Einmal werden wir noch wach

So, jetzt kommen gleich die Topmodels und ich will noch was schreiben. Leider komme ich jetzt schon den dritten Tag hintereinander erst um 18 Uhr nach Hause. Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen. Dann schnell was essen und noch schnell was vorbereiten, weil die Siebten mich heute völlig fassungslos machten, als sie mir auf die Frage, was denn noch mal das simple past sei, alle möglichen Antworten gaben – Zukunft, Steigerungen, Adjektive usw. Toll, morgen wieder zurück ins fünfte Schuljahr. „Wie bilde ich die einfache Vergangenheit?“ „Warum muss ich die unregelmäßigen Verben lernen und die regelmäßigen nicht…?“

Aber meine Klasse ist echt süß im Moment. Mittlerweile ist sie ja echt klein und hat nur noch nette Schüler. Im Gegensatz zu den Siebten sind die echt gechillt. Keiner rennt in der Klasse rum, niemand schreit den anderen an, es fallen keine Schimpfwörter, und alle sind freundlich miteinander und mit mir auch. Ist echt sehr gemütlich momentan. Viel zu gemütlich für Unterricht.

Aber diese Siebte – mein Sargnagel. Der eine bellt neuerdings. Ich schicke ihn raus, damit er sich beruhigt, hole ihn wieder rein, er macht wieder Geräusche, es ist unerträglich. Mein gesamtes Innenleben wallt sich auf. Stresshormone schießen durch meinen Körper. Seit einigen Tagen habe ich wieder das Augenzucken. Ich bin echt ferienreif. Ich kann nicht mehr. Noch 4 Stunden, dann sind Ferien. Und das ist auch gut so. Ich könnte nicht eine Minute länger arbeiten.

Mehr Brutto vom Netto

„Aber soviel verdient man doch als Lehrer auch nicht, oder?“ fragt Abdul. Mein Gehalt weckt bei allen Schülern ein unheimliches Interesse. Und ich bin immer sofort dabei: „Also brutto und netto – den Unterschied kennst du, oder?“
„Brutto ist das was übrig bleibt, oder?“
„Genau umgekehrt. Also pass mal auf.“ Ich schreibe meinen Bruttolohn an die Tafel. Irgendwas mit 4500 Euro oder so.
„Echt???? So viel?“ Abdul ist überrascht. „Ist ja mehr als ich dachte. Aber Sie haben doch studiert. Da könnten Sie doch auch noch mehr verdienen.“ Ich wische gerade die Tische ab und bücke mich immer wieder, um irgendwelche Papierfetzen und Taschentücher vom Boden aufzuheben. Abdul latscht hinter mir her.
„Ja, klar. Es gibt viele Berufe, wo man mehr verdient.“
„In welchem Beruf verdient man eigentlich am meisten?“ fragt Bilal.
„Frau Merkel.“ sagt Esra.
„Nee Esra, ich glaube soviel verdient die gar nicht. Das ist weniger als man denkt. Aber natürlich mehr als ich. Ich denke mal der Chef von der Deutschen Bank verdient am besten“ vermute ich.
Abdul ist allerdings immer noch an meinem Werdegang interessiert: „Aber warum haben Sie dann nicht was anderes studiert. Irgendwas, wo man mehr Geld verdient.“
„Weisst du Abdul, Geld ist auch nicht alles. Der Beruf muss einem doch auch Spaß machen. Und mir macht der Lehrer halt Spaß.“
„Und Sie sind Beamtin“ stellt Abdul fest. „Nein, bin ich nicht. Ich bin Angestellte.“
„Was? Sie sind nicht Beamtin? Beamte darf man ja nicht beleidigen. Das ist dann Beamtenbeleidigung.“
„Jaja, mich darfst du beleidigen.“
Ich schließe die Tür ab und begebe mich Richtung Lehrerzimmer. Abdul neben mir. Herr Werner kommt aus einem Raum und schließt die Tür ab. „Guck mal Abdul, Herr Werner ist Beamter. Den kannst du beleidigen.“
„Ja, Herr Werner… das wäre dann Beamtenbeleidigung.“

So, jetzt gerade der Deutschlehrerfreund gekommen und erzählt, wie er heute mit allen Klassen Mr. Bean geguckt hat. Ich darf jetzt nicht unhöflich sein. War ich gestern schon. Also heute nur kurz. Tschüßßßßi.

Realistische Zieljustierung

„Ich hatte vor erstmal zu gucken, wie das ist, mit der Realschulprüfung. Aber ich habe ja so viel gefehlt, da konnte ich ja nicht so gut gucken.“ Fatma sitzt neben mir. Ich diktiere ihr ihre Noten. Sie wollte eigentlich die Mittlere Reife erhalten. Zur Zeit sieht es nach einem einfachen Hauptschulabschluss aus und wenn sie sich sehr anstrengt, kann daraus evtl. noch der HS-deluxe werden – der Erweiterte Hauptschulabschluss. (Jetzt fragt nicht gleich alle wieder, was das ist. Das ist einfach, wenn man fast überall noch eine VIER hat.)

Fatma pinselt die Fünfen und Sechsen, sowie die halbgaren Vieren in die Tabelle, die ich ihr hingeschoben habe. Unter der Tabelle ist eine Art Flow-Chart. In jedem Kästchen steht eine Frage, wenn du die mit „ja“ beantwortest, wanderst du nach unten, wenn du die mit „nein“ beantwortest, wanderst du nach rechts.
Unten links steht „Übergang in die gymnasiale Oberstufe“, daneben „Realschulabschluss“ und rechts „Erweiterter Hauptschulabschluss“ und ganz am rechten Rand „Hauptschulabschluss.
Den einfachen Hauptschulabschluss haben die Schüler theoretisch schon mit dem Übergang in die Zehnte Klasse erhalten.

Fatma schreibt stoisch ihre schlechten Zensuren auf. Am Freitag guckte sie mich noch ganz ungläubig an, als ich ihr sagte, dass sie sich jetzt sehr anstrengen müsste, um noch den „Erweiterten“ zu bekommen. Sie rechnete immer noch mit dem Realschulabschluss.

„Also, wo waren wir Fatma? Mathe 2 Punkte, Physik 3 Punkte, Bio 4 Punkte…“
Dann gucken wir, wo noch was zu retten ist. Eigentlich kann sie den Realschulabschluss knicken, aber das wird nie ein Schüler von mir hören. Das Äußerste in dieser Richtung war heute ein zarghaft gefragtes: „Meinst du, du kannst hier oben noch überall auf sieben Punkte kommen und hier unten auf mindestes vier?“

Spätestens heute haben sich einige innerlich davon verabschiedet, es bis zum Juni noch zu schaffen von mehreren Fünfen und Sechsen auf lauter Dreien zu kommen.

Wir justieren also bei fast allen die Zielvorgaben. Jetzt wird es endlich mal realistisch. Eigentlich sieht es gar nicht soooo schlecht aus. Die meisten könnten noch einen Erweiterten Hauptschulabschluss schaffen und auch bei denen, bei denen der Realschulabschluss in Sicht ist, ist jetzt genau klar, in welchen Fächern sie noch mal reinhauen müssen.

Dann kommt Abdul. Ich sage ihm seine Noten, er schreibt sie auf. Dann lasse ich ihn die Fragen in dem Chart vorlesen.
Im ersten Kästchen steht: „Ich habe in Deutsch oder Mathe mindestens fünf Punkte.“
Abdul guckt auf seine Noten: „Deutsch 4 Punkte und Mathe 3 Punkte.“
„Dann darfst du jetzt nicht nach unten wandern, sondern musst nach rechts. Abdul zeichnet mit seinem Finger die Linie nach. Die geht ganz an den Rand der Seite und dann steil nach unten. Unten steht: „Einfacher Hauptschulabschluss“.
„Uppps.“ Abdul guckt mich verwirrt an.
„Tja, kannst du mal sehen.“
Stille.
Abdul kann es nicht so recht glauben: „Ähhh?“
„Na, Abdul, ohne eine Vier in Deutsch oder Mathe kriegst du keinen Erweiterten. Aber träumen wir mal. Nehmen wir mal an, dass du es irgendwie schaffst, in Deutsch doch noch einen Punkt zu ergattern. Ihr schreibt ja Übermorgen noch eine Arbeit, dann kannst du ja mal gucken, was dir sonst noch fehlt.“

Wir umkringeln einzelne Fächer, schreiben die fehlenden Punkte drüber und Abdul murmelt das schülertypische: „Schaff‘ ich…in Erdkunde, locker, Bio … nur einen Punkt…schaff ich, geht schon. Kein Problem…“

Am Ende der Stunde zähle ich ihnen noch mal auf, wieviele Montage, Dienstage, Mittwoche, Donners- und Freitag es noch bis zur endgültigen Zensuren Abgabe sind, verabschiede mich mit meinem üblichen: Geht zum Unterricht und lernt was!“ Und checke in meinem Freistunden, auf dem Hof und in der Cafeteria, ob jemand schwänzt.

Bisher waren sie alle im Unterricht.

Ein neuer Kandidat?

„Frau Freitag, wissen Sie, was ich gerne erleben würde? Wenn die Simpsons-Dinger wachsen würden.“
Dschingis zeichnet seit mehreren Stunden einen riesigen Bart auf eine Leinwand.
„Du meinst, wenn sie älter werden würden.“
„Ja, wenn Maggie mal sprechen würde. Was würde die sagen?“
„Es gibt diese eine Folge, wo Homers Bruder eine Maschine baut, mit der man die Babysprache übersetzen kann. Und dann hören alle ganz gespannt zu, was Maggie sagt.“
Dschingis guckt von seiner Leinwand hoch: „Und, was sagt sie?“
„Sie sagt: Ich will das da, was der Hund hat.“

Dschinges grinst. „Frau Freitag, meinen Sie, dass ich Abitur schaffen würde?“ Nach dem Disaster von gestern fühle ich mich nicht gerade wie ein Motivationscoach. „Dschingis, ich halte dich für ziemlich schlau. Mach doch erstmal die Realschulprüfung und dann sehen wir weiter.“ Dschingis steckt das zweite Jahr in der siebten Klasse. Aber er ist wirklich schlau.

„Frau Freitag, auf Freitag freue ich mich immer am Meisten. Ich stehe immer gerne um sieben auf, weil ich weiss, dass wir Kunst haben. Ich finde Sie sind die beste Lehrerin.“ Ich will gerade anfangen mich darüber zu freuen, da mischt sich Mustafa vom letzten Tisch ein: „Das sagt er jedem.“ Etwas enttäuscht sortiere ich weiter die millionen Blätter auf meinem Schreibtisch. Aber Dschingis läßt nicht locker. „Frau Freitag, bin ich Ihr Lieblingsschüler?“ Ich denke – ach Lieblingsschüler…. das waren noch Zeiten, mit meinem letzten Lieblingsschüler…. und sage: „Ach Dschingis, Lieblingsschüler…“ Dann schweigen wir ein wenig und Dschingis zeichnet konzentriert.
Irgendwann guckt er hoch: „Ich hoffe, dass ich irgendwann Ihr Lieblingsschüler bin.“

In der Pause gehe ich in den Mathevorbereitungsraum zu einem meiner Lieblingskollegen. Eine heimliche Raucherenklave. Dort lasse ich mich immer aufbauen. „Du Rainer, diese eine Klasse, die mir zugeteilt wurde, die ich nun schon seit vier Jahren unterrichte, die hatte gestern Prüfung und die waren sehr schlecht.“
Rainer guckt mich verwirrt an. „Na, diese Klasse, die ich immer unterrichten und betreuen muss.“
„Meinst du DEINE Klasse?“
„Ja….. verdammt, MEINE Klasse. Die waren sooooo verdammt schlecht. Total schlechte Noten. Fast alle. Grauenhaft! Und ständig ging in den anderen Räumen die Tür auf und da kamen die Schüler aus den anderen Klassen raus: „Eine eins“. „Ich auch.“ „Ich auch.“ „Ich eine zwei.“ Und selbst die Lernbehinderte Dilara aus der Schwalleklasse hat bestanden und sich dann auch noch über eine drei geärgert. Aber MEINE…. schlimm, schlimm, schlimm.“
„Mensch Frau Freitag, zieh dir das doch nicht an. Das ist doch nicht deine Schuld.“
„Doch.“
„Nein. Wo steht denn das? Wer sagt denn das? Die verlassen doch morgens nicht dein Haus. – Hoffe ich jedenfalls nicht.“
„Nein. Tun sie nicht. Aber trotzdem.“

Rainer baut mich wieder auf und ich gehe distanziert und gestärkt in den Unterricht mit der anstrengenden 7. Klasse.

In der ersten Stunde hatte ich meine Klasse und in der letzten habe ich ihre Noten erhalten. Das gehört irgendwie zusammen. Aber davon morgen mehr.

Klassenziel verfehlt

Frau Freitag kocht. Aber kein Essen. Ich komme gar nicht drüber weg. Die Prüfungen waren ein einziges Disaster. Bin jetzt noch ganz aggressiv davon.
„Wie wir können kein Internet benutzen in der Prüfung?“
Prüferin: „Ich hatte euch doch gesagt, dass ihr die Videos runterladen sollt. Warum habt ihr das nicht gemacht?“
„Na, weil wir dachten hier ist Internet.“ Und schon ist wieder jemand anders Schuld. „Was können wir dafür, dass dort kein Internet ist. Sonst hätten wir auch keine 5 gemacht.“

„Ja, ich habe ein gutes Gefühl. Wir bestimmt eine heute Note.“ Ich bin extra noch länger in der Schule geblieben, um zu erfahren, was Justin gemacht hat. Wir warten gemeinsam auf sein Ergebnis. „Ich musste gestern alles noch mal umstellen. Hat voll lange gedauert.“ sagt er. Das klingt nicht gut. Die Prüfer kommen raus und teilen ihm mit, dass er eine 5 hat. „Der wußte wirklich gaaaar nichts und in der Prüfung klingelte auch noch sein Handy.

Eigentlich sollte ich mich weder wundern, noch ärgern. Genau die Schüler, die auch nicht die Noten für den Realschulprüfung bekommen (da braucht man nämlich auf dem Zeugnis doch noch die eine oder andere drei) genau die haben eine 5. Die hätten sich eigentlich gar nicht anmelden sollen. Da meine Klasse eine Horde Traumtänzer ist, die meinen, dass das schon alles irgendwie geht, auch wenn sie NICHTS tun, konnte man sie nicht davon abhalten, sich für die Prüfung anzumelden.

Die Leute mit den guten Zeugnisnoten, die haben auch alle gute Noten. Das muss ich jetzt mal zu meiner eigenen Ehrenrettung sagen. Eine eins gibt es sogar auch. Dann einige zweien, ein paar dreien und einige vieren. Auf die muss ich mich jetzt konzentrieren. Die werden morgen gelobt und mit denen muss ich jetzt arbeiten, damit sie einen guten Abschluss schaffen. Die anderen sollen zusehen, dass sie den erweiterten Hauptschulabschluss noch schaffen. Aber, wie ich meine Klasse kenne, werden die jetzt aufgeben und gar nichts mehr machen. Lsn (lohnt sich nicht) wird einsetzen. „Ich wiederhole sowieso, also brauche ich jetzt nichts mehr zu machen. Einen Hauptschulabschluss, pahhh ich doch nicht, ich mache nächstes Jahr alles besser.

Wie schaffe ich es, die davon abzuhalten, jetzt nur noch zu Dekozwecken im Unterricht rumzuhängen? Die Schwänzen ja sowieso schon wie bekloppt. Jetzt werden die nur noch kommen, wenn ihnen draußen zu kalt, oder zu langweilig ist. Hat jemand einen brauchbaren Tipp? Ich werde denen jetzt vorrechnen, was sie für einen guten Abschluss tun müssen.

Oh Mann, ich bin echt sauer. Morgen, wenn ich sie sehe, muss ich mich echt zusammenreißen. Ich möchte ihnen so gerne eine „Hab ich es euch nicht 1000 mal gesagt“ Predigt halten. Aber sie werden ihr Scheitern nicht auf sich beziehen. Das waren „die scheiß Prüfer, das doofe Thema, das Wetter, die Raumluft, die Klimazonen“ – alles – nur nicht sie selbst und ihre unglaubliche FAULHEIT.

Und das Schlimmste an der ganzen Sache – eigentlich denke ich es liegt an mir, denn wenn ich sie mehr unterstützt, gefordert und gefördert usw. hätte, dann…

Die erste Hürde ist genommen


„Wie kamen die Leute eigentlich ins Internet, als es noch keine Computer gab?“

So, Halbzeit. Zwei Drittel meiner Klasse hatte heute die erste Realschulprüfung. Ich saß auch in Prüfungen – aber natürlich nicht in denen meiner Klasse. Einige Schüler habe ich heute nach ihrer Prüfung gesehen, dann habe ich mit einigen Prüfern gesprochen und die fehlenden Informationen habe ich mir eben auf Baby-Facebook geholt. Es ist wirklich alles dabei. Alle Noten die es gibt. 1,2,3,4,5 und sogar eine 6.

Es gab Freude und es gab Tränen. Es gab wildes Ausgeflippe und schon eine Ankündigung, dass es am Freitag „Terror“ geben wird. Gut, dass es jetzt erstmal vorbei ist. Also morgen, wenn die letzten Prüfungen dran sind. Keiner meiner Schüler hat das Angebot angenommen, seinen Vortrag mal in meinen Stunden zu halten. Keiner wollte mir seine Medien zeigen. Niemand hat mich gefragt, wie man dies oder das machen könnte. Immer: „Wird schon, kein Problem, easy, wir machen das schon…“

Und jetzt haben sie mal die Quittung dafür bekommen. Vielleicht reichen drei Tage „intensives“ Arbeiten – was sich wahrscheinlich auf intensives „aus Wikipedia abschreiben und nichts verstehen“ beschränkt, doch nicht. Bilal sagte mir heute morgen noch: „Frau Freitag, ich habe die ganze Nacht gelernt, glaube Sie mir?“ Und ja, ich glaube ihm so was von. Wenn man sechs Wochen Zeit hatte und da nichts gemacht hat und gestern Abend noch Fußball guckt, sich noch stundenlang darüber bei Facebook auslässt und dann plötzlich merkt, dass man ja eine Prüfung hat, dann würde wohl jeder die ganze Nacht lernen.

In den Ferien gibt es kostenlose Nachhilfestunden – zur Vorbereitung auf die anderen Prüfungen. Ich bin gespannt, wer daran Interesse hat. Ich höre allerdings schon: „Brauch‘ ich nicht. In den Ferien – niiiemals, kann ich alleine üben,…“ Die Faulheit und der innere Schweinehund siegen leider immer noch viel zu häufig. Zwei Mädchen bekamen eine schlechte Note, weil sie zu viele Fehler auf ihren Plakaten hatten. Völlig unnötig so was. Aber was will man machen?

Und das Schärfste – erinnert ihr euch an die Schülerin meiner Klasse, die nicht zugelassen wurde, weil sie den Antrag auf die freiwillige Teilnahme an der Prüfung zu spät abgegeben hatte? Was war das für ein Theater. Letztendlich und nach langem hin und her ist sie nun doch zugelassen und sie darf die Prüfung sogar später als die anderen Schüler machen. Neulich sagt sie mir doch echt, dass sie das Schuljahr lieber noch mal wiederholen möchte, weil ihre Noten wahrscheinlich zu schlecht wären. Im Klartext: Ich habe jetzt keinen Bock mich noch ein wenig anzustrengen. Und dann sehe ich sie, wie sie fröhlich Tischtennis spielt – während der Mathestunde. Ich dachte mein Schwein pfeift.
„Das darf doch jetzt nicht wahr sein… erst machst du so einen Larry und heulst rum, dass du uuuuunbedingt an der Prüfung teilnehmen willst und jetzt darfst du und jetzt gehst du nicht mal zum Unterricht? Ich glaub‘ ich spinne!!!“

Nun gut, konzentrieren wir uns auf die Schülerinnen, die gute Noten gemacht haben. Gratulieren und pflegen und hegen wir die. Drücken wir die Daumen für die, die morgen ihre Prüfung haben und hoffen wir vor allem, dass es nicht nur in meiner Klasse so viele schlechte Noten gegeben hat.

Eingeschrängt bis zum get-no

Wir üben für die Englischarbeit. Lesen einen Text – angeblich ein Blog – Lehrbücher asseln sich immer an Trends ran – über einen Jungen, der sich fragt, ob er nach der Schule den Job annehmen soll, den man ihm angeboten hat oder lieber für ein Jahr reisen soll. „Wisst ihr denn, was ein Blog ist?“ frage ich. „Ein Forum.“ antwortet einer. „Ja, ja, ist so was wie ein Forum.“ Jedenfalls fragt dieser Typ etwas und andere Leute antworten ihm.

Ich denke: was ist das für eine bekloppte Frage? Natürlich soll der reisen. Ein Jahr – klar – möglichst noch länger. Wir krepeln uns gemeinsam durch den Text. Übersetzen so unbekannte Worte – wie travelling. Und dann die Antworten – oder die Ratschläge. Einer sagt, dass man ohne Geld nicht reisen kann und gibt den Tipp, erstmal zu arbeiten. Der nächste schreibt, dass der Fragende doch work-and-travel machen kann. Work-and-travel erschließt sich meinen Schülern nicht, da wir travelling ja schon 7 Zeilen früher übersetzt hatten. Ich erkläre also, wie das funktioniert, weil ich das auch schon mal gemacht habe. Einige Schüler sind interessiert, andere quatschen leise vor sich hin, Elif ist gut drauf und summt ein wenig und Peter hat wieder keinen Stift dabei und sich deshalb schon mal geistig abgemeldet.

Bilal guckt mich verwirrt an: „Aber ich kann doch nicht in ein Land gehen, also nach Amerika oder so, wenn ich die Sprache gar nicht spreche.“ „Na, die lernst du doch da, Trottel.“ sagt Abdul, der das Prinzip etwas besser verstanden hat. Ich erkläre wie das genau geht, was das Visum und die ganze Sache vor 100 Jahren gekostet hat und plötzlich schaltet sich Elif ein: „Ähhh, aber wieso sollten die einem denn in einem anderen Land einen Job geben. Die kennen einen doch gar nicht.“ Hääää, denke ich jetzt. „Elif, bekommt man denn in Deutschland nur einen Job, wenn man den Arbeitgeber kennt?“ Langsam wird mir klar, warum sich Elif noch nicht beworben hat, sie kennt einfach keine Arbeitgeber. „Nein, aber ich meine, wenn Sie die Sprache nicht gut können…“

„Na, die sollst und wirst du doch da lernen. Wenn du ein Jahr in Amerika bist, dann lernst du doch auch Englisch. Und die Jobs sind natürlich nur so Hilfsjobs – kellnern, Tische abräumen, Teller waschen – die stellen dich da jetzt nicht als Polizist oder Büroangestellter ein.“

Das Konzept Auslandsaufenthalt kennen meine Schüler überhaupt nicht. Bilal denkt immer noch über den Sprachzuwachs nach: „Aber Frau Freitag, dass kann doch nicht sein, dass man die Sprache dort so schnell lernt. Ich wohne jetzt seit 15 Jahren hier und spreche immer noch so schlecht.“ Und recht hat er. Jede Präposition ist falsch und die Artikel…auweia. „Bilal, wenn du NUR mit Deutschen, die alle gut deutsch sprechen reden würdest, dann wäre dein deutsch auch besser.“

Diese Antwort scheint ihm einzuleuchten und er versinkt in seinen Gedanken.

„Wer von euch könnte sich denn vorstellen ein Jahr ins Ausland zu gehen.“ Ich spreche jeden persönlich an: „Bilal? Abdul…“ Die Jungs haben durchaus Interesse. Dann frage ich Elif. „IIIIIch? Allleine? Niemals!“ Miriam und Fatma können sich ebenfalls ÜBERHAUPT nicht vorstellen irgendwo anders als in ihrem kleinen Teil der Stadt zu wohnen. Typisch denke ich… Tellerrand und nicht weiter. „Elif, du traust dich noch nicht mal in einen anderen Stadtteil zu gehen, oder?“
Sie denkt nach. „Doch, aber nicht alleine. Und nicht lange.“

Gibt eben solche und solche


„So ihr Lieben, jetzt packt mal zusammen, ich muss die Bilder heute zum Zensieren mitnehmen und es klingelt gleich.“

„Frau Freitag, können wir noch ein paar Minuten weitermachen? Ich bin gleich fertig, wirklich.“ Martin wimmert, bettelt und versucht mich charmant zu umgarnen. Die ganze Stunde hat er hinten in der letzten Reihe nur Quatsch gemacht und jetzt meint er mit drei Minuten mehr, könnte er noch alles hinbiegen.

„Bitte Frau Freitag, nur noch ein paar Minuten…“
„Martin, ich hab‘ Feierabend.“
„Ich fahr‘ Sie nach Hause.“ Alle kichern. Martin hat seit knapp einer Woche seinen Führerschein und wurde wohl schon nach zwei Tagen geblitzt.
„Nein, danke Martin, lass mal. Ich muss noch mal schnell ins Lehrerzimmer, wenn ich wiederkomme seid ihr fertig, okay?“

Irgendwie rührend, wie die an ihren Noten interessiert sind – zumindest eine Woche bevor ich die abgeben muss. Meine Klasse dagegen… die haben in zwei Tagen ihre erste Realschulprüfung und ich habe keine Ahnung, was das wird. Keiner hat mir irgendwas gezeigt. Gehört habe ich immer nur: „Fertig! – Schon laaaange.“
„Fast fertig.“ (bei denen vermute ich, dass sie noch gar nicht angefangen haben.)
„Machen Sie sich mal keinen Kopf, Frau Freitag, das wird mindestens eine eins.“
„Alles kein Problem…“

Niemanden habe ich lernen oder sich vorbereiten sehen. Nun kann ich sowieso nichts mehr machen. Jetzt sind die Messen gelesen. Jetzt kann ich nur abwarten und mich überraschen lassen. Der Moment in der Zensurenkonferenz, in dem ich vorlese, dass bei mir GAR KEINER den Realschulabschluss geschafft hat, – der Moment wird kurz und schnell wieder vorbei sein. Die Lehrer, die viele Realschulabschlüsse produziert haben bekamen auch keinen Blumenstrauß überreicht. Ich werd‘ es auch überleben. Meine Klasse sowieso. das sind Surviver. Der merken ja gar nicht, wie sie sich alles vergurken.

Zum Glück sind ja nicht alle so.
In der Pause kommt Yassin zu mir. Den hatte ich mal ein Jahr in Kunst und jetzt macht er Abitur.
„Frau Freitag, die Romantik in der Kunst.“
„Ja? Was ist damit?“
„Sagen Sie mir mal was dazu.“
Oh Lord… war das nicht Caspar und der Kitsch und so….
„Na Yassin, was weißt du denn schon darüber?“
Er zeigt auf einen Baum und erzählt was von einem Bach und so. Ich will ihm nicht Falsches sagen und schlage deshalb vor: „Komm doch kurz mit, dann gebe ich dir ein Kunstbuch, wo was zur Romantik drinsteht.“

Wir gehen um die Schule rum, damit ich noch rauchen kann. „Und du macht jetzt Abitur.“
„Ja.“
„Und schaffst dH das?“
„Warum nicht? haben doch vor mir auch welche geschafft. Ich denke mal, das schaffe ich auch.“

Im Treppenhaus frage ich ihn, was er dann machen will. „Hauptsache was, wo ich mich bewegen kann.“
„Werd‘ doch Lehrer. Guck mal, Treppe hoch, Treppe runter – immer Bewegung.“

Er guckt mich an, dann auf die Siebtklässler, die sich im Gang über den Boden prügeln. „Auf keinen Fall. Ich würde so ausflippen bei den Schülern.“ Ich denke an meine verbale Verfehlung von letzter Woche und grinse innerlich. „Ja, manchmal flippt man auch aus. Macht aber trotzdem Spaß.“

April fools


Kann ich Dschingis adoptieren? Der ist echt so süß. Und überhaupt war seine Klasse heute echt Zucker. Morgens hatte ich mir noch vorgenommen eine Kopfschmerzattacke zu simulieren und mich von dieser Stunde zu erlösen. Aber das mache ich sowieso nie und dann war es ja auch ganz anders als sonst. Alle Schüler – in der Klasse sind nur Jungs – saßen heute friedlich und hoch konzentriert vor ihren individuellen Aufgaben und arbeiteten. Keiner sprach, es war herrlich. Ich habe die Englischarbeiten der Siebten korrigiert und mich meines Lehrerlebens gefreut. Irgendwann kam ein Mädchen rein und fragte, warum in der Klasse nur so wenig Leute sind. „Das ist die Hochbegabtenklasse. Die werden hier separat gefördert. Die sind zu schlau und zu gut für die normalen Klassen“, sagte ich ohne zu zögern und keiner widersprach. Eigentlich sind da nur so wenig, weil jeder einzelne von denen sich aufführen kann wie 10 nervige Schüler. Die sind normalerweise echt ein Haufen Arbeit. Aber heute… heute waren sie lammfromm und echt toll. Am Ende der Stunde habe ich jedem eine eins für die Mitarbeit gegeben und ihrem Klassenlehrer aufgeschrieben, dass sie super waren und er sie noch mal loben soll.

Heute ist doch der erste April und ich wollte meine Klasse mal so richtig schön verarschen. Letztes Jahr habe ich meinen Englischkurs schön in den April geschickt. Denen habe ich einen Zettel vorgelesen, so in beamtendeutsch und mit irgend so einem offiziellen Briefkopf, dass man aus verschiedenen Gründen – Zentralabitur, blah blah blah, lauter Zeugs, dass sie nicht kapieren – jedenfalls hätte man die Realschulprüfungen vorverlegt. Dann habe ich die neuen Daten an die Tafel geschrieben und beobachtet, wie sie sich vor Schock in die Hosen gemacht haben: „Waaaaas in ZWEIIIII Wochen, oh Gott oh Gott oh Gott…. das schaffe ich nie….“ Das war suuuuper.

Meiner Klasse wollte ich sagen, dass ich ihre Zwischennoten bereits erhalten habe und mich total freue, dass sie sich ja so massiv verbessert hätten. Ich hatte extra lauter Fantasiezensuren in eine Klassenliste eingetragen, damit ich die dann hätte vorlesen können. Aber als die Schüler dann da waren, dachte ich – das nehmen die mir NIEEEE ab. Also habe ich es gelassen. Begrüßt wurde ich dann von Marcella mit einem lapidarem „Frau Freitag, haben Sie gehört – Robbie Williams ist gestorben.“ Ich: „Echt??? Wie denn?“ „Herzversagen.“ Sofort dachte ich „April, April“ und „darf man solche Witze machen? Mit Tod und so?“

Dann bekam ich ich allen Klassen ein schnödes: „Frau Freitag, Sie haben da was.“ Und wenn ich dann an mir runter guckte hörte ich „April, April.“

Aber dann kam Peter. „Frau Freitag, meine Mutter hat mich übelst in den April geschickt.“
„Ja? Wie denn?“
„Sie hat alle Uhren in der Wohnung zwei Stunden vorgestellt. Auch mein Handy und als ich aufwachte, dachte ich, es ist schon halb zehn und alle waren weg, nur und ich habe mich übelst beeilt, in die Schule zu kommen und sie hat mir sogar noch eine Entschuldigung dagelassen, dass ich verschlafen hätte. Ich war echt gestresst heute morgen.“

Super. So müssen Aprilscherze sein. Nie vergessen werde ich den Scherz einer Freundin, die ihrem Freund am 1. April gesagt hatte, dass sie schwanger sei und das Kind auf jeden Fall bekommen möchte. Damals waren die 19. Dann hat sie ihn stundenlang mit der Vorstellung, er würde bald Vater werden, alleine gelassen. Herrlich. In diesem Sinne einen schönen April, April, aber ich warte auf den Mai, Mai und dann auf den Juni, Juni und dann auf die Sooooooommmmmmerrrrrferrrriiiieeeennnn!!!!!