Wenn die Endgültigkeit doch zubeißt

Heute war ein guter Tag. Ich bin sehr zufrieden mit mir. Erst eine schöne Kunststunde gehalten, mit sehr schönen Arbeitsergebnissen und zufriedenen Kindern, dann eine bombenmäßig gute Englischstunde in meiner Klasse. Das Geheimnis: Cut and Paste! Berufe auf der einen Seite, was man in dem Beruf macht, auf der anderen Seite. Aufgabe: Ausschneiden, zuordnen, aufkleben. Freiwillig benutzen die Schüler die Wörterbücher. Alle arbeiten mit, die Stimmung ist gut, während sie ausschneiden quatschen wir über alles Mögliche, es wir ganz heime- und gemütlich. Ayla füttert mich mit Toffifee. Und am Ende sind wir alle schlauer.

Dann der große Schock – die Zensuren. Heilsames Erwachen: „Aboooo, ich muss mich voll anstrengen!“ „Ich schwöre, ich schwänze nicht mehr.“ „Ich brauche nur noch 15 Punkte…“

Eigentlich wollte ich den Schülern ihre Prognosen ausdrucken, aber der Computer hat gesponnen – das ganze Zeugnisprogramm war blockiert. Deshalb musste ich die gesamte Hausaufgabenstunde rumlaufen und den Schülern einzeln ihre Noten vorlesen.

Plötzlich steht Mariella neben mir und reicht mir einen Zettel. Ich denke – Entschuldigung, oder Bewerbung, die ich verbessern soll. Aber dann trifft mich der Schlag. Auf dem Zettel steht: Hiermit beantrage ich die Zulassung zur freiwilligen Teilnahme an der Realschulprüfung….

„Mariella, was ist das denn?“
„Na, den Zettel sollte ich doch noch abgeben.“
„Den solltest du am Freitag, mit der Anmeldung abgeben. Warum war der nicht bei der Anmeldung dabei?“
„ich wußte ja nicht…“
„Was wusstest du nicht? Ich habe das doch 1000 Mal gesagt: Die Anmeldung und die Zulassungsanfrage. Die anderen haben das doch auch gleich mit abgegeben.“
Mariella guckt mich entgeistert an. „Und jetzt?“ fragt sie.
„Tja, jetzt weiß ich auch nicht, du und Emre, ihr habt ja schon die Anmeldungen erst am Montag abgegeben. Und jetzt fehlt auch noch der Zettel. Ich weiss nicht, ob die Prüfungskommision dich jetzt noch zulässt. Du musst den Zettel bei der Jahrgangsleiterin ins Fach legen.“
„Kann ich das jetzt machen?“
„Nein, in der Pause.“

Im Lehrerzimmer treffe ich die Jahrgangsleiterin. „Anita, hast du das mitgekriegt – Mariella… erst gibt sie die Anmeldung Montag ab und jetzt fehlte auch noch der Elternzettel.“
„Ja, ich habe sie gerade draußen getroffen. Ich habe gesagt, dass sie wahrscheinlich nicht zugelassen wird. Also ich bin dagegen und Hannelore auch.“

„Tja,“ sage ich „zu spät ist eben einfach mal zu spät.“ Allerdings tut mir Mariella jetzt schon wieder leid. Hätte ich den Zettel vielleicht doch irgendwie unter die Anmeldungen schmuggeln sollen? Wäre bestimmt gegangen. Ich hatte die zwar schon alle abgegeben, aber es hätte bestimmt die Möglichkeit gehabt, den Antrag noch nachzureichen – so „Huch habe ich voll übersehen, hier ist ja noch einer…“
Aber auf diese Idee bin ich vorher gar nicht gekommen, weil ich so entgeistert war, wie locker Mariella alle meine Ermahnungen genommen hat und mir anscheinend als einzige seit Wochen überhaupt nicht zugehört hat.

Als ich gerade gehen will kommt mir Herr Werner entgegen. „Frau Freitag, was hast du denn mit Mariella gemacht?“
„Ich, wieso? Gar nichts.“
„Sie heult draußen sie ist völlig fertig, weil sie jetzt nicht an der Prüfung teilnehmen darf. Anita hat wohl schon gesagt, dass sie nicht zugelassen wird.“
Ich erkläre ihm die ganze Geschichte. „Ja, ich verstehe“, sagt er „aber das ist deine Verantwortung. Du bist für sie verantwortlich. Du musst dich darum kümmern.“

„Ich…? Aber ich hatte denen seit Wochen gesagt, dass sie das Ernst nehmen sollen. Jetzt kann ich da auch nichts mehr machen. Jetzt muss das die Prüfungskommision entscheiden. Vielleicht sind sie ja gnädig, die hat ja ziemlich gute Noten.“

Als ich das Schulgebäude verlassen will, kommt mir die völlig verheulte Mariella hinterhergerannt: „Frau Freitag, kann ich jetzt nicht die Realschulprüfung schreiben?“

„Das weiss ich nicht. Das entscheide ich nicht. Wahrscheinlich nicht, denn du hast einfach zu spät abgegeben.“
„Aber mir ist das total wichtig.“
„Ach, wenn dir das so wichtig ist, warum hast du dir dann erst am Abgabetag einen Prüfer gesucht und die Anmeldung dann auch noch verspätet abgegeben.“
„Na, ich wußte ja nicht.“
„Was wußtest du nicht? Seit WOCHEN rede ich über nichts anderes mehr. Ich kann irgendwie nicht erkennen, dass dir diese Prüfung so wichtig ist.“

Sie guckt mich völlig entgeistert an. Schon habe ich wieder Mitleid. „Na, jetzt lass mal den Kopf nicht hängen, vielleicht lassen sie dich ja doch zu, du hast ja gute Noten.“

Damit lasse ich sie stehen. Auf dem Nachhauseweg grübele ich darüber nach, ob ich mich anders verhalten hätte sollen. War ich jetzt zu hart? Endgültig schmeckt wahrscheinlich echt bitter. Konsequenz aber auch.

Und Otis sagt: It’s too late.

Mutterlogik?


Das Leben meiner Schüler in dieser heimeligen eskapistischen Parallelwelt, in der es fürs Schwänzen keine Sanktionen gibt, in der gruselige Dinge, wie Bewerbungen schreiben und die Anmeldungs zur Realschulprüfung nicht vorkommen, beschäftigt mich immer noch sehr. Wenn ich darüber spreche bekomme ich schlechte Laune und ein schlechtes Gewissen und frage mich, warum ich mich dafür so verantwortlich fühle.

Ist das denn mein Job? Bin ich denn für das weitere Leben und die Zukunftsplanung meiner Schüler verantwortlich? Sollten das nicht die Eltern sein? Was denken die sich eigentlich? Fragen die ihre Kinder nach Berufswünschen, oder haben die schon vergessen, dass man sein Geld auch durch Arbeit beziehen kann? Das muss ich die Schüler unbedingt am Montag fragen und beim Elternsprechtag werde ich die Eltern auch noch mal persönlich dazu interviewen.

Was ist das für ein komischer Beruf, die Verantwortung für 28 Teenager und ihr Leben zu haben? Wie fühlen sich denn Leute in anderen Berufen. Fühlen sich die Leute im Jobcenter auch so verantwortlich, wenn sie jemanden in eine Maßnahme schicken und der da nicht ankommt? Ärgern sich Ärzte darüber, wenn der Patient, mit chronischem Lungenleiden nicht mit dem Rauchen aufhört? Kann der Finazminister nachts nicht schlafen, weil Deutschland so viele Schulden macht? Hilft Supervision?

Ich verstehe schon, warum ich mich so fühle, so verantwortlich. Ohne diese Verantwortung zu übernehmen, könnte ich den Job als Klassenlehrerin gar nicht ausüben. Jedenfalls nicht an unserer Schule. Wenn mir deren Zukunft egal wäre, wer würde sich denn dann noch um die Schüler kümmern? Sie selbst übernehmen ja keine Verantwortung, oder täten sie das, wenn ich mich zurückziehen würde? Kann ich ja auch mal probieren. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich das nicht schaffen werde. Es regt mich einfach zu sehr auf, wenn ich sehe, wie sie eine letzte Chance nach der nächsten an sich vorüberstreichen lassen.

Ich könnte natürlich sagen: Mein Job ist es ihnen mitzuteilen, was sie wann, wie machen müssen und dann ist gut. Wenn sie das dann nicht tun… Pech. Aber ist das nicht zynisch und gemein? Geht das allen Lehrern so? Ich weiss, dass es bei uns an der Schule auch den Ich-grenze-das-alles-von-mir-ab Typus gibt. Die haben dann aber meistens keine Klasse und ein recht ruhiges Leben. Vielleicht ist das der Weg. Wirkt aber tendenziell langweilig.

So frustiert, wie ich zur Zeit mit dem nicht existierenden Engagement meiner Klasse bin, so sicher bin ich mir trotzdem, dass sie ihren Weg irgendwie machen werden. Auf vielen Maßnahmen-Umwegen werden sie irgendwann irgendwo landen. Sie werden schon irgendwas machen. Viele von ihnen werden bestimmt auch einer geregelten Arbeit nachgehen. Okay, da werden wenige Berufe bei sein, die ich gerne machen würde, aber nun gut…

Wenn ich nur die Möglichkeit hätte mal einen Tag in ihrem Leben in 10 Jahren zu sehen, dann würde ich mich jetzt vielleicht nicht so aufregen. Vielleicht wird man auch entspannter, wenn man schon zig Klassen gehabt hat und erleben konnte, wie die dann doch alle noch die Kurve gekriegt haben. Vielleicht nicht alle, aber doch viele.

Allerdings frage ich mich dann, warum sich Frl. Krise nicht entspannen kann, wenn ihre Schützlinge aus dem Praktikum fliegen. Wahrscheinlich wird Turgut später sein eigenes Restaurant haben und Fuat ein bomben Mechatroniker sein. So wird es doch, oder Frl. Krise?

Der Dirk

Ach herrje, diese Montage…sagte ich schon, wie schön ich das finde, dass man mir erst eine Doppelstunde in einer Achten und dann noch eine Doppelstunde in der Siebten verordnet hat? So viel Zutrauen in meine pädagogischen Fähigkeiten macht mich jeden Montag aus  Neue glücklich. Man gibt mir diese schwierigen Klassen. Man muss viel von mir halten.

Vor lauter Glück schleppe ich mich Wochenbeginn für Wochenbeginn nachmittags völlig ermattet nach hause und weiß kann gerade mal noch an meinem Kaffee schlürfen. Aber auch nur, wenn er mir gereicht wird.

Gibt es eigentlich eine biologische Notwendigkeit oder eine göttliche Fügung, die da heißt – „Ihr Siebtklässler,…seid nicht wie Menschen! Benehmt euch wie tollwütige Hunde! Und solltet ihr in die Nähe von Unterricht kommen – zerstört ihn!“

Heute nach der Mittagspause kommt der dicke Dirk in den Raum zurück. Der Unterricht in der siebten Klasse erstreckt sich von vor der Mittagspause, bis in der Stunde nach der Mittagspause. Der dicke Dirk stand in der ersten Stunde – in der vor der Pause – schon ziemlich lange vor der Tür, weil er einfach seine Klappe nicht halten konnte. Ohne ihn versuche ich die Kunstaufgabe zu erklären. Es geht um Farbe.

„Was sind denn wohl heute mal die Grundfarben?“ frage ich und lasse jeden mal zu Wort kommen. Jeder darf drei Farben nennen. Ich höre: rot, grün, schwarz, blau, weiß, braun und sogar bunt. Die nächsten zwanzig Minuten erarbeiten wir gemeinsam (also ich lenkt, bzw. zerre sie sie die richtige Richtung.) was denn die Grundfarben sind. Nach einer weiteren Viertelstunde habe ich mehrere Kugelschreiber, zwei Gummibänder eine Colaflasche und einen Spiegel auf meinem Schreibtisch liegen, den dicken Dirk vor der Tür stehen, keine Stimme mehr, aber auch zwei herrliche Sätze an der Tafel: Grundfarben sind Farben, die sich nicht mischen lassen: rot, gelb und blau (oder so ähnlich) und: Alle anderen Farben kann man mit den drei Grundfarben mischen. Unterricht wie aus den 50er Jahren. Vor lauter Lebensweltbezug können sich die Schüler nur noch schwer am Platz halten. Einige Jungen onanieren schon. Nein, nein, SSCHPAAAASSS.

Dann ist Pause und alle hauen endlich ab auf den Hof. Mein Mantra vor dem Klingen: „Nehmt euer Essen mit!!!! Nehmt eure Getränke mit!!!! Vergesst eure Jacken nicht!!!!“ Dann ist endlich Ruhe. Aber schon nach 40 Minuten kommen sie leider wieder. Aufgeputscht von ihren seltsamen Pausenaktivitäten, meistens rum rennen und sich hauen.

Der dicke Dirk kommt auch wieder rein und setzt sich aber nicht auf seinen Platz, sondern ganz nach hinten zu Mert. Und mit dem tuschelt er rum und ich sehe, dass sie da irgendwas haben, irgendwas, was sie wahrscheinlich nicht haben sollen. Ich gehe zu ihrem Tisch und sehe zwei große weiße Papiertüten mit sehr fettigem Inhalt, denn die Tüten haben überall durchsichtige Fettflecke. Mein Adrenalin steigt: FETTTT!!! In meinem Raum, auf meinen Tischen. Eine Todsünde! Ich öffne die eine Tüte mit dem Zeigefinger, um den Inhalt genauer zu inspizieren – BÖREK!!! Die zweite Todsünde. Nach den Frau Freitaggesetzen, die sich an der Scharia orientieren steht auf Börek mindestens ein Tobsuchtsanfall. Dirk guck mich etwas schuldbewußt an: „Ich hab‘ voll Hunger.“

„Dirk, du hattest jetzt 40 Minuten Zeit zu essen, du wirst jetzt nicht hier essen!“ Zische ich durch die Zähne. Mert nimmt sofort seine Tüte und stopft das fettige Ding in seinen Rucksack. Dirk nicht. Er greift in die Tüte und reißt sich ein Stück von der Kalorienbombe ab und schiebt sie sich in den Mund. Jetzt reicht es mir. „DIRK!!! Entweder du packt diesen Scheiß jetzt sofort weg und fängst an zu arbeiten, oder du kannst den Raum verlassen, bekommst eine sechs für die Stunde und deine Klassenlehrerin wird nach der Stunde sofort informiert. „Ich hab‘ Hunger, ich muss essen!“ windet sich Dirk. Ich nehme den Börek aus der Tüte, kurz bevor er ihn nehmen kann und stopfe ihm das gesamte Ding in seinen Mund. Weil nicht alles reingeht, nehme ich einen Pinsel und stopfe weiter….nein, nein, das hätte ich gerne getan. Ich schicke ihn einfach nur raus. Sein Börek nimmt er mit.

Nach zehn Minuten scheint er fertig zu sein und will wieder rein. „Nein, du bleibst jetzt draußen.“ „Aber ist langweilig hier.“ „Ist mir egal.“ sage ich und schließe die Tür vor seiner Nase.“ Etwas später gehe ich noch mal zu ihm: „Dirk, jetzt mal unter uns…du siehst nicht gerade aus, als würdest du verhungern, wenn du nichts ißt.“ (Dirk ist total übergewichtig. Und so einen Börekaufstand zu machen, bei seiner Statur, dass ist für Dicke echt untypisch.)  „Dirk, du hattest 40 Minuten Zeit etwas zu essen. Warum hast du das nicht gemacht.“ „Nein ich hatte keine Zeit.“ Ich: „Wieso?“ „Ich musste einen Kampf gucken.“ Ich schüttel nur den Kopf verdrehe theatralisch die Augen und schließe die Tür wieder vor seiner Nase.

Drinnen warte ich auf das Ende der Stunde, stürze mich in das Aufräummanöver, spiele mit den Schülern in den letzten Minuten noch Vier-Ecken-Raten, damit sie meinen barschen Ton während der Säuberungsphase wieder vergessen und irgendwann werden wir alle vom Klingeln erlöst. Ich wünsche ihnen ein schönes Wochenende, denn wir werden uns zum Glück erst am nächsten Montag wieder sehen. Und den dicken Dirk werde ich persönlich in der Mittagspause füttern. Mit irgendwas voll Fettigem.

Wie die sich aufgeführt hat

Jaja, let’s dance, Frau Freitag…und mit den Schülern noch durch die Nacht ziehen – hahaha. Den ganzen Samstag lag Frau Freitag platt auf der Couch. Die Haare sind wieder unten und nichts glitzert mehr.

Wenn mich so die Kollegen sehen würden…wie Frl. Krise schon sagte:

„Haha, guckt sie euch an die Freitag, erst so jugendlich abtanzen, aufgetakelt wie eine billige Aussiedlerin und jetzt komatös auf dem Sofa leiden. Ist wohl doch nicht mehr so jung und dynamisch, wie sie immer tut, mit ihren Turnschuhen und ihren H&M Klamotten…“

„Jaja, Hochmut kommt vor dem Fall….das geschieht ihr doch ganz recht, dieser eingebildeten Ziege, ihre Klasse hat keinen Zug, ein völlig verwahrloster Haufen und wenn du an ihrem Raum vorbei gehst, da geht eigentlich in jeder Stunde der Punk ab. Disziplin herrscht bei der nicht! Und dann aber so rausgeputzt bei der Feier, was denkt die denn – denkt die sie ist 16 und macht gerade ihren Abschluss, hast du gesehen, wie die mit den Jungs getanzt hat? Widerlich, die hat sich ja regelrecht an die rangeschmissen…das gehört sich ja wohl nicht für einen Lehrerin, vor allem nicht in ihrem Alter.“

„Fehlte ja nur noch, dass sie mit einem geknutscht hätte.“

„Gewundert hätte es mich nicht. Und wer weiß…vielleicht heimlich auf dem Klo.“ (Nein, habisch nich!)

„Ist euch überhaupt schon mal aufgefallen, dass die Freitag den gut aussehenden Jungs immer viel zu gute Zensuren gibt…?“

„Stimmt, hat der …bei ihr nicht nur Einsen bekommen?“ (Stimmt, hat er, ist doch auch der Lieblingsschüler, und der sieht wirklich sehr gut aus….)

„Schade, dass der Chef am Freitag nicht da war. Sollten wir ihm vielleicht davon erzählen, wie die sich da aufgeführt hat?“

„Meint ihr die war besoffen?“

„Also ich hab’ sie zwar nur Cola trinken sehen, aber vielleicht war da was drin.“

„Ja, hat sie bestimmt heimlich mitgebracht.“

„Oder von den Schülern.“

„Mich würde nicht wundern, wenn sie vor der Feier mit den Schülern Haschisch geraucht hätte.“

„Meinst du die rauchen Haschisch? Also aus meiner  Klasse glaube ich raucht keiner Drogen.“

„Was ist das für eine Frage, ob wir dem Schulleiter Bescheid sagen sollten? Das MÜSSEN wir. Das ist unsere Pflicht. Wisst ihr was ich glaube? Die hat nicht nur mit den Schülern geraucht, ich glaube die hat denen das Haschisch sogar besorgt.“

„Meinste? Stimmt…jetzt wo du’s sagst…klar. Diese Freitag ist und bleibt doch eine elende Schülerschleimerin. Also wer sagt’s dem Chef?“

Wie privat darf’s denn sein?

Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, sagt man doch so schön. Aber was ist mit Schnaps im Dienst?

In der Vorweihnachts- sowie in der Schuljahresendzeit häufen sich ja die Feierlichkeiten in Schule. Da wird geplant, gesammelt, mitgebracht, aufgebaut, gegrillt, gegessen, gequatscht und gesoffen.

Den Aufbau übernimmt immer die gleiche Person: Die Seele des Lehrerzimmers. Man soll ihr schon irgendwie helfen, aber nicht zu viel, denn die Verantwortung will die Person auf keinen Fall abgeben. Passt man nicht auf, wird man dann mit niederen Arbeiten überschüttet: Tische schleppen, Gläser spülen, Gabeln aus dem anderen Gebäude holen usw. Wie das Kind wirst du von der Ober-Mutti oder dem Ober-Vati (es sind meiner Meinung nach öfter Frauen) herumgeschickt „Deck’ doch schon mal die Tische ein, Frau Freitag! Kannst du noch mal zum Hausmeister, wir brauchen noch einen Dreifachstecker. Geh doch schnell mal einen Korkenzieher suchen!“ Wenn die Verantwortliche dann von der Schulleitung vor dem versammelten Kollegium gelobt wird, dann tut diese Person ganz bescheiden „…ach, lasst doch, das ist mir jetzt aber peinlich…“

Es sind immer die gleichen Leute die helfen und es gehen immer die gleichen zuerst nach Hause. Ich habe die Schonlehrer oft essen, aber nie aufräumen sehen. Ich mache immer irgendwie mit aber gelobt wurde ich noch nie.

Nach dem Essen geht dann die Sauferei los. „Komm’ nimm noch mal ein Schluck. Wir haben noch gar nicht angestoßen. Dein Glas ist ja leer! Auf einem Bein kann man nicht stehen. Los, noch einen Absacker…“ Und dann wird völlig losgelöst abgesackt. Und hier nun meine Fragen: Wie tief darf denn gesackt werden? Und wer bunkert diesen unerschöpfliche Schnapsvorrat, in den verschiedenen Fachbereichen? „Hier ist noch ein Fläschchen!“ „Ich hab’ hier noch was ganz Feines!“ „Komm’, die Buttel hauen wir noch weg. Was weg muss, muss weg.“

Je später der Abend, umso schwieriger wird es für mich, mich dem Mitmachzwang der harten Hunde zu entziehen und mir irgendwann gehen mir die Abstinenz Gründe aus. „Frau Freitag, bist du schwanger? Oder warum trinkst du Cola?“ Sie werden dann ganz kuschelig und wollen dich unbedingt auf ihren Ausgelassenheitspegel bringen. Ich fülle mich stets mit Cola, Sprite und Apfelschorle ab. Unter ihrem Alkohol-Einfluss werde ich zu „unsere Kleine“, „…ach, die Frau Freitag, die hat’s auch nicht leicht, die nimmt sich alles immer so zu Herzen…“

Ich mache bei diesen Gelangen nie mit. Keine Lust auf Verbrüderung, Privatheit und die späteren „Weißt du noch, bei der Weihnachtsfeier- Storys? Na, Frau Soundso war ja ganz schön dicht. Wie ist denn Herr Blahblahblah nach Hause gekommen?“ Wie kommen manche Kollegen dazu sich bei Betriebsfeiern so dermaßen gehen zu lassen? Haben die keine Freunde, mit denen sie es sich mal so richtig geben können?

Allerdings muss ich zugeben, dass die Feiern ohne die besoffenen Hunde ganz schön langweilig wären, denn es ist herrlich, den Niveauverfall zu beobachten. Man muss aber unbedingt den perfekten „Ich geh’ jetzt.“ Moment finden. Der liegt kurz vor dem Aufräumen. Und kurz nachdem sich der harte Hund dazu hinreißen ließ, mal so richtig über die Kollegen abzulästern. Mit glasigem Blick sitzt er oder sie dann in sich zusammengesunken am Tisch: „Allllso, die Frau Soundso…na die isss’ doch auch ein wenig…“ Wenn du Pech hast, erwischen sie dich, legen ihren schweren Arm um dich und lallen dir ins Ohr „Suers als ich dich sah dachtisch du biss aber auch dooof…aba jesss bisss du doch eine ganzzzz lieebe Pessssonn…“ Nicken, nett grinsen und dann nichts wie weg.

Das sind mir die Richtigen, den ganzen Abend laut grölend Scheiße labern und eine Woche später eine Klassenkonferenz ansetzen, weil ein Schüler hinterm Haus geraucht hat.

Von wegen Kollegen…

Die Heterogenität der Lehrerkollegien ist eine Sache für sich. Da hat man eine Schule, mit einer recht homogenen Schülerschaft und dann diese vielen sehr unterschiedlichen Kollegen.

Die unterschiedlichen Einstellungen kommen gerade bei so Themen wie Versetzung, oder doch nicht Versetzung deutlich zutage. Hat eigentlich jedes Kollegium die gleichen Lehrertypen? Sind an jeder Schule alle Variationen unserer Spezies vertreten?

Garantiert gibt es überall die antiquierte Ausgabe des Lehrmeisters, den Pauker, den „harten Hund“. Den kennen wir alle aus unserer eigenen Schulzeit und ich treffe diesen Typ in jeder Schule wieder. Der harte Hund lässt sich auf gar nichts ein. Er ist gefestigt in seinen Prinzipien, genießt bei der Schulleitung  großes Ansehen und ist davon überzeugt, dass sein System das einzig Wahre ist. Ihn gibt es nicht nur als Mann, auch Frauen können der harte Hund sein.

Gerne schildert er im Lehrerzimmer „wie man es macht“. Eine neue Klasse – kein Problem, die wird erstmal drei Tage lang so zusammengebrüllt, bis sie alle weinen und sich eingeschüchtert die nächsten sechs Jahre durch Augenbrauenmimik dirigieren  lassen.

Soziales Lernen, demokratische Strukturen und Evaluation sind für den harten Hund „so ’n Schnullie-Kram“ mit dem er sich nicht abgibt. Er ist von seiner Alleinherrschaft überzeugt. In Klassen von dieser Art Diktator-Lehrern haben es Kollegen schwer, die anders sind, in seinen Augen „weicheieriger“. Die Schüler drehen durch, wenn sie plötzlich mit milderem Auftreten konfrontiert werden. Der harte Hund weiß:  na, der oder die haben es einfach nicht drauf. Denn sein eigenes System wird ja, wie gesagt nie von ihm angezweifelt.

Schüler fürchten diesen Lehrertyp und verwechseln deshalb Angst mit Respekt. Oft hört man von ihnen „Der ist zwar voll streng, aber wir haben viel von ihm/ihr gelernt.“

Klar, beim harten Hund ist jede Klasse erstmal ruhig. Unterrichtsstörungen kommen so gut wie nie vor. Traut sich ja auch niemand. Aber nur weil es ruhig ist, heißt das nicht automatisch, dass jeder viel lernt. Methodisch und pädagogisch bewegt sich der hier beschriebene Lehrertyp nämlich nicht nur im Mittelalter, sondern gerne auch im gefährlichen Sumpfgebiet der gesetzlichen Grauzone: Demütigungen, Beleidigungen und teilweise auch Gewalt gehören zu seinem täglichen Repertoire. Bestraft wird er allerdings nie.

Der Kollege harter Hund kotzt mich in seiner Selbstherrlichkeit an. Nie will er mal was Neues hören, geschweige denn lernen. Weiterbildung? Wozu? Teamarbeit? Was soll das sein? Kritik? Wieso? Bei mir läuft’s doch. Nicht nur in meiner eigenen Schulzeit, auch heute ecke ich immer noch an, wenn mir dieser Lehrertyp begegnet. Sie sagen immer das gleiche und in jedem Statement versteckt sich Kritik an dem Gegenüber:

„Wenn es nicht leise ist, fang ich gar nicht erst an.“

„Echt, das hat der gemacht, das traut der sich bei mir nicht.“

„Den hab’ ich so gegrillt, der hat nicht mehr gezuckt.“

Da wird „auf den Topf gesetzt“, „gar nicht lange gefackelt“,“ kurzer Prozess gemacht“, „erstmal ganz hart durchgegriffen“ und grundsätzlich „gesagt wo es langgeht“, ständig werden „jetzt aber mal ganz andere Töne angeschlagen“ oder „die Daumenschrauben angelegt“.

Andere Lehrertypen werden verunsichert oder belächelt. Harte Hunde sonnen sich in ihrem schlechten Ruf. Schüler fürchte, hassen oder verehren sie. Kollegen ärgern sich über sie, trauen sich aber auch nicht sie zu kritisieren.

Ich finde, sie gehören ins Museum, oder nach Frankreich. Bei der nächsten Schulinspektion sollten sie entdeckt und suspendiert werden. „In fast 70 Jahren nichts dazugelernt, Klassenziel nicht erreicht, dieser Lehrer wird leider nicht in die nächst höhere Klassenstufe versetzt.“

Armer harter Hund, bleib’ einfach sitzen, aber bitte zu Hause.

Wie wird man Lieblingslehrer?

Und wie wird man Lieblingslehrer? Klar, gute Zensuren geben, kurzweiligen Unterricht machen, humorvoll, konsequent und gerecht sein…aber sind wir mal ehrlich, wenn wir einen Lehrer gut aussehend fanden, na das hat doch schon geholfen…war jedenfalls bei mir so. Knuffig reichte ja auch schon, bei den Naturwissenschaftslehrern. Mit dem Unterricht hatte die Wahl des Lieblingslehrers, meiner Meinung nach aber gar nicht soviel zu tun.

Mein Freund mochte seine Französischlehrerin, weil sie zu ihr nach Hause durften und dort für alle Crepes gemacht hat. Ich mochte meine Lehrerin, weil sie Karate konnte und nett war. Eine andere mochte ich, weil sie mit einem fetten Motorrad zur Schule kam. Und den Englischlehrer fand ich gut, weil der immer pfeifend und stets gut gelaunt durch das Schulgebäude tänzelte. Mein Kunstlehrer war irgendwie cool, weil er Ohrringe hatte und seiner Tochter einen wirklich bekloppten Namen verpasst hat.

Wenn ich ehrlich bin waren meine Lieblingslehrer wahrscheinlich einfach nur die Personen, die ich als Mensch nett fand und mit denen ich mich auch als Erwachsene gerne umgeben würde. Und wenn das nette Menschen waren, dann ging das auch irgendwie mit dem Unterricht und dann habe ich bei denen auch was gelernt. Ich war sowieso eine Schülerin, die nur für den Lehrer und höchst selten für irgendetwas anderes gelernt hat. „Ist der Lehrer zufrieden, freut sich der Schüler.“ Und die Kriterien für einen Lieblingsschüler habe ich zudem auch erfüllt. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hatte ich mit vielen Lehrern in meiner eigenen Schulzeit mächtig viel Ärger.

Liebes Schulamt, stellt doch einfach mal nur noch nette Leute ein, dann habt ihr auch keine Bildungsmisere mehr. Oder mache ich es mir hier etwas zu einfach? Es liegt doch alles immer nur am Lehrer, oder?

Hart bleiben, hart bleiben, hart bleiben!

Jedes Jahr mache ich den gleichen Fehler – ich lasse mich vor der Zensurenkonferenz, dazu hinreißen den Schülern ihre Noten zu sagen. Und dann startet der Basar: „Üff, mach’ nicht so Frau Freitag! Warum nur  sechs Punkte. Geben Sie eine Punkt mehr, dann hab’ ich ein Drei auf Zeugnis.“ „Ja, ich weiß. Leider waren deine Leistungen aber nur ausreichend. Und nicht befriedigend.“ („befriedigend“…könnten wir die Definition der Note Drei bitte ändern? Wie wäre es mit „okay“ oder „geht so“ oder „na ja“ oder „ach Gottchen, kein gut mehr“?)

„Wenn ich Ihnen noch ein Bild male, kann ich dann nicht in Kunst 12 Punkte haben?“

„Die Notenabgabe war vorgestern. Du hast so oft unentschuldigt gefehlt…“

Wer als Lehrer Nähe zur Schülerschaft sucht, der sollte am Ende der Stunde die Zeugnisnoten vorlesen. Die Pause kann man dann getrost vergessen. „Wieso Ausfall? Ich brauch doch eine Vier!“ „Der Soundso war aber nicht besser als ich. Ich hab’ doch immer Zweien geschrieben…“

Auf dem Hof erfreut man sich allgemeiner Aufmerksamkeit: „Frau Freitag, geben sie mir acht Punkte, biiiiittttteeee“ schreit man dir entgegen. Besonders schön auch „Sie versauen meine gesamte Zukunft.“ – kombiniert mit einem Gesicht, als säße man in der Todeszelle. „Frau Freitag, Sie haben mein Leben gefickt.“

Und was macht der Lehrer? Der bleibt hart. „Ich muss jetzt zur Aufsicht.“ „Ich gebe dir doch nur die Note für deine Leistungen.“ „Seit Monaten sage ich dir, du sollt dich anstrengen.“

Aber dann kommt der Lieblingsschüler. Du willst nicht, dass er dich vor den anderen nach seiner Note fragt. Du hast ihm dann doch nur 11 Punkte gegeben, weil du sauer warst, dass er die letzte Hausaufgabe einfach nicht nachgereicht hat, aber du wolltest auch mal konsequent sein.

„Und ich?“ „Ja…Ulrich…“ jetzt bloß nicht weich werden. Nicht vor den anderen Schülern! „Was kriege ich in Englisch?“  „Also Ulrich…du bekommst…also, warte mal….“ im Notenheft blättern, Zeit schinden… “…also bei dir, leider nur 11 Punkte.“ „EEEEELLLLLFFFF Punkte????!!!???“

Der Lieblingsschüler ist ehrgeizig. Erst guckt er mich grimmig an, dann hellen sich seine Gesichtszüge sofort wieder auf: „Frau Freitag, 11 Punkte…11 Punkte, hab ich in Musik. Und ich hasse Musik. Geben Sie mir 12!“ Hart bleiben, hart bleiben, nicht hingucken, hart bleiben…“Aber du hast die eine Hausaufgabe…“ Lieblingsschüler lässt nicht locker: „Frau Freitag…is’ doch nur ein Punkt. Kommse! Seien Sie nicht so! Wir gehen, mal schick Essen.“

Tja. Was sagt man dazu? Ich frage mich selbst, was der Lieblingsschüler letztendlich auf dem Zeugnis stehen haben wird. Eigentlich hat der die 12 Punkte nicht verdient. Aber wenn er sie doch so gerne hätte? Und wenn ich dafür bei allen anderen hart bleibe?

So klappt’s auch in der Schule!

Okay, was soll sein, ich verrate jetzt den Trick, wie man alle Problem in der Schule lösen kann. Alle? Ja, alle! Und zwar nicht nur Schwierigkeiten mit Schülern, sondern auch jegliche Dispute mit Kollegen und Vorgesetzten. Frührente, werden einige jetzt sicher denken. Berufsunfähigkeit…Versetzung ins Schulamt…Beförderung …Tod.

Nein, nein, nein. Alles falsch. Die Zauberwaffe zur allgemeinen Glückseligkeit im Hort des Lernens heißt: Paradoxe Intervention.

„Weiß jemand, was das ist? Hat jemand davon schon mal etwas gehört? Was könnte das denn sein…?“ Ich erspare uns an dieser Stelle die entwickelnde Frage-Antwort-Tortur und komme gleich zur Sache.

Paradoxe Intervention heißt, du verhältst dich ganz anders als erwartet. Das ist toll, das macht Spaß und nebenbei lösen sich alle Probleme in Luft auf. Mit ein bisschen Übung kann das jeder. Man muss lediglich sein Pädagogenhirn auf Normalermenschenverstand umprogrammieren und alles vergessen, was man in der Uni gelernt und in der Fachliteratur gelesen hat. Die Meisterin, ach was sage ich, die Königin der Paradoxen Intervention ist Frl. Krise. Sie kann so paradox intervenieren, dass sie beim Fleischer Brot bestellt.

„Kann ich bitte die Fahrzeugpapiere sehen, gnädige Frau?“ „Ach wissen Sie ich brauche erstmal die Speisekarte, aber bringen Sie mir doch schon mal einen Cappuccino und ein Mineralwasser, bitte.“ Das wäre jetzt eine zu weit geführte P-Intervention. Lustig, aber wenig alltagstauglich, da man nach einiger Zeit eher in der Klapse, als in der Zufriedenheit landen würde. Die Reaktionen müssen schon in die Situation passen.

Ein schönes Beispiel vom letzten Freitag. Ich habe Pausenaufsicht auf dem großen Hof. Zehn Meter entfernt von mir zwei Siebtklässler, einer lacht, der anderen im Schwitzkasten. Ich: „Lass ihn mal los.“ Der Aggressor:“ Is’ nur Spaß.“ Die normale Pädagogenreaktion: „Ja, für dich vielleicht, aber nicht für ihn. Ihr wisst, dass wir hier keine Gewalt dulden und blah blah blah.“ Der Junge würde den anderen loslassen und wenn ich weg wäre weitermachen. Jetzt die P-Intervention. “Lass ihn mal los. Es ist doch langweilig, immer nur zu testen, wer von euch stärker ist. Wer ist denn schlauer? Wie viel ist 3+7?“ Sofort sagt einer 10. Garantiert! Und jetzt sofort weitermachen: „Welche Sprache spricht man in Australien? Welches Land ist größer – Dänemark oder China?“ Die Fragen dürfen nicht zu schwer sein. Es wird sich eine Traube von Schülern  bilden, die alle mitmachen wollen. Irgendwann sagt man dann zu einem Zuschauer: „So, du übernimmst jetzt die Fragen.“ Das funktionierte garantiert.

Die Klasse arbeitet nicht mit, seit Wochen schon. Du regst dich auf. Hast alles versucht. Nichts hat geholfen. Du bist am Ende. Kannst nicht mehr, schreist die Klasse an, brichst den Unterricht ab, sitzt am Pult und starrst sie an bis es klingelt. So erging es Frl. Krise mit einer Zehnten Klasse. Zu Hause hatte sie dann eine grandiose Idee. Ein Meisterstreich der P-Intervention – sie ist und bleibt halt die Beste auf diesem Gebiet. In der nächsten Stunde geht sie in die Klasse. Freundlich und nett. Wartet, bis es einigermaßen ruhig ist und sagt dann – ich hoffe ich gebe es jetzt richtig wieder: „Ich möchte mich bei euch entschuldigen.“ Kurze Pause. Die Schüler werden aufmerksam. „Ich möchte mich bei jedem einzelnen von euch entschuldigen. Ich verlange hier, dass ihr euch am Unterricht beteiligt, dabei befindet ihr euch in einer sehr krisenhaften Situation. Ihr habt bald die Zehnte Klasse beendet und wisst noch gar nicht, was ihr dann machen werdet. Rainer, du z.B. wiederholst ja jetzt das Schuljahr, weil du den Realschulabschluss wolltest, und nun hast du das wieder nicht geschafft, ich versteh, dass du da frustriert bist. Christine, du wolltest in die gymnasiale Oberstufe, das klappt jetzt nicht, und ich meckere noch ständig an dir rum….“ Das hat sie die ganze Stunde lang gemacht. Aber nicht ironisch oder gemein. Man darf das jetzt nicht mit dem berühmten“ Ich bekomme mein Geld auch, wenn ihr nicht mitmacht“-Zynismus verwechseln. Die Ironie-Leier kennen die Schüler genauso gut wie das Pädagogen-Geseier. Frl. Krise hatte jedenfalls den vollen Erfolg. Am Ende der Stunde sagte sogar einer: „Aber Frl. Krise, Sie entschuldigen sich bei uns, dabei  müssten wir uns doch eigentlich bei Ihnen entschuldigen.“

Nicht einfach den Toilettengang in der Stunde verbieten, sondern auf „Ich mach mir aber sonst in die Hose.“ antworten: „Das wollte ich schon immer mal erleben, ich spendiere dir in der Pause eine Cola, wenn du das wirklich  machst.“

Oder zu den breitbeinig dasitzenden Machokipplern in der letzten Reihe ein freundliches: „Wenn die Herren mit der Hodenentzündung auch mitmachen könnten…“

Zu den Kollegen, die sich über deine Schüler beklagen: „Der Soundso hat sich wieder total daneben benommen. Der hat in der letzten Stunde…“ Ein “Ja, das ist ja wirklich unglaublich. Ich finde den auch unmöglich. Schreib’ einen Tadel und vergiss nicht, den im Schülerbogen abzuheften.“

Wenn man einmal sein gesamtes inneres Lehrersystem auf Paradoxe Intervention umgestellt hat, unterricht es sich gleich viel einfacher. Man ist nicht so vorhersehbar für die Schüler, der Unterricht wird interessanter, lustiger, Konflikte entschärfen sich schnell und alles macht mehr Spaß.

Also, liebe Kollegen, wenn ihr das nicht sowieso schon praktiziert, dann probiert das gleich mal morgen aus. Frl. Krise wird in einigen Jahren ein Ratgeber-Buch dazu schreiben, in dem sie für jede nur erdenkliche Situation in Schule die passenden paradoxen Interventionsmöglichkeiten aufzeigen wird. Ein garantierter Bestseller.

Berichtet doch mal, wenn ihr erfolgreich paradox  interveniert habt, der Lehrer lernt doch nie aus und wir sind doch immer für gute Ideen zu haben.