Wie man es nicht machen sollte


Schulorganisation. Heikel. Nicht leicht. Ich will nicht ins Detail gehen. Nur so viel – ich habe mich heute tierisch aufgeregt. Tierisch. So wie lange nicht mehr. Geschnauft und geflucht habe ich, so lange, bis mein Lieblingskollege mit mir einen Kaffee trinken gehen wollte, um mich wieder runter zu regeln.

Jetzt laufen diese Supermodels gerade durch irgend so einen Regen… das möchte ich auch nicht tun. Aber mein Job war heute auch nicht leicht und wenn ich mal nachdenke…bin ich doch eben auch durch den Regen zurückgelaufen – ohne Schirm.

Egal, also, der Lieblingskollege und ich gehen zum Ausgang und vor der Tür stehen lauter Schüler. Alle kenne ich vom Sehen, habe die aber nicht im Unterricht. Viele von denen sind in der siebten Klasse und fallen mir immer wieder unangenehm auf. Die stehen also alle vor der Tür und wir wollen raus.

„So Jungs, geht mal von der Tür weg, wir wollen raus.“ Keiner bewegt sich. Ich – immer noch sauer, werde noch ärgerlicher. „Leute, ich bin echt NICHT GUT DRAUF! Also geht jetzt von der Tür weg!!!!“ Innerlich habe ich das Gefühl, dass ich jemanden schlagen möchte. So was kenne ich von mir gar nicht. Ich will meine Wut irgendwie ablassen und da ich mich nicht mit Rasierklingen ritze und auch nicht wahllos zuschlage – bleibt mir ja nur die Verbalität. Ich also – ziemlich fies und laut zu den Vor-der-Tür-Rumstehern: „Jetzt haut mal da ab ihr …. (sehr schlimmes Wort) !“ Schockstarre. Die Schüler gucken mich ungläubig an. Hat diese Lehrerin das wirklich eben zu ihnen gesagt? Das Wort mit „V“? Sie sind doch alles Jungen. Aber sie hat das doch gerade gesagt.
Mein Lieblingskollege – genauso geschockt wie die Schüler weicht ein paar Schritte zurück: „Komm Frau Freitag, wir gehen hinten raus.“ Ich glaube er hat Angst, dass wir jetzt von der Schülermeute gelyncht werden, wenn wir durch die Tür gehen.

„Nichts da! Wir gehen hier raus!!!“ Ich bin so wütend, das mich eine gewisse Determiniertheit durchströmt. Ich weiche nicht zurück! ICH werde jetzt durch diese Tür gehen und diese Schüler werden zurücktreten und uns durchlassen.

Und so war es dann auch. Die Schüler wichen auseinander und ließen uns durch. Immer noch verwirrt murmelten sie etwas von „Dürfen Lehrer…“, „“Hat sie wirklich…?“ Und einer ruft mir noch hinterher: „Wo haben Sie denn Ihren Lehrerschein her. Im Lotto gewonnen, oder“

„Lehrerschein…hihihi.“ sage ich kichernd zum Kollege, während wir zum Cafe latschen. „Wie lustig… die denken macht macht so einen Schein und ist dann Lehrer…“ Und plötzlich verschwindet meine Wut, meine schlechte Laune. Und schon bevor wir unseren Kaffee bestellt haben, tut es mir total leid, dass diese armen Jungs völlig unschuldig meine Wut abgekriegt haben. Verdient hatten sie es echt nicht. Wenn ich sie morgen sehe, dann muss ich mich sofort bei denen entschuldigen. Und das mit dem Schein… das muss ich auch noch mal gerade rücken. Hihihihi … wo haben Sie denn Ihren Lehrerschein her…. hihihihi

Übrigens schreibt Frl. Krise:

Geht mal alle zum Kinderdoc:

Die Vorlesung


Also, die Lesung am Freitag. In Erfurt. Meine erstes Lesen. Wie war das? Im Auto neben Frl. Krise hatte ich mir überlegt, dass ich eigentlich gar nicht alleine lesen will und, dass Frl. Krise – die ja als Deutschlehrerin und damit professionelle Vorleserin ist, auch mit auf die Bühne soll.

Ich hatte mir mit dem Freund und dem Deutschlehrerfreund zu Hause ein paar Texte aus dem Buch rausgesucht. Aber wie bereitet man seine erste Lesung vor? Viele werden jetzt sagen – lesen üben. Laut. Und wenn man – wie ich – kein besonders guter Vorleser ist, dann macht das schon Sinn. Allerdings hatte ich dazu keine Lust. Deshalb beschränkte sich meine Vorbereitung auf: Die ausgewählten Texte vor mich hinmurmeln, während ich True Blood gucke und dabei die Zeit stoppen.

Auf der Fahrt nach Erfurt wartete ich dann darauf, dass ich tierisch aufgeregt werden würde. Wurde ich aber nicht. Ich hatte nur Hunger und war ziemlich abgekämpft nach einer Stunde mit Dschingis und dem dicken Dirk. Die ganze Fahrt lang haben Frl. Krise und ich über alles mögliche gequatscht, nur nicht über die Lesung.

Irgendwie blieb den ganzen Tag keine Zeit nervös zu werden. Auch als wir vor dem Hotel von dem netten Herrn abgeholt wurden, war ich die Ruhe selbst. Auch als mein Plan – die Hälfte der Texte Frl. Krise darbieten zu lassen – zerbröselte (aus technischen Gründen – Mikro und so…) störte mich das nicht weiter. Selbst, als wir in den vollbesetzen Buchladen kamen war alles okay. Wir standen noch ein paar Minuten, bevor alles anfangen sollte hinter dem Publikum und warteten. Die Vorstellung, dass da Leute Geld bezahlt haben, um mich lesen zu hören kann ich immer noch nicht richtig einordnen.

Und dann ging es schon los. Der freundliche Organisatormensch sagte ein paar nette einleitende Worte und schon war ich dran. Licht aus – Spot an. Und dann habe ich gelesen, erzählt, ein paar Witze gemacht und schon war alles wieder vorbei. Easy. Wirklich. Hat Spaß gemacht. Ehrlich. Hat sich gelohnt.

Witzig war allerdings, dass ich danach noch Bücher signieren sollte. Nun signiere mal mit Frau Freitag. Nach einer Weile habe ich mir so ganz schöne Schnörkel für die beiden Fs angewöhnt. Einer armen Frau habe ich 2001, statt 2011 in das Buch geschrieben. Huch. Na ja, und dann wurde signiert und signiert und dabei ein bisschen erzählt und als ich wieder hochgucke steht da plötzlich nur noch das Fräulein, die Stühle werden abgebaut und ich habe tierischen Hunger.

Alles in allem kann ich wirklich sagen – alles super. Hat echt Spaß gemacht. Eine sechswöchige Lesereise durch die Republik kann kommen.

Jetzt bleibt wirklich nur noch ein Frage, die ich klären muss. Was ist umsatzsteuerpflichtig und vor allem – bin ich umsatzsteurpflichtig?

Lohnt sich nicht


Lohnt sich nicht. Lohnt sich nicht. Lohnt sich nicht.

„Fatma, wo warst du am letzten Mittwoch in den ersten drei Stunden.“
„Die letzten Stunden sind doch ausgefallen. Lohnt sich nicht dann zu kommen.“
„Mariam, wo warst du heute morgen?“
„Ich wollte nur meinen Hefter abgeben, wegen der Zensur. Ich habe gleich um 13 Uhr einen Termin bei Jobcenter. Da dachte ich, dann fehle ich lieber den ganzen Tag. Weil lohnt sich ja nicht, für die paar Stunden zu kommen.“
„Die paar Stunden? Du hattest vier Stunden heute morgen. Und es hätte sich sehr wohl gelohnt. Ihr habt eine Mathearbeit geschrieben.“
„Schwör?!?“
„Ja, schwör.“

„Bilal, wo ist deine Schultasche?“
„Lohnt sich nicht, wir haben heute nur Kunst, Musik, Erdkunde, Mathe und Geschichte.“
„Peter, warum hast du keinen Stift?“ Seit mehreren Wochen hat Peter keinen Stift.
„Ich muss immer so früh los, da schaffe ich es nicht einen mitzunehmen.“

„Mert, du warst jetzt seit Wochen nicht in meinem Kunstunterricht. Wir haben nur einmal die Woche. Es fällt noch soviel aus, wir haben wahrscheinlich nur noch acht mal, bis zu den Zeugnissen. Du stehst zur Zeit auf einer Fünf.“
„Wenn ich sowieso einen Ausfall habe, muss ich dann überhaupt noch kommen?“

„Marcella, Ayla, warum wart ihr nicht bei Sport?“
„Wir waren zu spät und da dachten wir, dann brauchen wir auch nicht mehr hinzugehen.“

Lohnt sich nicht. Lohnt sich nicht. Lohnt sich nicht. Schülerlogik – bleibt mir ein ewiges Rätsel.

Fragt mich doch mal nach einer Klassenfahrt! Ich weiss schon was ich antworte: „Lohnt sich nicht.“

Aber ich sollte mich eigentlich nicht beschweren. Seit einigen Wochen habe ich durch die Dauerschwänzerei sehr angenehme Kleinstgruppen. Gestern kamen die Briefe an. Jede einzelne unentschuldigte Fehlstunde der Schüler im zweiten Halbjahr habe ich dokumentiert. Zwei Eltern habe sich bei mir gemeldet. Was ist mit den anderen? Denken die sich auch: „Lohnt sich nicht mit meinem Sohn/meiner Tochter.“

Jetzt geht denen echt die Puste aus. Besonders angestrengt hat sich meine Klasse noch nie. Aber jetzt scheinen einige gar nicht mehr aus dem Bett zu kommen. Echt traurig. So jung und sich schon so aufgegeben. Ich frage mich echt, was sich noch lohnt. Und das muss ich nicht mich fragen, sondern die Schüler. Ich gehe mal in mein Kinderfacebook und frage jeden einzelnen.

Einer muss ja anfangen


Die Zeitumstellung packten meine Schüler natürlich nicht. In der ersten Stunde saß ich noch mit wenigen, in der zweiten Stunde fehlten immer noch acht Schüler. Fatma kam um 11. „Fatma, es ist elf Uhr! Und jetzt komm mir nicht mit der Sommerzeit!“
„Doch, Frau Freitag und der Bus, der hatte Ersatzverkehr, ich schwöre, was kann ich dafür? Gehen Sie gucken.“ Bin ich nicht. Also gucken gegangen.

Weil so wenig Schüler da waren konnte ich mich endlich mal länger mit einzelnen Beschäftigen. Dafür bleibt ja leider immer zu wenig Zeit, wenn die ganze Meute anwesend ist. Asmaa ist heute ganz alleine. Fatma, Miriam, Elif und Esra fehlen und da sitzt sie nun ganz einsam am Fenster. Ich setze mich zu ihr. Wir quatschen über ihre Zukunft.
„Frau Freitag, das ist echt schwierig einen Ausbildungsplatz zu finden, so wegen Kopftuch.“ Asmaa trägt seit der neunten Klasse ein Kopftuch. Sie ist trotzdem immer total geschminkt und sehr modisch angezogen. Sie sieht echt super aus, wird von allen Jungen heiß begehrt und auf Facebook täglich angeflirtet. Asmaa hat sich noch nicht bei einem einzigen Betrieb oder sonst irgendetwas beworben. Kein Wunder, dass sie das alles als schwierig empfindet. Wenn man keine Bewerbungen abschickt, dann bekommt man wohl auch keine Angebote. Wahrscheinlich sieht Asmaa was ich denke.
„Frau Freitag, diese Isra – kenne Sie die? Sie hat auch Kopftuch, sie war letztes Jahr hier. Sie hat einen ganz tollen Abschluss und dann hat sie sich beworben bei so einer ganz tollen Firma und sie hatte ein Foto geschickt, wo sie ohne Kopftuch war und sie hat auch den Ausbildungsplatz bekommen. Aber dann als sie anfangen wollte, da haben sie gesagt, dass sie sie mit Kopftuch nicht nehmen werden. Dann saß sie ganz lange zu Hause und und jetzt arbeitet sie in dem Laden von ihren Eltern. Ihre Mutter sitzt immer hinten mit Freundinnen, trinkt Tee und quatscht und sie muss den ganzen Tag an der Kasse sitzen. Aber das ist so ein Laden, wo die so Taschen verkaufen. So für 10-15 Euro.“
Asmaa macht ein Gesicht, das mir zeigen soll, dass diese Taschen nicht kaufenswert sind und der Verkauf deshalb wahrscheinlich auch keinen Sapß macht.
„Frau Freitag, wenn ich so eine Arbeit hätte, dann wäre das ja okay, ich, mit meinem schlechten Zeugnis und so. Aber Isra – die war soooo gut und hatte sooo ein tolles Zeugnis.“
Wir starren beide in die Luft und denken nach.
„Und das alles nur wegen Kopftuch.“ stellt sie noch mal fest.
Wir überlegen was man tun könnte. Spielen verschiedene Möglichkeiten durch. Kopftuch tragen, Kopftuch abnehmen, Kopftuch auf der Arbeit nicht tragen und sonst doch … es ist alles nicht so leicht. Asmaa sagt, dass viele Frauen in ihrer Umgebung jetzt ihren eigenen Weg gehen: „Viele sind geschieden und lernen jetzt Deutsch.“ Ich erkläre ihr, was Emanzipation ist.

Mariam hört uns zu und sagt, dass sie glaubt, dass sie die letzte Generation sein wird, die Kopftuch tragen: „Unsere Kinder werden das nicht mehr machen. Die werden sich bestimmt immer mehr anpassen.“ Nüchtern sagt sie das. Ohne Groll, Angst oder Ablehnung. Sie stellt es einfach als eine Art Tatsache fest.

Asmaa nützt das momentan nichts. „Tja, Asmaa,“ sage ich, „Vielleicht musst du die erste sein, die das Kopftuch wieder abnimmt, um einen gute Ausbildungsplatz zu bekommen. Und vielleicht musst du das aushalten, wenn die Leute dann Blödsinn über dich erzählen. Vielleicht tust du dich mit anderen Mädchen zusammen und ihr macht das alle gleichzeitig.“

Irgendjemand muss ja mal anfangen. Irgendeine Frau hat ja auch als erste die Scheidung eingereicht.

Lesen in Mitteldeutschland


So. Ich habe es hinter mir. Die erste Lesung. Sollte ja eigentlich für einen Lehrer kein Problem sein. Denkt man. Aber leider kann ich ja so dermaßen gaaaar nicht gut Lesen. Rechtschreibung kann ich nicht , Kommaregeln kann ich nicht und Mathe auch nicht. Erdkunde geht und Englisch ist ganz gut. Aber Vorlesen – konnte ich nie, hab ich nie geübt und deshalb kann ich das gar nicht.

Und trotzdem sage ich am Telefon: „Ach so. 50-60 Minuten Vorlesen und dann Fragen beantworten – kein Problem.“ und dann bekomme ich die guten Ratschläge in meiner Umgebung: „Übe doch einfach mal zu lesen.“ Üben??????

Irgendwie war dafür keine Zeit. Ich hatte es gerade noch geschafft, mir die Texte rauszusuchen, die ich vorlesen wollte. Üben ging echt nicht mehr. Ich kenne die Texte jetzt auch schon so gut, dass ich da wahrscheinlich die Lust dran verliere, wenn ich da zu viel draufgucke. Also unvorbereitet, wie in den Unterricht zur ersten Lesung meines Lebens. Auf nach Mitteldeutschland. Frl. Krise natürlich mit dabei. „Ich frage mal ob du mitmachen kannst. Dann lesen wir abwechselnd“ sage ich im Auto. „Hmmm.“ Frl. Krise sagt gar nichts dazu. Das ist für sie kein Problem. Ach, da ein paar Texte vorlesen – das gehört doch zu ihren leichtesten Übungen. Die ist echt cool. Oder eiskalt – wie man es nimmt. „Bist du aufgeregt?“ fragt sie, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Irgendwie nicht.“ Wir sind zeitig losgefahren und haben Stunden Zeit bis zum Veranstaltungsbeginn.

Frl. Krise ist echt Action-Woman. Da wurmt sie das so sehr, dass ich kein Stück nervös bin, dass sie mit mir einen Riesenumweg fährt. Als ich es merke und sie frage, was sie da macht, versucht sie sich rauszureden: „Das blöde Navi…“ Ich traue ihr nicht. Sie wollte nur mal mit 180 Sachen über Autobahnstrecken heizen, auf denen leider lauter Baustellen sind. Und immer mit nur einer Hand am Steuer. Mit quitschenden Reifen kommen wir am Hotel an. 20 Minuten, bevor wir abgeholt werden sollen. Ahhh, denke ich – noch mal gutgegangen. Der Adrenalinnachlass scheint aber der Krise nicht gut zu tun. Also macht sie Stress mit dem Auto: „Wo sollen wir das parken?“ Sie fährt in die Tiefgarage des Hotels – die ist voll. Als ich zu ihr komme steht sie mit dem Auto vor der Schranke und kommt nicht raus. So ging das noch etliche Minuten. Dann wollte sie noch ein eigenes Zimmer, weil sie meint sie röchelt nachts so doll. Ich hätte das gar nicht gehört, denn ich schnarche so laut, dass ich nichts mitkriege. Jedenfalls sagt die Frau am Empfang, dass es nur noch ein Raucherzimmer gibt. Z.Z befindet sich das Fräulein ja wieder in der Phase, in der sie denkt sie sei Nichtraucherin. Eigentlich ist sie nur Nicht-Kauferin und hält sich mit „Gib mal eine!“ über Wasser. Sie also: „Na, das Raucherzimmer kannst du ja haben.“

Ich sage „Ja, okay“ und dackel in mein kleines verqualmt-müffelndes Kämmerlein. Viel Zeit zum berühmten Frischmachen bleibt nicht. Ich kann mich gerade mal hektisch umziehen, die Zähne putzen und mich notdürftig schminken.

Dann hole ich Frl. Krise aus ihrem – eigentlich MEINEM Zimmer ab. Und was das für ein Zimmer war. Eine richtig Suite. Riesengroß, mit allem drum und dran. Sesseln, Kaffeekocher, Badewanne, Kosmetikpröbchen usw.
Frl. Krises Kommentar: „Ich mag keine großen Zimmer.“ Aber für Neid war keine Zeit, denn es blieben nur noch 15 Minuten bis zu Lesung.
(Fortsetzung morgen)

Na geht doch


„Guten Morgen, Frau Freitag – Montag und Dienstag krank – Entschuldigung vergessen, bring ich morgen und gestern war ich bei diesem Job-Dings.“
„Guten Morgen, Abdul. Also, wo warst du gestern?“
„Frau Freitag, gestern war das Highlight in meiner Ausbildungsplatzsuche. Ich war bei so Job Messe oder so was. Und das war voll hammer. Der eine Typ war voll begeistert von mir. Er meinte er wird mir auf JEDEN Fall einen Ausbildungsplatz besorgen. Er meint. Ja, du bist sympathisch, kommst gut rüber und so dies-das.“

Abdul strahlt. Ich auch.

„Frau Freitag?“
„Ja Mina?“ Mina wiederholt die Zehnte. Sie hat die Realschulprüfung nicht bestanden. Sie ist sehr zuverlässig, immer höflich, nett, sozial und alles – aber sie wird wahrscheinlich auch diesmal nicht die Prüfung schaffen.
„Mina,“ frage ich, „wie war denn dein Bewerbungsgespräch?“
„Super. Er meinte – du brauchst mir gar nicht dein Zeugnis zu zeigen – ich sehe, du bist ordentlich, höflich und zuverlässig.“
„Na, das klingt ja auch toll. Hast du denn da eine feste Zusage?“
„Frau Freitag – ich habe jetzt FÜNF Zusagen, bei verschiedenen Ärzten.“

„FÜÜÜÜNNFFF????“

Mina nickt. Sie strahlt. Ich auch.

Was ist los? Scheint ja doch alles nicht so aussichtslos zu sein. Was ist, liebe Wirtschaft? Habt ihr nicht mehr genug Abiturienten, die sich bei euch bewerben? Dürfen meine Schüler jetzt auch mal wieder mitspielen auf dem Arbeitsmarkt? Das wäre super und ich garantiere euch auch, dass sie ihre Sache gut machen werden. Auch, wenn sie in der Schule so oft zu spät kommen glaube ich fest daran, dass sie sich später „auf Arbeit“ ganz anders benehmen. Die wissen doch auch, dass es dann um mehr geht.

Zwei meiner Schüler scheinen also schon versorgt zu sein. Mina könnte noch vier Ausbildungsplätze an die anderen Mädchen abgeben. Bleiben nur noch knapp 20 Stellen, die wir suchen.

Wenn jemand was weiss – einige besondere Fähigkeiten der Schüler:
-humorvoll
-gut angezogen
-gut geschminkt
-gut solariert (vor allem die Jungen)
– Haare immer gut gestylt oder auch Kopftuch gut gebunden
-sehr sozial im täglichen miteinander
-sehr gute Handykenntnisse
-hervorragende Computerkenntnisse: vor allem Facebook
-nicht auf den Mund gefallen
-wenn sie was interessiert, dann sind sie voll dabei
-wenn sie was nicht interessiert, dann merkt man das sofort
-Leidenschaftlich, wenn sie was interessiert
-sie übernehmen gerne Verantwortung
-sie sind selbstbewusst, nicht unsicher oder wischiwaschi
-sie sind tolle Menschen – ich würde sie auch einstellen

Und man kann als Betrieb damit glänzen, dass man sich einen Jugendlichen mit Migrationshintergrund geschnappt hat. Da gibt es doch bestimmt 1000 Förderprogramme vom Jobcenter oder ein paar schicke EU-Gelder.

Wer ist sie wirklich


Gestern war WordPress kaputt. Ich wollte abends noch einen Text schreiben und kam gar nicht auf meine Seite. Also von außen schon, aber nicht von innen. Erst dachte ich, es sei nur mein Blog kaputt und alle meine Texte seien dahin und die ganzen schönen Kommentare, aber jetzt geht ja alles wieder und Frl. Krise kam gestern auch nicht rein.

Aber die kann ja auch schön den ganzen Tag schreiben. Die ist ja krank und zu Hause. Überhaupt sind ja ALLE krank. Frl. Krise will nichts mehr hören und sammelt deshalb Wasser hinter den Ohren – also in den Ohren, der Deutschlehrer hat irgendwelche Löcher in den Nasennebenhöhlen oder so und soll jetzt sogar operiert werden. Bei Frl. Krise sind das natürlich auch keine normalen Ohrenschmerzen. Eine ordinäre Erkältung tut’s heutzutage nicht mehr. Da muss man schon mit was Exklusiven aufwarten, um hip zu sein im Wartezimmer vom HNO. Und ich – ich könnte Hals und Stimme ausbauen. Stimme ist belegt – sind bestimmt wieder Stimmbandknoten und das damals nicht operierte Ödem.

Ach ich möchte das nicht …. immer diese Krankheiten. Alle sollen gesund sein und es soll mal richtig Frühling werden. So, dass man mal wirklich draußen sitzen kann und nicht immer Angst haben muss, dass man sich doch noch eine fette Blasenentzündung zuzieht. Und dann könnten auch mal schleunigst die Osterferien anrücken. Ich habe langsam keinen Bock mehr auf Unterricht.

So, mehr fällt mir heute gar nicht ein. Ich gucke mal, was Frl. Krise heute geschrieben hat und vielleicht kann ich mich dazu äußern.

Also ich will ja nichts sagen, aber das nimmt ja schon schizophrene Züge an bei der Krise. Da imaginiert sie, dass sie heute in der Schule war und irgendwas mit Liebesbriefen erlebt hat. Ich gehe jede Wette ein, dass sie keinen Freund hatte, der Holger hieß. Und dann guckt mal, wann sie die Kommentare kommentiert – zu welcher Uhrzeit. Die war heute nicht in der Schule – ich könnte schwören, die war zu Hause. Und wenn die sich heute den Text ausgedacht hat – vielleicht denkt die sich immer die Texte aus. Vielleicht ist die gar keine Lehrerin. Leichtgläubiges Internet. Warum glaubt eigentlich jeder, dass Frl. Krise Lehrerin ist? Mir hat man das doch auch schon oft nicht geglaubt.

Ich würde mich nicht wundern, wenn sie einfach nur eine ganz ausgefuchste Journalistin wäre, die hier ein extrem gutes Viralmarketing betreibt. Oder was meint ihr? Und was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen Frl. Krise? Was bist du? Was willst du sein? Sieh‘ es mal so – hier können wir sein, was wir wollen.

Realität ist immer relativ


Ach wie schön, jetzt kommt der Frühling doch noch. Morgens geht man mit der warmen Jacke raus und nachmittags schwitzt man und muss die Jacke umständlich unter dem Arm nach Hause tragen.

Heute habe ich auch schon mit meinem Lieblingskollegen den ersten Feierabendeiskaffee getrunken und erhellende Gespräche geführt.

Er so: „Also ich werde aus der neuen Kollegin gar nicht schlau.“
Ich: „Wieso.“
Er: „Also, sie hat voll den fetten Arsch, aber irgendetwas ist in ihrem Gesicht, was ganz hübsch ist.“
Ach, ich liebe diese kollegialen Analysen.

Hier haben sich ja einige Leser gewundert, warum ich am Wochenende keine Kommentare freigeschaltet habe. Das hatte einen bestimmten Grund: Abhängigkeit. Auf der Couch.

Ich dachte: „Ach guck doch mal in diese Ami-Serie „True Blood“ rein.“ – und zack- war es vorbei mit mir und meinem normalen Leben. Die ganze erste und die Hälfte der zweiten Staffel habe ich mir jetzt schon reingzogen. Ich bin hooked. Leider muss ich das die meiste Zeit alleine gucken, weil meinem Freund das zu blutig und zu brutal ist. Ich finde es super. Es hat so rein gaaar nichts mit meinem Leben zu tun. Genau das Richtige also.

Wer hätte gedacht, dass ich diese Vampirproblematik mal so spannend finde. Ich bin ja eigentlich überhaupt nicht für Ausgedachtes – ich bin so sehr Realist – ja, ich bin eigentlich ein extremer Naturalist. Hyperrealität ist mein Ding: Die Mädchengang, raus aus den Schulden, Lindenstraße… je trostloser, umso besser. In ein paar Jahren nehme ich mir ein Kissen, lege das unter meine Arme und beobachte die Straße vor meinem Haus.

Eigentlich also ganz untypisch für mich – dieses True Blood Zeugs – aber ich find es super. Ich liebe diesen „Southern Drawl“ und wie die Vampire so ihren Alltag meistern. Irgendwie auch wie „Mitten im Leben“, halt mit Vampirproblemen… dem einen schmeckt B negativ Blut nicht so gut, der andere verliebt sich in eine Menschin und hat Probleme mit der Sonne. Hab‘ ich ja auch – Angst vor Pigmentflecken. Probleme mit der Sonne haben die da alle.

Und weil ich am Wochenende so in dieser Blutsauger, Werwolf, Shape Shifter – Welt drin war verändert sich auch die Wahrnehmung in der richtigen Welt. Heute stehe ich auf dem Hof und da kommt ein Schüler auf mich zu, mit einem Pflaster auf der Nase und ziemlichen Kratzern am Hals. Eindeutig Zeichen einer körperlichen Auseinandersetzung. Ich allerdings frage ihn völlig ernsthaft: „Werwolfangriff?“

Ich glaube ich brauche echt bald Ferien – vor allem, damit ich endlich die restlichen Staffeln von True Blood angucken kann.

Dschääääingisss


„Frau Freitag?“
„Ja, Dschingis?“
„Was haben Lehrer für Gedanken?“

Dschingis guckt gar nicht von seiner Zeichnung auf. Er sitzt direkt vor mir, die anderen Schüler sind im Raum verteilt und hören uns nicht.
„Was meinst du? Was für Gedanken?“ frage ich ihn.
Jetzt legt er den Bleistift weg und guckt mich an: „Was denken Lehrer so? Ich würde gerne wissen, wie die so denken.“

Im Paralleluniversum, in dem es keine Atomkraftwerke und keinen Krieg gibt, keine Bildzeitung und keine Häme, wo überall orangene Tulpen wachsen und es immer Frühling ist – da sage ich:

„Dschingis, wenn dich das wirklich interessiert – ich schreibe das jeden Tag auf. In so ein Blog.“
„Blog? Auf einen Schreibblock?“
„Na, ist wie ein Schreibblock im Internet. Da schreibe ich jeden Tag, was für Gedanken ich habe. Und ich habe jetzt auch ein Buch geschrieben. Das heißt Chill mal… “
„Sie haben ein Buch geschrieben?“
„Ja, warum nicht.“
„Cool.“
„Wenn du willst bringe ich dir das mal mit. Das kannst du ja dann lesen. Du kommst auch drin vor.“
„Echt? Ich?“
„Ja, von vor zwei Jahren, weißt du noch, wie du immer so genervt hast?“
Er grinst und nickt.
„Ich beschreibe dich aber recht liebenswert. Weil du warst ja irgendwie auch ganz süß.“
„Bin ich doch immer noch.“
„Ja, bist du immer noch. Und jetzt nervst du auch nicht mehr so doll.“
„Sie auch nicht. Und das Buch… ja, würde ich gerne lesen.“

In er Realität sage ich:

„Was meinst du?“
„Na, was denken die Lehrer über die Schüler?“
„Also, ich verstehe z.B. nicht, warum meine Schüler immer so viel schwänzen. Also die in meiner Klasse und das ärgert mich. Das macht mich richtig wütend. Weil die sich ja ihren Schulabschluss versauen.“
„Das macht Sie wütend?“
„Ja, voll, weil die eigentlich gute Noten haben könnten.“
„Ich glaube vielen Lehrern sind die Schüler egal.“
„Meinst du? Aber nicht den Klassenlehrern. Was sagt denn Herr Werner. Was meinst du denn, was der über euch denkt.“

„Ich glaube der denkt so, dass wir so seine Jungs sind, auf die er sich verlassen kann, aber wenn er zu Hause ist, dann denkt er, dass wir keine Zukunft haben.“
„Und was meinst du? Meinst du ihr habt eine Zukunft?“
„Klar, ich will doch auch nicht später nur rumhängen und nichts arbeiten.“
„Aber Dschingis, ich höre hier so oft, das den Schülern alles egal ist und blah blah blah, Harz4 und chilln und so weiter.“
„Ach, das sagen die doch nur um cool zu sein. Eigentlich ist denen ihre Zukunft gar nicht egal.“

Dschingis grinst mich an. Das aus dem was wird habe ich noch nie bezweifelt. Ich bin kurz davor ihm den Namen meines Blogs aufzuschreiben, aber dann klingelt es.

Altsein rules!


Heute will ich mal berichten, was für schönen, ruhigen Unterricht ich gemacht habe. Da ich schlecht geschlafen und wenig gegessen hatte, war ich heute recht dünnhäutig. Seelisch nackter als sonst. So ein Gefühl von – hoffentlich meckert der Busfahrer mich nicht an, denn das könnte ich jetzt nicht verkraften. Hoffentlich sagt kein Schüler was Gemeines, denn meine Schlagfertigkeit schläft. Meine labile Emotionalität drückte sich dann so aus, dass ich besonders ruhig, betont langsam (war ja auch so müde) und extrem nett zu den Schülern war. Freundlich bat ich sie sich auseinander zu setzten, weil ich den angekündigten Test schreiben lassen wollte. Auch dass sie nicht gelernt hatten( „Abo – Test?“) wurde von mir nur mit motivierendem „Schaffst du schon, ist ganz leicht“ kommentiert.

Nach dem Test sollten sie ein poplig leichtes Arbeitsblatt bearbeiten. Na ja, ich denke immer, alles ist poplig leicht. Die Schüler sehen das meistens anders. Aber siehe da – alle machten sich an die Arbeit und sie schafften richtig viel heute. Und während der Schreibphase war es absolut still. Daraufhin wurde ich noch milder und noch netter und am Ende war die schlechteste Mitarbeitsnote eine drei.

Vielleicht hat sich seit Schuljahresbeginn nun endlich so etwas wie ein funktionierendes – sprich: gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis eingestellt. Ich habe lange und viel gekämpft in dieser siebten Klasse. Jetzt sind sie zwar manchmal unruhig, aber das führe ich hauptsächlich auf ihren jugendlichen Bewegungsdrang zurück. Insgesamt flutscht der Unterricht bei denen jetzt. Und ich bin gerne dort.

Anfangs war ich immer völlig fertig nach diesen Stunden. So kann sich alles verändern. Ich weiss allerdings auch, dass es morgen wieder gaaaaanz anders aussehen kann und auf Schonung wegen emotionaler Nacktheit kann man bei Schülern auch nicht IMMER hoffen. Ein Glücksfall, wenn das passiert, aber garantieren kann einem das keiner. Schüler sind halt auch nur Menschen. Kleine Menschen.

Bin ich vielleicht froh, dass ich kein Schüler mehr sein muss. Wenn ich mir vorstelle, ich ginge jetzt noch in die siebte Klasse… oh Mann… und dann in die achte und alle haben Pubertät… nicht auszuhalten und dann neunte und dann dieser Stress in der Zehnten… und wer weiss, vielleicht würde ich leistungsmäßig im letzten Jahr voll abbauen und immer schwänzen und einen ganz schlechten Abschluss kriegen und dann müsste ich mir ja auch noch eine Lehrstelle suchen und dazu hätte ich ja auch keinen Bock und dann gäbe es auch gar nichts, was mich interessiert und wenn es was gäbe, dann bekäme ich das wahrscheinlich nicht… wäre das alles schrecklich – stellt euch das mal vor!

Stellt euch wirklich mal vor ihr wacht morgen auf und sitzt in der Siebten Klasse und habt gerade Mathe.