zur Genüge in der alten Fahrschule gehört. Ich weiss, ich weiss. Ich bin alt und kann nichts mehr dazu lernen. Was heißt dass denn jetzt? Dass ich die theoretische Prüfung nicht machen kann, oder was?“ Langsam nervt mich diese komische Einstellung wirklich.
„Und Dieter, hast du mir nicht neulich erzählt, dass die beiden Jungs die bei dir Fahrstunden nehmen, mit über 25 Fehlerpunkten durch die Theorie geflogen sind? Und das waren ja wohl Hänschens.“
„Die waren faul.“
„Ach, aber die waren doch so toll jung. Ist ja komisch, dass das nicht immer hinhaut, dass die Jugend alles so toll und schnell lernt.“

Später im Auto geht es dann weiter.
Wir sprechen über die Prüfungen. Es stellt sich raus, dass auch junge Leute durchfallen können. Und dann sagt Dieter: Intelligenz hat nichts mit Autofahren zu tun.“ Ich denke: Häh?
„Du meinst Autofahren hat nichts mit Intelligenz zu tun:“
„Nee, nee, Intelligenz hat nichts mit Autofahren zu tun. Es gibt Airbuspiloten, die sehr sehr schlechte Autofahrer sind.“
Jetzt kann ich gar nicht mehr folgen. Es gibt bestimmt auch sehr intelligente Leute, die nicht Airbusse fliegen. Vielleicht nicht mal Auto fahren und ist jetzt der Airbuspilot der Inbegriff von Intelligenz? Und gibt es da erwiesene wissenschaftliche Untersuchungen?“
Ich rolle an die Ampel. Wie sagt Dieter immer: „Erst halten, dann schalten.“ Und: „Mensch Mädel, du sollst nicht denken. Du sollst einfach machen was Dieter dir sagt.“ Na gut.

Was arbeitest du eigentlich?

„ERST FAHREN, DANN LENKEN!!! Mensch Mädel, warum machst du denn nicht, was ich sage?“ Irgendwie klappt das heute mit dem Einparken nicht so gut und Dieter zetert und zetert. „Mach das doch einfach so, wie Dieter dir das sagt!“ Ich nehme einen neuen Anlauf. Wieder alles falsch. „Mensch Mädel, warum fährst du nicht langsam, wenn ich sage langsam?“
„Vielleicht, weil du mich mehr anmeckern musst.“, sage ich.
„Ich meckere doch gar nicht. Ich sage dir nur, was du machen sollst.“
„Aber wahrscheinlich musst du mir das einfach noch aggressiver sagen.“ Ha, paradoxe Intervention. Dieter wird ein bisschen ruhiger. Ich fahre aus der Parklücke raus.
„Ich bin doch nicht aggressiv. Ich bin die Ruhe selbst.“ Ich muss lachen. „Was? Du? Die Ruhe selbst? Du bist doch total aggressiv und ich lass mich nicht gerne anmeckern.“ Und wenn ich eins bei diesen ganzen Fahrstunden gelernt habe, dann ist dass, wie wichtig mir Lob für jeden kleinen Scheiß ist und wie krass sich das anfühlt, wenn man angemeckert wird. Eine wichtige Erkenntnis für eine Lehrerin, die sich nun schon seit 15 Jahren durch irgendwelche Lerngruppen meckert.
„Du bist wahrscheinlich zu ungeduldig. Ihr jungen Leute seit heute alle so ungeduldig.“, sagt Dieter, jetzt in einem sehr viel netterem Tonfall. Schön, dass ich für ihn Teil von junge Leute bin. Das war ich ja bei Harald nie. Aber im Vergleich zu Dieter bin ich ja auch ein Spring Chicken.
„Ihr seid alle sooo ungeduldig. Das hängt meistens mit eurem Beruf zusammen. Was machst du denn?“, fragt er.
Oh Gott. Beruf. Was sage ich denn jetzt. Lehrerin auf keinen Fall. Soll ich es jetzt mal mit dem Rodeoreiten probieren? Ich könnte ihm was von saisonbedingter Pause erzählen. Aber wenn er dann nachfragt? Am Ende kennt er sich noch mit Rodeos aus. „Nun sagt doch mal, was du arbeitest.“
Ich schüttel den Kopf und mache eine wegwerfende Handbewegung. Die sowas wie: Ach frag nicht weiter nach, das willst du gar nicht wissen, ausdrücken soll. Auf der Bank habe ich mal den Bankpeoples die mir irgendwelchen kurz- mittel und langfristigen Anlageschmonz verkaufen wollten auf die frage, womit ich mein Geld verdiene gesagt: Prostitution. Das war der Brüllet. Aber wenn ich das jetzt sage, dann fragt Dieter garantiert nach und die Chancen sind groß, dass er sich da besser auskennt als ich.

Dieter lässt nicht locker: „Wie, also machst du gar nichts? Dann bist du Hausfrau.“ Wir stehen an der Ampel und warten auf grün. Ich gucke zu Dieter und sage: „Hausfrau? Nicht mal dis!“ Anlügen will ich ihn ja auch nicht und wenn man so dermaßen gar nichts im Haushalt tut wie ich, dann kann man sich nun wirklich nicht Hausfrau nennen. Außerdem wohne ich in einer Wohnung. Soll ich einfach sagen, dass ich im Lotto gewonnen habe und jetzt nie mehr arbeiten muss? Nee, lieber nicht, dann brummt der mir doch bestimmt endlos viele Fahrstunden auf.

Ich Wechsel einfach das Thema: „Sag mal Dieter, bei der Prüfung, muss man da auch wenden können?“ Und schon ist es egal, was ich arbeite und ich erhalte einen schönen Mensch-Mädel-Vortrag über was alles in der Prüfung drankommt. Ich konzentriere mich auf die Straße und lasse Dieter neben mir reden. Ist wie Radio. Läuft einfach so und man muss sich das auch nicht die ganze Zeit anhören.

Als wir uns verabschieden erzählt mir Dieter von seinen Nachmittagsplänen. „Jetzt habe ich noch eine Fahrstunde und dann muss ich nach Hause. Die Putzfrau kommt.“ Er macht eine kurze Pause. „Ich leiste mir jetzt eine Putzfrau.“ Ich gucke ihm direkt in die Augen und sage: „Na hoffentlich ist die auch angemeldet!“ Dieter schluckt. Ha, jetzt hab ich es! Wenn er nochmal fragt, dann sage ich, ich bin beim Finanzamt!

Mike wird gedisst

„Mensch Mädel, warum fährst du denn im zweiten Gang an?“, fragt Dieter und ich antworte mal gar nicht. Warum wohl, Dieter? Wahrscheinlich, weil ich vergessen habe nach dem Halten in den ersten Gang zu schalten. Die Welt dreht sich trotzdem weiter.

„Was ist jetzt eigentlich mit Mike?“, frage ich.
Dieter atmet schwer aus und dann seufzend ein. Ein guter Fahrlehrer würde mir jetzt nichts sagen und an der Sache mit der Krankschreibung festhalten. Er darf mir nicht sagen, was mit Mike wirklich los ist. Er darf mir auch nicht sagen, was Mike hat, falls er wirklich krank ist.

„Der ist weg.“, sagt Dieter. Weg. Was soll das denn heißen? Die Erde hat sich aufgetan und ihn verschluckt? Er hat seine Sachen gepackt und ist über die Türkei nach Syrien abgehauen. Er ist durchgebrannt mit der Steffi und sie stehen jetzt, in diesem Moment in Las Vegas vor einem falschen Elvis und geben sich das Ja-Wort.

„Der hat einfach gekündigt.“ Ach, der war also gar nicht krank…
„Erst schrieb er, dass er krank ist und dann kam eine SMS, dass er aufhört.“ Dieter schüttelt den Kopf. Das mit der SMS, das missbilligt er bestimmt.

„Mit SMS, tzzzz. Aber wir waren sowieso nicht so zufrieden mit ihm.“ Ach, nicht zufrieden mit Mike… Interessant. Und eigentlich dürfte Dieter jetzt gar nicht weiterreden. Das macht man doch nicht! Das DARF er nicht!

„… wir haben ja jetzt seine Fahrschüler. Also die haben wir aufgeteilt. Der Chef hat die eine Hälfte und ich habe die anderen.“ Ah, bin ich also ein Teil von den Anderen. „Und wir sehen ja jetzt, dass er denen fast nichts beigebracht hat.“ Au Backe, jetzt geht es aber ans Eingemachte. „Der ist einfach nur spazieren gefahren. Das ist der. Spazierengefahren.“ Soso. Spazierenfahren heißt wohl so in Fahrschullehrerkreisen, dass man den Fahrschülern nicht genug beibringt. „Die eine, die Steffi, die meinte er ist gleich in der zweiten Stunde mit ihr auf die Autobahn gefahren.“ Dieter schüttelt wieder den Kopf. Wahrscheinlich ist das unter Fahrlehrern verpönt oder verboten oder schlecht, wie Frontalunterricht und Lehrerecho. Jedenfalls macht man das wohl nicht. Mit mir war Mike ja auch gleich auf der Autobahn.

„Nee, nee, zweite Stunde und gleich Autobahn. Da ist er dann gefahren.“ Das scheint auch so ein Fahrlehrerspruch zu sein: „Er ist gefahren.“ So vom Beifahrersitz aus. Oder telepathisch oder durch bloße Willenskraft. Ich sag mal lieber nicht, dass ich mit Mike auch auf der Autobahn war. Ich fand das eigentlich ganz gut, auch wenn ich anscheinend nicht selbst gefahren bin – aber wenigstens hatte ich dann später nicht so einen Schiss vor der Autobahn. Jetzt bin ich ganz gechillt, wenn Dieter sagt, rechts einordnen und dann ruff uff die Autobahn.

Ich bin irgendwie verwirrt. Im Gegensatz zu Harald fand ich Mike doch gut. Und war er jetzt gar nicht gut? Mike hatte doch gesagt, dass bei ihm noch nie ein Fahrschüler durchgefallen ist. Das heißt doch eigentlich, dass er ein guter Fahrlehrer sein muss.

„Sind denn bei Mike viele durchgefallen?“, frage ich Dieter und es soll ganz beiläufig klingen. So wie eine kleine Frage, die mir gerade eingefallen ist und nicht wie die Frage, die ich Dieter schon stellen möchte, seit ich die Seitenspiegel ausgeklappt habe.

„Durchgefallen? Der hat doch fast keine Prüfungen gehabt.“ Ach so. Verstehe. Vielleicht hatte er drei Prüfungen und die haben es geschafft und dann sind seine drei Peoples eben auch alle. Und ich erzähle dem Dieter mal lieber nicht, dass ich mit Mike auch mal ins tiefste Britz gefahren bin, damit er irgendeiner Karina eine DVD in den Briefkasten schmeißen kann.

Aber es gibt noch schlimmere Fahrlehrer als Mike. Meine Schwester sagt auf die Frage: „Wann muss man die Warnblinkanlage anschalten?“
„Stau, Panne, Unfall, beim Abschleppen und beim zurückgeben der Teresa Orlowski Videos, wenn man vor der Videothek in der zweiten Reihe steht.“



Dieter

Mike ist weg!
Ich komme in die Fahrschule. Da steht Dieter hinterm Tresen. Dieter kenne ich schon aus einer Theoriestunde, die ich hier gemacht habe. Als ich damals zur Theorie kam, saß Dieter auf einer Bank vor der Fahrschule und rauchte. Ich sagte ihm, dass ich die Fahrschule gewechselt hätte und mir noch zwei Theoriestunden fehlten. Dieter dachte, ich hätte noch keinen Fahrlehrer und ging mit mir rein, nahm ein großes Heft und fragte, wann ich denn Zeit hätte. Ich war aber schon bei Mike und heilfroh, nicht bei Dieter gelandet zu sein. Dieter hat einen ganz üblen Raucherhusten mit dem immer sein Lachen aufhört. Also erst lacht er und dann geht das Lachen in so ein röchelndes Husten über. Außerdem klappert sein Gebiß und man kann ihn nur schwer verstehen. Und er macht immer so Sprüche: „Naja, und wenn einer hupt, dann sage ich: Hast du noch was anderes, als eine Hupe zu Weihnachten bekommen?“

„Hallo.“
„Hallo, du bist Frau Freitag.“, sagt Dieter und ich nicke.
„Wo ist Mike?“
„Mike kommt nicht mehr.“, sagt Dieter.
Ich: „Wie? Also ist er krank.“
„Ja.“
„Und wann kommt er wieder?“
„Gar nicht.“, sagt Dieter.
„Wie gar nicht?“
„Also ich übernehme jetzt seine Fahrstunden. Ich heiße Dieter. Wir haben uns auch schon mal gesehen.“
„Ja, bei der Theorie.“, sage ich und bin verwirrt. Mike ist krank. Okay, das kann ja mal passieren. Aber warum kommt er dann nie mehr wieder? Ist er tot? Haben sie ihn rausgeschmissen? Arbeitet er woanders?

Auf dem Weg zum Auto, frage ich Dieter nach Mike. Aber er sagt nichts. Er sagt nur, dass er krank ist und nicht mehr kommt und sie würden sich schon nach einem neuen Fahrlehrer umsehen. Das sei gar nicht so einfach.

Beim Auto angekommen gehe ich an den Kofferraum und lege meine Tasche und meine Jacke ab.
Dieter guckt mich komisch an: „Warum legst du das nicht auf den Rücksitz?“
„Äh, weil, äh….“ Weil ich das bei Mike auch immer so gemacht habe und weil ich bei Harald nie irgendetwas auf den Rücksitz legen durfte. Dieter schüttelt den Kopf und wir steigen ein. Als ich den Motor starte, geht das Radio an. Ich suche am Radio nach dem Ausknopf. „Was suchst du denn?“, fragt Dieter. Ich sage, den Ausknopf. „Laß doch das Radio an.“, sagt er. Meine erste Fahrstunde mit Radio. Meine erste Fahrstunde mit Dieter. Dieter sagt: „Mensch Mädel, jetzt gib mal Stoff, hier ist fünfzig.“ Ich gebe Stoff. Ich will vor der Ampel runterschalten. Er sagt: „Erst halten, dann schalten. Was hast du es denn so eilig, Mädel?“ Und ich habe darauf keine Antwort.

Wir fahren auf die Autobahn. „Stoff! Stoff! Stoff! Die Gänge ausfahren!“ Nach dem dritten Versuch fliege ich im zweiten Gang die Autobahnauffahrt hoch, schalte dann in den dritten und gleich in den fünften.“
Dieter will, dass ich in der fünfziger Zone auch im vierten Gang fahre. Das wollte Mike nie. Aber ich mache, was Dieter sagt. „Mensch Mädel, nun schalte mal in den Vierten!“

Dieter will, dass ich rasant fahre. Nicht so vorsichtig. Loben tut er mich nicht. Aber wenn ich etwas falsch mache, dann guckt er aus seinem Fenster, schüttelt den Kopf und sagt nach einer kleinen Pause irgendwas, das mit „Mensch Mädel“ anfängt.

Wir parken. Quer, längs, rückwärts, vorwärts. Ich schlage das Lenkrad zu sehr ein und stehe nicht richtig. Ich weiß nicht, wie ich korrigiere. „Hab ich noch nicht gemacht. Sonst hat das immer gleich geklappt.“, sage ich.
„Korrigieren… tzzzz, hat dir der Mike das nicht beigebracht? Was hast du überhaupt bei dem gelernt?“, fragt er und ich denke: „Armer Mike. Krank oder tot und jetzt redet der Dieter auch noch schlecht über ihn.

Die nächste Fahrstunde habe ich erst nächste Woche. Wieder bei Dieter. Ich bin verwirrt. Auf dem Nachhauseweg denke ich an Mike. Was er wohl gerade macht? Wie es ihm wohl geht? Was ist passiert? Soll ich ihn anrufen und fragen?