Mr. Dixon´s Gestöhne

„So, wir beginnen mit dem Listening Teil. Auf geht’s.“
Wir schreiben die dritte Englischarbeit. Sport, beim Arzt und Körperteile. Der Hörteil ist ein Text, wie er unspannender nicht sein könnte. Mann geht zum Arzt, sagt, dass sein Rücken wehtut, weil er am Vortag im Garten vom Stuhl gefallen sei. Ich frage mich, was er mit einem Stuhl im Garten macht. Hat man im Garten keine Leiter? Und die Ärztin will ein X-Ray (Spex? höhö) machen. Und siehe da, es ist nur ein wenig bruised und nicht broken. Daaaaaaaa, wenn der Typi sich den Rücken gebrochen hätte, dann hätte er wohl kaum zum Arzt gehen können, sondern läge noch querschnittsgelähmt im Garten neben dem Stuhl. Die Unlogik der Story entgeht meinen gebannt zuhörenden Schülern. Was ihnen nicht entgeht ist das Gestöhne, mit dem sich der Mann in das Sprechzimmer schleppt. Ein Gestöhne, als hätte er den aufregendsten, oder zumindest sehr anstrengenden Sex. Die Schüler kichern. Ich muss auch kurz grinsen.

Warum muss der Mann so stöhnen? Warum sagt er nicht aua, aua? Was sind das für komische Leute, die die CDs für Schulbücher aufnehmen. Vielleicht habe ich schon mal darüber geschrieben – weiss ich jetzt nicht – jedenfalls ist mir das schon ganz oft aufgefallen, dass die Leute bei den Hörtexten so doppeldeutige Geräusche machen. Also für die Schüler ist da nichts doppeldeutig – da wird geradewegs in die Sexrichtung gedeutet. Ist ja klar – die Pubertät quillt ihnen zu den Ohren raus und dann stöhnt da so ein Typ beim Arzt während der Englischarbeit. Schlimmer als der, war Romeo in dem Achte Klasse Buch, der sich an den Kletterpflanzen am Haus von Julia hochzog. Ein endloses Gestöhne, das in einem wilden Geknutsche mit seiner Angebeteten endete. Unterricht war nach dem Hören immer etwas aus dem Ruder.

Liebe Höraufgabenmacher – macht ihr das mit Absicht? Oder was soll das? Und warum sind die Geschichten in den Büchern immer so langweilig. Ist mir doch egal, wie lange Mr. Dixon seine Salbe auf seinen gebruisten Rücken schmieren soll. Überhaupt ist mir Mr. Dixon egal. Der soll sich mal eine Leiter kaufen.
Vielleicht sollten wir die Höraufgaben selbst aufnehmen. Oder wenigstens mal welche von den Schülern schreiben lassen. Ich könnte dann ein paar Native Speaker-Freunde fragen, ob sie mir die aufnehmen würden. Es müssten auf jeden Fall Texte sein, die die Schüler mehr vom Hocker reißen, als die Mr. Dixon Story – die hat ihn ja nur selbst vom Hocker gerissen (hehe).

Vielleicht irgendwie so:

„Mrs Friday goes to the doctor. She is sitting in the waiting room. next to her she sees a pupil.
„Oh hi Orkan.“
„Oh Mrs Friday…eh…“
„Orkan, what’s wrong with you?“
„Volkan hit me and now my eye is swollen. And what’s your problem, Mrs Friday?“
„Oh, my back really hurts (ouch, ouch, ouch). I was writing some words on the blackboard and then I turned around but the blackboard fell down – directly on my back and it took ten pupils from class 9 to lift it off me. And then…“
Receptionist: „Mrs. Friday, the doctor will se you now…“

Wandertag

Ein Wandertag zu Dieter Bohlen, ja, das wäre fein.
„Sachma, was is denn mit dir lous? Ham se dich auf slow motion gestellt, mönsch, da ist ja meine Omma schneller als du. Wie heiß du? Orkan? Na, aba das is ja wohl eher ´n Sommerwindchen und kein Orkan…“

Der Deutschlehrer ruft an und will nicht zum Kaffeetrinken rüberkommen. „Handwerker.“
Immer hat er da irgendwelche Handwerker im Haus. „Vielleicht morgen.“
„Wir haben ja Wandertag nächste Woche.“ sage ich, um noch was zu erzählen.
„Und wo geht es hin?“
„Bowlen.“
„Nach POLEN???“
„Ja, nach Polen! Ein Wandertag nach Polen. Zigarettenkaufen und dann wieder zurück.“
Irgendwie haben alle was an den Ohren. Oder ich drücke mich so undeutlich aus. Was ist denn an Bowlen nicht zu verstehen?

Wandertage… wenn man nicht weiss wo man hin will, dann nerven die total. Hat man ein Ziel sind Wandertage schon was Schönes. In wetterunsicheren Monaten – wie März – sollte man sich eher was für Drinnen aussuchen. Im Winter auf jeden Fall Schlittschuhlaufen. Frische Luft und Sport – das kommt immer gut an. Und wenn man selbst ein wenig Fahren kann, dann bekommt man auch noch Anerkennung ob seiner Sportlichkeit, von den unfitten Kindern, die ständig auf dem Po landen.

Im Sommer sollte man mit seiner Klasse auf jeden Fall ins Grüne. Egal wohin – diese Stadtratten kennen kein Grün. Man muss sie deshalb zu ihrem Glück zwingen. Meistens sind sie mit dem Laufen etwas überfordert und am nächsten Tag bleiben sie zu Hause, weil sie „Soooo Muskelkater hatten.“, aber wenn wir sie nicht an die frische Luft bringen, wer macht das sonst.

Dann kann man noch ins Theater, allerdings läuft zu den Wandertagsterminen meistens nur das Stück für die Sechsjährigen oder gar nichts. Kino mache ich nicht. Museum ist immer so eine Sache – sollte man sich genau überlegen. Wenn die Schüler da nichts anfassen dürfen, dann finden sie es meistens nicht gut. Schön wäre es, vorher selbst hinzugehen und sich Aufgaben für die Schüler auszuarbeiten. Aber wer macht das schon. Ich jedenfalls nicht.

Bowlen ist auch ein guter Wandertag, denn da müssen sie in Gruppen aufgeteilt werden. Gruppen die größer sind als „mein bester Freund und ich“. Gruppen sind für die Klassengemeinschaft immer gut. Streit wird es auch geben, Orkan wird die Kugel nicht heben können, Volkan wird auf die Bahn laufen und ich werde besser spielen als die Schüler, denn ich war nun schon so oft beim Bowlen…

Bowlen oder Dieter Bohlen. Eigentlich wäre ein Wandertag, bei dem wir uns bei einer Castingshow anmelden auch mal ganz witzig. Germanys Next Top Model – ich komm‘ mit der ganzen Klasse. Oder das Supertalent, oder Popstars. Man liefert die da ab: „So, da drüben gibt es die Nummern, die müsst ihr euch an den Pulli kleben und dann müssen wir warten.“
„Och, die haben dich nicht genommen? Hast du denn gesagt, dass Popstar schon immer dein Traumberuf war? Naja, vielleicht nächstes Jahr.“
Und wer weiss, vielleicht nehmen sie doch den einen oder anderen. „Klar kann er sich das erlauben, ein paar Wochen aus der Schule rausgenommen zu werden… das kann er ja dann nachholen.“

Und ich kann dann vorm Fernseher sitzen: „Guck, guck, die ist in meiner Klasse, mal sehen, ob die merken, dass die keine Peilung von Englisch hat.“

Kranksein – maßlos überschätzt

Heute: Wieder gesund!!!!! Vielen Dank, für die vielen, netten Genesungswünsche. Haben mich doch gleich wieder aufgerichtet.
Nach so einem Tag auf der Couch war ich heute morgen echt überrascht, dass ich noch laufen kann.

Abends beim Kochen habe ich mich kurz in die Küche geschlichen und so getan, als hülfe ich mit. Eigentlich habe ich nur von dem Essen gegessen, was ich schneiden sollte. Und weil ich gar nicht in der Schule war, war ich auch nicht besonders überdreht. Gar nicht so wie sonst. Ich war geradezu schweigsam.

„Was ist mit dir?“ fragt der Freund.
„Krank.“
„Aber so still…. so kenne ich dich ja gar nicht.“ Und da der Freund auch nicht gerade viel erlebt hatte, schwiegen wir uns schön an. Ich fand’s gut. Er befremdlich.

Abends rufe ich Frl. Krise an.
„Naaaaa, wie war’s bei dir heute?“ frag ich sie und antizipiere schöne Geschichten, von nackten Pennern und BMWs und schwänzenden Schülern, die sich nicht auf ihre Prüfungen vorbereiten.
„Heute ist gaaar nichts passiert.“ sagt sie. „ich muss mal kurz was essen, erzähl du mal.“
„Ich??? Was soll ich denn erzählen? Ich war auf der Couch. Ist nichts passiert. Nachmittags habe ich noch meinen Schreibtisch aufgeräumt.“
„Hmmm.“ sagt sie.
„Tja.“ sage ich.

Normalerweise laufen unsere Telefonate sonst sehr gehetzt ab. Jede will ihren Kram zuerst erzählen. Dann wird auch nicht mit guten Ratschlägen, Mitleid und auch nicht mit Häme gespart. Aber gestern…
„Tja, also ich war Couch und jetzt gibt es gleich essen.“
„Naja, ich hab‘ hier noch ’ne Deutscharbeit zu liegen. Dann bis morgen.“ Damit entlässt mich das Fräulein wieder in die Stille. Da ist man mal krank und schon lassen einen die Freunde im Stich.

Nach dem Essen – tonlos nahmen wir es ein – will ich noch die letzte Runde Fernsehen. Gibt mal wieder nichts Richtiges. Erst versuche ich es ganz intellektuell auf ARTE, weil ich mich so sehr für meinen schlechten Fernsehgeschmack schäme. Aber so ein hyperrealistischer DDR Film ist selbst mir zu real, also noch mal kurz rüber zu den Wollnys, wie die dicke Mutti sich ein Hochzeitskleid kaufen will.

Dann werde ich per SMS von Frau Dr. Häschen auf das ZDF gelenkt. Dort läuft ein Krimi, den ich nicht kapiere. Darüber schlafe ich dann ein.

Und wenn man nichts anstrengendes tagsüber getan hat, dann wacht man schon mal um 3 Uhr auf und ist hellwach. Also wieder auf die Couch. Nachts fernsehen – das geht ja eigentlich gaaar nicht. Das schlechte Gewissen besteche ich damit, dass ich ARTE anmache und darüber wieder einschlafe.

Ein Tag, der auch nicht hätte stattfinden müssen. Wenn jemand fragt: Ich streiche den 12.3.2012 aus meinem Gedächnis.

Heute dann wieder in die Schule. Meine Klasse.

„Nächste Woche ist ja Wandertag. Wir gehen Bowlen.“
Volkan reißt begeistert die Augen auf: „Wasss??? Wir gehen zu Dieter Bohlen?“

Herrlich, das schlägt doch jeden Tag zu Hause. Wie kann man da noch krank werden?

Neulich Kennedyplatz

„Wie, du wurdest von einer Frau verfolgt? Setz‘ dich mal hin. Das musst du mir genauer erklären.“ Orkan schleppt sich zu seinem Platz. Die ganze Klasse beobachtet ihn genau. Alle schweigen gebannt. Keiner will den Verlauf dieser spannenden Geschichte verpassen.
Die Erzieherin ist die Einzige, die noch nichts mitbekommen hat. Sie versucht drei Herren unserer Klasse zu erklären, dass man Bilder erst auf ein Plakat klebt, wenn man weiss, welchen Text man schreiben möchte. Jetzt guckt sie zu mir. „Komm‘ mal kurz her, ich glaube Orkan hat was Interessantes erlebt.“

Orkan sitzt uns gegenüber und schweigt.
„So, also was war mit der Frau?“
Orkan verdreht die Augen. „Na die hat mich verfolgt.“
„Ja, aber wieso?“
Orkan ist kein Freund der detailreich ausgeschmückten Erzählung. Wie bei allem in seinem Leben hält er sich auch beim Reden eher auf der minimalistischen Seite. Orkan ist ein großer Anhänger der Ein-Wort-Sätze.

„Ich hatte doch ihren Sohn gehauen.“
Chronologie ist für Orkun auch keine Größe.
„Also jetzt mal von vorne, Orkun. Wo? Wie? Was?“
„Also, neulich Kennedyplatz war eine Frau und ihr Portmonie ist runtergefallen und sie meinte ich wollte das klauen und dann hat ihr Sohn mich gehauen und dann hab‘ ich ihn gehauen.“
Damit ist für Orkan die Sache hinreichend erklärt. Wir Zuhörer allerdings verstehen die Zusammenhänge noch nicht ganz. Die Klasse starrt ihn weiterhin an. Ich auch.

„Orkan. Also du warst am Kennedyplatz und da ist einer Frau das Portemonaie runtergefallen.“
Er nickt.
„Und dann hat sie dich beschuldigt, dass du es klauen wolltest.“
Er nickt wieder.
„Und was hast du gesagt?“
„Gar nichts.“
„Wie gar nichts? hast du nicht gesagt, dass du ihr nichts klauebn wolltest?“
„Doch.“
„Und das hat sie dir dann nicht geglaubt.“
„Nein. Und dann?“
„Dann hat ihr Sohn mich gehauen. Und ich habe ihn zurückgehauen.“
„Und dann?“
„Dann bin ich weggerannt.“
„Und das ist vorhin am Kennedyplatz passiert?“
„Nein, letzte Woche.“
„Und heute?“
„Heute habe ich sie wieder gesehen, wieder Kennedyplatz und da hat sie mich verfolgt.“
„Und was hast du gemacht?“
„Ich bin weggerannt.“

„Hmm. Und nun?“
Orkan zieht kurz die Schultern hoch.
„Hast du das deinen Eltern erzählt?“ fragt die Erzieherin.
Orkan guckt uns an, als hätten wir ihn gefragt, ob er ohne Hose am Kennedyplatz war.
Er läßt einen kurzen verneinenden Zungenschnaltzer hören.

„Wie können wir dir denn jetzt helfen?“ will die Erzieherin jetzt wissen.
Er zuckt mit den Schultern. Mir fällt auch nichts ein.
„Willst du zur Polizei gehen?“ Er schüttelt den Kopf.
„Vielleicht solltest du mal mit der Frau sprechen.“ schlägt die Erzieherin nun vor. Ich muss grinsen. Auch Orkan scheint nicht besonders begeistert, bei dieser Vorstellung.

Ratlos sitzen wir noch eine Weile mit ihm am Tisch. Als die anderen merken, dass die Geschichte nicht mehr weitergeht, widmen sie sich wieder ihren Plakaten. Ich bleibe noch ein wenig bei Orkan sitzen. Er tut mir leid.
„Na, Orkan komm erst mal richtig an. Wenn du willst, darfst du heute auch deine Jacke anlassen.“
Er nickt und grinst ganz kurz.

Wenn sich der Anfang dahinschleppt

„Das machen dann die Klassenlehrer mit ihren Klassen.“ Mit diesem Satz macht man aus einer Unterrichtsstunde vier Zeitstunden. Bingo. Immer machen das dann mal die Klassenlehrer mit ihren Klassen.

„So Leute, die Plakate MÜSSEN heute fertig werden, damit wir die morgen ausstellen können.“
„Aber Volkan ist nicht da.“
„Dann müsst ihr halt alleine arbeiten.“
„Aber er hat alles mitgenommen.“

Uähhhhh, dieser Satz… warum muss eigentlich der, der fehlt immer alles mitgenommen haben? Und warum hat Volkan überhaupt alles mitgenommen. Zu Hause hat er ja wahrscheinlich kein Plakat gemacht. Volkan ist schließlich kein Mädchen. Denn die sind alle da und die haben ihre Plakate mitgenommen und schön wieder mitgebracht. Und zu Hause haben sie die fertiggestellt. Herrlich, mit Gold und Silber und Farbausdrucken und allem, was man sich nur denken kann. Mädchens halt, wie Elli sagen würde.

Meine Klasse verteilt auf ein paar Gruppentische, sieht irgendwie klein aus. Ich zähle sie. Gucke auf meine Klassenliste, ziehe die drei Kranken ab, subtrahiere dann noch die Dauerschwänzerin Justine und werde wütend. Es fehlen wieder vier Schüler.

Die Anwesenden starren mich erwartungsvoll an. Da fällt mir etwas ein: „Wisst ihr Kinder, als ich noch studiert habe, da war ich immer pünktlich, aber da gab es auch viele Studenten, die immer zu spät kamen und unsere eine Professorin, die hat am Anfang der Stunde immer rumgemeckert, dass so viele wieder fehlen. Ich habe dann irgendwann gesagt, dass WIR ja da seien und sie uns deshalb ja eigentlich nicht anzumeckern bräuchte. Und so machen die Lehrer es ja auch oft. Sie meckern mit denen, die da sind.“

Gülistan guckt mich entsetz an: „Warum meckern Sie mit uns?“
Ich: ????
Rosa, leicht genervt: „Tut sie doch gar nicht, sie sagt doch gerade, dass man das eigentlich nicht machen soll.“
Güli: „Aber die Lehrer machen das. Oft.“
Ich: „Ja, weil sie total sauer sind, wenn man Unterricht machen will und dann fehlen so viele s
Schüler.“
„Aber warum lassen sie dann ihre schlechte Laune an uns aus?“
Rosa rollt mit den Augen und ich habe eigentlich auch schon alles gesagt. „Güli, manchmal ist man einfach sauer und dann kann man das nicht gut kontrollieren. Aber ich freue mich, dass ihr jetzt hier seit und wir anfangen könn…“

Die Tür geht auf und Orkan und Taifun latschen wie Oma und Opa rein. Sie wollen sich an mir vorbei zu ihrem Tisch schleichen.
„Moooooment!!! Orkan, Taifun, kommt mal her! Warum kommt ihr 30 Minuten zu spät?“

Taifun hält seine Tasche hoch: „Ich habe noch was ausgedruckt für das Plakat.“
„Aber warum kommst du zu spät?“
Taifun verwirrt: „Na, sag‘ ich doch, ich habe noch was ausgedruckt.“
„Ja, aber wieso morgens, das hättest du doch … okay, setz dich mal hin.“
Taifun, die alte Mimose schleicht schmollend zu seinem Platz. Da hat er nun schon mal was ausgedruckt – FÜR DIE SCHULE – und dann meckert die Freitag auch noch.

„Und Orkan, warum bist du zu spät?“
Orkan hat bestimmt nichts ausgedruckt. Orkan würde niemals was für die Schule ausdrucken, geschweige denn außerhalb der Schule etwas für die Schule tun. Er tut ja auch IN der Schule nichts FÜR die Schule. Orkan schläft gerne. Morgens gerne aus. Andere Interessen habe ich noch nicht entdeckt. Er verbirgt jegliche Kenntnisse oder Fähigkeiten, die in ihm schlummern, äußerst geschickt. In der Antizipation seines typischen Entschuldigungsstandardwortes „Verschlafen“ will ich schon eine Geste in Richtung seines Gruppentisches machen, da sagt er: „Ich wurde von eine Frau verfolgt.“

TV-Junk

Also jetzt mal was in eigener Sache. Eben lege ich mich vollgefressen auf die Couch und denke: Jetzt mal Fernsehen. Schön um 20.15. Aber was ist das???? Was bieten diese Fernsehmacher einem heute an?

ARD: Die Nonne und der Kommissar. Was solle das? Dafür bin ich 50 Jahre zu jung. Nonnen…tzzzzz. Der Mönch und die Kommissarin – vielleicht – aber wahrscheinlich nicht mal das.

ZDF: Rette die Millionen – das ist doch dieses bekloppte Spiel, wo die immer die Geldbatzen hin- und herschieben und wenn die was Falsches sagen, dann fliegt das Geld in einen Glasschlund. Auch nicht gerade eine Sendung, mit der ich meinen Feierabend einläuten will.

RTL: DSDS – langweilig, seit die nicht mehr auf dieser Insel sind und sich miteinander beschäftigen. Wenn ich nur Singende sehen will, dann kann ich gleich MTV gucken. Und ich mag diesen Herrn Schöne nicht und Bruce könnte mitlerweile auch mal seine Aussprache verbessern. Der ist ja fast so lernresistent, wie meine Schüler.

SAT1: Leberkäse gegen Barcelona: Fuuuuußballl. Okay, der Deutschlehrer freut sich bestimmt gerade halbtot über diesen klasse Fernsehbeitrag. Ich bin ja Frau und gucke deshalb nur Europa- bzw. Weltmeisterschaften. Ansonsten interessiert mich Fußball soviel wie Mathematik.

Pro7: Desperate Housewives – geht auf deutsch gaar nicht und habe ich auch alles schon gesehen – im Original.

RTL2: Stonehenge Apocalypse – ein Science Fiction Film aus USA und CDN (was soll das denn für ein Land sein? CDN???) na, das wird ein schöner Quatsch sein. Science Fiction mag ich nicht. Ist voll nicht Reality und irgendwie wie Mathe.

arte: Die Herrschaft der Männer – Dokumentarfilm… ach, da wird es auch nicht Neues geben – oder? Und wir haben doch Merkel…

3SAT: Grüß Gott und Heil Hitler – Kirchen unter dem Hakenkreuz. Ach ja… was wird da wohl erzählt? Irgendwie haben sie nicht, aber irgendwie doch und die katholischen ein wenig mehr und dann aber doch wieder nicht usw.

Und wo bin ich nun hängengeblieben?

Kabel1: Die Braut die sich nicht traut. Schon tausendmal irgendwie halb gesehen und nie richtig kapiert, worum es eigentlich geht. Auch jetzt ist mir die Handlung des Films recht undurchsichtig… Julia Roberts heiratet immerzu und dann will sie doch nicht. Warum läßt sie es dann nicht einfach? Und dann Richard Gere… wenn ich den sehe denke ich immer nur Gerbils…
Die eine beim perfekten Model sieht voll aus wie Julia Roberts. Aber die originale Julia Robert nervt in dem Film irgendwie… zu crazy und verrückt soll sie sein. Soll sie doch einfach nicht heiraten… naja, vielleicht wird der Film ja noch besser. Und ich kann ja von der Couch nicht weg…

Fragt man sich: Warum musst du denn überhaupt Fernsehen, wenn es nichts gibt? Lies doch ein gutes Buch…

… geht nicht – erstens habe ich keins und zweitens muss ich starren und auf ein Buch starren ist wahrscheinlich noch langweiliger, als ‚Die Braut, die sich nicht traut‘.

Bei Leberkäse übrigens noch null null.

Voll der Styler

„Was laberst du?“
„Guck dich mal an.“
Ich stehe im Bus. Es ist gerade Berufsverkehr. Ich stehe zwischen drei Jungendlichen. Die sitzen schön bequem und lassen mich alte Frau stehen. Berufsverkehr nervt. Vor allem die Jugendlichen nerven. Eigentlich dürften die im Berufsver… ach lassen wir das.

Vor mir sitzt ein zu klein geratener Junge – ca. 14 oder 15. Helle Jeans, braune Jacke mit Kaputze und Teddyfell. Neben ihm sitzt ein Mädchen. Stark geschminkt und stark verpickelte Stirn. Durch die Schminke kann ich die kleinen Pusteln besonders gut erkennen. Der Typ unterhält sich mit dem Mädchen, das hinter mir steht. Ich sehe nur ihn. Wenn er redet hebt er ab und zu die eine Augenbraue. Soll wohl sexy wirken. Ich bin peinlich berührt.

Das Mädchen hinter mir sagt zu ihm: „Du bist voll der Styler.“
Er: „Was laberst du?“
Sie: „Na, du bist voll Styler.“
Er: „Guck dich mal an.“

Ich bin verwirrt. Weiss der wirklich nicht, dass ‚voll der Styler‘ voll DIE Anerkennung ist? Oder will er keine Anerkennung von ihr? Warum macht er dann diesen sexy Augenbrauentanz.

Sie: „Du bist voll der…“
Er: „Guck mal dein Bart an.“

Uihhh denke ich, das hat gesessen. Ich drehe mich zu ihr um, damit ich:
1. Ihre Reaktion sehen kann und
2. ihren Bart.

Er sieht, dass ich mich umdrehe und grinst: „Siehste, siehste. Voll der Bart.“
Ich zu ihm: „Das war jetzt aber nicht nett.“ Eigentlich will ich noch anmerken: „So kriegst du die nie rum.“ aber ich habe Angst, dass ich die Nächste bin, deren Bart kommentiert wird und dazu ist mir der Bus zu voll.

Ist schon doof, wenn man nicht weiss, was ein Styler ist. Da macht ihm das Mädchen ein Kompliment und er denkt die beleidigt einen. Irgendwie tragisch. Der Typ sieht jetzt auch nicht so aus, als könnte er jede haben oder kein Kompliment gebrauchen. Aber seine Klamotten sehen schick aus. ‚Voll der Styler‘ eben. Soll ich ihm erklären was ein Styler ist? Nein, ich habe Feierabend. Ich will nicht noch im Bus unterrichten.

Dann steigen sie aus. Ich gucke ihnen nach und stelle zufrieden fest, dass der Typ die typischen kurzen Beine hat, die es auch an meiner Schule oft gibt und die ihn nicht gerade besonders männlich aussehen lassen. Dann doch lieber Bart – den kann man sich wenigstens wegmachen. Aber kurze Bein…

Blasenschwach ist blöd

„Erhan und Burak, ihr bleibt mal noch hier, die anderen können gehen.“
„Waaaas denn???“ Erhan ist gleich wieder auf hundertachtzig. Burak schweigt.
„So Erhan, jetzt hol dir mal einen Schwamm und mach den Schrank sauber!“
„ICH WAR DAS NICHT!!!“ schreit er gleich los.
„Wer war es denn dann?“
„Weiss ich nicht!!!“
Ich wende mich an Burak: „Burak, wenn es Erhan nicht war, dann musst du es ja gewesen sein.“
„Nein, ich war’s nicht.“ sagt er ruhig.

Erhan wird unruhig. Mit ausgestreckten Armen steht er vor mir: „Ich SCHWÖÖÖÖRE ich war es nicht!!!“
Als wenn sein Schwören mich noch umstimmen könnte. Für mich ist er zweifelsfrei der Täter. Er schwört immer weiter. Auf seine Mutter, den Koran und die Toten. Was erwartet der jetzt eigentlich? Soll ich sagen: „Ach, wenn du auf die Toten schwörst, na dann… na dann glaube ich dir natürlich.“
Ich bin genervt. Es geht nicht weiter.
„Erhan, gib es doch einfach zu.“ biete ich ihm an. Ich wäre ja bereit, ihn den Schrank säubern zu lassen und dann alles wieder auf Null zu stellen. Aber verdammt noch mal, er soll es wenigstens zugeben. Aber Erhan ist nur noch am Schwören und wird immer lauter. Ich habe Pause und Aufsicht und vor allem keine Lust mehr.
Resigniert frage ich: „Wer soll es denn gewesen sein wenn ihr beide es nicht wart?“
„Vielleicht Jesus.“ antwortet Burak und spätestens jetzt wird mir klar, dass wir hier wohl nicht weiter kommen. Ich lasse sie gehen. Schäme mich für ihre verlogene Feigheit, hole mir aus dem Sekretariat einen Tadelvordruck und begebe mich zu meiner Hofaufsicht.

Dort sehe ich drei meiner Schüler vor der Schule stehen. Vor der Schule ist nicht in der Schule. Und das Schulgelände verlassen ist ein Verstoß gegen die Schulordnung. Nach meiner Aufsicht kopiere ich das Tadelformular drei Mal.

Dann Gruppenarbeit in meiner Klasse. Gruppenarbeit fetzt nicht!

Und das Highlight des Tages kommt in Form einer überdrehten siebten Klasse kurz nach drei zu mir in den Raum. Ab da heißt es nur noch: Schaden möglichst gering halten! Zwei Handys nehme ich ab. Drei Mädchen lasse ich vor der Tür arbeiten, da sie 20 Minuten zu spät kommen. „Unsere Sachen waren irgendwo eingeschlossen…bah blah blah, ich schwöre….“ Und bei ‚ich schwöre‘ habe ich mir geschworen, dass ich die heute nicht mehr im Raum haben will.

Die letzten fünfzehn Minuten liefern mir drei Jungs einen monotonen Soundtrack: „Aber ich muss!!! Ganz dringend, ich mach‘ mir gleich in die Hose. Ich schwöre ich muss!“ Ich ignoriere das Gejaule. Irgendwann ist auch diese Stunde zuende. Die Mädchen von draußen, kommen rein und entschuldigen sich. Als Zeichen der Reue stellen sie die Stühle hoch. Ich verlasse mit den blasenschwachen Jungs den Raum und plötzlich erwacht in mir noch ein Funken Häme.
„So Jungs, auf auf, wir gehen jetzt zur Toilette.“
Sie gucken mich verwirrt an.
„Na, ihr müsst doch so dringend. Ich komme jetzt mal mit und warte vor der Tür.“
„Ich muss nicht mehr.“
„Ich auch nicht.“
Ich lasse sie stehen und gehe.

Irrenhaus!!!Und irgendwie pathologisch.

Mal wieder Mistpocken

Was ist das für ein komischer Blog? Soll hier nicht eigentlich aus der Schule geplaudert werden und jetzt geht es seit Tagen nur um irgendwelche stinkenden Pflanzen…

Schule – ja, die gab es ja auch noch. Momentan habe ich ein derart ausgeprägtes Privatleben, dass mir die Schule wie eine lästige Unterbrechung desselben vorkommt. Irgendwie ist ab und zu immer mal wieder Schule und ich geh‘ in sie und unterrichte so vor mich hin. Hochstaplerisch abgebrüht komme ich mir in den letzten Wochen vor. Ich kann mich nicht mal mehr so schön über die doofe achte Klasse aufregen, wie am Anfang des Schuljahres. Irgendwie haben wir uns aneinander gewöhnt. Wenn ich noch ein wenig netter werden würde, dann könnten wir uns vielleicht sogar irgendwann mögen.

Aber irgendwie sind sie mir immer noch ein wenig unsympathisch. Eigentlich ist der größte Teil der Klasse recht unauffällig. Schwach und unscheinbar sind die meisten da. Aber drei Jungs sind immer noch recht nervig. Sie machen jetzt zwar besser mit, aber trauen kann ich denen nicht. Nie würde ich bei denen mal kurz den Raum verlassen. Und die sind auch fies miteinander. Einer der früher immer gestört hat, bemüht sich jetzt richtig dem Unterricht zu folgen. Deshalb hat er sich neulich auch von den anderen weggesetzt, aber seine Tasche auf seinem Platz gelassen. Und die anderen Typen hatten nichts Besseres zu tun, als seinen ganzen Rucksack mit Papierbällen voll zu stopfen. Und neulich während des bekloppten Vera 8 Tests sitzen zwei von den Störern hinten und der eine – nennen wir ihn mal Erhan, der guckt immer wieder zu mir und fragt dann ganz scheinheilig: „Was denn????“

Und nach dem Test gehe ich zu seinem Tisch und sehe, dass an dem Schrank, an dem der Tisch steht alles vollgeschmiert ist. Eine kreplige Zeichnung von einem Raben ist da und dann steht dadrüber groß RAVEN. Seit mehreren Stunden fragt immer wieder einer der Schüler: „Frau Freitag, was heißt denn Raven?“
„Rabe. Meinst du wegen Vincent Raven? – ja, das heißt Rabe.“
Anfangs habe ich mir dabei gar nichts gedacht, bis mich dann letze Woche Kira fragte, ob sie mich mal kurz vor der Tür sprechen könne.
„Wissen Sie Frau Freitag, wenn die Jungs immer das sagen, mit Raven oder Rabe, dann meinen die mich. Die wollen mich damit ärgern. Gehen Sie bitte nicht mehr darauf ein.“

Kira sieht auch ein bisschen aus wie ein Rabe, ein ganz klein wenig. Aber als ich das hörte, wurde ich richtig wütend. Diese fiesen kleinen Schweine, da fragen die mich das immer scheinheilig und ich antworte und eigentlich wollen die nur Kira ärgern. Fiesestes Mobbing ist das. Und dann sehe ich da diesen krepligen Raben auf meinem Schrank. Ich bin ausgeflippt. Burat, der direkt dort saß, wo die Zeichnung war habe ich gezwungen, mit meinem verkeimtesten Schwamm den Schrank sauber zu machen. Die Zeichnung ging allerdings nicht richtig ab und er jammerte die ganze Zeit rum, dass er das nicht war. Erhan, der eigentlich schon gehen konnte, grinste während der Säuberungsaktion irgendwie verdächtig, sagte aber auch nicht, dass er es war.

Zu Hause habe ich mich dann daran erinnert, dass sich Erhan während der Stunde über seinen Tisch gebeugt hatte und da wurde mir klar, dass er das gewesen sein musste. Als ich ihn sah, kam er sich ja auch gleich ganz ertappt vor. Und dann hat Inspektor Freitag gleich mal die Arbeiten von Erhan und Burak rausgeholt und da war dann alles klar: Burak hatte mit einem blauen und Erhan mit einem schwarzen Stift geschrieben. Die Zeichnung auf dem Schrank war schwarz!

Nun überlege ich, wie ich weiter vorgehen soll. Momentan tendiere ich dazu, Burak ins Vertrauen zu ziehen und ihm zu sagen, dass ich wüsste, dass Erhan das war und ihn zu fragen, warum er ihn deckt. Da ist auch noch eine Menge Putzerei nötig, denn der Schrank ist noch nicht sauber. Vielleicht hat hier ja noch jemand eine Idee, was ich morgen sagen und tun könnte. Ich bin offen für alles. Schlagen dürfen wir ja leider nicht. Vielleicht lasse ich Erhan ein wenig Jasmin futtern…