Warum einfach und nicht kompliziert

„…Tschüß, schöne Ferien. Tschüß, schöne Ferien, Orkan. Tschüß, schöne Ferien…“

Der gute Lehrer ist weitsichtig. Der gute Lehrer plant seinen Unterricht. Der gute Lehrer weiss, dass er, wenn er Donnerstag eine sehr, sehr lange Sitzung hat, seinen Unterricht für Freitag schon am Mittwoch planen muss.
Ich wollte gute Lehrerin sein und saß deshalb am Mittwochabend stundenlang am Schreibtisch.

So, am Freitag habe ich nochmal eine Stunde in der Sieben und die doofe Achte. Die sollen mal nicht denken, dass sie irgendwas anderes als Unterricht verdient hätten. Die werden natürlich keine Englischsachen dabei haben, oder mir wenigstens erzähle nichts dabeizuhaben. Deshalb muss ich mit denen was mit Arbeitsblättern machen. Ich plane und bastle und schreibe, drucke und schnippele und habe am Ende eine schöne runde Stunde. Und die Siebte… die müssen auch noch was machen. Mit denen könnte ich doch nochmal eine Stunde zum kreativen Schreiben machen. Ich hatte doch da so ein gutes Buch. Wo war das denn… ach hier. Also was braucht man? Ah, man soll diese 40 Wörter abtippen, für ein Arbeitsblatt und den Modeltext und dann das Textproduktionsskelett… na, dann mach ich das auch noch schnell. Und hier steht, das ganze dauert 20 Minuten. Dann ist die Stunde aber noch nicht vorbei… vielleicht könnten die den Text noch schön auf ein Extrablatt schreiben. Fürs Portfolio (uäääähhhh!). Ich hatte doch irgendwo so Blätter mit so schönen Umrandungen, von Frau Dienstag. Wo waren die denn? Ah hier. Müsste ich jetzt nur noch einscannen, verkleinern und ausdrucken…

Nach Stunden war mein Freitag vorbereitet. Jetzt muss ich nur noch um 7.30Uhr in der Schule sein, damit ich das alles noch kopieren kann.

Das war der Mittwoch. Dann kam der Donnerstag und heute der Freitag.
Klingelingeling – der Wecker. Ich bin müde. Trödele rum morgens. Gehe zu spät aus dem Haus. Im Bus denke ich: Warum mache ich mir das Leben eigentlich so schwer? Gleich kommt die doofe Achte und ich will mit denen (gegen deren Willen) noch Unterricht machen. Warum denn eigentlich? Mein Nacken schmerzt und ich könnte doch auch einfach den Beamer anschmeißen. Ist doch schließlich die letzte Stunde vor den Ferien.

„Können wir raus gehen?
„Können wir was spielen?“
„Was wollt ihr denn spielen?“
„Er, sie, es.“
„Was soll denn das sein?“
„Na, er ist er und sie ist sie.“ sagt Kufa, zeigt dabei auf einen Mitschüler und eine Mitschülerin und grinst mich verschlagen an.
Mit „Klingt ein wenig langweilig dieses Spiel.“ tue ich seinen Vorschlag schnell ab.

„Also, ich habe „Pimp my ride“ und die „Simpsons“.“ ich kläre diese unwissende Generation auf, was Pimp my ride ist. Einige kennen das und sind nun ganz heiß drauf. Aufgeregt erzählen sie ihren Mitschülern, was da für geile Autos zusammengebastelt werden. Wir stimmen ab. Die Simpsons verlieren. Ich suche die DVD. Finde sie nicht, also doch die Simpsons. Zwei Folgen mit englischen Untertiteln.

Weil der Beamer schon steht gucke ich mit den Siebten gleich weiter.
Dann kommen die Jungs aus meiner Klasse. Wir spielen Karten. Einige spielen Uno mit Nacken. Wer verliert, bekommt von jedem einen Nackenklatscher. Und ich bringe einigen Schwimmen bei (auch als Knack oder 31 bekannt). Wir haben alle großen Spaß. Ich gewinne und verliere, verteile am Ende der Stunde Schokolade und verabschiede jeden einzeln mit Handschlag in die Osterferien.

„Tschüß, schöne Ferien.“
„Ihnen auch schöne Ferien.“

Halbe Hundert – nein danke!

Was will uns der Film eben auf dem Ersten eigentlich sagen? „Halbe Hundert“ – drei Frauen, um die 50 und wie sie so leben. Die eine war aber irgendwie viel älter. Sie war 1976 bei Ike und Tina Turner beim Konzert. Also, wenn sie jetzt 50 sein soll… dann muss sie da…äh wartet mal… 86, 96, 106 + 6 gleich 36 – na, dann war sie 14… käme ja hin. Egal.

Aber was war denn das mit Martina Gedeck? Erst geht sie sich so einen Callboy kaufen und dann verliebt der sich in sie, weil sie so schön älter ist und man denkt – na, ist doch toll. Dann muss sie auch nicht mehr mit diesem stoffeligen Studienrat zusammensein. Was war denn das für ein Typ – wie stellen sich denn die ARD-Leute einen Lehrer vor? Graue schmierige Haare – hinten Zopf, vorne Glatze, PULLUNDER – HALLO!!!?!! und natürlich – Cordhosen… und sie aber voll die schicke und voll erfolgreiche Handchirurgin und voll reich und mehrere Häuser und voll das schnelle Auto.

Jedenfalls denkt man – na, ist doch super, dass sich dieser gutaussehende, charmante, junge Callboy in die Martina verliebt und man freut sich, weil das Hoffnung macht, dass man in Zukunft vielleicht auch einen hübschen Callboy bekommt. Falls man das mal bräuchte. Aber voll teuer so ein Callboy. Sie bucht den da für einen Kongress und dann muss sie 1800 Euro zahlen – Pretty Woman Preise.

Jedenfalls ist der Callboy – Martin so ein ganz netter. Sagt immer das richtige, sieht immer toll aus, ist höflich und so weiter. Die Freundinnen von Martina sind voll neidisch. Die eine will sich die Brüste operieren lassen, weil die so groß sind und dann stellt man bei ihr Brustkrebs fest. Das wird aber gar nicht weiter verfolgt. Weil ja das Schicksal von Martin und Martina viel interessanter ist.

Und dann bekommt Martina ein Problem mit dem Job vom Callboy. Irgendwie ist sie eifersüchtig. Obwohl er ihr immer wieder sagt, dass er seinen Job und sie trennen kann und so weiter blah, blah.

Jedenfalls wird sie dann eines Morgens 50 und er schenkt ihr, dass er seinen Job gekündigt hat. Nettes Geschenk… wer würde sich nicht freuen: Schatz, happy birthday – ich bin arbeitslos.

Aber Martina freut sich voll. Aber Martin hat Sorgen. Er hat Schulden. Und ab da war ja klar gewesen, dass es sich hier um einen ganz fiesen Tantentäuscher handelt. Auf so einen ist ja damals sogar Mutter Beimer reingefallen – man erinnere sich, bitte.

Jedenfalls braucht der Callboy 80 000 Euro – die werden dann erst mal schnell mit Aktienverkäufen locker gemacht.

Und dann stellt sich aber raus, dass der Callboy die Martina mit Sexbildern erpressen will. War ja klar. 250 000 Euro möchte er haben.

Martina leidet – in Maßen, zahlt dann, bei der Übergabe wird er festgenommen, sie geht zu ihrem Cordhosenmann zurück und trinkt Rotwein. Ihre Freundin bekommt eine Brille.

Und was ist jetzt das Fazit? Was lerne ich aus dieser Geschichte? Wenn sich jüngere Männer für ältere Frauen interessieren, dann wollen sie die eigentlich nur mit Sexfotos erpressen. Na toll.

Mitleid – leider nicht

„Na, gibt’s was Neues?“ Ich stehe mit Frau Hinrich am Vertretungsplan. Ich will zu ihr rüber gucken, kann meinen Kopf aber nur ein paar Grad nach rechts drehen. Sie guckt mich fragend an.

„Ich habe doch seit letzter Woche eine Blockade im Nacken.“ erkläre ich meine Roboterdrehung und erwarte Mitleid. Oder emphatisches Nachfragen. Frau Hinrich kennt sich aus mit Krankheiten. Sie kennt alle möglichen Störungen des menschlichen Körpers.

Sie guckt mich streng an: „Ich weiss auch genau, woher deine Blockade kommt.“ sagt sie „Von der Tasche!!!“ sie zeigt auf den Übeltäter. Ich umklammere meine Tasche.
„Und jetzt hängst du dir die auch noch schräg über die Schulter.“ Sie guckt böse auf den Trageriemen.

„Nein, das ist nicht die Tasche – ich war zu kalt angezogen und bei der Aufsicht…“

„Quatsch! Die Tasche! Ich weiss wovon ich spreche!! Ich habe damals meine Bandscheiben ruiniert. Mach‘ nur weiter so, trag nur weiter so eine schwere Tasche…“

Schuldbewußt nehme ich die Tasche – die gar nicht schwer ist – in den Arm und halte sie wie ein Baby.

„Das ist Gift für deinen Rücken! Und vor allem, wenn du sie so schräg…“

„Was denn? Soll ich die vielleicht auf einer Seite tragen??? Das wäre doch noch viel schlimmer.“

Eine junge Kollegen stellt sich zu uns und hört zu.

„Das ist nicht von der Tasche.“ sage ich trotzig „Und das ist auch nicht vom Rauchen!“ Keine Mitleid und jetzt auch noch Anmecker. „Das ist von dem dünnen Pulli, ach egal…“

Ich lasse die beiden stehen und gehe raus zum Rauchen. Eine von beiden erzählt irgendwas und auch als ich das Wort Rucksack höre, drehe ich mich nicht mehr um.

Draußen steht Verena, eine andere Kollegin. Sie guckt mich an und gibt gibt mir Feuer, als sie sieht, wie ich umständlich in meinen Taschen krame.

„Warum hälst du dich so komisch?“ fragt sie.
„Ich habe mir den Nacken blockiert.“ sage ich – leise und ohne aufzugucken.

„Nacken blockiert, das gibt es gar nicht.“ stellt sie fachfrauisch fest „Das sind Blockaden in deinem Kopf!“

„Nein, das ist der Nacken. Ich merke das doch.“

„Nein, nein, das sind deine Gedanken. Du blockierst dich. Du musst mal ein bisschen loslassen.“

„Aber ich habe gar keine blockierten Gedanken. Mir geht es gut. Ich habe da nur Zug bekommen. Letzen Montag bei der…“

Verena grinst und schüttelt den Kopf. Dann tippt sie mir an die Stirn. „Da ist deine Blockade. Da oben.“

Wir rauchen stumm vor uns hin. Plötzlich dreht sie sich zu mir:

„Vielleicht bist du auch übersäuert.“
„Ich bin nicht sauer. Vielleicht ein wenig traurig, dass niemand…“
„Nicht sauer. Übersäuert. Dein Körper. Du musst deine Ernährung umstellen. Also ich esse jetzt nur noch basisch. Hier guck..“ sie dreht sich vor mir hin und her „Schon acht Kilo abgenommen.“

„Basisch, soso…“ Ich denke an Seife. Sie wird wahrscheinlich keine Seife essen, aber ich will auch gar nicht hören, was sie essen darf und was nicht und ich will auch nicht abnehmen. Ich will nur, dass mein Nacken eingerenkt wird. Und vielleicht ein wenig Mitleid. Aber daraus wird wahrscheinlich nichts mehr.

Der Kack mit dem Knack

„Aber heute klappt das bestimmt! Gucken Sie, heute kann ich den Kopf schon bis hier drehen.“
„Frau Freitag, Sie sind zu ungeduldig. Ich probiere das, gut, aber Sie sind noch nicht so weit. Normalerweise dauert das auch nicht so lange, aber als Sie am Montag herkamen, da war Ihr Hals steinhart. Wie bei einem Schleudertrauma.“

„Mittagsaufsicht auf dem Hof – ist auch wie so ein Geschleuder, überhaupt, der ganze Montag… egal. Bitte, versuchen Sie es heute noch mal!“ Ich flehe und bitte und bettele.

„Ich verspreche Ihnen auch, dass ich noch sechs Mal herkomme. Ich lass mir noch 10 Termine verschreiben und komme her. Aber bitte versuchen Sie heute meine Gelenke wieder einzurenken!“ Der Physio lacht nur: „Jetzt erst mal auf den Bauch legen“. Er massiert und massiert. Wir reden über die Schule. Er erzählt mir, wie sehr er seinen Deutschlehrer nicht gemocht hat. „Deutschlehrer sind doch immer komische Leute, oder?“ fragt er mich. Ich denke nur: Einrenken, einrenken, einrenken. Ich weiss genau, dass meine Glückseligkeit von diesem einen Move abhängt. Ein kurzes energisches Kopfdrehen und alles justiert sich in herrlichster Weise. Ich weiss sogar, wo sich das alles hinjustieren muss, nur leider kann ich mich nicht selbst einrenken.

„Okay, dann probieren wir es jetzt noch mal. Kommen Sie mal hoch.“ Sofort schieße ich hoch, bereit alles zu machen, was der Physio sagt. Einatmen, ausatmen, locker lassen, anspannen…

„Jetzt tief einatmen und ausatmen!“ Ich gehorche. Er hat meinen Schädel in der Hand und dreht. Der Kopf will sich nicht drehen lassen. Irgendwie hängt der fest. ich versuche richtig locker zu bleiben. Mein Nacken schmerzt und es kommt auch kein erlösendes Knacken.
„Nein, Leider noch nicht. Ich probiere jetzt noch mal die andere Seite.“
Wieder einatmen, ausatmen, drehen – nichts. Mist, denke ich, wieder nicht geheilt.

„Frau Freitag, das wird noch nichts heute. Alles noch viel zu fest. Aber wir sind auf einem guten Weg. Ich kriege bei Ihnen aber nicht mal den Kopf dahin gedreht, wo er hin müsste, um die Wirbel einzurenken. Warten Sie mal.“ Er geht raus und kommt mit seiner Sprechstundenhilfe wieder rein. Die grinst mich an und sagt hallo. Ich grinse zurück.

„Gucken Sie.“ Er nimmt ihren Kopf und dreht ihn bis auf ihren Rücken. KRACHKNACKKNACK. Ich höre, wie sich jeder einzelne Knochen an seinen Platz begibt. So etwas Schönes habe ich die ganze Woche nicht gehört. Der Physio wechselt die Seite und knackt ihr auch noch die restlichen Wirbel ein. Sie lächelt, dreht den Kopf nach links und rechts. „Fühlt sich super an.“ stellt sie fest, grinst und geht wieder raus.

„So muss sich der Kopf drehen lassen, Frau Freitag. Sie brauchen mehr Geduld. Und jetzt hole ich Ihnen die Wärmekissen.“

Laber laber Rhabarber

Eingeschränkt, weil nicht eingerenkt, begebe ich mich ins Wochenende. Jeden Tag gehe ich zur Behandlung meines versteiften Nackens. Vorbei die Zeiten, in denen sich kleine Wehwehchen über Nacht selbst heilten. Jetzt liege ich 40 Minuten halbnackt auf einer Massagebank und werde aufs Übelste durchgeknetet. Dann noch Wärme- und Elektrotherapie. 20 Minuten lang – das ist ja gar nichts für mich, einfach so rumliegen und nichts zu tun zu haben. Mein Behandler behandelt dann schon wieder den nächsten Versteiften und ich traue mich auch nicht, mir eine Gala aus dem Wartezimmer zu holen. Diese Behandlung tut gut, aber mein Hals immer noch weh. Denn alles ist noch so verhärtet, dass es noch nicht eingerenkt werden kann und deshalb schmerzt jede Bewegung noch. Sport ist auch nicht drin und überhaupt. Ohne das am Nacken ginge es mir echt besser, als mit. Selbst mein einer Tag mit Kinesiotape am Hals hat mich nicht lange unterhalten. Gab nur sehr sehr wenig Aufmerksamkeit von den Kollegen und die Schüler haben das überhaupt nicht bemerkt, obwohl ich aussah wie Thomas D. – voll fettes Balkentatoo.
Jammer, jammer, jammer… will ja keiner hören. Aua, aua, aua… ich bin voll krankes Kind! Na, ich höre jetzt mal auf. Sollte ich noch ein Buch schreiben, dann wird mir die ganze versteifte Nackenstory ja sowieso wieder rausgestrichen, denn meine Lektorin mag meine Wehleidengeschichten überhaupt nicht. Um jeden Schnupfeneintrag musste ich kämpfen. Egal.

Aber was soll ich denn sonst schreiben? Die doofe Achte war heute ganz okay. Die Siebten mussten die Englischarbeit schreiben – wieder Mr Dixon beim Arzt (diesmal hatte ich direkt Mitleid mit ihm – jaja, der Perspektivwechsel – wir Kranken müssen doch zusammenhalten). In der Stunde ist aber auch nicht viel passiert. Schüler waren ruhig, haben geschrieben, die Sonne schien uns in den Raum und ich habe meinen Schreibtisch aufgeräumt.

Dann habe ich mich mit Frl. Krise getroffen und in die Sonne gesetzt. Also erst saßen wir in der Sonne und dann plötzlich nicht mehr. Sie hat mir von ihren Prüfungen erzählt und ich habe einen dicken fetten Souvlakiteller verdrückt. Soll ich euch die Ergebnisse der Prüfungen erzählen? Sie kommt ja nicht rüber mit ihrem Eintrag heute…

Irgendwie bin ich enttäuscht, dass bei ihr gar nicht so große Dramen passiert sind. Fast alle sind zur Prüfung erschienen und die Noten gehen auch. Und soviel Unsinn wie erwartet haben die Schüler auch nicht erzählt. Wenn ich da an meine Klasse letztes Jahr denke…

Vorhin bin ich an einem Schlecker vorbei gegangen und da stand noch „Alles 30% billiger“. Dann dachte ich an die Bilder in den Nachrichten – da waren die Regale schon alle leer. Darf man das überhaupt – wulffen auf Kosten der entlassenen Schleckermitarbeiterinnen? Und wahrscheinlich gibt es sowieso nur noch Vogelfutter und Kukident.

So – gleich ist Freitagabend – vielleicht sollte ich rausgehen und was erleben. Schließlich ist Wochenende. Die Sonne scheint noch. Wird eigentlich diesen Sonntag die Uhr umgestellt? Welches Video passt zu so einem unstrukturierten Text? Werde ich hier überhaupt einen einzigen Kommentar drauf bekommen? War Schlecker nicht sowieso ein ganz mieser Arbeitgeber? Ich war heute ein ziemlich netter Arbeit(aus)geber – ich habe den Siebten sogar bei der einen Aufgabe den ersten Satz vorgesagt und die Arbeit war echt leicht. Vielleicht verbessere ich die gleich mal, dann habe ich das auch geschafft.

Okay, das wird hier nichts mehr. Mein Hirn wird durch den blockierten Halswirbel nicht kreativ durchblutet. Ich werd‘ mal eine rauchen und dann vielleicht noch mal raus. Oder auch nicht. Oder vielleicht doch. Mal seh’n, mal seh’n, mal seh’n…

Günther

„Frau Freitag, du hast einen neuen Schüler.“ sagt Frau Klarcheck und zieht an ihrer Mentholzigarette. Wir stehen vor der Schule in der Sonne und rauchen. Wie auf der Terrasse eines Sanatoriums reckt jeder mit geschlossenen Augen sein Gesicht in die Sonne. Nur ich nicht, da ich Pigmentverfärbungen befürchte – ja, auch schon im März.

„Ja, Günther.“ antworte ich leise, denn ich habe eigentlich keine Lust mir meine Pause mit den ersten Horrorgeschichten über meinen neuen Schüler zu versauen.

Frau Klarcheck pustet genüßlich den Rauch aus und justiert dann sofort ihr Gesicht wieder Richtung: Maximaler Sonnenbestrahlung. „Du, der hat ja richtig was in der Birne. Ich musste den erstmal zurechtstoßen, aber dann war der richtig gut. Hat sich gestern zwei Einsen abgeholt.“ Zwei Noten in einer Stunde denke ich – wofür denn?
„Echt? Der war gut?“
„Ja, wo kommt der denn her?“
„Strafversetzt aus der Kernertklasse.“

Es klingelt. Wir verlassen das Sonnendeck und ich gehe ins Lehrerzimmer. Eltern bzw. Muttigespräch mit Mama Taifun und Taifun himself. Die Erzieherin ist auch mit dabei. Mama Taifun wartet schon mit ihrem Sohn. Taifun kommt morgens immer zu spät und geht zu früh nach Hause. Außerdem bleibt er weit unter seiner persönlichen Leistungsgrenze. Das stört uns und das muss sich ändern. Wir labern links rum und rechts rum und hierhin und dorthin. Irgendwann frage ich, als es um Taifuns magelhafte Mitarbeit im Unterricht geht: „Taifun, weisst du denn schon, was du später mal machen willst?“

„Ja. Tiefflieger.“
Tiefflieger. Tiefflieger???? Denke ich. Was soll das denn sein? Ich sehe Taifun in einem Starfighter durch die Luft fliegen wie bei Top Gun: „Holy shit, vipers! Vipers everywhere!“
„Na, das ist doch toll, da kann er bestimmt auch ein interessantes Praktikum machen.“ höre ich die Erzieherin sagen. Hä? Ein Praktikum als Tiefflieger? Bei der Bundeswehr, oder wo?

„Taifun, was willst du werden?“
„Tiefflieger.“
„Tiefflieger????“
„Nein, TIERPFLEGER!“

Nachdem sich auch dieses Missverständnis geklärt hat verabschieden wir uns alle und versichern uns gegenseitig, dass ab jetzt alles super werden wird. Zurück ins Lehrerzimmer.

Die Chemielehrerin schleicht vorbei.
„Frau König, wie war der Neue? Günther, war der schon bei dir?“ ich will soviel Informationen über Günther sammeln wie nur möglich, da wir ihn in der nächsten Stunde aus dem Unterricht holen wollen, um ihm mal gleich Bescheid zu stoßen, wo’s langgehen soll.
„Du, der hat ganz toll mitgemacht und der wollte dauernd rumgehen und den anderen helfen.“
„Wollte der helfen, oder wollte der die anderen blöde anmachen?“
„Nein, der wollte denen die Aufgabe erklären, wirklich das kann richtig gut werden mit…“ Es folgen weitere Lobeshymnen auf Günthers Verhalten. Auch im Deutschunterricht hätte er sich sehr gut benommen.

Was sagt man nun dazu??? Dieser Günther…
Wenig später hole ich ihn aus dem Matheunterricht.
„So Günther, nun setz dich mal da hin. Wir wollen mal mit dir reden. Was ist denn eigentlich passiert in der letzen Klasse?“
Er erzählt und erzählt. Er hätte den Unterricht gestört, nicht mitgemacht, geschwänzt usw.
„Und jetzt? Ich habe eigentlich viel Gutes gehört. Was war denn in Musik?“
Er grinst und wird ein wenig rot: „Ja, da war ich erst frech. Aber dann habe ich zwei Einsen bekommen.“
„Warum warst du frech?“
„Ich wollte sehen, was das für eine Lehrerin ist.“
„Und das hast du ja dann wohl auch gesehen.“
Er nickt.
„Und was hat mehr Spaß gemacht – das Frech sein oder die Einsen?“
„Die Einsen.“
Wir bestärken Günther darin, sich weiterhin so gut zu benehmen, versprechen ihn dann auch auf die Klassenfahrt mitzunehmen und lassen ihn dann wieder in den Matheunterricht ziehen.

Ich gucke die Erzieherin an und sie mich. Sie zuckt mit den Schultern. Eigentlich zu schön, um wahr zu sein.
Ich stehe auf, denn der Unterricht wartet: „Aber weisst du was?“ frage ich die Erzieherin „Weisste,…. ich will das jetzt einfach glauben.“

Vielleicht redet man mal mit mir?

„Frau Freitag, Frau Freitag, wir kriegen neuen Schüler!“
„Jaaaa, voll schlimm, der soll voll schlimm sein!“ Rosa und Leila stehen letzte Woche mit entsetztem Blick vor mir.

„Moment mal. Langsam. Was ist mit einem neuen Schüler?“ frage ich, denn ich weiss von nichts.
„Frau Freitag, warum müssen IMMER WIR die schlimmen Schüler bekommen?“ fragt Leila und schmollt mich dabei an, als würde ich jede Stunde mit einem neuen Krawallheini anrücken.
„Also mir ist nicht bekannt, dass wir jemanden in die Klasse bekommen.“
„Aber alle erzählen das.“ sagt Rosa.
„Leila, was heißt denn eigentlich, dass wir IMMER die schlimmen Schüler bekommen?“
„Na, ist doch so.“ jetzt schmollt sie richtig.
„Wen meinst du denn? Anil ist doch schon lange weg. Meinst du Paolo? Der kam doch von einer anderen Schule und der ist doch auch ganz nett.“
Leila macht mir wortlos und mit einem schnell ausgeatmeten pffff klar, dass sie da nicht meiner Meinung ist.

„Jetzt setzt euch mal hin. Noch ist ja gar kein neuer Schüler zu sehen.“ Die Mädchen setzen sich. An ihren besorgten Gesichtern kann ich ablesen, dass sie im Gegensatz zu mir, nicht glauben, dass sich dieses Thema in Wohlgefallen auflösen wird.

Im Lehrerzimmer gucke ich mich um. Warte, dass mich irgendjemand anspricht und mir mitteilt, dass ich ab Montag einen neuen Schüler bekomme. Aber nichts. Ich beschließe, mich nicht weiter darum zu kümmern. Wer nicht fragt bekommt auch keine schlimmen Jungs in die Klasse. Etwas unwohl ist mir allerdings. Woher stammt dieses Gerücht? Und ganz undenkbar wäre es auch nicht – die Kollegen machen ständig irgendwelche Sitzungen in denen das unmögliche Verhalten einzelner Schüler diskutiert wird und Ordnungsmaßnahmen festgelegt werden.

Ich habe dieses Jahr noch keine Sitzung gemacht. Anil – mein schwieriger Fall – den haben wir außerhalb der Schule untergebracht. gut für ihn und für uns und vor allem gut für all die Parallelklassen, die sich nicht mit ihm beschäftigen müssen. Jetzt ist bei mir in der Klasse also ein Platz freigeworden. Meine Klasse hat nicht den schlechtesten Ruf und die Kollegen klagen und jammern dauernd, was für Brocken sie in ihren Gruppen haben. Da kann ich mir schon vorstellen, dass man sich da schnell mal überlegt, den schwierigen Schüler einfach in die Freitagklasse zu versetzen.

Aber niemand spricht mich an. Nicht am Montag, nicht am Dienstag, nicht am Mittwoch oder am Donnerstag. Freitag haben wir Wandertag und die ganze Zeit liegt kein Zettel in meinem Fach oder eine Email in meinem Computer.

War vielleicht alles nur ein schlechtes Gerücht. Ich beschließe mich nicht weiter darum zu kümmern.
Montag komme ich ins Lehrerzimmer und da verstopft etwas mein Fach. Eine Schülerakte. Die dicke fette Akte von Günther G., ab sofort strafversetzt in die Klasse von Frau Freitag. Ich glaub ich spinne! Aber bevor ich mich aufregen kann klingelt es zum Unterricht.

Als ich gerade mit dem Unterricht beginnen will, geht die Tür auf. „Sind Sie Frau Freitag?“
Ich nicke.
„Ich bin Günther.“

Das hat man nun davon…

Morgens ziehe ich meinen neuen Pulli an. Passt immer noch wie angegossen. Weil ich nur noch eine Jeans habe, die nicht zu klein geworden ist, muss die ständig gewaschen werden. Gestern hing sie dann über der Heizung und war morgens eigentlich noch etwas zu klamm zum anziehen. Egal – wozu hat man denn Körpertemperatur.

Ich also frühlingshaft bunt raus aus dem Haus – rein in die Schule.
In meinem Raum ist es warm – Südseite – Fensterfront olé!
„Voll warm hier! Können wir nicht die Fenster aufmachen?“
Alle Fenster auf – und die Tür auch noch – soll doch eine leichte Brise uns abkühlen. Ich unterrichte hierhin und dahin und lasse eine Englischarbeit schreiben, die außer mir jeden voll überrascht.

Nach drei Stunden verspüre ich leichte Nackenschmerzen. Keinen Schal an, denn man sagte mir am Samstag, dass der schwarze Schal nun ganz und gar nicht zum neuen Pulli passt.

Mittags Hofaufsicht: 30 Minuten draußen. Es ist ja und ich bin ja: Frühling – deshalb schön mal ohne Jacke auf den Hof. Wie so ein bekloppter Schüler stehe ich dort draußen rum und fange an zu frieren. Der Pulli ist einfach mal zu dünn.

Der Nacken schmerzt immer mehr. In der letzten Stunde kann ich den Kopf gar nicht mehr drehen und dirigiere die Schüler wie ein Roboter an ihre Plätze. Irgendwann ist auch dieser Montag vorbei und ich fahre nach Hause. Im Bus werden die Nackenschmerzen so unerträglich, dass ich mich eigentlich wimmernd auf dem Boden rollen möchte. Stattdessen gehe ich sofort zu einem Arzt.

„Guten Tag. Ich habe keinen Termin, aber große Schmerzen im Nackenbereich.“
Die junge, am Hals tätowierte Sprechstundenhilfe guckt mich an. Ich bin kurz davor, ihr auf den Tresen zu kotzen, weil sich der Schmerz so migräneartig in den Kopf nach oben zieht. Das Wartezimmer ist total voll. Ihr Gesichtsausdruck zeigt keinerlei Mitleid.
„Nein, leider haben wir keine Termine heute.“

Ich will mich schon umdrehen und frage dann aber: „Auch nicht, wenn ich privatversichtert bin?“ Und was glaubt ihr – plötzlich bin ich die königliche Spezialpatientin. Werde in einen Extrawarteraum geführt, mit Fernseher, Wasser mit und ohne Kohlensäure und Bonbons. Ich kann gerade meinen Mantel ausziehen, da werde ich schon in das Sprechzimmer gebeten. Zweiklassengesellschaft… aber ich muss sagen, wenn es einem so richtig dreckig geht, dann nimmt man diese Ungerechtigkeit irgendwie in Kauf.

Der Arzt stellt fest: alles verspannt, alles krumm und schief und schreibt mir 10x Behandlung auf. Ach – vorher gibt er mir noch so fiese Spritzen, die gar nichts gebracht haben.

Ich schleppe mich nach Hause und leide dort das ganze Leid aus, dass ich im Bus und im Wartezimmer zurückgehalten hatte. Der Freund massiert mich, bettet, füttert und bedauert mich, bis ich erschöpft einschlafe.

Was für eine Scheiße. Und das alles nur, weil der blöde Pullover von Frau Bündchen zu kalt ist. Manchmal ist das Glück wohl doch nur von kurzer Dauer.

Wenn die Werbung funktioniert

Ich bin der Werbung voll auf den Leim gegangen. Seit ich Gisele Bündchen in dem Esprit Spot in dem orange-pinken Pulli gesehen habe, hat mein Hirn nur noch einen Satz: Ich brauche diesen Pulli! Ich brauche diesen Pulli! Ich brauche diesen Pulli!
Mein Leben wird sich verändern wenn ich diesen Pulli endlich besitze. Bzw. mein Leben wird sich massiv verschlechtern, sollte es mir nicht gelingen diesen Pulli zu bekommen.
Heute sollte nun endlich der Tag sein: Heute hole ich ihn mir. Vorfreudig bin ich schon um sieben Uhr wach, die Geschäfte aber bestimmt noch zu. Ich warte, frühstücke, lenke mich mit Facebook ab. Telefonieren geht so früh auch nicht. Irgendwann wecke ich den Freund. Soll der mir doch bei der Zeitüberbrückung helfen.

„Ich hole mir gleich den Pulli von Gisele Bündchen. Dann sehe ich auch aus wie sie.“
„Von wem?“
Mein Freund kennt weder G.B. noch den tollen Pulli. Solche für mich weltverändernde Dinge sieht er gar nicht. Aber wehe jemand hat in einem Film, der in den 60er Jahren spielen soll etwas zu lange Haare.
„Ich brauch‘ unbedingt diesen Pulli. Ich dusche gleich und dann gehe ich los. Der Pulli ist Frühling. Der wird mir jeden Tag gute Laune machen und den Schülern auch. Dann machen sie vielleicht auch mal mit im Unterricht, weil sie sehen, dass ich der Frühling bin und das Leben schön.“
„Machst du noch mal Kaffee? War nur noch eine halbe Tasse da.“

Irgendwann sitze ich endlich im Bus. Ich bin so aufgeregt, dass ich gar nicht in dem Buch lesen kann, das ich mir extra für die Fahrt mitgenommen habe. Wie teuer der Pulli wohl sein wird? Egal.
Ich steige aus dem Bus und stehe vor einem Buchladen. Wenn ich vor Buchläden stehe, dann muss ich immer kurz reingehen und mein Buch besuchen. Schließlich hatte es vor einer Woche Geburtstag. Und da steht es auch schön auf seinem Bestsellerplatz. Wacker hält es sich noch auf der Nummer 8. Nächste Woche wird es eine Etage tiefer gehen. Wenn es noch vierzehn Tage durchhält, dann war es ein Jahr in der Top 10.
Der Buchladen ist groß. Ich latsche ziellos durch die Gegend. Wie viele Bücher es gibt… wie kann man bei der Masse an Büchern eigentlich immer noch neue Bücher schreiben? Eigentlich gibt es echt genug. Was mich echt mal interessiert ist, wieviel Wald in so einem Buch steckt. Oder wieviele Bücher man aus einem Baum machen kann.

Nachdem ich in irgendeiner Ecke auch mein Hörbuch gefunden habe, gehe ich wieder raus, denn mein eigentliches Ziel ist ja der Pulli.
Da: der ESPRIT Laden, das zu Hause von Frau Dienstag. Mich trifft man hier eher selten. Gekonnt scanne ich die gesamte linke Seite des Ladens. Ah, da an der Wand ein riesen Plakat mit einem Model in MEINEM Pulli. Er sieht immer noch super aus.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Klar, ich suche genau DEN Pulli.
„Nein, ich gucke nur.“
Wo ist der denn? In den Regalen hängen nur rote, blaue und weisse Sachen. Nichts anderes. Alle anderen Farben scheinen diese Saison verboten zu sein. Wo soll denn hier mein Pulli hängen? Der ist weder rot noch blau. Ich gehe durch den ganzen Laden. Suche, krame – NICHTS! Nirgendwo auch nur der Hauch von Pink oder Orange. Frustriert will ich schon aufgeben und gehe zum Ausgang. Da hängt das gleiche Plakat nochmal. Das Model grinst mich an. Sie soll mir den Pulli geben! Was ist das für eine Unverschämtheit – erst lockt mich die Werbung in den Laden und dann dürfen den nur die Models auf den Postern tragen und ich soll mir irgendwas in rot, blau oder weiß kaufen. Eine andere Verkäuferin kommt auf mich zu. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und davon brauche ich echt viel und dann frage ich – es soll sehr beiläufig klingen: „Diesen Pulli da, den haben sie nicht, oder?“
„Doch, doch, den haben wir. Moment.“ Sie geht in die Ecke, die ich schon genaustens inspiziert habe. „Der war doch hier irgendwo…“ Hoffnung keimt und erlischt sofort wieder während ich ihr durch die Regalreihen folge. Alles nur rot, blau, weiß. Aber dann biegen wir um eine Ecke und da sehe ich ihn. Im untersten Regal liegt er. Einsam und aussätzig neben lauter roten und blauen Strickjacken. „DA!!!“ schreie ich, „DA IST ER!“
„Ah, ja, genau.“ sagt die Verkäuferin, nimmt meinen Pulli hoch und guckt auf das Schild. „S!“
„Oh, ich habe aber M. Gibt es den vielleicht noch in M?“ Natürlich gibt es den bestimmt nicht mehr in M, sonst läge der ja da.
„Nein, da ist ein grüner Punkt drauf, das heißt, dass es der Letzte ist.“
Ich kann es nicht glauben. Da habe ich ihn endlich gefunden und dann gibt es ihn nicht in meiner Größe? „Ich kann den ja mal anprobieren!“ sage ich und reiße ihr den Pulli aus der Hand.
In der Umkleidekabine gucke ich ihn mir genau an. Er ist perfekt. Er ist der Frühling und er soll mir gehören. Ich ziehe ihn an und – ER PASST!!!!!
Überglücklich bezahle ich meinen Pulli an der Kasse. Jetzt schnell nach Hause und umziehen. Glück kann so einfach sein.