Einfach mal so oder auch anders


Jetzt mal wieder etwas positiver in die Zukunft schauen. Morgen komme ich bestimmt in die Schule und alle meine Schüler erzählen mir freudig, dass sie sich am Wochenende auf mehrere Ausbildungsplätze beworben haben. Und wenn nicht, dann ist das ja auch nicht so schlimm, denn irgendwo müssen diese ganzen Millionen von Arbeitslosen ja herkommen.

Stellen wir uns mal vor, wir hätten gerade Vollbeschäftigung und meine Schüler würden sich nicht bewerben… Die Ausbilder würden zu uns auf den Hof kommen und mit Geschenken um unsere Schüler buhlen. Keiner müsste eine Bewerbung schreiben, man bekäme den Ausbildungsvertrag gleich dort auf dem Hof in der großen Pause. Wie stünde ich denn dann da?

„Sehen Sie Frau Freitag, das stimmt alles nicht, was Sie immer sagen. Gucken Sie, ich habe gleich zwei Plätze als Mechatroniker bekommen und sogar Mehmet hat ein Angebot von Lufthansa, er kann da Pilot werden oder Stewardess.“ Schlimm wäre das. Unglaubwürdig würde ich wirken. Die Schüler würden mir gar nichts mehr glauben. „Pah, think soll ein unregelmäßiges Verb sein? Wahrscheinlich lügt sie wieder.“ Nein, nein, also Vollbeschäftigung – ohne mich.

Ich freue mich sehr auf diese Woche. Denn meine Klasse hat mal wieder die Chance mich zu verblüffen. Am Freitag sollen sie ihre Anmeldungen für ihre Realschulprüfung abgeben. Wenn sie das bis Freitag nicht machen, können sie nicht an den Prüfungen teilnehmen und vor allem können sie dann nicht das zehnte Schuljahr wiederholen. Bis Freitag heißt bis Freitag! Ich werde nur den eigenen Tod als Entschuldigung gelten lassen, obwohl, da könnten ja auch die Eltern die Anmeldung vorbeibringen.

Das Wiederholen der letzten Klasse ist bei uns schwer in Mode gekommen, da es so bequem ist. Man muss sich um nichts kümmern und darf noch ein Jahr kuschelig in der Schule sitzen und Kindergeld gibt es auch noch weitere 12 Monate. Okay, wenn die Lehrer zustimmen darf auch jemand, der nicht durch die Prüfung gefallen, oder an ihr gar nicht teilgenommen hat, das Jahr wiederholen. Aber das muss abgestimmt werden und ich werde bei keinem meiner Schüler dafür stimmen.

Am Freitag werde ich sehen, ob meiner Klasse ein qualifizierter Schulabschluss genauso wichtig ist, wie der Besuch des Heideparks. Eigentlich sollte man doch meinen, dass bessere Berufschancen einen Dreifachlooping und eine Holzachterbahn schlagen würden, aber ich bin mir da leider gar nicht so sicher.

Ende des letzten Schuljahres – ich erinnere mich, als sei das gestern gewesen, haben meine Schüler mich ja echt überrascht, als sie von einem Tag auf den anderen 40 Euro für unseren Heideparkausflug und einen unterschriebenen Elternbrief mitbrachten.

Ich hab’s, wir machen die Realschulprüfung im Heidepark! Zwischen den schriftlichen Arbeiten ist jeweils eine Stunde Zeit, mit der Achterbahn zu fahren und vor der Mündlichen entspannen sich die lieben Kleinen bei einer Runde Scream. Wenn das nicht schülerrelevanter Lebensweltbezug ist, dann weiss ich auch nicht mehr.

I’ve got Heidepark on my mind

Noch nichts Neues an der Heideparkfront. Aber ich befürchte fast, dass meine doofe Klasse das hinkriegt und uns einen Trip in diesen Park des Grauens organisiert. Seit gestern visuali- und antizipiere ich, wie das werden könnte: Wir müssen ganz früh zum Bus. 6 Uhr soll der abfahren. Ich habe mir die neuen Sandalen angezogen und schon zwei fette Blasen an den Füßen, als ich an der Schule ankomme.

Um zehn vor sechs sind nur Samira, Sabine und ein schlecht gelaunter Ronnie da. „Die anderen kommen gleich, die treffen sich vorher“ Warum müssen die sich eigentlich vor jedem Treffen immer erst treffen? Um sechs Uhr fehlen immer noch fünf Schüler. Der Busfahrer hat aufgeraucht und will jetzt losfahren. Yeah, denke ich, endlich können sie mal die Konsequenzen spüren, wenn sie mit ihren aufwendig ondulierten Haaren und perfekt geschminkt den Rücklichtern des Busses nachwinken werden. Ich steige ein: „Herr Busfahrer, wir können dann los.“

„Neeeeeein“ brüllt Samira. „Esra, Marchella, Abdul, Antonia und Ayla fehlen noch. Ich ruf die mal auf dem Handy an.“ Sie telefoniert und flirtet dann mit dem Busfahrer. Sie dreht und wendet sich auf der Stelle, hält den Kopf schief und redet und redet. Scheiße, der Busfahrer lächelt und steckt sich noch eine Zigarette an.

Kurz vor 6.30 Uhr fährt der Bus – mit allen Schülern los. Ich bin schon mal bedient. Es sollen 35 Grad werden. Niemand, außer mir hat eine Mütze mit. Nicht mal Mehmet und Abdul, die in jeder Unterrichtsstunde eine tragen. Es werden alle Arten von Süßigkeiten durch den Bus gereicht. Abdul hat Boxen für seinen MP3-Player dabei. Schlechte, billige Boxen. Die Musik scheppert. Die Kinder versuchen die Musik zu übertönen und schreien wie bescheuert durch den Bus. Der Fahrer ermahnt sie mehrfach sich hinzusetzen. Mir ist alles unglaublich peinlich und ich bereue Lehrerin geworden zu sein. Wie schön könnte ich jetzt die gemütliche Kaiser’s Fiale putzen, öffnen und einen netten Tag an der Kasse verbringen.

Chips. Alle haben Chips. Überall liegen Chips. Ich werde bald wahnsinnig. In der ersten Pause fragt mich der Busfahrer, ob wir eine Sonderschulklasse sind. Ich sage: „Nein, wir sind Gymnasiumschule.“

Nach hundert Stunden im stickigen Bus kommen wir vor dem Heidepark an. Mittlerweile sind es bereits 32 Grad. Die Kinder sind ganz rot im Gesicht. „Habt ihr denn nichts zu Trinken dabei?“ Niemand hat was mit. Ich gehe zu einem Kiosk und kaufe 27 Flaschen Wasser. Die Kosten ein Vermögen. Mit mütterlichen Gefühlen überreiche ich jedem Schüler eine Flasche: „Hier, ihr MÜSST was trinken!“

„Wieeee? Wasser? Warum nicht Cola?“ ranzt mich Ronnie sofort an. Mehmet gießt Abdul seine Flasche über den Kopf. Der wird sauer. Ich auch: „Ihr sollt das TRINKEN, nicht damit rumsauen!!!“ „Was trinken? Ich trinke doch kein Wasser!“ „Das war voll teuer.“ sage ich schon etwas kraftloser. „Jaja Frau Freitag, Geiz is’ geil.“

Genau so wird die Anreise. Mein Gehirn weigert sich, mir Vorstellungen vom weiteren Verlauf unseres Ausflugs zu liefern. Eine körperliche Präventivmaßnahme, damit ich nicht verrückt werde. Jetzt kann ich nur hoffen, dass die Busfahrt und der Eintritt 100 Euro kosten und die ganze Sache damit gestorben ist.

Laßt mich mal schön älter werden!

Heute ist Brückentag. Über sieben Brücken musst du gehen… Ach, sieben Brückentage, das wäre was. Jeden Morgen zähle ich im Bus die verbleibenden Schultage. Und es sind nicht mehr viele. Wirklich nicht. Da fällt noch soviel weg. Wandertag, Sportfest, mündliche Prüfungen, Zeugnisübergabe… da muss man gar nicht mehr krank werden, das halten wir jetzt noch durch. Und dann kommen die Sommerferien. Vorher noch die Abschlussfeier, mit Hochsteckfrisur und Getanze. Leider habe ich es wieder nicht geschafft mir ein paar coole Breakdance-Moves beibringen zu lassen. Muss ich also wieder durch den Pädagogentanz beeindrucken – da rudert man mit den Armen durch die Gegend. Die Hände zu Fäusten verkrampft.  Sieht nicht cool aus. Sieht aus wie: Guck mal, die Lehrerin tanzt auch. Egal, Hauptsache die Hochsteckfrisur fetzt.

Ich habe gerade noch mal nachgezählt, bis zur Zeugnisausgabe sind es wirklich nur noch 30 Tage, ungefähr. Und bis zur Zensurenabgabe vielleicht nicht drei oder vier Wochen. Dann endet jede letzte Chance. Rien ne vas plus! Die Schüler sehen das irgendwie anders. Für die scheinen drei Wochen eine halbe Ewigkeit und ich bin mir sicher, die denken, die könnten ihre 7 Ausfälle problemlos wegbekommen.

Na ja, für mich sind drei Wochen wie ein Wimpernschlag. War was? Ach, drei Wochen sind rum… Wahrscheinlich liegt das  daran, dass bei mir viel weniger passiert, als bei meinen Schülern. Die können sich innerhalb von drei Wochen völlig neu erfinden: „Warst du nicht EMO?“ „Frau Freitag, das ist doch schon eeeewig her. Ich bin doch schon laaaange B-Boy.“ Lange, nun…drei Wochen.

Ich war vor drei Wochen Lehrerin, bin es immer noch und werde es wohl auch in den nächsten drei Wochen noch sein. Bei mir ändert sich wenig. Die Haare werden grauer, die Hosen enger und ab und zu geht das Telefon kaputt. Aber sonst… Stört es mich? Will ich noch mal Teenager sein? Auf Keinsten!!! Mit den Eltern zusammenwohnen? Was für ein skuriles Konzept. Ständig Stress mit den besten Freundinnen? Jungs gut finden, die einen nicht beachten? In der Schule nichts von Mathe verstehen? Überhaupt immer zur Schule gehen und auf der falschen Seiten sitzen? Lernen statt vor-und nachbereiten? Nö! Keinen Bock. Vielen Dank, aber ich passe. Ha, und überhaupt – zur Schule gehen, ohne dafür auch nur einen Cent zu bekommen… Wer will denn das?

Ich verstehe gar nicht, warum die Schüler so gerne jung sind. Warum tun die nicht alles dafür endlich alt und erwachsen zu sein. Merken die denn nicht, dass Erwachsene es viel besser haben? Okay, gebt mir die Teenagerfähigkeit gut Breakdance zu können, aber ansonsten lasst mich mal schön älter werden.

Irgendwie sind das doch ganz besondere Schüler

Ich möchte, dass der Sänger der Easybeats in meiner Klasse ist. Der soll direkt vor meiner Nase sitzen und grinsen. Lernen bräuchte der nicht. Ab und zu Tanzen würde reichen. Neben ihm sitzt Tim Hardin. Chronisch traurig, da er ständig Liebeskummer hat. Schon in der Neunten Klasse schreibt er How can we hang on to a dream. Das Lied hat er für die schwedische Austauschschülerin Agnetha geschrieben, in die er seit fast einem Jahr verliebt ist, die aber nichts von ihm wissen will. Ich mag Tim, obwohl ihn die anderen immer ärgern. Er ist sehr introvertiert, aber nett.

Direkt hinter ihm sitzen Iggy Pop und David Bowie. Iggy tritt von hinten immer gegen Tims Stuhl. Überhaupt stört Iggy den Unterricht oft (schweres ADHS). David B. macht manchmal mit, aber meistens stachelt er Iggy nur zum Stören an, lacht über seine Späße, hält sich sonst aber zurück. David ist ein wenig hinterhältig und ein Zensurenschleimer.

Hinter Iggy und David sitzen Lady Gaga und Madonna. Beide passen überhaupt nicht auf. Sie schminken sich die ganze Zeit, quatschen oder schreiben Briefchen. Lady Gaga ist in Iggy verliebt. Der ist aber noch zu kindisch, um das zu merken.

Ganz hinten in der Ecke sitzt Eminem. An den komme ich überhaupt nicht ran. Der hat immer nur seine Kopfhörer im Ohr und kritzelt wirre Texte auf die die Rückseiten seiner Arbeitsblätter. Nie beteiligt er sich am Unterricht. Die anderen halten sich von ihm fern. Er lächelt nie.

Klassenbester und Klassensprecher ist John Lennon. Er will aber ständig diskutieren. Das stresst auch. Das allgemein gute Klassengefüge wird durch Yoko Ono, die in die Klasse kommt ganz schön durcheinander gebracht. Keiner aus der Klasse mag sie. Sie ist arrogant und stresst auch mich sehr. John mit seinem ausgeprägtem Helfersyndrom nimmt sich ihrer an und seitdem bilden die beiden ein nerviges „Können wir das nicht noch mal diskutieren“- Duo.

Die Klasse ist anstrengend. Alle Schülervariationen sind vertreten. Interesse am Unterricht haben die wenigsten. Brian Wilson ist total depressiv und ich halte ständigen Kontakt zum Jugendamt und zu den Eltern. Eine sehr bürokratische Nerverei. Gerne würde ich ihm sagen, „Nun nimm dich mal nicht so ernst.“.

Kurt Cobain trägt das ganze Jahr den gleichen grünen Pulli und müffelt. Die Mädchen stehen trotzdem auf ihn. Ich verstehe das nicht.

Prince wird an den Kartenständer gehängt und in den Schrank gesperrt. Er wehrt sich mit anstrengenden Tobsuchtsanfällen.

Die Kollegen gehen nicht gerne in meine Klasse. Ich mag meine Klasse ganz gerne, bin aber oft genervt und ständig müde. „Was soll denn aus denen werden?“ fragt mich die Deutschlehrerin. „Aus deiner Klasse wird keiner auch nur den Hauptschulabschluss machen. John vielleicht, wenn er sich anstrengen würde, aber der fängt ja jetzt an zu schwänzen….und Lady Gaga und Madonna, wenn die mal noch Frisösen werden…“

Ich sage: „Stimmt, die machen nicht gut mit im Unterricht, aber irgendwie glaube ich schon, dass aus denen noch was wird. Die haben schon Interessen. Hast du mal gesehen, wie toll Tupac tanzt und der kann sogar freestylen, das ist gar nicht so leicht.“  „Ach hör’ mir auf mit diesem Tupac, ich will unbedingt Frau Shakur beim nächsten Elternsprechtag sehen.“

Alle meckern über meine Schüler, aber ich glaube trotzdem, dass aus denen noch was wird. Auch ohne Abschluss.

Nur noch ein Jahr

Frau Dienstag erzählt mir, dass sie neulich zwei Jugendliche im Bus belauscht hat. Der eine fragte: „Was würdest du machen, wenn du wüsstest, dass du nur noch ein Jahr zu leben hättest?“

„Ich würde alle Drogen ausprobieren, die es gibt, Einbrüche machen und 1000 Nutten ficken. Und du?“

„Ich würde Leute töten, um mal zu sehen wie das ist.“

„Was sagst du denn dazu?“

„Na ich würde sagen, dass die dann wahrscheinlich ihr letztes Jahr im Gefängnis verbringen. Und man sollte die Eltern von denen anrufen und ihnen sagen, dass sie ihre Idiotensöhne auf keinen Fall von deren todbringenden Diagnose unterrichten sollten.“

Aber was würde man denn machen, wenn man nur noch ein Jahr hätte? Leute töten…tzzzz. Ich glaube ich könnte ganz gut ohne diese Erfahrung sterben. 1000 Nutten ficken… na ja, bräuchte ich wahrscheinlich auch nicht. Würde ich noch weiter zur Arbeit gehen? Wahrscheinlich. Lange Projekte gäbe es aber nicht mehr. Zu intensive Vorbereitung – lohnt sich dann auch nicht mehr. Ich frage gerade den Freund was er machen würde. Seine Antwort: „Gar nichts.“ Ich: „Gar nichts?“ „Ja, gar nichts, das ist doch der größte Luxus.“

Gar nichts…Luxus? Gar nichts – wäre ja schon mein Tod. Das kann ich doch jede Ferien haben. Davor graust es mir doch immer. Bei so morbiden Gedanken kommt man immer wieder zu dem gleichen Schluss: Man sollte das Leben einfach mal mehr genießen. Jeden Tag und jede Minute. Alles intensiv erleben und auskosten. Vielleicht auch nicht jeden Abend auf der Couch abgammeln. Und heute ist doch die beste Gelegenheit. Heute ist der 1. Mai. Frl. Krise sagt: „Grauenhaft, dass sind ja dann zwei Sonntage.“ Ich sage: Super ich muss was erleben, ich werde mir gleich mal eine schöne Nazidemo raussuchen.

Der hungrige Lehrkörper

Wenn Lehrer sich wie Schüler verhalten, sitzen sie in der Gesamtkonferenz oder im Lehrerzimmer – oder bei einer Fortbildung.

Jede dieser Situationen schmeckt dem gemeinen Lehrkörper gar nicht, denn sie widerspricht seinem Naturell. Der Lehrer ist es gewohnt vorne zu stehen und den Ton anzugeben. Die Lerngruppe zu führen, zu leiten, zu begleiten… Neuerdings soll der Lehrer Begleiter sein, Berater – sozusagen eine Art Lernkumpel und nicht mehr Führer und Chef im Ring. Wenn ich in den Klassen nicht der MC bin, dann übernimmt sofort ein Schüler diese Rolle. Dieses Problem dürfte Referendaren und Opferlehrern bekannt sein.

Jedenfalls ist der Lehrer gewöhnt den Ton anzugeben. Er bestimmt wann gearbeitet, wann gequatscht, wann geatmet und wann eingepackt wird. Setzt man den Lehrer nun in eine Konferenz oder eine Fortbildung, dann ist er nicht nur, nicht mehr Chef, sondern muss sich einem anderen Tonangeber unterordnen. Unterordnung fällt dem Lehrer schwer… kennt er nicht, braucht er nicht, will er nicht. Und so verfallen die Lehrer ins Schülerverhalten.

Da wird ständig mit dem Nachbarn getuschelt. (Scheint ja niemanden zu stören, denn der Fortbilder oder die Schulleitung ermahnen ja nicht. Also wird fleißig weitergetuschelt.)

Dann wird – was im eigenen Unterricht undenkbar wäre – gegessen, was die Tupperdose hergibt. „Ich hatte den gaaaaanzen Vormittag Unterricht und kam gaaaar nicht zum Essen…“ Komisch nur, dass die Schüler, die ja eigentlich mehr Unterricht haben, als die Lehrer, nie mit so einer Erklärung durchkommen. Und was die Lehrer so alles essen… da gibt es nicht nur die traditionellen Leberwurstbrote – da werden die feinsten Rohkostvariationen mitgebracht. Möhren, Kohlrabi, Äpfel, Ananas – alles bereits mundgerecht zerkleinert.

Neulich beobachte ich eine Kollegin (eine extrem abgemagerte), wie sie sich während einer Sitzung einen Obstsalat zubereitet. Zunächst wird das Obst zerschnippelt – eine riesige Schweinerei – dann alles in einer Plastikdose zusammengemengt und danach werden noch einige Löffel Flüssigkeit aus einer Thermoskanne drübergekippt. Immer einen Löffel Flüssigkeit (wahrscheinlich Tee), dann in dem Obst rumrühren, dann wieder Tee, dann rühren. Irgendwann war alles fertig, ihr Platz sah aus wie ein Schlachtfeld und als sie anfing zu essen musste ich mich wegdrehen. Dann aber immer wieder hingucken. Sie leckte den Löffel mit total verkniffenen Lippen ab, dass bloß nichts von ihrem grandiosen Obst-Tee Gemansche verloren ginge. Mit fasziniertem Ekel starrte ich, dann stehe ich auf, und gehe zu ihr: „Guck doch mal, was du hier für eine Sauerei auf deinem Tisch gemacht hast.“ Ich nehme die Obstabfälle und die durchweichten Taschentücher und packe sie in ihren Obstsalat, schütte den Rest ihres Tees darüber mit einem: „Vergiss nicht schön umzurühren.“ wende ich mich ab und werde von meinen Kollegen bewundernd angeglotzt.

Fazit: Wenn sich alle Lehrer in den Konferenzen wie Schüler verhalten, muss doch irgendjemand mal einen Schlussstrich ziehen und für Ordnung sorgen. Und an diesem Tag war das eben ich.

Was waren Sie für eine Schülerin?

So, die erste Woche ist rum. Juchu! Ging schnell, war leicht, hat Spaß gemacht. Danke für meine Arbeitsstelle. Diese Schüler bei uns an der Schule sind echt der Hit. Ich könnte mich den ganzen Tag über die bepfeifen. Ich frage mich immer, ob das an jeder Schule so ist. Sagt mal ihr anderen Lehrer, sind eure Schüler auch so witzig, schlagfertig, originell und noch dazu so verdammt gutaussehend? Na ja, die sehen jetzt auch nicht alle gut aus, aber die meisten holen schon ziemlich viel aus sich raus. In meiner Klasse bin ich ja die Einzige, die sich nicht so viel um ihr Aussehen kümmert. Die anderen Mädchen – halleluja! Da gibt es den Disco-Islam – alles in pink oder türkis (man revivalt die 80er – auch mit Kopftuch). Samira – eindeutig Punk-Islam – immer das Kopftuch auf halbacht, Haare hängen verschwitzt an der Seite raus. Die Klamotten cool, meistens schwarz oder grau, keine Schminke und kurze dreckige Fingernägel – genau wie ich. Meine Fingernägel sind auch PUNK. Und an manchen Morgen wünschte ich mir, ein Kopftuch über die fettigen Haare zu ziehen, anstatt sie mir um 6.10 Uhr zu waschen.

Ja, sie sind echt cool. Leider auch zu cool, um sich für irgendwas Schulisches zu interessieren. Ehrlich gesagt würde ich mich für den Unterrichtsstoff  der meisten meiner Kollegen auch nur schwer erwärmen können. Und meine Klasse hat ja auch das besondere Glück, bei ein paar echten Freaks Unterricht zu haben… da hätte ich als Schüler auch viel Stress gehabt.

Gestern fragte mich Ali aus der Zehnten Klasse, was für ein Schüler ich war.

„Wie meinst du das, Ali?“

„Na, haben Sie sich immer an alle Regeln gehalten, haben sie auch mal geschwänzt?“

„Geschwänzt… na ja…“ Ich kann ihnen ja nicht erzählen, dass ich in der Oberstufe gar nicht mehr zum Matheunterricht gegangen bin und dann auch nur 2 Punkte in Mathe hatte. „Na, ich habe jedenfalls nicht so bescheuert geschwänzt wie ihr. Nicht immer die gleichen Fächer und nur bei Lehrern, wo ich wußte, dass die nicht….“ ich begebe mich auf gefährliches Terrain. „Na ja, so schlecht kann ich ja nicht gewesen sein, ich habe ja schließlich Abitur gemacht.“

„Aber was waren Sie für eine Schülerin? Waren Sie so strebermäßig oder waren sie so Freak. So cool und checkermäßig?“

„Checkermäßig?“

„Na, so wie wir.“

„Na ja, ich habe jedenfalls nicht die 10te Klasse zweimal wiederholt wie du.“

Hätte ich mich eigentlich heute gerne als Schülerin? Ich habe heute Schüler und Schülerinnen, die so sind, wie ich als Schülerin war. Das sind die, die ich als Menschen total gut finde, die mir aber durch ihre Art fast jede Unterrichtsstunde kaputtmachen. Warscheinlich späte Rache vom Pädagogikgott. Samira, Abdul, Dirk, Dschinges… alle zeigen Verhaltensweisen von Frau Freitag als Schülerin. Sogar Mehmet. Manchmal. Der große Unterschied… keiner von denen wird Lehrerin werden. Keiner von denen wird mit 18 ausziehen und eine eigene Wohnung haben. Keiner wird durch Europa trampen und fast zwanzig Jahre studieren. Leider. Das Potenzial für so eine Biographie hätten sie alle.

Listen

Es gibt doch kaum was Schöneres als Listen:

1. Dinge die ich jeden Tag mache:

  • aus dem Bett springen bevor mich der Wecker erwischt
  • Früstücksfernsehen, Toast mit Butter und Kaffee auf den Bademantel kleckern
  • nach draußen gehen
  • öffentlicher Nahverkehr
  • Essen
  • Zähne putzen
  • Haare waschen (geht leider nicht anders – liegt an den Haaren)
  • den Bildschirm fragen: Was schreibe ich denn heute?
  • GEOSENSE
  • schlechter Unterricht
  • schlechtes Fernsehen
  • aus schlechtem Gewissen – Tagesschau
  • auf der Couch einschlafen

2. Dinge die ich jeden Tag machen sollte, die ich aber nicht mache:

  • mit dem Fahrrad zur Arbeit
  • freundlich sein zu allen, vor allem auf Arbeit
  • saugen
  • abwaschen
  • putzen
  • Schreibtisch aufräumen
  • Vorbereitung und die berühmte Unterrichtsnachbereitung
  • Zahnseide
  • Füße eincremen
  • Nägel säubern
  • im Bett einschlafen

3. Dinge für die zu können, ich alles machen würde:

  • freestylen
  • Breakdance tanzen können
  • den coolsten FLOW von allen zu haben
  • natürliche Autorität
  • Festplattenrecorder für den TV
  • jemanden der mein Fahrradschloss öffnet ohne es zu zerstören
  • eine Klasse, die sich begeistert selbst unterrichtet
  • Urlaub frühzeitig buchen können

4. Wofür ich töten würde:

  • der Hosenanzug von Dolly Parton wenn sie Jolene singt

Ich bin auch arabische Großfamilie

Arabische Großfamilien. Vielleicht bin ich ja, ohne es zu wissen auch ein Teil von arabische Großfamilie. Frau El-Freitag. Ich wach auf und bin eine von 500 Leute die alle gleiche Nachnamen haben. Ich wohne in voll großer Wohnung, nützt aber nichts, weil wir mit so viele Leute da wohn. Aber is immer was los da in unsere Wohnung. Immer viel Besuch und Tee und Essen und Musik und Fernseher. Manchmal kann ich auch an den Computer, dann chatte ich auf  MSN, aber nur bis mein großer Bruder kommt und mich wegjagt.

Am Wochenende ist immer Hochzeit von irgendein Kuseng oder Kusine. Dann machen wir Henna auf die Hände. Das hält voll lange. Geht mies schwer ab. Aber is voll schön. Und bei der Hochzeit wird immer viel getanzt und zur Hochzeit fahren wir in Autokorso mit Hupen. Macht voll Spaß. Ich mag Hochzeiten sehr gerne. Wenn ich heirate, dann in einem voll schönen Kleid. Mit Spitze hier und Rüschen da und dies, das. Und wenn wir Hochzeit gehen, dann macht mir meine Kusine die Haare. Hochsteckfrisur. Die kann das voll mies. Die geht OSZ Körperpflege. Da machen die dies den ganzen Tag. Es gibs auch Schminken da. Die könn sich da den ganzen Tag schminken und Haare schön machen. So muss Schule sein. Da würde ich auch gerne hingehen. Mach ich auch.

Aber jetzt muss ich aufhören Ahmet kommt gerade und der will chatten und da kann ich nicht mehr an den Computer.

Mehr Geld!

Eine gar nicht so schlechte Idee kam heute von Abdul: „Frau Freitag, stimmt es, dass die Lehrer mehr Geld verdienen, wenn sie viele Tadel geben?“

Ich: „Hääähhhh???? Wie kommst du denn da drauf? Abdul, wenn das so wäre, dann hättest du jetzt schon mindestens drei. Einen fürs zu spät kommen und zwei für diese bekloppte Frage.“

Ein Teil meines Gehirns nimmt allerdings den Gedanken auf und erfreut sich an der Vorstellung, das Gehalt durch Ordnungsmaßnahmen aufzubessern. Kopfpauschalen aufs „Vor die Tür schicken“, für jedes Anschreien gibt es einen Zehner extra. Da klingelt die Kasse. Den fettesten Bonus erhält der Kollege, der es schafft am Ende des Schuljahres möglichst viele Schüler von der Schule verwiesen zu haben. Jeden Nachmittag versammeln wir uns zu Klassenkonferenzen und haben Dollarzeichen in den Augen.

„Los Leute, wer stimmt für die Versetzung in die parallele Kerngruppe? Ich will nächste Woche in den Skiurlaub, also jetzt mal die Finger hoch.

„Frau Freitag, Sie sind voll streng geworden…früher haben Sie nie Tadel gegeben, jetzt immer…aber Ihre Jacke ist schön? Neu? Echtes Leder?“

„Samira! Reden ohne dran zu sein…Tadel!“

Ich muss schon zugeben, an diese Art der leistungsbezogenen Vergütung könnte ich mich gewöhnen. Ihr nicht auch?