Das Leben kann so schön sein

„Frau Freitag, kennen Sie diesen Emre?“ fragt mich Gülistan aus der doofen Achten kurz vorm Klingeln. „Emre, aus meiner alten Klasse? Der der jetzt Rapper ist?“
„Ja.“
„Klar kenne ich den. Ach ja, der war doch gestern hier und hat gerappt mit diesen ganzen anderen Rappern, oder? Wie war das denn?“
Gestern fand eine große Musikveranstaltung mit unseren regionalen Gangsterrappern statt. Leider konnte ich daran nicht teilnehmen, denn ich hatte einen anderen Termin.
„Dieser Emre war der Beste.“ sagt Gülistan mit verträumten Blick.
„Ja vallah, bei sein eines Lied über seine Mutter, ich hab voll geheult.“ erzählt Dilara.
„Er hat nach Ihnen gefragt.“ sagt Yunus
„Wie er hat nach mir gefragt?“
„Bevor er angefangen hat zu rappen, hat er gefragt: Wo ist Frau Freitag?“
Schade, dass ich nicht dabei war, aber der Rest der Schule hat das gehört – das reicht. Und ich werde mir seinen Auftritt auf irgendeinem Schülerhandy ansehen können.

Es klingelt. Ich höre das unvermeindliche „Ich hab keine Englischsachen mit.“. Ich bin recht milde gestimmt. Mein Credo des Vormittags: Ich werde mich nicht aus der Ruhe bringen lassen.
„Okay Leute – hier mein Angebot: Wir machen kurz die Höraufgabe von letzter Montag zuende und wenn das gut lief gucken wir noch die Simpsons.“ Da sich kein merklicher Widerstand regt, beginne ich mit dem Tafelanschrieb. Wir bearbeiten die Aufgabe, dann baue ich den Beamer auf.
Während die Schüler erfahren, was Barts erste Worte waren und wie Lisa und er sich kennenlernten, räume ich meinen Schreibtisch auf. Eine sehr angenehme Stunde, die auch zeitlich gut hinhaut, denn zehn Minuten vor Schluss baue ich den Beamer und den Laptop ab. Als ich gerade den Schrank aufschließe, geht die Tür auf und Fatma und Miriam aus meiner letzten Klasse stehen aufgeregt in meinem Raum. Die Achten glotzen sie schweigend an.

Fatma hält einen riesigen Strauß Rosen in der Hand, der aufwendig mit durchsichtiger Folie und bunten Bändern verziert ist und Miriam überreicht mir eine megagroße Merci-Packung. „Frau Freitag, wir wollten Sie besuchen kommen und Ihnen unsere Zeugnisse zeigen.“
Ich entlasse die achte Klasse.
„Na, zeigt mal her!“
Miriam und Fatma strahlen glücklich, als sie mir ihre Zeugnisse überreichen. Überall nur Zweien und Dreien.
„Wir sind die Besten aus der Klasse.“ sagt Miriam.
„Ich mach jetzt den Erweiterten, dann MSA und dann Fachabi.“
„Wir machen nach den Ferien Praktikum im Kindergarten.“
„Na Mädels, das klingt ja alles super. Habt ihr denn was von den anderen gehört? Da waren doch noch mehr aus der Klasse auf dem OSZ.“
„Elif macht sich nicht so gut und Marcella ist wegen Schwänzen von der Schule geflogen.“
„Und Asmaa?“
Fatma guckt mich ernst an: „Die ist schon seit einem Monat im Irak und verlobt mit ihrn Kuseng.“ Miriam verdreht die Augen und mir fällt dazu auch nichts mehr ein.

Wir gehen vor die Schule, weil ich vor der Zeugnisübergabe mit meiner Klasse noch ein Zigarette rauchen möchte. Die Mädchen erzählen von ihrer Schule und schwärmen davon, wie begeistert die Lehrer von ihnen sind. „Abooo Frau Freitag, die anderen Schüler bei uns sind sooo schlecht. Wenn wir Diktat schreiben, Sie wissen, wenn wir immer Diktat bei Frau Hinrich geschrieben haben, sie hat immer voll schnell diktiert und jetzt: ein Satz, dann eine halbe Stunde Pause. Ich dachte, was ist das?“
Als es klingelt umarmen und verabschieden wir uns und ich gehe zu meiner neuen Klasse, um die Zeugnisse zu überreichen.

Als ich den Raum aufschließe fragt Hamid:“Frau Freitag, kennen Sie diesen Emre?“

Muss man nicht lesen, nur Geschwafel

Was soll ich denn heute schreiben? Ich habe eben angefangen, meine Klasse zu beschreiben, aber das wurde so langweilig… was soll ich da groß sagen? Fast alle Länder gen Osten sind vertreten. Morgen gibt es Zeugnisse. Einige Fachlehrer haben sich schon heute in die Ferien verabschiedet. Ich muss morgen noch mal ran und die Zeugnisse ausgeben. Vorher habe ich noch die blöde Achte Klasse, die mich heute schon fragten, was wir morgen machen werden. Ich habe keinen Bock auf die Stunde mit denen. Die werden natürlich keine Englischsachen mithaben: „Wieso, ist doch die letzte Stunde.“ Und dann werden sie wollen, dass wir „Was Schönes machen“. Das haben sie aber nicht verdient. Angestrengt hat sich in diesem Unterricht immer nur einer: ich. Ich habe aber nicht verdient, mir morgen eine Stunde lang, mit einer schlecht gelaunten Klasse, die Zeit um die Ohren zu schlagen. Jetzt könnte ich einfach den Beamer aufbauen und die Simpsons gucken oder Pimp my Ride. Auf Englisch mit Untertiteln. Ich könnte auch die ganze Zeit Englisch machen und ihnen vorher die Seiten im Buch und im Workbook kopieren, weil sie ja nichts mithaben werden. Ich werde wahrscheinlich eine Mischung aus beidem machen. Die Aufgabe aus der letzten Stunde beenden und dann die Simpsons gucken. Scheiße wird die Stunde sowieso. Da stimmt einfach die Chemie noch nicht. Vielleicht schaffen wir das noch bis zum Sommer. Eigentlich kann man mit mir ganz gut auskommen. Mit denen vielleicht auch. Ich habe schon mehrere Kollegen gesprochen, die am Anfang die gleichen Kämpfe mit der Klasse ausstehen mussten.

Wahrscheinlich funktioniert der Beamer morgen nicht. Wäre in jeder Klasse unproblematisch, in der Klasse wäre das allerdings mein Tod.

So, ich rieche die Kartoffelsuppe schon und interessanter wird das hier auch nicht. Ich brauche echt Ferien. Zum Glück bleibt es jetzt merklich länger hell draussen. Wenn ich jetzt kurz vor fünf nach Hause komme, dann ist die Sonne noch da. Und heute morgen zwitscherten im Hof lauter kleine Vögel. Es war wie Frühling.

Während ich das hier schreibe, läuft Thomas Gottschalk. Das ist ja ziemlich langweilig und was ist das da immer zu mit der Werbung? Ich verstehe diese Sendung gar nicht und bekommt der dafür auch wieder so viel Geld? Der hat doch Millionen für „Wetten dass?“ bekommen, oder? Ich habe auch jeden Tag „Wetten dass?“. Wetten, dass wir jetzt einen Test schreiben? Wetten, dass ich die Hausaufgaben einsammele? Wetten, dass Deutsch heute morgen nicht ausgefallen ist? Wetten, wetten, wetten.

Okay, noch zwei Stunden und dann sind Ferien und ab da ist es ja nur noch ein Rutsch bis zu den Oster- bzw. Sommerferien. In diesem Sinne, alles Gute. Das Video ist heute exklusiv für Frl. Krise.
Ahhh, da kommt die Suppe…

Substitutionsemigrieren auf der Couch

Ich gebe es offen zu, ich bin ein großer Fan von Reality-TV. Und zwar vor allem von Hyperrealtiätsfernsehen. Hyperrealität, das ist die Darstellung einer Realität, die so gruselig ist, dass sie eigentlich schon wieder unrealitstisch ist. „Familien im Brennpunkt“, „Mitten im Leben“, aber auch die Lindenstraße sind realistischer, als die Realität, denn so viel Elend wie dort passiert, dat jibbet eigentlich doch gar nich. Wahrscheinlich sehe ich so gerne solchen Kram, weil die Schule ja auch so ist. Viel härtere Realität als nötig. Wir haben dort mit Problemen zu tun, die außerhalb der Schule gar nicht vorkommen. Ich sage nur Handyverbot, nicht Essen dürfen – wenn man Hunger hat, Nicht-aufs-Klo-gehen-dürfen und so weiter.

Ja, ich bin ein Sucker für den allerletzten Fernsehschrott. Mein Freund, seines Zeichens Ästhet, also der von uns beiden mit dem guten Geschmack – der leidet unter meinen Fernsehgewohnheiten, denn bei uns ist es wie überall: die Frau bestimmt, was geguckt wird, bis sie eingeschlafen ist und dann kann der Mann die Clint Eastwood Western gucken.

Ein großer Fan bin ich ja von „Goodbye Germany“. Gäbe es dieses Format nicht schon, ich würde es erfinden. Besonders schön sind immer die Erlebnisse der Familien, die nach Spanien auswandern. Spanien, das heißt automatisch scheitern. Nie wandert jemand bei Goodbye Germany nach Spanien aus und spricht VORHER schon Spanisch. Oft sind das HartzIV Empfänger: „Wenn schon arbeitslos, dann lieber arbeitslos unter Palmen und mit Sonne.“ Stellvertretend für mich und die anderen Zuschauer rennen die Leute dann im Ausland in ihr Verderben. Diese reichen Fuzzies, die sich in Kapstadt ein Luxushotel bauen interessieren mich nicht so sehr. Aber die Familie mit dem Bäcker, in Spanien… einfach nur großartig. Ich bewundere die Leute alle für ihren Mut. Toll, noch mal woanders anzufangen. Bei mir würde ein Auswandern schon daran scheitern, dass ich meine ganzen Sachen packen müsste. Ich bekomme ja schon Zustände, wenn ich für einen Skiurlaub meine Klamotten rauslegen soll. Ich will auch gar nicht auswandern. Jedenfalls zur Zeit nicht. Mir geht es hier ganz gut und ich genieße mein Leben in den geordneten Bahnen meines deutschen Alltags. Aber dieses Substitutionsemigrieren das ich via Fernsehen mitbekommen darf, das fetzt. Allerdings muss ich sagen, dass mir Conny Reimann langsam auf die Ketten geht.

Eigentlich könnte es doch noch viel mehr Reality-TV geben. Ich hätte gerne noch: „Frau Müller an Kasse drei“ – Alltag bei Lidl an der Kasse; „Kann ich Ihnen helfen?“ – Dabei in der Damenoberbekleidung bei Karstadt, „Und abends wieder Cats“ – Ein Jahr als Animateurin auf Grand Canaria; „Setz‘ den mal in die letzte Reihe, der sieht so scheiße aus“ – Hinter den Kulissen von Nachmittagstalkshows; „Der Herr will wieder in seine Zelle“ – Lehrerin im Jugendarrest und welche Sendung natürlich auch nicht fehlen darf: „Frau Freitag, er sagt mir Hurensohn!“ – Täglicher Wahnsinn aus dem Klassenzimmer.

Also liebes Fernsehen, meine Vorschläge könnt ihr gerne haben. Ich will da nichts für. Bringt mal ein wenig Abwechslung in euer Programm. Auf die eine oder andere Koch- und Restauranttestersendung können wir doch verzichten.

Die Lehrerin – ZDF Spielfilm

Uahhhhhhh, ich komm gar nicht mehr klar. Die Lehrerin – ZDF – gerade vorbei. Was für Menschen machen denn solche Filme??? Sind die denn noch nie in eine oder zur Schule gegangen???? Hat jemand diesen Film eben gesehen?
Die Lehrerin, die sich in der Schule Hausschuhe anzieht, weil das friedlicher sei, als mit Straßenschuhen???? Und wir reden hier nicht von Grundschule. Das sollte eine Realschule sein, nicht, wie sonst immer, ein Gymnasium. In allen anderen Filme, wo Schulen vorkommen, handelt es sich ja immer um Gymnasien. Hausschuhe… und dann sprechen die Schüler ihre Lehrerin mit „Katja“ an!!!! So ein Schwaaaaachhhhhhsinnnnnn!!!!! Und wie crazy diese Katja war.. spielt einfach mit den Kindern Tischtennis und baut Morsegeräte und hat ’nen albernen Redeball und einen schiefen Stuhlkreis. Und sie wohnt so verrückt und trinkt Alkohol und kennt sich mit Drogen aus und macht noch im Koma lustige Grimassen und sie kommt aus ’nem Heim und ist einfach sooo gaaaanz anders als die anderen Spießerlehrerinnen und der eine Rentner im Kollegium.
Bin ich froh, dass Meret Becker keine Lehrerin geworden ist. Unerträglich wäre das mit der im Lehrerzimmer. Und auch diese andere Weinerliche mit dem schiefen Mund, die zwar schon wie eine leicht gestresste Studienrätin aussah, aber dann eigentlich doch wieder wie eine Lehrerin. Und wo hatten die denn diese bekloppten Schüler her? Mit diesen Tocotronic-drüberkämm-Frisuren und das Opferkind schön dick und bei Kik eingekleidet. Und diese tolle Katjalehrerin schmeißt sich vor ihren Mobbenden Schüler, um ihn zu retten…. hahahahaha liebes ZDF – was für ein Schwaaaaachsinn!
Und liebe Requisite – die Schülerklos… mit den Schmierereien an den Wänden – da wart ihr bestimmt besonders stolz drauf… die waren aber leider sowas von fake. Sorry, aber warum geht ihr nicht einfach mal in eine normale Schule rein und guckt euch um. Oder fragt mal Lehrer und Lehrerinnen, wie die so sind. So wie sie bei euch nämlich dargestellt werden nämlich nicht. Ich jedenfalls kenne keine Heiligen – wie diese Katja und auch ihre heulende Freundin… sehr unrealistisch. Und die ganze Story… und am Ende geht sie in eine Klinik am Meer und hat den Psychologen für eine Woche dabei – privat versichert oder was?
Nee, nee, nee, wenn das alles ist, was ihr könnt, da guck ich jetzt lieber das Dschungelcamp. Wenigstens ist da der Regen echt.

Fragen über Fragen

„Aber wieso heißt das nine eleven?“
„Gute Frage Ali. Das heißt so, weil die Amerikaner erst den Monat und dann den Tag schreiben. Also wir sagen elfter September.“
Wir sprechen über New York City im Allgmeinen und über alles Mögliche im Besonderen. Zum World Trade Center hat mal wieder jeder Schüler was zu sagen und vor allem viel zu fragen.
„Aber wieso sind die Leute aus den Fenstern gesprungen?“
„Na guck mal,“ ich zeichne die Zwillingstürme und dann das Flugzeug in den Nordturm an die Tafel. „Also hier ist das Flugzeug reingflogen. Und dann hat alles gebrannt. Und hier oben waren ja auch noch Leute im Gebäude.“
„Aber wieso haben die nicht ihr T-Shirt nass gemacht und sind durch das Feuer gegangen?“ will Ali wissen.
„Das war so stark, das Feuer, da konnte man nicht durchgehen.“
„Aber wieso sind die gesprungen?“
„Mann, weil die nicht verbrennen wollten.“ wendet sich nun Erhan genervt an Ali.
„Hatten die Fallschirme?“ fragt Bilal.
Ich bin auch schon leicht gereizt, weil wir uns immer weiter weg von meiner Unterrichtsplanung bewegen. Ich wollte mit denen noch die Fragen im Buch und die Übungen im Workbook bearbeiten und vor allem will ich, dass sie Englisch sprechen, was allerdings in dieser World Trade-Diskussion unmöglich ist.
„Ja Bilal, die hatten alle Fallschirme. Ist doch immer so, dass man einen Fallschirm mitnimmt, wenn man in ein Hochhaus geht.“ Ironie. Der Lehrer und die Ironie. Manchmal geht es eben nicht ohne. Allerdings denke ich gleich – Fallschirme – gar keine so schlechte Idee. In allen Stockwerken, die nicht mehr mit der Feuerleiter zu erreichen sind, sollte man eigentlich Fallschirme haben. Plötzlich sehe ich das schiefe Kreuzfahrtschiff vor der italienischen Küste vor meinen Augen. Die hatten auch nicht genügend Rettungsboote. Aber Rettungswesten hatten die für alle, oder?
Bilal reisst mich mit einer weiteren Frage aus meinen Gedanken: „Sind die denn gestorben, als die runtergesprungen sind?“ Ich gucke ihn nur ungläubig an. „Na, denkst du man überlebt einen Sprung aus dem 100sten Stock? Probier das mal.“
Jetzt kommt Ali mit dem unvermeidlichen: „Das war Bush, der hat die Flugzeuge da rein fliegen lassen.“
Keine Ahnung von Nichts haben, aber sich gut auskennen mit jeglicher Verschwörungstheorie – das sind unsere Schüler.
„Na ich glaube nicht, dass das Bush war. Die Flugzeuge wurden doch von Ägyptern geflogen….“
„Warum haben die das gemacht, wenn sie doch wußten, dass sie sterben?“ fragt Bilal.
„Das waren doch Selbstmordattentäter. Märtyer.“
Bilal guckt mich verwirrt an. „Weißt du nicht, was das ist?“
„Nein.“
„Na, das sind Leute, die glauben, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie das machen.“
Bilal guckt immer noch verwirrt. Ich lege gleich nach: „Aber das ist natürlich Quatsch, denn in keiner Religion ist das Töten erlaubt.“
„Doch, wenn Krieg ist.“ sagt Ali. Bevor wir jetzt in Richtung Heiliger Krieg abwandern steuere ich uns zurück zu Ground Zero. „Also, die wollen dort jetzt neue…“ weiter komme ich nicht, denn Ali meldet sich schon wieder. „Ja Ali?“
„Sind die Amerikaner Rassisten?“
„Nein, wieso, also alle Amerikaner sind doch nicht Rassisten. Vielleicht einzelne, aber…“
„Aber wieso verbrennen die immer den Koran?“
„Also nicht jeder Amerikaner verbrennt dauernd den Koran. Das war doch nur dieser eine Typ, der ein bisschen irre war und der hat gesagt, dass er das machen will. Das hat er aber doch dann gar nicht gemacht. Der wollte sich wichtig machen und groß rauskommen damit und das hat er ja auch geschafft. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Amerikaner alle was gegen den Koran haben.“
„Zurück zu Ground Zero…“
Ground Zero… ein Ort an dem sich mein Unterricht ständig befindet.

Perfekt

Als hätte ich eben ein Haus gebaut. Eine Regierung gebildet, ein Konzert gegeben, eine Couch ausgesucht und gekauft, ein Pony bestellt und in den Hof gesiedelt. Ich bin sowas von zufrieden – ich bin regelrecht glücklich. Ich könnte diese graue trübe Welt umarmen. Heute ist der schönste Tag überhaupt. Lalalalalalalala, möge dieses Gefühl noch ganz lange anhalten. The best day ever! Ich habe die ZEUGNISSE FERTIG!!!!!! Mit dem ganzen Schnulli: Noten, AGs, Sozialverhalten, Bemerkungen und die Fehlzeiten. Jetzt müssen die nur noch ausgedruckt werden und dann unterschreibe ich die. Für mich hat heute das Halbjahr aufgehört. Ich fühle mich eigentlich so, als hätte ich heute meine gesamte Lehrerlaufbahn erfolgreich beendet: „So, Zeugnisse fertig und jetzt muss ich nichts mehr tun.“ I love it.

Welcher andere Beruf kann einem solche Hochgefühle ermöglichen? Was kann glücklicher machen, als die Zeugnisse fertig zu haben? Dann Zensurenkonferenz und die ging für mich auch schnell, da ich ja nur in der siebten und achten Klasse unterrichte. Nicht gut für die Nerven, aber gut bei jeder Zensurenkonferenz, die mit dem siebten Jahrgang anfängt. Die Kollegen sitzen jetzt bestimmt immer noch zusammen und diskutieren die faulen Zehntklässler durch. Und ich sitze schon zu Hause und trinke meinen Kaffee – nicht zu heiß und nicht zu kalt. Genau richtig. Frau Dienstag tut mir leid. Die hat keine Klasse, die hat gar nicht dieses schöne FERTIG-Gefühl. Und Frl. Krise? Bist du schon fertig? Bei dir macht das ja sowieso alles der Kollege, oder? Dann hast du auch nicht diesen Glücksmoment… oder doch?

Tja, was soll man denn noch schreiben, wenn man so glücklich ist? Eigentlich läuft alles gut. Meine Klasse ist echt nett und süß und die Noten können sich auch sehen lassen. Es gibt nur drei Schüler mit Fünfen. Darunter ist aber auch eine Dauerschwänzerin und die anderen beiden haben auch nur je drei Fünfen und die kriegen wir schon noch weg. Überhaupt können die alle Abitur machen. Das wäre doch mal was, wenn ich in drei Jahren bei der Zensurenkonferenz sitze und vorlese, dass ich 25 Schüler habe, die eine Gymnasialprognose erhalten… ach wäre das schön. Man würde mich neidisch und anerkennend anglotzen und hinter meinem Rücken tuscheln. Vielleicht würde man mir auch nicht glauben, dass meine Schüler alle so gute Noten haben. Vielleicht würde man mir Betrug vorwerfen und mich deshalb meiden, schneiden und mobben. En würde mir sehr schlecht gehen, wenn ich in meinem Kollegium gemobbt werden würde… ich müsste krank werden und mir dann eine neue Schule suchen und vorher müsste ich noch alle meine Schränke ausräumen – puh und wohin dann mit dem ganzen Kram… ach nee, dann lieber doch nicht so viele Abiturschüler… der Preis wäre einfach zu hoch.

Nichts los im Dschungel

Also ich weiss nicht, ich weiss nicht… aber das Dschunglecamp kommt irgendwie dieses Jahr gar nicht richtig in die Gänge. Da regnet es die ganze Zeit und die Stimmung ist auf dem Tiefstpunkt und trotzdem passiert nichts. Da heißt es immer, die packen das nicht mit dem Kochen und dann sieht man davon gar nichts. Kochen die denn nun oder nicht? Und was ist daran so schwer ein paar Bohnen zu machen. Wenn ich weiss, dass ich in das Camp gehe, dann bereite ich mich doch darauf vor. Und das heißt nicht nur, dass ich mir den Busen vergrößere und die Haare blondiere. Da gucke ich doch auch mal, was ich mit Bohnen und Reis so alles anstellen kann.

Die Teilnehmer sind dieses Jahr irgendwie so langweilig. Okay, Ramona – die könnte noch was werden, aber sonst… von Brigitte hätte ich mir mehr erhofft. Diese Nackte -„Ich mag dreckigen Sex“- Braut ist doch auch mehr Schein als Sein . „Heißmacher – Schweißmacher“ sagt mein Freund. Und Daniel L. – hübsch aber langweilig. Kim? Wer ist das? Das Ailton – habe ich jeden Tag, wenn ich die Eltern meiner Schüler zum Gespräch bestelle. Und wer ist da noch? Ach Momo – was will die da eigentlich – warum hat die nicht eine nette Kleinfamilie und einen normalen Job. Warum muss die sich da im Dschungel anmelden? Wer ist diesmal eigentlich der Sportler – ach ja Aliton. Der Ochsenknecht-Sohn – der hätte Potential sich mit Ramona anzulegen, aber das macht er ja dann im letzten Moment doch nicht. Ach – fetzig ist ja Vincent. Vor dem hat man ein bisschen Angst. jedenfalls ich damals in der Zauberersendung. Der sieht so aus, als wenn er unangenehm riechen würde. Seine Meinung zu Homosexuellen und Frauen – sehr erfrischend und wie er sich immer aufregt und androht jetzt mal richtig auf die Kacke zu hauen. „Wenn ich meine Holzschachtel nicht bekomme…dann passiert aber was.“ Und dann passiert NICHTS. Der ist auch nicht anders als ich, wenn ich immer sage, dass ich abends bei den Eltern anrufen würde. Könnte der nicht mal so richtig ausflippen, oder die Revolution starten?

Potential wäre da, aber trotzdem dümpelt die Sendung nun schon seit Tagen vor sich hin. Ach Jazzy – die könnte auch noch mehr aus sich rauskommen. Die „Ich halte mich aus allem raus“-Nummer – die klappt doch in der Zwangsgemeinschaft sowieso nicht.

Ach wie schön war das letzte Dschungelcamp. Spannend und aufregend. Keine Sekunde wollte man davon verpassen. Mathjö, Jay, Indira, Sarah… was haben die uns alles geboten. Die waren jeden Cent, den sie bekommen haben wert. Die jetzige Gruppe sitzt doch nur ihre Zeit ab.

Okay, ich gebe denen noch eine Chance. Aber fangt mal an was zu bieten. Wenn das so bleibt melde ich mich mit meiner Klasse nächstes Jahr als Teilnehmer an. Das wäre auf jeden Fall interessanter.

Wie man’s macht, macht man’s falsch

Schulbücher. Jajaja. Sorry, aber über die Lehrmittelbefreiung möchte ich heute nichts schreiben, ihr könnt euch allerdings gerne in den Kommentaren darüber unterhalten. Stimmt ja auch nicht so ganz, dass ich immer nur mit dem Schulbuch arbeite. Gerade gestern hatten die armen Schüler das schwere Buch mal wieder ganz umsonst dabei.

Wir starten mit „Hangman“ (Galgenraten falls jemand wirklich nicht wissen sollte, was das ist – Wikipedia oder outet euch hier auf dem Blog, ich bin sicher, jemand wird das erklären.) Jedenfalls ist die Lösung das Stundenthema: „Who is your favourite sportsperson?“ Namen werden genannt und allerlei Fakten. Ich halte ein Bild hoch.
„Ahhhh Ronaldo!“
„Yes, Christiano Ronaldo.“
Ich schreibe an die Tafel: Name: Christiano Ronaldo
„Ähhhhh, der wird ohne h geschrieben!“
„Echt? Stand aber so im Internet. Tja, ich weiss jetzt auch nicht.“ Ich wische das h weg. Jetzt steht da ‚Cristiano‘ sieht irgendwie komisch aus. Ich schreibe das h wieder hin und mache eine Klammer drum: „Müssen wir noch mal nachgucken, wie der nun wirklich geschrieben wird.
Dann erweitere ich meinen Tafelanschrieb: Birthday, place of birth, lives in, sport, hobbies, other information. Die Schüler erfahren, dass Ranaldo auf teure Autos steht und dass sein Lieblingsfilm „The Rock“ ist.
„Ahhh, da hat er mit gespielt.“ schreit Hamid.
„Nein, glaube ich nicht. Also, äh, nee, der ist doch Fußballspieler. Der hat keine Filme gemacht. Das ist sein Lieblingsfilm.“
Dann verwursten wir gemeinsam die Fakten zu einem kurzen Text über Ronaldo. Schwierige Wörter wie his und was born tauchen auf. Ich lasse die Schüler ausrechnen, wie alt er ist. Wir erfahren, dass Anils Kuseng und Ronaldo den gleichen Geburtstag teilen. Den Steckbrief und den Text sollen die Schüler nun von der Tafel abschreiben. Sofort Murren und Stöhnen. Sooo eine Zumutung. „Leute, ich habe das doch eben auch alles an die Tafel geschrieben, während ihr da schön auf euren Plätzen gechillt habt. Jetzt seid ihr dran. Los, Blätter raus und schreiben. Wer fertig ist, meldet sich und bekommt einen anderen Sportler.

Orkan spring auf: „Haben Sie Messi????“
„Wirst du ja sehen.“
JA!!! Ich habe MESSSI! Ha! Zum Glück habe ich Messie. Dann habe ich noch Vettel und Dirk Nowitzki. Dann habe ich jeden von denen fünf mal kopiert. Mehr habe ich nicht. Die Schüler schreiben. Wer fertig ist kommt nach vorne und darf sich eine Klarsichfolie mit einem Steckbrief und Bild ziehen.

„Ahhhhh suuuper Messi!!!“
„Ähhhh Vettel, wer ist das?“
„Messi. Yeah. ICH HAB MESSI!!!
„Ich will auch Messi! Dirk Nowitti???? Wer soll das sein? Den will ich nicht! Ich will Messi!“
„Messi habe ich nicht mehr.“
„Haben Sie nicht Neymar?
„Wen? Nein, habe ich nicht. Sorry.“
„Warum haben Sie nicht Neymar???? Was das Vettel? Ich will Neymar!“
„Dirk?…. Basketball? …Wen interessiert denn Basketball??“
„Die Amerikaner und jetzt nimm den mal. Ihr könnt ja nachher tauschen.“
„Ich will den aber nicht. Wie er aussieht… dann mach ich eben gar nichts. Habe Sie nicht Sahin?“
„NEIN HABE ICH NICHT! ICH HABE NUR DIE HIER UND DAS WAR AUCH DAS LETZTE MAL, DASS ICH MICH DEN GANZEN SONNTAGNACHMITTAG HINSETZE UND SACHEN AUS DEM INTERNET ZUSAMMENSUCHE. NÄCHSTE STUNDE KÖNNT IHR WIEDER MIT DEN PEOPLES AUS DEM ENGLISCHBUCH ARBEITEN!“

Schmollend werden Texte über Vettel und Nowitzki produziert. Gnädigerweise erlaube ich ihnen als Hausaufgabe Fakten über ihre eigenen Lieblingssportler rauszusuchen und die Mädchen dürfen sich Popstars vornehmen. Schülerorientierung… schwieriger als man glaubt.

Lohnt sich das alles?

Aua, habe mir eben den ganzen Mund am Kaffee verbrannt. Aua. Und ich hab‘ mich so erschreckt, dass ich einfach den Mund aufgemacht habe und alles wieder rauslaufen lies. Auf den Küchentisch. Direkt neben das MacBook. Aua und Auweia.

Auweia war auch heute. Warum sitze ich eigentlich Sonntag den ganzen Nachmittag bei schönstem Sonnenschein an meinem Schreibtisch und bereite den Unterricht vor, wenn der dann doch so scheiße läuft, wie als wenn ich den gar nicht vorbereitet hätte. Kann mir das mal jemand erklären? Frl. Krise? Du?

Ich will auf die Couch, aber der Freund möchte so gerne, dass ich bei ihm in der Küche hocke und ihm Gesellschaft leiste. Mit mir ist aber nichts mehr los. Alles was von mir an Entertainment kam, seit ich die Wohnung betreten habe, war der Stunt mit dem Kaffee. Mir wird ein Obstsalat bereitet und ich staune, was mein Freund da alles zerkleinert. Ich wußte gar nicht, dass man so viel verschiedenes Obst kaufen kann. Eben hat er eine ganze Ananas mit dem roten Apfelzerteiler von Ikea zerstückelt. Mein Freund ist überhaupt der Beste. Wie er da steht und schnippelt… er hat schwarz-weiss karierte Schuhe an und einen Schal von mir – rosa. Wenn er nicht so verdammt hübsch wäre, könnte man denken, ich wohne mit Goottlieb Wendehals zusammen.
Oh jetzt kommt Konversation:
Er: „…bisschen Nüsse noch rein?“
Ich: „Ja.“
Mehr kann ich zur Abendgestaltung nicht mehr beitragen. War echt anstrengend heute. Ich weiss gar nicht, ob irgendwas besonders schlimmes passiert ist – die Verdrängung setzt am Montag schon im Bus ein. Ach, aber geärgert habe ich mich heute. Innerlich, lautlos, heimlich. Nicht über die Schüler, sondern über das Schulbuch. Ich wollte heute einen Song im Englischunterricht der doofen Achten machen, um mich ein wenig einzuschleimen und auch weil es gerade dran war – im Buch.

Seit es in der Ausbildung immer hieß – man solle bloss nicht immer nur mit dem Buch arbeiten und vom Englischbuchunterricht immer mit gerümpfter Nase gesprochen wurde… (ich bin so verwirrt, jetzt wollte ich mir eben noch eine Zigarette anzünden, obwohl da schon eine im Aschenbecher liegt und als ich die hochnehme fällt die Asche runter – wieder direkt neben den Laptop) jedenfalls mache ich heute NUR NOCH ENGLISCHUNTERRICHT MIT DEM ENGLISCHBUCH HAHAHA und ich habe noch nicht mal ein schlechtes Gewissen dabei. Ich habe mir im Referendariat soviel Zeug ausgedacht – das reicht für mein gesamtes Lehrerleben – jetzt darf ich mit Buch arbeiten.

Jedenfalls der Song – gestern saß ich am Computer und sehe, dass die im Buch diesen einen Song gemacht haben wollen, als Einstieg in ein neues Thema. Ich also gleich zu YouTube und mir den Song angehört. Nicht gerade Nirvana, aber irgendwie nicht schlecht und nach ein paar mal hören direkt Ohrwurmqualität. Ich bereite also diverse Hörverstehensübungen vor, um dann festzustellen, dass ich das schon letztes Jahr gemacht habe und die alle im Computer sind. Schön abgespeichert unter Englisch Klasse 8. Heute dann mit einer Millionen Fotokopien in die Klasse, Pre-Listening-Schnullikram, While-Listening und sogar Post-listening – alles dabei. Ich -voll happy. Aber dann – ich mach den Song an und da wird der von so einer idiotischen Coverband gesungen, weil die Schulbuchheinies wahrscheinlich keine GEMA zahlen wollten. Der Song voll unrockig, flach und mal wieder typisch Schulbuch. Die Klasse: gähhhn. Ich: grrrrrrr. Tja, so kann’s geh’n. Okay, jetzt Obstsalat!!!! Yeah, Vitamine…wie ging das nochmal?

Mit Schülern zusammenwohnen oder lieber nicht

Kaum schreib‘ ich, dass meine Klasse keine Partymaker sind, schon habe ich heute das schönste Feuerwerk der Action, das man sich vorstellen kann. Leider zu krass, dass ich es hier nicht weiter ausbreiten werde. Aber für Beschäftigung war gesorgt und auch für viele Telefonate eben und Berichte schreiben morgen. Herrlich, ich dachte schon, es passiert nichts mehr. Erst in der Krise werde ich so richtig gut.

Aber jetzt ist ja trotzdem ein Wochenende und das ist doch auch was Feines. Die Spülmaschine läuft, der Kaffee schmeckt. Hamid musste heute morgen zur nullten Stunde kommen und die Küche schrubben, weil er sich im Vertretungsunterricht so daneben benommen hat und dann ausgerechnet in die Arme der Erzieherin gelaufen ist – she was not amused. Aber die Mädchen sagten heute, dass Hamid viel netter ist, seit er das Heft hat.

Ach, irgendwie läuft doch alles. Mal geht es bergauf und mal bergab. Manchmal regt man sich ja so über einen Schüler oder eine Schülerin auf und wenn man dann mit den Eltern spricht, dann wird mir immer erst in dem Moment klar, dass die mit diesem Schüler oder dieser Schülerin zusammenWOHNEN. Jeden Nachmittag kommt dieses Kind zu denen nach Hause. Jeden Abend schläft es in der Wohnung und jede Ferien haben sie diesen Quälgeist an der Backe. Verrückt. Wie machen die Eltern das? Ich bin ja schon genervt, wenn ich die ein, zwei oder drei Stunden in der Woche unterrichten muss. Aber die leben mit dem Kind zusammen! Die sind sogar für dieses Kind verantwortlich. Die sind mit dem verwandt! Die sind die ELTERN! Oh Gott, wenn ich die Eltern von Hamid, Anil, Hansa oder Orkan wäre? Die armen Eltern, die können nicht sagen: „Ferien! Super, jetzt nur noch chill’n und nicht an die Schüler denken…“ Als Babys und Kleinkinder waren die bestimmt alle voll süß…aber jetzt so in der Pubertät…

Mein tiefstes Beileid haben diese armen Eltern. Wenn sich so manche Schüler auch nur halb so krass zu Hause aufführen, wie in der Schule, na schönen Dank auch.

Nun ja, die haben aber in den wenigsten Fällen 28 Stück von denen zu Hause rumrennen und die müssen denen auch nicht Englisch beibringen und überhaupt ist ja wohl der Großteil der Erziehung in die Schule verlagert. Und vielleicht können die ja auch mal beim Einkaufen helfen und die Tüten nach Hause schleppen oder die Spülmaschine ausräumen. Eigentlich auch nicht schlecht… Vielleicht sollte ich mir doch ein paar Teenager anschaffen. Muss ich mal genauer drüber nachdenken. Ich gehe jetzt erstmal in die Badewanne.
Schönes Wochenende wünsche ich mit oder ohne Schülern zu Hause.