Verena kommt freudestrahlend im Lehrerzimmer auf mich zu gerannt. Ich stehe am Vertretungsplan und starre vor mich hin – so sieht meine Pausenbeschäftigung aus. „Frau Freitag, Frau Freitag, la-la-la-la-lala, rate mal, hihihi..“
„Verena,was ist mit dir?“
Sie kommt mir verschwörerisch nahe und flüstert mir ins Ohr: „Der Neue…“
„IBO????“ mein Herz beginnt zu rasen… Wut steigt in mir hoch. Wut und Panik, denn ich habe Verenas Klasse später noch in Englisch. Das hatte ich sehr erfolgreich verdrängt.
Verena grinst immer noch breit. „Um den musst du dir keine Gedanken mehr machen. Da kannst du dich bei Kollegin Schwarz bedanken, die hat den für heute lahm gelegt.“
„Wie jetzt, wie lahm gelegt?“
„Na, der ist eben abgeholt worden. Der ist im Schulgarten mit einer Schubkarre kollidiert und jetzt fehlt ihm ein Zahn.“
„Ein Zahn. Echt? Milchzahn oder richtiger Zahn?“
„Keine Ahnung. Jedenfalls ist er heute nicht mehr da.“
„Yes! Gib mir Fünf!“ Erleichtert begebe ich mich in meinen Unterricht. Im Büro sehe ich Frau Schwarz, die eine Unfallanzeige ausfüllt.
„Frau Schwarz, schöne Dank auch. Dir und der Schubkarre.“ rufe ich ihr im Vorbeigehen zu. Aber schon nach der nächsten Ecke denke ich, dass der ja jetzt nicht für immer weg ist. Dem fehlt ja nur ein Stück Zahn. Damit kann man ja nicht seine Schulzeit in der Siebten beenden. Ist ja kein Vorruhestandsgrund. Und irgendwann kommt der ja dann wieder. Spätestens nach den Ferien. Und wir können dem ja nicht jeden Tag was brechen, damit er abgeholt wird und zu Hause bleibt. Das traue ich mir jedenfalls nicht zu.
Und jetzt sind ja erstmal Ferien. Herzlichen Glückwunsch euch allen, die ihr daran teilnehmt. Ich habe euch extra zum Ferienstart dieses herrliche Wetter gebastelt und was mache ich – anstatt draußen durch die Herbstwälder zu laufen, wie ein junges Reh, liege ich hier unter einer Decke auf der Couch und bin zu schwach, um aufs Klo zu gehen. Bestimmt sind alle draußen. Nur ich ich wieder nicht. Ich sollte auch raus. Ich sollte draußen sein. In der Sonne. Ist doch die letzte 2011-Sonne. Aber ich bin so müde. Und wie soll ich denn heute Abend die Krise beim Pokern fertig machen? Die hüpft garantiert gerade draußen durch die Walachei und radelt dann noch 20 Kilometer nach Hause. Dann isst sie einen Apfel und ist dann fit wie ein Turnschuh für den heutigen Abend. Sie darf heute nicht gewinnen. Ich sehe sie schon, wie ihr Haufen mit den Chips immer größer wird und meiner entsprechend kleiner und dann gibt es gemeine niederträchtige Sprüche.
Und das alles nur weil ich zu müde war.
Egal, wenn ich es mir recht überlege, dann kann sie ruhig gewinnen. So, ich werde jetzt aufs Klo gehen und dann raus.