Umsichtige Kollegen – my ass!

Ich bin so entsetzlich müde. Der Hals kratzt auch und die Schultern tun weh, also zwischen den Schulter. Jetzt fällt mir der Monolog einer Kollegin am Freitag ein: „Ich habe das jetzt schon seit zwei Wochen, es wird gar nicht besser… fing mit Halskratzen an.“ Und dann die neue Referendarin, voll verschnieft und krank füllt sie einen Sonderurlaubsschein aus: „Wo muss man denn ankreuzen, wenn das Kind krank ist?“

„Hast du dein Kind angesteckt?“ frage ich. „Wenn du krank bist, warum bleibst du dann nicht zu Hause?“ will ich dann auch noch wissen. Sie sagt dazu nichts. Und ich füge noch etwas unwirsch hinzu: „Willst du uns alle anstecken?“ Dabei achte ich penibel darauf nichts anzufassen, was sie angefasst hat. Erst steckt sie das Kind an und jetzt verseucht sie das Lehrerzimmer. Super. Mein Immunsystem ist auch nicht mehr 20.

Wen will die denn mit ihrer Pflichtdurchdrungenheit beeindrucken? Ich bin nur genervt. Und jetzt kratzt der Hals. Und dann halte ich noch kurz vor Feierabend einer anderen neuen Kollegen – jung, dynamisch – keine Ahnung wo die herkommt und wie lange die bleibt, die Tür für ihr Fahrrad auf. Sie verabschiedet sich mit den Worten: „Und jetzt gleich nach Hause, inhalieren und dann ins Bett, wird ja ein tolles Wochenende. Ich habe schon seit Tagen erhöhte Temparatur.“

Ja, vielen Dank auch an dich! Wärst du nicht krank zur Schule gegangen, könnte ich jetzt noch ohne Halsweh rauchen und auch ein schönes Wochenende haben. So liege ich wahrscheinlich am Sonntag flach und schleppe mich dann am Montag mit Fieber in die Schule, weil ich mich nicht traue, mich krankzumelden.

Muttertränen

Heute kam Abduls Mutter zum Gespräch. Die Tanten-Cousine-Übersetzerin war auch wieder dabei. Als ich die beiden sah freute ich mich richtig, als würde ich alte Freundinnen treffen. Abduls Noten sind sehr schlecht. Alle waren sehr überrascht. Vor allem Abdul: „Ähhh, in Bio eine fünf und in Musik auch?“

Zur Unterstützung nehme ich gleich die Deutschlehrerin mit – ein harter Hund, diese Deutschlehrerin. Sie legt gleich los: „Ich glaube mit dem Jungen stimmt was nicht…den müssen Sie mal testen lassen…“

Ich zische ihr zu, dass sie ein wenig runterfahren soll, denn die beiden Frauen sind sichtlich geschockt. Abdul ist meiner Meinung nach völlig intakt, nur leider stinkend faul. Nun bekommt er die Quittung für sein Nichtstun. Dachte er, er kommt damit durch? Dachte er, wir versetzen ihn einfach so, ohne, dass er sich auch nur ein Mü (ist doch so eine Minimaßeinheit) anstrengen muss?

Bisher hat Abdul noch immer alles wieder hingebogen. Kurz vor der Zensurenabgabe hat er sich in diversen Fächern um eine, manchmal sogar um zwei Noten verbessert. Und ich bin mir sicher, er wird es auch diesmal schaffen. Aber ganz sicher ohne Computer. Der wird jetzt mal wieder eingezogen.

Mitten im Gespräch – die Deutschlehrerin verschießt ihr stärkstes Pulver sehe ich plötzlich Tränen über Abduls Mutters Gesicht laufen. Mir wird ganz anders. Jetzt weint sie wieder. Sie soll nicht weinen. Ich will, dass die Kollegin aufhört. Ich will Abduls Mama sagen: „Der geht schon in Ordnung. Der ist so nett und so lustig und bei allen so beliebt, ich lasse den nicht sitzen. Ich will den auch nächstes Jahr in meiner Klasse haben. Ich brauche den doch auf der Abschlussparty, für die Stimmung und zum Tanzen. Machen sie sich keine Sorgen, wir kriegen das schon hin. Bitte hören sie auf zu weinen, sonst fange ich auch noch an.“

Aber ich sage nichts und versuche sie anzulächeln und streichle ihr unauffällig den Arm. Irgendwann ziehen sie ab. Ein sehr verwirrter Abdul trottet hinter seiner verheulten Mutter und der sauren Tanten-Cousine her.

Manchmal ist dieses Lehrersein echt nicht leicht, heute wäre ich lieber der Überbringer guter Nachrichten gewesen: „Sie haben die sechs Richtigen getippt! Du bist im Bandhaus! Hier Griechenland, hier sind die versprochenen Milliarden!“

Der hungrige Lehrkörper

Wenn Lehrer sich wie Schüler verhalten, sitzen sie in der Gesamtkonferenz oder im Lehrerzimmer – oder bei einer Fortbildung.

Jede dieser Situationen schmeckt dem gemeinen Lehrkörper gar nicht, denn sie widerspricht seinem Naturell. Der Lehrer ist es gewohnt vorne zu stehen und den Ton anzugeben. Die Lerngruppe zu führen, zu leiten, zu begleiten… Neuerdings soll der Lehrer Begleiter sein, Berater – sozusagen eine Art Lernkumpel und nicht mehr Führer und Chef im Ring. Wenn ich in den Klassen nicht der MC bin, dann übernimmt sofort ein Schüler diese Rolle. Dieses Problem dürfte Referendaren und Opferlehrern bekannt sein.

Jedenfalls ist der Lehrer gewöhnt den Ton anzugeben. Er bestimmt wann gearbeitet, wann gequatscht, wann geatmet und wann eingepackt wird. Setzt man den Lehrer nun in eine Konferenz oder eine Fortbildung, dann ist er nicht nur, nicht mehr Chef, sondern muss sich einem anderen Tonangeber unterordnen. Unterordnung fällt dem Lehrer schwer… kennt er nicht, braucht er nicht, will er nicht. Und so verfallen die Lehrer ins Schülerverhalten.

Da wird ständig mit dem Nachbarn getuschelt. (Scheint ja niemanden zu stören, denn der Fortbilder oder die Schulleitung ermahnen ja nicht. Also wird fleißig weitergetuschelt.)

Dann wird – was im eigenen Unterricht undenkbar wäre – gegessen, was die Tupperdose hergibt. „Ich hatte den gaaaaanzen Vormittag Unterricht und kam gaaaar nicht zum Essen…“ Komisch nur, dass die Schüler, die ja eigentlich mehr Unterricht haben, als die Lehrer, nie mit so einer Erklärung durchkommen. Und was die Lehrer so alles essen… da gibt es nicht nur die traditionellen Leberwurstbrote – da werden die feinsten Rohkostvariationen mitgebracht. Möhren, Kohlrabi, Äpfel, Ananas – alles bereits mundgerecht zerkleinert.

Neulich beobachte ich eine Kollegin (eine extrem abgemagerte), wie sie sich während einer Sitzung einen Obstsalat zubereitet. Zunächst wird das Obst zerschnippelt – eine riesige Schweinerei – dann alles in einer Plastikdose zusammengemengt und danach werden noch einige Löffel Flüssigkeit aus einer Thermoskanne drübergekippt. Immer einen Löffel Flüssigkeit (wahrscheinlich Tee), dann in dem Obst rumrühren, dann wieder Tee, dann rühren. Irgendwann war alles fertig, ihr Platz sah aus wie ein Schlachtfeld und als sie anfing zu essen musste ich mich wegdrehen. Dann aber immer wieder hingucken. Sie leckte den Löffel mit total verkniffenen Lippen ab, dass bloß nichts von ihrem grandiosen Obst-Tee Gemansche verloren ginge. Mit fasziniertem Ekel starrte ich, dann stehe ich auf, und gehe zu ihr: „Guck doch mal, was du hier für eine Sauerei auf deinem Tisch gemacht hast.“ Ich nehme die Obstabfälle und die durchweichten Taschentücher und packe sie in ihren Obstsalat, schütte den Rest ihres Tees darüber mit einem: „Vergiss nicht schön umzurühren.“ wende ich mich ab und werde von meinen Kollegen bewundernd angeglotzt.

Fazit: Wenn sich alle Lehrer in den Konferenzen wie Schüler verhalten, muss doch irgendjemand mal einen Schlussstrich ziehen und für Ordnung sorgen. Und an diesem Tag war das eben ich.

Schon wieder ein Neuer

Ich bin ganz aufgeregt. Am Montag kommt ein neuer Kollege. Er wird auch in meiner Klasse unterrichten. Ein Neuer! Unbefristet, dauerhaft, für immer eingestellt. Ein Mann!!! Ich frage im Lehrerzimmer rum: „Hast du den schon gesehen?“ Die Kollegen wissen mal wieder gar nichts. Keinen einzigen von denen hätte ich für meine Stasitruppe ausgewählt. Neugier fehlt denen völlig.  Ich frage den Schulleiter: „…und dann kommt ein neuer Kollege, nächste Woche….“ es soll‘ ganz beiläufig klingen. Er: „Ja.“ „Und haben Sie den schon kennengelernt?“

„Frau Freitag, ich habe den doch eingestellt.“ Ich möchte endlich meine Frage beantwortet kriegen: Sieht der gut aus? Aber ob der Schulleiter das überhaupt beurteilen kann? Gutaussehende Kollegen sind an meiner Schule ziemliche Mangelware. Extreme Bückware könnte man auch sagen. Gut aussehende Kolleginnen gibt es wie Sand am Meer. Das finden auch die Schüler. „Ihr habt nachher bei Frau Müller.“ Ahmet: „Frau Müller? Ist das die geile Blonde?“ „Ja, Ahmet, genau die, die geile Blonde…“

Aber noch nie habe ich so was über einen Kollegen gehört. Ich möchte, dass meine Schülerinnen sich verliebt in der ersten Reihe drängeln und dem Kollegen an den Lippen hängen. Sie sollen immer und dauernd die Hausaufgaben machen, damit er sie bei der Rückgabe derselben anlächelt: „Gut gemacht, Samira.“ Dann soll er die Jungs beim Rausgehen abklatschen: „Und baut keine Scheiße.“ „Wir doch nicht, Coach.“ sollen sie rufen. Ich will begeisterte Erzählungen aus seinem Unterricht hören. Bei Herrn Blahblahblah macht es voll Spaß!“ „Ja, vallah, der is krass mies.“ (mies ist das Superlativ von gut) „Ja, Beste, ich schwör!“ Und dann soll er ins Lehrerzimmer schweben, gute Laune versprühen und jeder älteren, ach was sag ich, jeder Kollegin Komplimente machen….“Frau Ulitschky, Sie sehen aber heute entzückend aus.“ Mit Komplimenten gehen die Kollegen untereinander höchst sparsam um. Ich höre nur ab und zu: „Bist du krank, du siehst aber schlecht aus.“ Oder von meinem besonderem Kollegenfreund: „Was ist denn mit dir los, hast du heute schon in den Spiegel geguckt?“ Das hebt nur selten meine Stimmung.

Allerdings erinnere ich mich an eine Begebenheit vor etwa vier Jahren. Ich gehe zum Lehrerzimmer und komme an einigen älteren Schülern vorbei, die ich noch nie gesehen habe: „Frau Freitag, wollten Sie mal Model werden?“ Ich bleibe wie angewurzelt stehen: „Jungs, …ach…. das ist ja….you made my day!“ Und schon waren meine Schritte leichter und ich tänzelte ins Lehrerzimmer und erzählte jedem davon.

Jetzt setze ich meine ganze Hoffnung auf den neuen Kollegen: „Sabine, was schreibst du Samira da auf die Augenlieder?“ Samira ganz aufgeregt: „Gucken Sie!“ Sie schließt die Augen, da steht LOVE und auf dem rechten Lied YOU! „Wir haben gleich bei Herrn Blahblahblah.“ Dann soll der Schulleiter zu mir kommen. „Frau Freitag, Herr Blahblah blah wird ihr neuer Stellvertreter. Der darf auch mit auf die Klassenfahrt. „Okay.“ antworte ich. Innerlich denke ich schon: Ach, wir können doch auch ein Doppelzimmer nehmen, dann kann doch der Justin in ein Einzelzimmer, mit dem will sowieso niemand zusammenwohnen, weil der stinkt und klaut. Und abends sitzen wir dann auf der Terrasse bei einem Wein und Zigarren, lauschen dem Schnarchen der lieben Kleinen und genießen die toskanische Sommernacht. „Ach Frau Freitag, ich muss schon sagen, wie Sie die Klasse im Griff haben… meine Hochachtung. Von Ihnen kann ich noch viel lernen…“ Ich erröte nur schweigend.

Nur noch drei Mal schlafen, dann lerne ich den Supertypen kennen. Aber halt, was ist, wenn er gar nicht so toll ist, wie ich denke? „Wir wollen nicht bei Herrn Blahblahblah haben, der hat Mundgeruch!“ „Der starrt den Mädchen auf den Arsch, ich schwöre.“ „Neeeein, ich schwöre das macht der bei den Jungs. Der ist schwul.“ Wir wollen keinen schwulen Lehrer. Meine Mutter sagt auch, dass schwule Lehrer nicht unterrichten dürfen.“ „Der ist Jude.“ „Woher wisst ihr denn jetzt welche Religion der hat?“ „Ich schwöre der ist aus Judistan, da sind die alle so scheiße. Mein Bruder hat auch gesagt….“ „Lass mal zum Schulleiter gehen, so einer darf hier gar nicht unterrichten…

Nein, nein, nein!!!! So wird das nicht. So darf das nicht werden. So war es in den letzten zwei Jahren dauernd. Mir reicht das jetzt! Ich will einen jungen, talentierten, gutaussehenden, durchtrainierten, charmanten, hilfsbereiten, aufregenden, humorvollen, teamfähigen, vollhaarigen….

Kriselt Frl. Krise?

Frl. Krise macht mir Sorgen. Sie kommentiert gar nicht mehr regelmäßig. Dabei gehören Frl. Krises aufmunternde ehrliche Worte unbedingt zu diesem Blog. Ohne sie ist das hier nicht wie immer. Macht es nur halb soviel Spaß. Es fehlt einfach etwas. Wenn ich Frl. Krise anrufe ist sie immer ganz geschafft. Ihre Schüler werden von Tag zu Tag unverschämter und debiler. Glüht am Ende schon ein Flämchen des Burn Outs? Sie erzählt eigentlich immer nur noch von Horrorerlebnissen, die zwar spannend sind, die sie allerdings nicht verdient hat. Und jeden Tag verabschiedet sie sich damit, dass sie noch die Deutscharbeiten nachsehen muss. Und das seit Wochen. Bildet sie sich die Deutscharbeiten am Ende nur ein? Neulich waren wir spazieren und da sang sie permanent vor sich hin. „Give me hope Joanna, hope Joanna…“ Ich mache mir ernsthaft Sorgen. Frl. Krise soll nicht so machen. Sie soll mir von Heldentaten aus ihrer Schule  berichten, von paradoxen Interventionsmeisterstreichen. Sie soll mir erzählen, wie sie sich mitten in einer Stunde eine geniale Phasenüberleitung ausgedacht hat und dann eine Unterrichtsmethode erfunden hat, die die Schüler von ihren Stühlen gefegt hat. Klippert vor Neid geplatzt, will ich mir dabei denken. Frl. Krise soll es gut gehen. Blendend geht es mir, soll sie sagen.

Sie gehört zu meinem Beruf. Ohne sie könnte ich gar nicht Lehrerin sein. Sie ist Superwoman, Terminator und Bond Girl in einer Person. Als Schüler würde ich mir wünschen, dass sie mich in allen Fächern unterrichtet. Ich hätte sie auch gerne als Schulleiterin. Nach jeder verkackten Stunde ginge ich zu ihr in das gemütliche, aber stilvoll eingerichtete Chefzimmer und sie gäbe mir einen Schnaps und gute Tipps. Besoffen und moralisch gestärkt torkelte ich dann in den nächsten Kampf. Armes Frl. Krise, sie hat es im Moment so schwer mit ihrer garstigen Klasse.

Frl. Krise soll auch meine Mutter sein. Ich nenne sie zwar nun schon seit Jahren „Mama“, wenn wir in der Öffentlichkeit sind, aber sie kommt einfach nicht mit den Adoptionspapieren rüber. „Ich will auch gar kein Auto!“

Nein, nein, eigentlich will ich nur, dass es ihr wieder gut geht. Kann nicht jemand ihre Klasse in ein schwarzes Loch schmeißen oder ihnen Drogen geben, damit sie sich in Schüler entwickeln, die das tolle Frl. Krise verdient hat? Das verrückte an ihr ist allerdings, dass sie sich trotz aller Rückschläge, nicht unterkriegen läßt. Nix „Krankheit als Weg.“ Oder Stundenreduzierung. Obwohl sie sich das leisten könnte. Frl. Krise verdient ungefähr das 20fache von dem was ich verdiene. Und sie verdient es auch. Sie unterrichtet auch viel mehr Stunden als ich. Als wir alle. Sie macht freiwillig Überstunden und beklagt sich nie bei ihrer Schulleitung. Sie schleppt sich noch mit dem höchsten Fieber in die Schule und ist in jedem Gremium der Schule vertreten. Wenn das Fernsehen kommt wird sie gefilmt. Wenn es ein ausuferndes Projekt gibt, dann wird es ihr aufgehalst und sie zieht es durch, auch wenn schon längst kein Schüler mehr mitmacht.  Bei jeder Weihnachtsfeier gestaltet sie das Programm und backt schon im November Kekse fürs Lehrerzimmer.

Wennn es mehr von ihrer Sorte gäbe, dann hätten wir weder Bildungsmisere, noch Pisanotstand, sondern nur noch Abiturienten. Leider gibt es von ihr nur eine, deshalb muss man auch ganz besonders gut auf so ein pädagogisches Juwel aufpassen.

Der Neue

Was läuft bei mir verkehrt, dass ich so ein Interesse an diesem neuen Lehrer habe, der bei uns unterrichtet. Der sieht nicht gut aus und wenn der mich direkt anspricht, dann ist es mir eher unangenehm. Trotzdem hoffe ich immer, ihn im Lehrerzimmer anzutreffen. Nach einem beiläufigem: Na, wie läuft’s so? erwarte ich dann die übelsten Abkackstorys. Und in seinem Leid will ich mich dann suhlen. Kling recht sadistisch.

Ah, da fällt mir ein, gestern fragte eine Schülerin: „Frau Freitag, was ist masochistisch? Ist das, wenn man so völlig selbstverliebt ist?“ Ich: „Das sind männliche Moslems….“ nein, nein, SCHPPAAAAAASS! Das habe ich natürlich nicht gesagt. Ich, voll die Pädagogin, hoch erfreut, dass eine meiner Schutzbefohlenen etwas wissen möchte: „Nein, das ist ein Narziß. Masochistisch, das ist…also wenn man Schmerzen mag und wenn andere gemein sind zu einem.“ Die Schüler gucken mich mit großem Unverständnis an. Ich präzisiere: „Na so wie ich. Ich bin ein Masochist, weil ich euch als Klasse habe.“ In dem Moment haben sie es kapiert.

Aber zurück zu meinem doch eher sadistischem Persönlichkeitsanteil. In den letzten Tagen habe ich den neuen Kollegen nicht gesehen. Aber gestern gehe ich freudig gut gelaunt nach meiner  letzten Stunde in Richtung Lehrerzimmer und singe leise vor mich hin: Wochenende, Wochenende, Wochenende… Da sehe ich ihn um die Ecke huschen. Wahrscheinlich kommt er gerade aus dem Lehrerzimmer und geht zum Unterricht. Ich hinterher. Vielleicht kann ich an der Tür lauschen. Ich schleiche ihm also ins Treppenhaus nach und plötzlich kommt er mir wieder entgegen. Verwirrt guckt er mich an. Die Stunde läuft bereits seit fünf Minuten. Bei uns legen zwar die Schüler keinen Wert auf Pünktlichkeit, aber das Kollegium nimmt es damit sehr genau. Er, etwas außer Atem: „Ich suche meinen Kurs. In meinem Raum ist jetzt jemand anderes.“ Ich souverän: „Blahblahblahblah…komm mal mit, wir gucken mal.“ Unterwegs treffen wir Schüler, die in seinem Kurs sein könnten, aber nicht sind. Ich schicke ihn zu einer Kollegin, die ihm weiterhelfen kann und gehe dann in Lehrerzimmer.

Zwanzig Minuten vorm Stundenende sehe ich ihn mit fünf Schülern über den Hof latschen. In Zeitlupe. Ich beobachte alles ganz genau. Von hinten sieht er aus wie ein Schüler. Wie abgeranzt der Rucksack ist. Der hält sich ähnlich krumm wie ich. Die Schuhe….tragen nicht gerade zur Autoritätsverstärkung bei. „Wenn ich so spät dran wäre, würde ich aber rennen.“ sage ich zu einer Kollegin, die mir nicht so richtig zuhört. Ich hole mir einen Kaffee und setzte mich mit irgendwelchen unwichtigen Formularen an einen Tisch. Na, der wird doch nach der Stunde wieder herkommen, die paar Minuten kann ich auch noch warten.

Und tatsächlich, beim Klingeln steht er leicht verwirrt im Lehrerzimmer. „Setz‘ dich doch. Hast du deinen Kurs noch gefunden?“ Er nickt und erklärt mir wo die Schüler waren. Langweilig!

„Und wie läuft’s so?“ frage ich. Es soll sehr beiläufig klingen, deshalb sehe ich gar nicht von meinen Formularen auf. Er erzählt, dass es bei den 10ten ganz gut geht…glaube ich ihm nicht. Allerdings hätte er in der 9ten Klasse Problem. Glaube ich ihm sofort. Er vermutet, dass es daran liegt, dass die Klassenlehrerin fehlt. Ich weiß, dass es überhaupt nicht daran liegt. DAS LIEGT GANZ ALLEIN AN DIR!!!! Das bekommst du niiiiieee hin. Das ist nur der Anfang. Die werden dich fertig machen. Die lassen kein Stück ganz an dir.

„Hmmm, kann sein.“ nuschel ich. Er: „Da sind einfach welche drin, die immer wieder den Unterricht stören. Die scheinen gar kein Interesse an dem Unterricht zu haben…“ Jetzt folgen von mir endlose Tipps und Vorschläge, die ich selbst alle nicht anwende und die wahrscheinlich auch nichts nützen werden. Er hört sich alles ganz genau an. Fragt nach. Überlegt. Mittlerweile kommen Kollegen, mischen sich ein. Die Geschichtslehrerin meiner Klasse kommt auf mich zu. Ich referiere gerade wieder über Konsequenz, klare Regeln und ähnliches, da unterbricht sie mich: „Frau Freitag, deine Klasse….UNMÖGLICH! Unterricht ist mit denen nicht zu machen. Die spinnen. Ich halte das nicht mehr aus. Ich schreibe jetzt sofort Briefe an die Eltern.“ Ich: „Hmmm, mach das.“ Dann wende ich mich wieder meinen Formularen zu. der Neue sitzt mir gegenüber und denkt über irgendwas nach.

„Was machst du eigentlich am Montag, zum Wandertag?“ wechsel ich geschickt das Thema. Er: „Ach, ich weiß nicht.“ Es ist Freitag, 13 Uhr. Er weiß noch nicht, wo er am Monatg mitgehen soll! Tickt der noch ganz sauber? „Na, da musst du dich doch drum kümmern!“ sage ich mit leicht strengem Unterton und gehe mit ihm zu den Listen. „Guck mal, hier sind alle Klassen. Du suchst dir am Besten eine  aus, in der du auch unterrichtest…“ Er nickt. Bevor ich gehe stelle ich zufrienden fest, dass er mit einem Kollegen einen Treffpunkt für Montag verabredet.

Im Bus denke ich: Was ist mit mir los? Wäre das so schlimm für mich gewesen, wenn der Montag frei gehabt hätte? Warum freut sich ein Teil von mir, wenn es bei ihm nicht klappt. Vielleicht sollte ich mal  einen Therapie machen. Therapeut ist ja eigentlich auch ein geiler Job….da kommen dann jeden Tag Leute und du kannst dir immer die Probleme von denen anhören und bekommst auch noch Geld dafür….das könnte mir auch gefallen.

Sterben Purzelbaeume?

Die Frage dem perfektem Trageutensiel hat ja ueberraschend viele Kommentare gebracht. Trotzdem bin ich noch unentschlossen. Gestern dachte ich, dass meine Rueckenschmerzen vielleicht auch gar nicht nur von der schweren Tasche kommen, sondern vielleicht auch von dem falschen Stuhl, auf dem ich an meinem Arbeitstisch, in meinem nicht mehr, nun aber vielleicht doch absetzbarem Arbeitszimmer sitze. War da nicht sowas mit der Hoehe der Arbeitsplatte, dem Winkel, in dem man auf die Tastaur des Computers tippt?

Ach, das Lehrerleben ist schon gefaehrlich, da schwebt doch immer der Bandscheibenvorfall ueber einem…vom Hoersturz und Stimmbandknoetchen mal ganz abgesehen. Ich koennte noch stundenlang  weiterjammern…wenn man erstmal so drinne is’…macht irgendwie auch Spass. Mit den richtigen Leidensgeschichten kann ich auch im Lehrerzimmer neue Freunde finden. Warum sperre ich mich eigentlich immer so dagegen, mir die Krankheiten meiner Kollegen anzuhoeren? Vielleicht sollte ich ihnen auch mal die Chance geben, mich und meine Wirbelsaeulenverkruemmung besser kennenzulernen. Meine angeborene Leghastenie kann ich sowieso nur bedingt verstecken…(Lipgloss und neue Rechtschreibung = masslos ueberschaetzt, wenn man mich fragt.)

Ein sehr uebergewichtiger Freund von mir sagte mal auf die Frage, was fuer ihn denn der Sinn des Lebens sei: „Leeeeiiiiden!“ und machte dabei auf meiner Couch einen Purzelbaum rueckwaerts. Ach apropo – Frl. Krise fragte ihre Schueler mal, was ein Purzelbaum sei – wussten sie nicht – „Baum fuer Katzen?“ Ist vielleicht auch ein Wort, dass aussterben kann.

Man sagt doch auch, dass die Schueler heute nicht mehr rueckwaertslaufen koennen…aber das stimmt nicht, ich habe schon oft in einer neuen Lerngruppe erzaehlt, dass Wissenschaftler ihnen nicht zutrauen andersrum zu gehen. Wir probieren das dann immer gleich aus und bisher ist dabei noch keiner gestuerzt.

Ich moechte hier eine neue These aufstellen: Ich sage mal, dass es in den meisten Lehrerkollegien wenig, bis keinen mehr gibt, der einen vorwaerts und einen rueckwaerts Purzelbaum machen kann – und das obwohl viele am Leiden grossen Gefallen finden.

Nimm‘ du doch meine Klasse…

Die Kollegen meckern wieder. Gestern komme ich ins Lehrerzimmer und werde wieder bombardiert mit „Deine Klasse spinnt ja wohl “ – Schelte. Vorher hatte ich eine Stunde in meiner Klasse und die kamen relativ pünktlich, haben sich gut benommen und sogar friedlich gearbeitet. Weil die Stimmung gut war kamen auch diverse Schüler zu mir an, um mir ihre Probleme zu erzählen. Und die sind gelinde gesagt – massiv. Solche Probleme hat keiner meiner Kollegen. Ich kann es immer gar nicht fassen, was die so erleben – erleben müssen. Normale Jugend ist das nicht. Ich wundere mich eigentlich oft, dass die trotz dieses harten Aufwachsens so relativ normal ticken. Jeder Psychologe würde sagen, dass ein Totaldurchdrehen bei solchen Erlebnissen durchaus normal sei. Manchmal wünschte ich, die Schüler würden mir dieses ganze Elend nicht erzählen. Aber passieren täte es ihnen ja trotzdem und nur ich könnte abends besser abschalten und nachts ruhiger schlafen.

Recht geschockt gehe ich also ins Lehrerzimmer und werde gleich belagert: „Die haben wieder…die haben nicht….keine Hausaufgaben….blahblahblah.“ Ich höre mir alles an und lasse es irgendwie an mir abprallen, eher an mir runterrutschen. Stoisch stehe ich da während mich zwei Kolleginnen mit Gejammer und Beschwerden übergießen. An manchen Stellen sagen ich: „Hmmm.“ „Ja.“ „Gibt’s ja gar nicht.“ Ich verspreche mit ihnen zu reden und beschließe in dem Moment schon, mal gar nichts zu machen. Warum soll ich meine Klasse dauernd anmeckern. Nützt doch sowieso nichts. Frl. Krise (Frl. Krise, wir können auch deutschen Autokorso machen!!!!!), Frl. Krise sagt mir ja fast täglich, dass es egal ist, ob man meckert, Briefe schreibt oder die Schüler pädagogisch einlullt. Ändern tut das nichts.

Meine Klasse kann ja gut mitmachen. Das weiß ich und das haben mir die Kollegen auch schon oft gesagt. Warum die das so selten machen, weiß kein Mensch. Aber eines weiß ich, wenn ich sie am Mittwoch anmecker oder rumjammere, dann erinnern sie sich am Freitag nicht daran und benehmen sich dann ganz toll.

Vielleicht sollten die Kollegen die Schüler mehr loben, wenn sie gut mitmachen. Die immer mit ihrem „Nicht gemeckert ist genug gelobt…“. Oder sollte ich denen mal erzählen was bei denen privat los ist – und dass eine nicht gemachte Hausaufgabe dazu in keinerlei Relation steht? Ich weiß es nicht. Es gibt natürlich noch die „Ich bin Klassenlehrer und ich verstecke mich immer “ – Taktik. Einige Kollegen – vor allem welche von schwierigen Klassen – sehe ich überhaupt nicht im Lehrerzimmer. Oder ich biete den Meckerkollegen meine Klasse an: „Du hast Recht. Die benehmen sich total schlecht. Das liegt an mir. Ich hab‘ es einfach nicht drauf. Übernimm‘ du meine Klasse. Du könntest die bestimmt auf den richtigen Weg bringen. Zug reinbringen. Tacheles reden. Mal richtig durchgreifen. Ich wundere mich sowieso, warum DU nicht Klassenlehrerin bist, wo du doch soviel kompetenter bist als ich….“

Oder die paradoxe Intervention: „Ja, die sind total übel. Das war ganz schön harte Arbeit, die so hinzukriegen. Bei mir benehmen sie sich gut, aber ich sage denen täglich, dass sie bloss nicht bei den Kollegen mitmachen sollen. Schminken tut ihr euch bitte in Mathe und vergesst nicht, bei Frau U. so richtig die Sau rauszulassen. Immer dran denken – ziviler Ungehorsam – immer und überall!“

Jetzt auch noch Pumps…

Okay, Frau Dienstag, er heisst Dieter und sie Anita. Also es waere super nett von dir, wenn du die Kruegers anrufen koenntest und sie davon ueberzeugen koenntest, dass dieser Amerika-Trip genau das richtige fuer ihren Olli ist. Neu eingekleidet ist er auch und jetzt, wo die Haare etwas laenger sind, werden sie auch nicht mehr schockiert sein. Er hat einen gesunden Teint, sieht ziemlich erholt aus der Junge. Frau Freitag hat ihn gut umsorgt. Er kann sich eigentlich nicht beschweren.

Heute ist ja Wochenende, Samstag und da will Olli abrocken…in irgendeiner Disco. Oh, mannnnn, Disco, Club, was weiss ich denn schon? Und was soll ich dazu anziehen, ich hab‘ keine Ahnung. Ich brauche neue Schuhe, Pumps (Poems?), habe ich noch nie gehabt, brauche ich jetzt unbedingt, werde mich von Olli beraten lassen, wird bestimmt teuer, aber was soll’s, muss ja….

Heute braet die Sonne so richtig und man kann nur ueberleben, wenn man sich

a) sehr langsam bewegt, scheintotenaehnlich

b) nur auf der Schattenseite der Strasse laueft

c) alle hundert Meter in ein Geschaeft mit AC (air condition) fluechtet um sich runterzukuehlen.

Ich fuehle mich wie ein tiefgefrorenes Putenschnitzel, dass man aus dem Gefrierfach in die pralle Sonne tut, obwohl doch die Kuehlkette nicht unterbrochen werden darf. Salmonellen entwickeln sich uebermaessig heftig an mir. Aber was soll ich hier jammern…bald isses wieder Winter und dann sehnen wir uns alle wieder nach der Sonne. Und bald ist wieder Lehrersein angesagt, bald wieder nur Frau Freitag hier, Frau Freitag, da…wieder fruehstes aufstehen, komatoeses Benutzen oeffentlicher Verkehrsmittel, verinnerlichter Automatismus laesst mich ein-, um- und aussteigen, dann das Wiedersehen mit den Kollegen…“Wie waren die Ferien? Und Sie Frau Freitag, wo waren Sie? Werde ich diesmal gewinnen – Amerika-Tour mit geklautem Teenager – oder ist Mongolei mit Jurtenuebernachtung, Trekking im Iran oder Camping in der Serengeti doch interessanter? Vielleicht sage ich einfach ich war die ganze Zeity zu Hause und habe meinen Unterricht vorbereitet, oder ich sage ich hatte noch eine Haftstrafe abzuleisten oder ich sage „Das geht Sie einen Scheissdreck an wo ich in den Ferein war, jetzt bin ich hier, reicht das nicht?“ Na, mir bleibt ja noch Zeit darueber nachzudenken. Olli will jetzt los, wir muessen die Schuhe kaufen und er braucht anscheinend noch Hosen.

Und Frau Dienstag, Dieter und Anita Krueger aus Hamburg, nicht vergessen…vielen dank schonmal, Sie haben was gut bei mir.

Reiseplanung

Frl. Krise hat’s gut, die fährt jedes Jahr nach Kenia. In so ein Luxusresort. Ist direkt in der Serengeti. Muss schweineteuer sein, ich frage ja immer wie viel das kostet, aber da schweigt sie sich aus: „Über Geld spricht man nicht“ bekomme ich dann nur zu hören. Muss aber ganz toll dort sein, sie schwärmt immer davon. Da gibt es wohl ganz tolles Essen und die Sonnenuntergänge seien traumhaft.

Ich würde das auch gerne mal sehen. Aber ich habe ja keinen Freund, der Chefarzt ist und der mich dahin einlädt. Im Herbst hat sie eine Karibikkreuzfahrt gemacht. Leider war sie die meiste Zeit der Fahrt in ihrer Kabine, weil sie sehr seekrank war. Als es ihr besser ging war die Fahrt auch schon fast vorbei. Diese Reise konnte sie nicht empfehlen.

Und sie schwärmt von der Neuseelanddurchquerung, da hatten sie eine Tour gebucht, und haben im Beduinenstil Neuseeland durchquert. War wohl sehr abenteuerlich, aber die Landschaft muss dort ganz großartig sein. Ach, Frl. Krise die hat es gut, die fliegt ja auch über die Brückentage nach Salzburg in ein Wellnesshotel und Ostern hat sie Aryuveda in Nepal gemacht, die sah so top aus als sie wiederkam.

Wir fahren morgen nach Binz. Auf Rügen. Mit dem Zug. Für zehn Tage. Wie jedes Jahr. Immer Binz, Binz, Binz. Langsam kann ich Binz nicht mehr sehen. Aber was soll’s Urlaub ist Urlaub, auch in Binz.