Heute war ein guter Tag. Ich bin sehr zufrieden mit mir. Erst eine schöne Kunststunde gehalten, mit sehr schönen Arbeitsergebnissen und zufriedenen Kindern, dann eine bombenmäßig gute Englischstunde in meiner Klasse. Das Geheimnis: Cut and Paste! Berufe auf der einen Seite, was man in dem Beruf macht, auf der anderen Seite. Aufgabe: Ausschneiden, zuordnen, aufkleben. Freiwillig benutzen die Schüler die Wörterbücher. Alle arbeiten mit, die Stimmung ist gut, während sie ausschneiden quatschen wir über alles Mögliche, es wir ganz heime- und gemütlich. Ayla füttert mich mit Toffifee. Und am Ende sind wir alle schlauer.
Dann der große Schock – die Zensuren. Heilsames Erwachen: „Aboooo, ich muss mich voll anstrengen!“ „Ich schwöre, ich schwänze nicht mehr.“ „Ich brauche nur noch 15 Punkte…“
Eigentlich wollte ich den Schülern ihre Prognosen ausdrucken, aber der Computer hat gesponnen – das ganze Zeugnisprogramm war blockiert. Deshalb musste ich die gesamte Hausaufgabenstunde rumlaufen und den Schülern einzeln ihre Noten vorlesen.
Plötzlich steht Mariella neben mir und reicht mir einen Zettel. Ich denke – Entschuldigung, oder Bewerbung, die ich verbessern soll. Aber dann trifft mich der Schlag. Auf dem Zettel steht: Hiermit beantrage ich die Zulassung zur freiwilligen Teilnahme an der Realschulprüfung….
„Mariella, was ist das denn?“
„Na, den Zettel sollte ich doch noch abgeben.“
„Den solltest du am Freitag, mit der Anmeldung abgeben. Warum war der nicht bei der Anmeldung dabei?“
„ich wußte ja nicht…“
„Was wusstest du nicht? Ich habe das doch 1000 Mal gesagt: Die Anmeldung und die Zulassungsanfrage. Die anderen haben das doch auch gleich mit abgegeben.“
Mariella guckt mich entgeistert an. „Und jetzt?“ fragt sie.
„Tja, jetzt weiß ich auch nicht, du und Emre, ihr habt ja schon die Anmeldungen erst am Montag abgegeben. Und jetzt fehlt auch noch der Zettel. Ich weiss nicht, ob die Prüfungskommision dich jetzt noch zulässt. Du musst den Zettel bei der Jahrgangsleiterin ins Fach legen.“
„Kann ich das jetzt machen?“
„Nein, in der Pause.“
Im Lehrerzimmer treffe ich die Jahrgangsleiterin. „Anita, hast du das mitgekriegt – Mariella… erst gibt sie die Anmeldung Montag ab und jetzt fehlte auch noch der Elternzettel.“
„Ja, ich habe sie gerade draußen getroffen. Ich habe gesagt, dass sie wahrscheinlich nicht zugelassen wird. Also ich bin dagegen und Hannelore auch.“
„Tja,“ sage ich „zu spät ist eben einfach mal zu spät.“ Allerdings tut mir Mariella jetzt schon wieder leid. Hätte ich den Zettel vielleicht doch irgendwie unter die Anmeldungen schmuggeln sollen? Wäre bestimmt gegangen. Ich hatte die zwar schon alle abgegeben, aber es hätte bestimmt die Möglichkeit gehabt, den Antrag noch nachzureichen – so „Huch habe ich voll übersehen, hier ist ja noch einer…“
Aber auf diese Idee bin ich vorher gar nicht gekommen, weil ich so entgeistert war, wie locker Mariella alle meine Ermahnungen genommen hat und mir anscheinend als einzige seit Wochen überhaupt nicht zugehört hat.
Als ich gerade gehen will kommt mir Herr Werner entgegen. „Frau Freitag, was hast du denn mit Mariella gemacht?“
„Ich, wieso? Gar nichts.“
„Sie heult draußen sie ist völlig fertig, weil sie jetzt nicht an der Prüfung teilnehmen darf. Anita hat wohl schon gesagt, dass sie nicht zugelassen wird.“
Ich erkläre ihm die ganze Geschichte. „Ja, ich verstehe“, sagt er „aber das ist deine Verantwortung. Du bist für sie verantwortlich. Du musst dich darum kümmern.“
„Ich…? Aber ich hatte denen seit Wochen gesagt, dass sie das Ernst nehmen sollen. Jetzt kann ich da auch nichts mehr machen. Jetzt muss das die Prüfungskommision entscheiden. Vielleicht sind sie ja gnädig, die hat ja ziemlich gute Noten.“
Als ich das Schulgebäude verlassen will, kommt mir die völlig verheulte Mariella hinterhergerannt: „Frau Freitag, kann ich jetzt nicht die Realschulprüfung schreiben?“
„Das weiss ich nicht. Das entscheide ich nicht. Wahrscheinlich nicht, denn du hast einfach zu spät abgegeben.“
„Aber mir ist das total wichtig.“
„Ach, wenn dir das so wichtig ist, warum hast du dir dann erst am Abgabetag einen Prüfer gesucht und die Anmeldung dann auch noch verspätet abgegeben.“
„Na, ich wußte ja nicht.“
„Was wußtest du nicht? Seit WOCHEN rede ich über nichts anderes mehr. Ich kann irgendwie nicht erkennen, dass dir diese Prüfung so wichtig ist.“
Sie guckt mich völlig entgeistert an. Schon habe ich wieder Mitleid. „Na, jetzt lass mal den Kopf nicht hängen, vielleicht lassen sie dich ja doch zu, du hast ja gute Noten.“
Damit lasse ich sie stehen. Auf dem Nachhauseweg grübele ich darüber nach, ob ich mich anders verhalten hätte sollen. War ich jetzt zu hart? Endgültig schmeckt wahrscheinlich echt bitter. Konsequenz aber auch.
Und Otis sagt: It’s too late.