Die Schüler haben nicht ganz unrecht, wenn sie sich wundern, dass ich auch Musik höre. Schwer fällt es ihnen, sich den Lehrer als Privatperson vorzustellen. Und nicht nur ihnen fällt das schwer. Auch mir. Nachdem die anfängliche Freude darüber verflogen ist, dass das erste Halbjahr nun vorüber ist, dass ich es geschafft habe, die Zeugnisse ohne große Fehler zu übergeben – weder Fehler auf den Zeugnisssen, noch Fehler gemacht beim Aushändigen, sitze ich nun in meinem Zimmerlein und blättere in Schulbuchverlagskatalogen, ärgere mich, dass Klett nicht Sonntags geöffnet hat und spüre schon wieder diese Mischung aus anfliegender Langeweile und unsteuerbarem Aktionismus.
Obwohl ich aud die strikte Einhaltung meines Ferienstundenplans achte, denkt doch ein Teil von mir, was soll ich denn jetzt machen? Während ich mit Frl. Krise telefoniere versuche ich im Internet eine Möglichkeit zu finden den Film „Zivilcourage“ zu sehen. Ich will wissen, wie sich Götz George gegen eine muslemische Jugendbande durchsetzt.
Frl. Krise sagt: „Du musst dich von dem Klientel lösen, zumindest, wenn du frei hast.“ Und mein erster Gedanke am Freitagnachmittag war ja auch: Bin ich froh, dass ich jetzt keine gestreiften Kaputzenpullis mehr sehen muss. Aber irgendwie fehlen sie mir doch. Könnten nicht ein, zwei von denen bei mir wohnen? Ich könnte jeden Tag die Schultaschen kontrollieren und ihnen die Hölle heiß machen, wenn sich die Arbeitsblätter mal wieder im Block befinden und nicht in den Heftern. Wenn sie ihre Marker verloren haben und ihr Hausaufgabenheft nicht vorgetragen ist.
Na ja, auf die Dauer wäre so eine „bunte“ Wohngemeinschaft wohl nicht so schön. Vielleicht möchte Lady Gaga bei mir wohnen. „Frau Freitag, wie findest du meine Haare? Besser so? Oder lieber so?“ Das Badezimmer wäre ständig besetzt, aber ich könnte damit in der Schule voll angeben. „Also Lady Gaga hat sich eure Bilder angesehen und sie meint, ihr solltet noch an den Details arbeiten. Bei den meisten Bildern sind die Schatten entweder falsch oder noch zu undeutlich.“
Wie ich meine Schüler kenne wären sie sich schnell zu cool, um lange davon beeindruckt zu sein: „Frau Freitag, ihre Lady Gaga stresst. Und wir wollen diese Autogrammkarten gar nicht.“
„Gute Nachrichten Leute, Lady Gaga ist gestern ausgezogen, aber ratet mal, wer heute morgen bei mir geklingelt hat…. da kommt ihr nie drauf!“
„Frau Merkel?“
„Pah, Merkel-Zwerkel. Viel cooler! Jeder denkt er ist tot, aber ist er gar nicht. Der ist nur jahrelang untergetaucht, und heuten klingelt er bei mir und fragt, ob er ein paar Tage bleiben kann. Ich konnte ja schlecht nein sagen, bei den Temperaturen draußen. Ich gebe euch einen Tipp.“ Und dabei hole ich einen Turnschuh von Nike aus meiner Tasche. Ein altes und sehr seltenes Exemplar. Triumphierend sage ich: „Tupac Shakur! Und das hier ist der Schuh aus dem Video. Der Beweiß, dass er nicht gestorben ist. Ihr wisst schon… er war angeblich schon tot, als der Schuh rauskam.“ Die Schüler staunen. Einige sterben fast vor Neid.
„Und wie lange bleibt er?“ fragt Abdul zerknirscht.
„Keine Ahnung. Wenn er nett ist kann er ruhig ’ne Weile bei uns wohnen. So, jetzt müssen wir aber anfangen. Holt mal eure Bücher raus. Seite 67 unten.“
Im Lehrerzimmer will ich weiter angeben. Die Kollegen aber: „Tupac wer?“ „Shakur? Ich dachte die heißt Shakira.“
Wenn ich es mir recht überlege, will ich weder, dass Lady Gaga, noch 2Pac bei mir einziehen. Wahrscheinlich würden die mich in meiner Ferien- und Alltagsroutine eher stören. Starallüren haben die bestimmt auch und es gäbe wahrscheinlich dauernd Streit, weil die bestimmt immer nur MTV sehen wollen.