Sonne überall


Heute war es so schön in der Schule. Sonne in den Räumen. Ich glaube es wird Frühling. Leider bin ich viel zu müde, um darüber zu schreiben. Aber den schönsten Satz des Tages will ich doch noch mit euch teilen:

Onur: „Frau Freitag waren Sie die Hübscheste in Ihrer Klasse?“

Mensch, bin ich froh, dass ich die Zensuren noch nicht eingetragen habe.

Schon wieder eine neue Unterrichtsmethode erfunden


Müde. Sehr Müde. Aber muss ja, muss ja, schreiben, Kaffee, Zigaretten, Sport… einer muss ja.

So. Wolltet ihr nicht schon immer mal wissen, wo der Spruch: „Wer zuerst kommt malt zuerst“ herkommt? Der kommt aus meinem Unterricht. Eine spontan erfundenen Unterrichtsmethode.

Heute morgen begebe ich mich widerwillig in meinen Raum. Früh genug, um noch die Zeichenvorlagen zu suchen, die ich meiner Klasse heute im Kunstunterricht vorsetzen will. Ich brauche noch ein paar kleine Noten von ihnen und für große künstlerische Würfe sind wir alle schon zu müde. Ich suche also diese Vorlagen in meinen Schränken, in den Regalen. Nichts. Ich finde viel, aber nicht das was ich suche.

Vor einigen Jahren wäre ich in dieser Situation in Panik ausgebrochen. Noch 10 Minuten bis zum Unterrichtsbeginn und noch keine Aufgabe in Sicht. Heute – abgebrüht berufserfahren – grabe ich mich durch die Berge von Material, die ich in meinem Raum angehäuft habe und werde fündig. Aquarellvorlagen. Das isses. Ein Kollege hatte mir mal lauter alte Kalender mit kitschigen Blumenmotiven geschenkt. Alles aquarelliert.

Ich finde ungefähr 20 verschiedene Motive. Die magnetisiere ich alle an der Tafel. Ich kann kaum hinsehen – sie sind so kitschig, geradezu romantisch. Dazu schreibe ich: Neues Thema: Aquarellieren. So. jetzt können sie kommen. Es kommt nur Esra. „Ohhhh, wie schöööön. Machen wir das heute?“ Dann kommt Peter und dann klingelt es.

Ich fange an die Nichtanwesenden aufzuschreiben. „Peter, hier ist ein Blatt, schreibe mal jeden der Reihe nach auf, der jetzt reinkommt.“ Nach zehn Minuten sind alle da. Ich erkläre die Aufgabe. Wir klären schnell, was Aquarellieren ist. Die Italienerin klärt uns auf – ach ich liebe meine kosmopolitische Klasse. „Ich will das mit den Rosen.“ schreit Ayla. „Nein, das will ich schon „kreischt Christine.

Ich bleibe ganz cool. Früher wäre die Stunde jetzt ins Chaos entglitten, denn die Alphatiere hätten sich die Vorlagen genommen, die sie sich ausgewählt hatten und die Opferschüler hätten schweigend geschmollt und jegliche Mitarbeit für den Rest der Stunde boykottiert, wegen Ungerechtigkeit.

„Sorry Ayla, aber es gibt schon eine Reihenfolge. Als erstes darf Esra sich ein Bild aussuchen. Dann Peter. Wer zuerst kommt malt zuerst.“

Peter liest die Namen vor, alle kommen gesittet nach vorne, suchen sich ein Motiv aus, ich händige das Aquarellpapier aus und alle beginnen zügig mit der Arbeit. Es gibt keinen Streit und keinen Stress. Ich bin begeistert, von meinem Unterrichtseinstieg.

Nach zehn Minuten herrlichster Ruhe kommt Bilal mit einem total vollen Rucksack zu mir. „Frau Freitag, darf ich was essen?“
„Nein, wir haben doch jetzt Unterricht.“
Er öffnet seinen Rucksack und der ist voll mit kleinen Tüten vom Bäcker, trocknen Chinanudeln und Süßigkeiten. Es sieht aus, als würde er das Wochenende in der Schule verbringen wollen.
„Frau Freitag, bitte, ich hab‘ so Hunger. Hier, hier, nehmen Sie auch was. Hier!“
Er zieht eine Tüte raus.
„Hier hmmmm lecker Vanillietasche, mit Schockolade, für Sie, hier, nehmen Sie.“ Ich nehme die Tüte. Sieht lecker aus, diese Tasche. Ich breche ein winizig kleines Stück ab und als ich es in den Mund stecke bemerke ich, wie ich von meiner gesamten Klasse beobachtet werde.

„Abbooooo, sie isst!“ Und ab da gab es kein Halten mehr. Alle holten ihr Frühstück raus, Bilal verteilte großzügig Süßigkeiten (geizig sind meine Schüler nicht) und dann wurde gegessen, bis zum Klingeln.

„Frau Freitag, wir machen einen Deal“, sagt Bilal beim Rausgehen „Ich bringe Ihnen immer Vanielletaschen mit und sie schreiben nicht mehr auf, wenn ich zu spät komme“. Ich schüttle nur den Kopf, weil ich mit der Gummischlange im Mund nicht sprechen kann. Abdul schiebt Bilal durch die Tür und sagt: „Abooo Frau Freitag wäre voll fett am Ende des Schuljahres.“

It gives children that gives not


Gestern habe ich die Englischarbeiten meiner Klasse korrigiert. Ging schnell, da die meisten Schüler die beiden Schreibaufgaben gar nicht bearbeitet hatten. Langer roter Strich über die leeren Zeilen, eine kleine Null vor die /10P. Fertig. Mit jeder Arbeit, die ich zensiere werde ich wütender. „Warum lernen die nicht? Ich hatte alles, wirklich alles vorher angesagt. Zwei der Aufgaben haben wir sogar schon im Unterricht bearbeitet. Ich hatte ihnen immer wieder gesagt: „Diese Aufgabe kommt auf jeden Fall in der Arbeit vor.“

Und dann – am Tag der Arbeit – „Häääähhh? Arbeit? Heute? Ich dachte morgen.“ „Morgen haben wir gar kein Englisch.“ Bei einer Arbeit schreibe ich unter einen Schülertext: Du MUSST mehr lernen, das ist schon fast kein Englisch mehr. Ich erhalte viel direct oversetting: „It gives childrens she will become money.“ Dazu kann ich nur sagen: „I think I spider! Have she not anything learnt from me??? I become money and it gives childrens she learn not English. I know not what I must do?“

Morgen will ich die Arbeit zurück gegen. Die Arbeit ist das letzte Puzzelstück ihrer Halbjahresnote. Wir haben noch drei, vier Stunden, bevor ich die Zensuren für die Zeugnisse abgeben muss, aber eigentlich ist alles gelaufen in Sachen: Ich schwöre ich verbessere mich, Sie werden sehen. Jetzt gibt es nichts mehr zu verbessern. Die meisten Schüler werden eine vier oder sogar eine fünf auf dem Zeugnis haben.

Um den Realschulabschluss zu erhalten brauchen sie aber eine Drei. Und wenn sie im Halbjahr eine Fünf (4Punkte) haben, dann brauchen sie im zweiten Halbjahr eine Zwei (10 Punkte) und auf die Drei (7Punkte) zu kommen. Eigentlich eine sehr einfache Rechnung. Die Schüler, die jetzt eine Fünf bekommen werden, werden niemals eine Zwei im zweiten Halbjahr bekommen. Genauso wenig werden sie die erhalten, wie ich im Lotto gewinnen werde. Denn ich spiele gar nicht und sie lernen gar nicht.

Nun habe ich lange überlegt, was ich beim Zurückgeben der Arbeiten sage. In meiner ganzen Wut, die ich wegen ihrer Faulheit empfand hatte ich mir schon die wildesten Ansprachen überlegt. Dann ging es eher in so ein mitleidiges: Was soll ich nur machen… warum lernt ihr nicht? – Gejammer. Dann dachte ich, dass ich sie frage, wie ich denn den Unterricht gestalten soll, damit sie was tun. Was passieren muss, damit sie anfangen Hausaufgaben zu machen und sich regelmäßig im Unterricht zu beteiligen?

Und dann lese ich den Eintrag von Frl. Krise gestern und rege mich wieder auf. Über ihre Klasse, über meine Klasse, über das ganze Schulsystem. Wütend rufe ich Frl. Krise an und frage sie, was ich meinen Schülern zu ihren schlechten Arbeiten sagen soll. Und sie wäre ja nicht King-Teacher, wenn sie nicht den perfekten Tipp hätte. „Du gibst die Arbeiten völlig emotionslos wieder. Hier eure Arbeiten. Packt sie bitte weg, wir fangen mit dem Unterricht an.“ Klingt super. Die Frage ist nur, ob ich meine Wut und meinen Ärger unterdrücken kann. Aber Frl. Krise sagt: „Du gibst die Verantwortung an sie zurück. Wenn ihnen ihre Noten egal sind, dann sind sie dir eben auch egal.“

Klingt einleuchtend. Es kann ja wohl nicht angehen, dass ich mir tagelang den Kopf zermartere, wie ich denen den popligen Stoff der Arbeit darreiche und alles mit ihnen gemeinsam vor- und zurück kaue und die mir dann lapidar sagen: „Oh, die Arbeit, habe ich voll vergessen. Nö, gelernt habe ich nicht. Schreiben wir noch eine???“

NEIN WIR SCHREIBEN NICHT NOCH EINE! ES GIBT AUCH KEINE LETZTE CHANCE MEHR. DAS HIER WAR DIE LETZTE CHANCE. DIE IST JETZT WEG. UND HOFFT NICHT AUF DAS ZWEITE HALBJAHR. DA BRAUCHT IHR DANN EINE ZWEI. HALLLLLOOOO, EINE ZWEI!!! DIE MEISTEN VON EUCH HATTEN NOCH NIE IRGENDWO EINE ZWEI AUF DEM ZEUGNIS – AUßER VIELLEICHT IM GEBURTSDATUM!!!!!

Einsatz moderner Medien im Unterricht fetzt

Heute der Durchbruch!!!! Ich bin KING TEACHER!!!!! Ihr wollt wissen, wie das ist? SUUUUPER!!! Ach, ihr wollte wissen, wie das geht? Okay, dann mal aufgepasst:

Als ich heute morgen aus dem Fenster sah und alles in schönsten Schnee gehüllt vor mir lag, war mein erster Gedanke: Scheiße, die Siebte habe ich direkt nach der großen Pause, na toll. Die werden total durchweicht, mit Schneebällen und hochroten Köpfen in meinen Raum stürmen und alles nass machen.

Im Lehrerzimmer sehe ich auf dem Vertretungsplan auch noch, dass eine Englischkollegin fehlt und die Schüler (ein paar aus ihrem Kurs) zu mir in die Gruppe kommen sollen. Na, das kann ja heiter werden – wie Frl. Krise immer sagt. Ich wappne mich mit einem Vokabeltest und der halbgaren Vorbereitung und begeben mich gehe in Richtung Waterloo.

Die Schüler erscheinen, setzen sich, sie sind recht trocken, einige wissen sogar noch, dass ich einen Test angekündigt habe und lechzen jetzt nach den Blättern, weil sie mit jeder verstreichenden Sekunde die Vokabeln wieder vergessen könnten. Wie übervolle Wassergläser, die man durch den Raum trägt, aus denen das ganze Gelernte raus schwappen kann. Die meisten allerdings lassen das typische: „Ohaaaa, Test? Haben Sie nicht gesagt.“ hören.

Sie schreiben den Test, alles läuft in recht gesitteten Bahnen. Nur Mert nervt. Mert sitzt direkt vor meiner Nase. Mert nervt immer. Er macht Geräusche. Wenn ich an der Tafel schreibe, dann klatscht er unterm Tisch. Er öffnet das Buch nicht, wenn ich sage: „Öffnet das Buch.“ Er schreibt nicht, wenn ich sage: „Schreibt.“ Er ist nicht still, wenn ich sage: „Seid still.“ Er macht eigentlich nie das, was ich sage. Wenn alle im Buch lesen und er sich langweilt, dann fragt er mich zehnmal hintereinander: „Auf welcher Seite sind wir?“ Er müsste nur zu Deliah gucken, die direkt neben ihm sitzt. Macht er aber nicht. Nein, er fragt mich. Immer wieder. Ich reagiere nicht. Dann gibt er irgendwann auf: „Ich kann ja nicht mitmachen, Sie sagen mir ja nicht auf welcher Seite wir sind.“

So geht das nun schon seit einigen Wochen. Der Rest der Gruppe arbeitet im Großen und Ganzen gut mit. Na, sagen wir mal: einige arbeiten immer mit, einige nie, aber niemand stört so penetrant und permanent, wie Mert. Jede Stunde biete ich ihm einen Neustart an. Nie schaffen wir einen Neustart. Jede Stunde fängt er wieder an zu stören und ich werde sauer oder ignoriere ihn.

Heute sehe ich mitten im Unterricht, dass er die Backen voll hat. „Mert, was hast du da im Mund?“ „Haribo.“ „Sag mal geht’s noch? Jetzt ist Unterricht. Da wird nicht gegessen!“ Er grinst nur. Wenig später sehe ich ihn wieder kauen und nicht mitarbeiten. Und als er noch sein Trinken rausholt und genüsslich seinen Durst löscht, reicht es mir. Ich gehe hektisch an meinen Schreibtisch und setzte mich hin. Dann gucke ich in meine Schultasche – eine reine Übersprungshandlung, weil ich gar nicht weiß, was ich machen will und da sehe ich eine Klassenliste mit den Adressen und Telefonnummern der Schüler. In meiner Strickjackentasche ist mein Handy. Ich nehme es raus und sage ruhig: „Okay Mert, dann rufe ich jetzt einfach deine Mutter an und erzähle der mal, wie du dich hier benimmst.“ Die Klasse hält den Atem an. Ich wähle. „Lieber eins und eins Kunde, diese Nummer ist leider nicht vergeben.“ Mist. Vielleicht habe ich mich nur verwählt. Ich versuche es nochmal und siehe da:

„Efendim…“ Merts Mutter meldet sich am anderen Ende der Leitung. Ich stehe auf und gehe zur Tür: „Ja, guten Tag, hier ist Frau Freitag, die Englischlehrerin von Mert. Wir sind gerade im Unterricht und der Mert stört den Unterricht so sehr, dass die anderen Schüler gar nicht richtig lernen können.“

Dann gehe ich vor die Tür und sage ihr, dass sie doch mal am Abend mit ihrem Sohn sprechen soll und dass er sich morgen besser benehmen muss, da ich sie sonst zu einem Gespräch in die Schule bitten müsste. Als ich wieder in die Klasse komme: Totenstille. Streng und bestimmt sage ich: „Noch jemand Bedarf nach einem Elterngespräch heute Abend?“ Hat wohl niemand, denn der Rest der Stunde läuft ruhig und geordnet, bis zum Klingeln. Mert holt noch einmal kurz zu einem Störversuch aus. Ich hole mein Handy raus und flüstere: „Pass auf, ich drücke einmal die Wahlwiederholung und sage deiner Mutter, dass sie kommen soll, um dich abzuholen.“ Sofort ist er leise und arbeitet mit und findet sogar die richtigen Seiten im Buch.

Und mit dem Satz: „Boahhhh, sie ist strenger als Frau Hinrich!“ wird mir mir noch der Ritterschlag verliehen. Ich bin hin und weg. Endlich geschafft – so muss sich das Paradis anfühlen!!!!!

Lügen haben keine kranken Mütter

„Guten Tag, hier spricht Frau Freitag, ich bin die Klassenlehrerin von Bilal. Spreche ich mit Bilals Mutter?“
„Nein, ich bin die Schwester.“
„Könnte ich mal mit seiner Mutter sprechen?“
„Die kann nicht gut Deutsch, worum geht es denn?“
„Ich wollte mich nur mal erkundigen, warum der Bilal am Freitag zu spät in die Schule gekommen ist.“

Ich hatte morgens gesehen, dass er bis nachts um drei Uhr bei Facebook unterwegs war. In der zweiten Stunde kam er dann mit einer Trauermine an meine Tür und sagt, dass er mich mal ganz dringend unter vier Augen sprechen müßte. Seiner Mutter sei es sehr schlecht gegangen. Ihr Gesicht sei ganz schief gewesen und da wären sie die ganze Nacht wach geblieben und morgens ganz früh mit der Mutter ins Krankenhaus gefahren.
„Das klingt ja schrecklich Bilal, wie geht es deiner Mutter denn jetzt?“
„Ja naja, besser.“
„Ist sie denn noch im Krankenhaus?“
„Ja.“
„Na, das ist ja gleich hier um die Ecke, da kannst du sie ja heute nach der Schule besuchen.“
Erleichtert will er gehen, dreht sich aber nochmal um: „Soll ich noch eine Entschuldigung abgeben?“
„Nein, nein, brauchst du nicht. Gute Besserung an deine Mama.“

Ich gucke ihm hinterher und denke: Irgendwas stimmt an der Sache nicht. Ist nur so ein Gefühl, aber dieses Gefühl kam heute in meiner Freistunde wieder hoch und da habe ich eben mal schnell angerufen, um mich nach dem mütterlichen Befinden zu erkundigen.

„Jedenfalls war Bilal nicht in der ersten Stunde.“
„Ja, er ist zu spät losgegangen. Er hat verschlafen.“ Keine Wunder, wenn er bis in die Puppen bei Facebook rumhängt.
„Okay, verschlafen… und der Mutter? Geht es der gut? Die war nicht im Krankenhaus?“
„Nein, nein, der geht es gut.“
„Okay, dann weiss ich ja jetzt Bescheid. Erstmal vielen Dank. Tschüß.“

Die Mutter ins Krankenhaus gebracht… pahhh, mit schlimmen Schaganfallsymptomen… dieser Bilal kann was erleben. Spinnen die denn jetzt nur noch? Die lügen mich von vorne bis hinten zu. Von früh bis spät nur Lügen, Lügen, Lügen und gefälschte Entschuldigungszettel. Heute in der ersten Stunde kommen Marcella und Emre zu spät. 2Wir mussten noch was wegen einer Präsentation mit Frau schwalle besprechen.“
In der Pause treffe ich Kollegin Schwalle: „Nö, Frau Freitag, die waren den ganznen Tag noch nicht bei mir.“

Dann frage ich den Chef des Prüfungsausschusses, ob Mariella für die Realschulprüfung angenommen wurde, weil sie doch ihre Anmeldung zu spät abgeben hat. Er fragt, ob ich denn den Brief gelesen hätte, mit dem sie sich dafür entschuldigen wollte.

Und als ich das Gestammel lese, denke ich mich trifft der Schlag. Da steht so in etwa: „Ich weiss ich habe die Anmeldung zu spät abgegeben, weil meine Lehrerin hatte mir am 5.11. noch geschrieben, dass ich an die Gliederung denken soll und da hat sie mich aber nicht an die Anmeldung erinnert und dann habe ich nur an der Gliederung gearbeitet. Meine Lehrerin trifft keine Schuld.“
Die Lehrerin (also ich) wird in diesem Schrieb so oft bemüht, dass man das so liest, als sei eigentlich nur ich dafür verantwortlich, dass sie die Anmeldung nicht abgegeben hat. Frl. Krise sagt: „Wenn dich keine Schuld trifft, warum erwähnt sie dich dann überhaupt? Sie könnte doch auch schreiben meine Schwester trifft keine Schuld, meinen Bäcker trifft keine Schuld…“

Verdammt nochmal, übernehmt mal Verantwortung, hört auf zu lügen und werdet doch einfach mal erwachsen!!!!

Cigdem ist wieder da


„Manuel, wie kannst du denn Moslem sein, wenn dein Vater Deutscher ist?“ fragt Cigdem mitten in der Stunde. Ich unterrichte gerade Kunst in meiner Lieblingsklasse. Ich bilde mir ein es sei meine Lieblingsklasse, weil ich es sonst nicht aushalte. In der Gruppe sind nicht viele Schüler, weil jeder einzelne die Wirkung von 10 normalen Schülern hat. Dort habe ich auch wieder das Vergnügen, Dschinges und den dicken Dirk vor mir zu haben und neuerdings eben auch Cigdem. Sie war erst auf unserer Schule, dann war sie auf irgendsoeiner Maßnahmenspezialschule und jetzt ist sie wieder bei uns.

Das passiert oft. Wir sind eine Bumerang-Schule. Die Schüler gehen: „Wir ziehen nach München, Köln, Salzgitter, ich gehe in ein Schulschwänzerprojekt, ich habe Ausbildungsstelle, ich gehe auf eine andere Schule…“ Und meistens passiert gar nichts, oder sie sind irgendwann weg und dann plötzlich stehen sie wieder vor deiner Tür: „Ich bin wieder da. War scheiße in München. Obwohl es gab voll viel Arbeitsplätze. Sogar mein Bruder hätte dort arbeiten können, dabei hat er gar keinen Schulabschluss.“

„Dein Vater ist doch kein Moslem. Der ist doch Deutscher.“ Manuel hat noch nicht geantwortet. Er scheint nachzudenken. In seiner Klasse sind alle Moslem. Es täte ihm gut, auch einer zu sein. Alle starren ihn interessiert an und warten auf seine Antwort. Ich möchte ihm helfen: „Cigdem, man kann doch auch als Deutscher Moslem sein. Das ist doch eine Religion und keine Volksabstammung oder eine Nationalität.“ Manuel faselt etwas von Stiefvater. Er ist wahrscheinlich noch kein Moslem, sonst hätte er das sofort gesagt. Der Gruppendruck schlägt ja überall erbarmungslos zu. Ich versuche das Thema zu wechseln: „Man wird doch ganz leicht Moslem, man muss doch nur dreimal irgendwas sagen und dann ist man das. Man muss ja noch nicht mal Steuern zahlen.“ Ich denke an meine Kirchensteuer, die der evangelischen Gemeide jedes Jahr eine Skireise, ermöglicht.
„Ja, das Glaubensbekentniss.“ sagt Hassan.

„Cigdem, warum bist du eigentlich wieder hier? Du warst doch auf einer anderen Schule.“
„Da war’s scheiße. Ich bin geflogen.“
Irgendwie kommen wir von dem Religionsthema aber nicht weit weg. Cigdem erzählt, dass sie immer samstags und sonntags betet. Deshalb frage ich sie: „Bist du denn ein richtiger Moslem?“
„Ja, natürlich.“
„Hälst du dich denn an die Regeln?“
„Nein, tue ich nicht.“
„Kannst du denn ein Moslem sein, ohne dich an ganzen Regeln zu halten?“
Cigdem überlegt: „Das hat doch nichts damit zu tun. Ich glaube trotzdem an Gott.“
„Na, das will ich ja gar nicht bezweifeln, aber ich dachte immer man muss sich auch diese Regeln halten.“
„Wieso? Das macht kein Jugendlicher.“ Cigdem ist etwas empört „Niemand kann sich an die Regeln halten.“

Das sehen ihre Mitschüler aber anders: „Natürlich kann man das. Erwachsene, Hodschas, alte Leute…“
Sie überzeugen Cigdem nicht: „Meint ihr. Aber ich wette die Hodschas haben früher auch Hurensohn gesagt. Glaubst du nicht, Frau Freitag?“

„Cigdem, warum duzt du die Lehrer eigentlich immer?“ fragt Manuel. „Ja, Cigdem das machst du. und das sollte man nicht machen. Weißt du, das machen Kindergartenkinder. Du bist doch schon älter. Man denkt dann du wärst noch klein.“ erkläre ich, dabei weiß ich genau, dass sie das aus Respektlosigkeit und Povokation tut.

„Wieso, hab ich schon immer gemacht. In der anderen Schule hab‘ ich zu den Lehrern gesagt Hurensohn komm her und die haben nichts gemacht.“
„Naja, du bist ja von der Schule geflogen.“
„Ja aber, weil ich eine Lehrerin geschlagen habe und so mit der Schere auf sie zugegangen bin.“ Sie springt auf, nimmt eine Schere von meinem Schreibtisch und will die Szene nachspielen. Ich greife nach der Schere und sie setzt sich wieder hin.

Die ganze Stunde beobachte ich sie. Sie arbeitet gut, verbal ließe sich einiges verbessern, aber eigentlich ist sie recht zugänglich und friedlich. „Cigdem, kann ich dich mal was fragen?“
„Was denn, Frau Freitag?“
„Sind deine Eltern eigentlich stolz auf dich?“
Sie denkt kurz nach „Nein. Sind sie nicht.“

Dann klingelt es und wir wünschen uns gegenseitig ein schönes Wochenende.

Nur Spaaaaaß


„Fatma und Asmaa, bleibt mal noch kurz hier.“
„Warum denn?“ kurzes Nachdenken, dann ein verlegenes Grinsen „Ach so, wegen Facebook, Frau Freitag, das war doch nur Spaaaß.“

Wir sitzen alle um den hinteren Gruppentisch meines Raumes. Asma, Elif, Güstistan, Fatma und ich. Fatma koloriert immer noch ihr Bild. Eine Fantansiestadt auf DIN A2, die sie im letzten Schuljahr gezeichnet hat, aber damals nicht fertig geworden ist. In jeder freien Minute will sie an dem Bild arbeiten. Ich habe ihr meinen teuren Faber Castell Buntstiftkasten mit 36 unterschiedlichen Farben gegeben. Das Bild wird wirklich sehr schön.

„Frau Freitag, das war nicht ernst gemeint.“ sagt Asmaa. „Fatma hat mir das geschickt und dann habe ich darauf geantwortet.“
Fatma, ohne hochzugucken: „Wir sollten das für Geschichte lesen und dann habe ich es einfach Asmaa geschickt.“
„Ja, das habe ich mir schon gedacht, aber die Kommentare…“
Schuldbewußt kichern beide. „Ja, das war blöd.“ sagt Asmaa.

Güsltian erzählt, dass sie in Geschichte mit der Klasse einen Film über die KZs gesehen haben: „Das war voll schrecklich, wie die alle so total dünn waren und überall hat man die Knochen gesehen. Alle waren übertrieben geschockt, wir Mädchen hätten fast geheult, nur Fatma hat die ganze Zeit gelacht.“
Jetzt guckt Fatma mich das erste Mal an: „Ja, na und? Ich hasse die Juden. Was die in Palästina machen…“
Wir sprechen kurz über die Begriffe Juden, Israelis, Politiker, Privatleute, Täter und Opfer. Gülistan sagt: „Aber die Deutschen machen doch immer die Witze über die Juden.“
Fatma kichert: „Ja, hier warte, habe ich im Internet gelesen. Was sagt der Jude zum Taxifahrer? —Gib Gas.“ Fatma lacht sich schlapp.

Ich komme noch mal auf ihren Facebookspaß zurück. „Ihr könnt sowas aber nicht auf Facebook schreiben. Das ist alles öffentlich.“
„Einmal im Internet – immer im Internet.“ zitiert Gülistan wen auch immer und grinst dabei zufrieden. „Ganz genau“ bekräftige ich sie. „Ja ich weiß, darum haben wir es auch gelöscht.“ sagt Asmaa leise. „Ihr könnt da eine Menge Ärger bekommen. So zu reden ist nicht erlaubt.“

Plötzlich werden die Mädchen ganz aufgeregt und erzählen mir eine Geschichte aus ihrer Grundschulzeit. Da gab es wohl ein palästinensisches Mädchen, die in ein Freundschaftsbuch als Zukunftswunsch: Alle Juden sollen sterben! geschrieben hat. Als die Klassenlehrerin das Buch hatte, um etwas reinzuschreiben gab es richtig Ärger.

„Sie bekam Tadel und Brief an die Eltern und eine Klassenkonferenz und Schulverweis und sie war gut in der Schule – Gymnasium, und sie hätte sich fast ihre ganze Schule versaut damit.“ erzählt Elif ohne Luft zu holen. „Na die hat ihre Lektion gelernt.“ sage ich und die Mädchen nicken stumm.

Fatma räumt langsam auf, denn sie müssen zum nächsten Unterricht. „Fatma, ich verstehe, dass du auf die ganze Sache eine andere Sichtweise hast, wegen des Nah-Ost-Konflikts….“ „Frau Freitag,“ unterbricht sie mich „wissen Sie, was die da mit den Palästinensern machen?“ Sie erzählt von Land und heiligen Moscheen und kleinen Kindern und Tod und Elend. Ich höre zu und nicke und sage, ja, das ist schlimm.

Dann unterbricht Gülistan sie: „Aber Fatma, die Juden im KZ die konnten doch gar nichts dafür. Das war doch viel früher. Die haben doch gar nichts mit Palästina zu tun.“
„Ja stimmt.“ sagt Fatma. Wir gehen aus dem Raum Richtung Sporthalle. Ich laufe langsam mit Fatma hinterher, damit ich mit ihr alleine sprechen kann. Fatma sagt, dass die Juden/Israelis ja heute das Gleiche mit den Palästinensern machen würden. Und warum sie nichts von früher gelernt hätten.

„Fatma, das ist alles nicht einfach, dieser ganze Konflikt heute. Aber das eine ist Krieg und der Holocaust war was anderes. Sie weiß nicht was der Holocaust ist. Ich erkläre es ihr schnell. „Weißt du, das hat mich echt geschockt, wie und was ihr da über die KZs geschrieben habt. Das war richtig respektlos. Das war so schlimm damals und da macht man sich nicht drüber lustig.“

Fatma guckt auf den Boden: „Ich weiß. Ich respektiere die Toten auch.“ damit lasse ich es fürs Erste gut sein, lege ihr den Arm um die Schulter und verabschiede sie mit einem fröhlichen: „Tja Fatma, schade eigentlich das wir beide hier heute nicht den Nah-Ost-Koflikt lösen können. Ist eben nicht so einfach.“ „Nee, leider.“ sagt sie und schlurft zum Sportunterricht.

Is alles nicht so einfach


Danke für die vielen tollen Kommentare. Ein richtiger knaller Lösungsvorschlag war ja noch nicht dabei. Ist wohl nicht so einfach. Leider habe ich die Mädchen heute noch nicht gesehen. Aber morgen werde ich mit ihnen sprechen.

Viele von euch haben geschrieben, dass ich mit denen Dokumentationen über den Holocaust u.ä. sehen soll, oder Überlebende einladen könnte. In meinem Fall ist das Problem aber ganz anders gelagert.

Der „normale“ deutsche Antisemitismus ist ja eher rückblickend. Momentan hat ja kein Deutscher einen persönlichen Konflikt mit irgendeinem jüdischen Mitmenschen.

Die Familien meiner Schüler kommen allerdings aus palästinensischen Flüchtlingslagern und waren zum Teil im Sommerurlaub im Libanon, als der letzte Krieg dort losbrach.

Ich erinnere mich an eine Kunststunde vor einigen Jahren, als ich eine ziemlich chaotische Collageaktion initiiert habe. Der Deutschlehrer hatte mir netterweise einen Haufen Zeitschriften besorgt. Aus den Containern, in den die Lesezirkelmagazine reingeschmissen werden, wenn sie abgelaufen-ausgelesen sind. Jedenfalls hatte ich einen Haufen Zeitschriften, die ich irgendwie in meinem Kunstunterricht verwursten wollte. Von jedem Magazin 10 Mal die gleiche Ausgabe.

Plötzlich schrie ein Schüler auf „Judenfahne, Judenfahne“ und zeigte wild immer wieder auf eine Seite. Ich habe die ganze Stunde schon mal beschrieben. Jedenfalls hatte ich nicht gecheckt, dass es in dieser Ausgabe um den Libanonkrieg ging. Und wie der Stern so ist, gab es natürlich auch schön viele große Bilder von der Zerstörung. Plötzlich entspann sich, ein von mir nicht mehr kontrollierbarer, antisemitischer Hassausbruch bei den Schülern.

Ich wusste mir nicht anders zu helfen und schrie die Schüler an, sie sollen damit aufhören. Vor allem Mohamad stampfte ich in Grund und Boden. Ich spulte meine gesamte: „Du kennst doch gar keine Juden, wie du hier redest, dafür könnte ich dich anzeigen -Leier“ ab.

Er wurde ganz still. Irgendwann stand er auf und kam mit dem aufgeschlagenem Stern zu mir. Auf der Doppelseite war ein Bild von einem Mann, der ein blutendes, wahrscheinlich totes kleines Mädchen im Arm hielt.
„Aber Frau Freitag, gucken Sie,„ sagte er zu mir ziemlich leise und hielt mir die Zeitschrift unter die Nase „gucken, Sie, dass ist doch meine Cousine.“

Geht’s noch???


Ich bin kurz vorm Explodieren. Versuche dauernd Frl. Krise anzurufen. Da ist immerzu besetzt. Ich könnte vor Wut den Laptop gegen die Wand schmeißen. Eben gehe ich auf mein Schülerfacebook und lese da folgendes:

Fatma kuck dir die geilen juden an wie sie verbrennen voll süßß jahhh ♥♥♥
http://de.wikip..org/wiki/Konzentrationslager ♥♥♥♥ prapapapa ich liebe es

Ich glaub ich seh nicht richtig. Da postet Asmaa aus meiner Klasse Bilder aus Konzentrationslagern und schreibt so einen Müll. Aber dann wurde es ja noch viel besser, als nämlich Fatma antwortet:

Fatma: ganz schon intressaant und so neee ..richtig süß mein Schatz 🙂

Die spinnen ja nun wohl völlig. Am liebsten hätte ich die beiden angerufen und sie zusammengebrüllt. Schnelller ging allerdings erstmal einen Kommentar zu schreiben:

Frau Freitag: Noch ganz dicht? Denkt mal nach, was ihr hier schreibt!!!

Gülistan: Huhuu okaay.. haha
Fatma: Hahahahahahahahahaha Asmaa =D

Ich kann es gar nicht glauben. Klar, ich weiss, dass die ihren Antisemitismus pflegen und gepaart mit Unwissenheit und bekloppten Propagandahäppchen, die sie hier und da aufschnappen kommt dann eben sowas bei raus. Und das auf Facebook – schön mit Schatziii und Herzchen, oder was? Zumindest bremst sie mein Kommentar etwas aus. Sollen ruhig die anderen Schüler auch sehen, dass hier eine Leherin mitliest und das nicht voll süß Schaaaazii findet, bevor die sich mit ihren Nazischeiß einreihen.
Die haben ja wohl echt den Arsch offen.

Die können was erleben. Die mach ich so rund, da sind gefälschte Entschuldigungszettel ein Witz gegen. Und wenn ich wieder die Anzeige wegen Volksverhetzung bemühen muss.
Die sind doch keine kleinen Kinder mehr. Die sollen nächstes Jahr in die Welt gehen und Berufe erlernen. Da kann man doch nicht mehr so bekloppt und bescheuert und vor allem soooo dummm sein.
Ich bin die letzte, die ihre Schüler für dumm hält, aber sorry, mir fehlen die Worte. Klar, ja,ja, Unwissenheit und die Eltern und der Imam und die Situation in Palästina… jajaja – my ass!!! Sowas gehört sich nicht. Irgendwo hört der Spaß auf und ich hoffe wenigstens das kapieren sie. Wenn sie jetzt hier wären, die würden mich so wütend erleben, wie sie sich das nicht mal erträumen können.
Oh Mann, mein Satzbau leidet unter meiner Wut. Ich muss Frl Krise anrufen und mich auslassen und rummeckern. Wird bestimmt nicht besonders pc oder pädagogisch ausfallen.

Okay, ich denke mein Standpunkt wird klar – ich finde diese Aktion nicht gut!!!

Und bitte liebe Nazis schreibt mir hier drauf keine Kommentare. Poste ich sowieso nicht.

Showdown der Entschuldigungen

Elternsprechtag. Wie ich den liebe. Die Schüler, die wissen, dass ich am Abend ihren Eltern gegenüber sitze, sind heute ganz lieb und demütig gewesen.
Elda und Esra kamen sogar in der Mittagspause zum Lehrerzimmer. Ich saß gerade über einem Teller nicht ganz so leckerer Nudeln.
„Frau Freitag, können wir noch mal mit Ihnen reden? Wegen heute Abend und so?“
Jetzt werden noch mal alle Register gezogen. Esra bemüht sogar noch eine kranke Großmutter, wegen der ihre Eltern z.Z. große Sorgen hätten. Elda kommt wieder mit der türkischen Hochzeit. Ich denke an die Nudeln.
„Passt mal auf ihr Lieben, lasst uns einfach heute Abend darüber sprechen. Und jetzt geht mal nach Hause.“

Dann beginnt der Elternsprechtag. I love it! Ich stelle immer ein paar Stühle für die Wartenden vor die Tür und immer, wenn ich kurz rausgehe, um den nächsten reinzubitten, sitzen die lieben Kleinen dort mit leidendem Gesicht, neben ihren Erziehungsberechtigten. Wenn sie reinkommen, kann ich an den Gesichtern ablesen, bei wie vielen Kollegen sie schon waren.
„Na, bei wem wart ihr denn schon? Und was habt ihr denn dort zu hören bekommen?“

Als ich die Tür öffne und Marcella und ihre Mutter verabschiede, sitzt da Abdul und neben ihm die Übersetzer-Tanten-Cousine. Sie grinst mich breit an. Super. Auf die ist echt Verlass. Die kommt immer. Mama Abdul muss sich leider entschuldigen, sie ist mit der Schwester beim Arzt, aber Mama lässt schön grüßen. Schade, die hätte ich auch gerne gesehen, vor allem, weil es für Abdul eigentlich gar nicht so schlecht aussieht.
Noch nie hatte ich so viel Positives über ihn zu sagen. Die Cousine schreibt alles mit, lässt sich alles genau erklären, fragt nach und macht Vorschläge. Und das alles in dieser herrlichen leicht hektischen wachen Coolness die sie umgibt. Sie ist voll da. Totale Präsenz. Man könnte es present perfect nennen. Ich will sie heiraten. Sie soll bei mir wohnen. Ich will Schüler sein und sie soll sich um meine Leistungen kümmern. Ich beneide Abdul, dass er mit ihr so viel zu tun hat. Und dann hat er auch noch diese süße liebe Mutter, die immer anfängt zu weinen. Diese Cousine ist wie ein teuflischer Engel. Die ist echt super. Beim Verabschieden fragt Abdul: „Frau Freitag, wie lange ist noch bis zur Notenabgabe?“
„Ungefähr fünf Wochen.“
In Abduls Kopf rechnet es. Dann strahlt er: „Super, immer nach dem Elternsprechtag bin ich zwei Monate gut in der Schule. Das haut dann ja noch hin.“

Dann kommt Elda mit ihrer Mutter. Showdown. Wird Frau Freitag die gefälschten Entschuldigungen auf den Tisch legen oder nicht? Ist das das Ende von Eldas freiem Leben? Wird sie heute nacht noch in die Türkei verschickt und dort zu einer Heirat mit einem Bauerssohn gezwungen? Wird Elda ihr Leben ungeliebt im kargen Anatonlien zwischen einem brutalen Ehemann und vielen Schafen verbringen müssen?

Eldas Mutter ist eine bildhübsche moderne türkische Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat.
Wir reden über Eldas Leistungen, die eigentlich keinen Grund zur Klage geben. Ich erkläre die Schulabschlüsse und nenne die Fächer, in denen sich Elda noch verbessern muss.
Und dann greife ich in mein Regal und hole alle Entschuldigungen von Elda raus.
„So Mama Elda, gucken Sie mal, welche von denen hier tragen denn Ihre Unterschrift?“
„Die beiden schieben die Zettel hin und her. Wir unterhalten uns über die einzelnen Daten und es stellt sich raus, dass mindestens ein Zettel gefälscht ist. Ich nehme die Entschuldigungen wieder an mich.
„Passen Sie auf, mir machen das so: Wenn Elda krank ist, dann rufen Sie einfach kurz in der Schule an. Die Entschuldigungen erkenne ich, bis auf die eine hier alle an, okay?“
Dann erzählt Elda noch, dass Frau Hinrich gesagt hat, dass sie ihr Deutsch verbessern muss.
„Aber Frau Freitag, wie soll ich das denn machen?“
„Lesen!!! Du musst lesen!“ rate ich ihr, greife hinter mich ins Regal und gebe ihr „Arrabqueen“. „Hier, lies das mal. Geht um Zwangsheirat.“
An der Tür flüstere ich ihr zu: „Zwangsheirat, wegen gefälschter Entschuldigungszettel.“