Hier Geruch, da Fruchtfliegen

Die Eisenpflanze

Hier ist sie nun. Darf ich vorstellen: Die sehr aufdringlich riechende Pflanze. Gestern Abend war ich mit dem Freund auf einer Party und irgendwann steht er so neben mir und da war er wieder – der Metallgeruch.
„Ey, du riechst voll wie die Pflanze.“
„Ja, ich hab‘ plötzlich auch den Geruch in der Nase. Strange!“
Das kann doch nicht sein, dass wir jetzt auch nach Eisen riechen… Aber guckt sie euch doch mal an. Wie schön sie ist. Die kann ich doch nicht einfach wegschmeißen. Die gehört doch jetzt schon zu uns. Die wohnt doch schon fast eine Woche bei uns. Aber darf sie sich so olfaktorisch ausbreiten?
Jemand hatte doch die tolle Idee, sie mit in die Schule zu nehmen. Also im Klassenraum – das würde ja wenig Sinn machen und da ist ja auch schon mein Freund der Kaktus.

Der stand irgendwann im Lehrerzimmer, mit dem Schild dran: Nimm mich mit. Und ich dachte: Kaktus – na, die brauchen doch nicht viel – das kriege ich hin. Und jetzt kommt aus dem Kaktus so komischer weißer Saft raus. Irgendwie blutet der und dann produziert der auch noch winzige Fruchtfliegen, die sich auf meine Schüler stürzen. Schüler in der Nähe von Fruchtfliegen – das geht gaaar nicht. „Ihhhhhhhh!!!!! Ein Fliege!!!! Ihhhhh!!!“ und dann springen sie auf und rennen weg. Oder eine winziges Teil krabbelt auf ihrem Tisch rum – Supergau! Ich muss die Tiere dann heroisch mit den Fingern zerquetschen. Der Unterricht wird durch die Anwesenheit dieser Kaktusfliegen erheblich gestört, deshalb habe ich mir schon seit Wochen vorgenommen ihn wieder ins Lehrerzimmer zu schleppen. Scheitert leider daran, dass ich nach dem Unterricht immer erst zum Rauchen gehen muss und dann ins Lehrerzimmer.
Ich müsste den Kaktus also erst mit zum Rauchen nehmen. Und da werde ich dann bestimmt ausgelacht. Gestern grinsten ja auch alle, als ich mit den Vergleichsarbeiten unterm Arm zum Qualmen kam.

Okay, das Kaktusproblem kann ich noch lösen, aber was mache ich mit der Eisenpflanze und warum riecht die so nach Eisen? Und irgendjemand hatte doch auch die tolle Idee, die Pflanze in das Arbeitszimmer vom Freund zu stellen. Da steht sie doch schon. In der KÜCHE.

Na, ich sag mal: Frau Freitag, wenn du keine anderen Probleme als eine stinkende Pflanze hast, dann scheint deine Welt ja recht in Ordnung zu sein, oder?

Gestern Besuch – heute Geruch

Der Besuch ist weg. Aber der Besuch hinterließ Geruch! Also Wohnungen haben doch immer ihren eigenen Geruch. Man selbst merkt das nicht, aber wenn man in eine andere Wohnung geht, dann merkt man das. Bei Frl. Krise riecht es anderes als bei Frau Dienstag oder dem Musiklehrer. Bei uns in der Wohnung riecht es wie bei „Familien im Brennpunkt.“ Total verqualmt. Nichts für Asthmatiker. Alles riecht nach Rauch und alten Kippen. Kommt vom Rauchen.

Nur ich rauche – der Freund nicht – jedenfalls nicht aktiv. Ja, ist große Liebe, dass er trotzdem bei mir bleibt, wo ich so ein Aschenbecher bin. Also, bei uns riecht alles nach kaltem Rauch. Früher haben die Schüler manchmal gesagt:“Die Arbeitsblätter riechen verbrannt!“ Das war, als ich noch alles mit meinem eigenen Drucker ausdruckte. Diese Zeiten der qualmenden ABs sind nun vorbei, denn heute wird in der Schule kopiert. Und die Schüler sollen sich mal nicht so anstellen, wenn mal was ein bisschen verraucht riecht. Unsere Arbeitsblätter rochen früher nach Schnaps. (Bitte, bitte, laßt euch jetzt mal nicht über die Matrizen-Zeit aus. Ja ja, wir sind alle voll alt und Dolomiti und Brauner Bär waren lecker und Skippy und Flipper. Laßt uns mal hier im heute und jetzt leben!)

Also, wo war ich? Habe mich eben irgendwie in eine Querstraße manövriert. Ach ja, also bei uns riecht die Wohnung eigentlich nach Rauch. Aber seit der Besuch da ist riecht die Wohnung ganz anders. Im Bad und in der Küche ist seitdem dieser Metallgeruch. Hmmm denke ich, so riecht das doch sonst nicht hier. Muss irgendwie am Besuch liegen. Vielleicht verströmt der sowas Metallisches.

Nun ist der Besuch heute morgen abgereist und ich komme nach Hause und es riecht immer noch so. Der Freund leert den Müll und bringt ihn raus. „Sag mal, riechst du das nicht, wie komisch es hier müffelt?“ Ich wittere durch das Bad und zurück in die Küche. Stele Vermutungen auf. Mein Freund sagt: „Du spinnst.“

Dann sitze ich mit Vera 8 in der Küche und da ist er wieder – dieser Eisengeruch. Und plötzlich merke ich was es ist: Die Pflanze, die uns der Besuch mitgebracht hat. Die hat so kleine weisse Blüten und die riechen so komisch. Der Geruch macht mich ganz irre. Was soll ich denn jetzt machen? Soll ich die Pflanze wegschmeißen? Kann man doch nicht bringen. Ich glaube ich muss einfach mehr rauchen, damit das Metall weggeht.

Relaxed

Jajaja, PFEILEN hahahaha hat sie mal wieder einen Fehler gemacht hahahahaha. Ist doch egal, wie man das schreibt – ihr wisst doch was ich meinte und ich finde man kann ruhig pfeilen schreiben. So spreche ich das auch aus. Und ich sage und schreibe auch: er rühert in seinem Kaffee. Lacht nur, ihr Schlaumenschen. Ihr Fehlerlosen. Na und – bin ich halt schlecht in Rechtschreibung – muss man auch gar nicht gut sein drinne. Man kann auch ein Buch schreiben und Rechtschreibung gar nicht so gut können. Alles Schuld meiner Grundschullehrerinnen. Egal jetzt. Zurück zu den wichtigen Themen des Lebens: Meine Haare.

Meine Haare kamen sehr gut an bei den Schülern:
„Frau Freitag, haben Sie neue Haare?“
„Neu? Nee, sind noch die alten, aber geschnitten.“
„Waren Sie heute morgen beim Friseur?“
„Heute morgen? Es ist jetzt halb neun, wann soll ich denn da gewesen sein? Ich war gestern.“
Volkan hoch erfreut: „Ahhhhh, Sie haben die Haare geschnitten. Und gefärbt, ich sehe.“
Drei Mädchen aus der Siebten: „Neue Haare. Schön. Sehr schön.“
„Ihre Haare sehen so…so…so relaxed aus.“

Und das tun sie auch – Meine Haare sehen echt voll relaxed aus! Und ich bin auch relaxed. Ich bin so relaxed – ich könnte auf der Stelle einschlafen. Geht aber nicht – wir haben Besuch. Besuch hat Kopfschmerzen und schläft gerade. Besuch haben ist toll, weil man dann auch immer saubere Wohnung hat – endlich! Aber Besuch haben ist auch anstrengend, weil man immerzu labern muss und rumlaufen und hierhin und dahin und nicht wie sonst zweieinhalb Tage faul auf der Couch rumhängen kann. Zuviel auf der Couch hängen ist ja auch nicht gut – wegen offner Rücken. Aber ich sag euch – Besuch haben und dann einen Montag in der Schule – so ganz ohne relaxed zu haben…

Ich hatte schon vor Wochen Angst davor: „Das packe ich doch nicht. Das ganze Wochenende Action und dann der Monatag, uähhhhh, das halte ich doch nicht durch…“
Und dann heute: ich voll relaxed, meine Haare sowieso und voll freundlich war ich auch und dann haben netterweise auch noch Hamid und Anil gefehlt und meine Klasse war ein süßer, sedierter Haufen leistungswilliger kleiner Zwerge, die alles gemacht haben, was ich wollte. Heaven! Dann zweite Stunde Kunst in einer recht unruhigen Siebten: ich wieder voll relaxed und nett und schon leicht müde – flutschte auch super über die Bühne. Und so ging das dann den ganzen Tag weiter. Sogar die letzte Stunde lief in völlig geordneten Bahnen, die Schüler haben toll und sehr leise gearbeitet.

Ich habe mir jetzt für jedes Wochenende Besuch eingeladen: Immer saubere Wohnung und immer relaxed. Super.

Changes!

Hups, gar keine grauen Haare mehr! Ich sehe mindestens 30 20 naja sagen wir 10 Jahre jünger aus. Wurde auch mal Zeit. Wie ich seit Monaten rumlaufe – ging ja gar nicht mehr. Und jede dritte Stunde, wenn mir Volkan aus meiner Klasse vor der Nase saß, wurde meine Erscheinung von ihm genaustens inspiziert. Volkan mein Fashion-Feedback. Sein Urteil wurde immer schlimmer. Erst inspiziert er mich eine Viertelstunde und dann kommt:
„Was haben Sie da am Kinn?“
„Was ist mit Ihrer Nase? Sind sie erkältet?“
„Sind Sie krank? Oder Müde, Sie sehen so komisch heute aus.“

Und neulich meint er ganz entsetzt:
„Sie haben ja VOLL die grauen Haare. Wie alt sind Sie eigentlich?“
Wenn ich ihm anbiete ihn mal zu spiegeln, dann hat er dadran kein Interesse. Hoffentlich fällt ihm morgen auch auf, wie jugendlich frisch ich aussehe.

Die Frisöse meines Vertrauens hat ja eine Karteikarte mit meinen Date – also da wird wohl notiert, welche Farbe sie mir mir auf den Kopf geklatscht hat. Irgendwie wie beim Arzt, wo drauf steht, was man schon alles hatte. Vielleicht notieren die sich auch nur, wieviel Trinkgeld man gegeben hat. Jedenfalls bekomme ich beim Durchkämmen heute ein vorwurfsvolles: „Du warst ja auch vor acht Monaten das Letze Mal hier.“ Ich denke: ACHT Monate????? Kann nicht sein. Aber kann wohl doch. Und zur Strafe läßt sie mich mit den glattgekämmten grauen, splissigen Haaren und MITTELSCHEITEL erst mal vor dem Spiegel sitzen. Lernziel: Nun guck‘ dir mal genau an, wie scheiße du aussiehst. Innerlich schwöre ich mir, jetzt alle sechs Wochen zu kommen. Im Geist rechne ich schon, wann das sein wird. Osterferien, naja, okay, geh‘ ich halt direkt nach den Ferien.

Wenn ich da an Marcella denke, die eigentlich jeden Tag mit einer neuen Frisur in die Schule kam… jetzt hat sie zwar keinen Schulabschluss, aber sie sah immer super aus. Ich schaffe das einfach nicht, zum Frisör zu gehen, genauso, wie ich es nicht schaffe mir regelmäßig die Fingernägel zu schneiden. Aber während ich da schuldbewußt zwei Stunden unter meinem Umhang saß habe ich mir geschworen noch heute abend meine Fingenägel zu schneiden und ZU PFEILEN – und zwar, wenn Germany’s next Top-Model läuft. Paßt doch.

Und ich bin auch wieder voll informiert, was das Leben der Reichen und Schönen angeht: Sechs InTouch-Hefte habe ich gewissenhaft durchgearbeitet. Fragt mich! Ich weiss alles!

Ich bin voll auf dem Laufenden, was Demi Moores Töchter angeht – die leiden seit der Trennung von Ashton – vor allem die Jüngste – Tahulla oder heißt die Tahhula? Und ich weiss auch, das Blake (Serena von Gossip Girl) keine Jobs mehr bekommt, weil sie anderen Frauen die Männer ausspannt – z.B. den von Sandra Bullock – aber nicht den Schläger, den danach. Und Madonna versteckt in der Öffentlichkeit ihre Hände, denn wir wissen ja alle, dass die Hände das wahre Alter zeigen. Also bei mir haben meine kaputten grauen Haar mehr verraten, als meine Hände.

Ich bin so stolz auf mich, dass ich das mit den Haaren endlich erledigt habe. Aussehen ist wirklich ALLES!!! Wenn meine alte Klasse nichts von mir gelernt hat – ihre Message sickert langsam bei mir rein.

Das Gehirn, das ICH und das ES

„Das habe ich dann gedacht, mit meinem kleinen Gehirn.“ Im Bus sitzt mir dieser kleine Junge gegenüber, der unheimlich laut mit seinem großen Bruder spricht. „Ich habe mir gedacht, dass man die Finger nicht in die Scheibe machen soll. Mein kleines Gehirn hat mir das gesagt.“ Jetzt guckt er zu seinem Bruder. Ich habe Kopfschmerzen. Dieser Junge – keine Schneidezähne, aber ein Organ wie ein Dreimetermann. Den ganzen Kopf voller Locken. Erst hat er alle Busstationen aufgesagt. Als hätte das jemanden interessiert. Mein Kopf! Aua. Und jetzt kommt er mit dem Gehirn und diesen „Der Siebte Sinn“-Tipps – nicht die Finger in die Scheibe tun… der kleine Bruder von Susanne Klickerklacker. Als er wieder mit „Mein kleines Gehirn…“ ausholt, muss ich aussteigen.

Aber den ganzen Weg nach Hause denke ich über ihn und sein kleines Gehirn nach. „Mein Gehirn hat mir das gesagt.“ Spricht denn das Gehirn mit einem? Was ist das für eine komische Abkopplung eines Körperteils?

Mir hat mal ein Schüler ernsthaft nach einer Schlägerei gesagt: „Ich war das nicht. Meine Hand hat ihn geschlagen. Was kann ich dafür?“

Vielleicht hilft ja ein wenig Abspaltung: „Mein Lehrerich hat heute schlecht unterrichtet – hat nichts mit mir zu tun.“
„Aber Herr Schulleiter – ich war nicht zu spät. Das war doch nur mein Körper, der noch nicht anwesend war, als es klingelte. Ich war pünktlich.“

Würde man den Körper oder einzelne Teile von ihm, mehr abspalten, dann würde das mit dem Altern auch nicht so nerven. „Der Arsch hängt, die Haut auch, aber ICH seh immer noch super aus.“

Jetzt mal Precht-mäßiges Abspinnen – der scheffelt da Millionen, mit seinem Philosophiegefrage – das kann ich doch auch.

Ist das Ich, der Körper oder nur der Geist und was ist mit dem Es und dem Du, Er, Sie, Wir, Sie? Gilt hier auch he, she, it, das ES muss mit? (kleiner interdisziplinärer Joke.)

Jajaja, ich tu‘ hier so intellektuell und eigentlich will ich nur schnell fertig schreiben, damit ich mir PROMINENT auf Vox Now angucken kann, denn ich muss unbedingt wissen, ob die anderen Mädchen diese Samantha fertig gemacht haben, denn das sind die Fragen, die mich wirklich interessieren. Sagt mir jedenfalls mein kleines Gehirn.

Jetzt – geht’s – lo-oos

„Frau Freeeeiiiiiitag, wie kann ich ein Mädchen töten?“ Leila aus der Siebten latscht mit ihrer Freundin Rascha über den Gang. Ich schließe gerade meinen Raum zu und will ins Lehrerzimmer.

„Na erstmal musst du ihr die Schminke wegnehmen.“ schlage ich vor.
Leila grinst: „Sehr gut!“
„Und dann würde ich ihr die Haare abschneiden. Und dann würde ich so machen…“ ich nehme Leila in den Schwitzkasten „und dann kannst du ihren Kopf gegen die Wand… äh, guten Tag…“ Mist, Herr Johann kommt um die Ecke und sieht uns. Ich lasse Leila wieder los.
Sie stellt sich vor mich, hebt den Zeigefinger: „Frau Freitag, Sie bekommen eine Eins!“ Dann sackt sie wieder in sich zusammen: „Diese scheiß Schlampe hat mir einen Jungen ausgespannt. Können Sie uns das Klo aufschließen?“
Ich schließe auf.

„Leila, weisst du was du da machen musst?“
„Nein. Sagen Sie!“
„Du musst ihn ignorieren. Tu so, als würde dir das alles nichts ausmachen.“
„Ja ja!“ sagt Rascha jetzt „Mach so wie wenn er Luft ist. Guck, du gehst so an ihn vorbei.“ Sie demonstriert uns, wie man das machen muss. Arroganter, kurzer Blick und dann die kalte Schulter zeigen.

Mit einem:“So, aber im Klo nichts an die Wände schmieren“ übergebe ich sie wieder in ihre eigene kleine Welt und gehe ins Lehrerzimmer.

Jungs ausspannen… tzzzz, jetzt kommt sie langsam, die heiße Phase der Pubertät. Auch in meiner Klasse rumort es. Da wird gekichert, Sachen werden weggenommen und Gülistan schreit in fast jeder Stunde, dass ihr Orkan irgendwas getan hat. „Er hat mich angemalt, er hat mir meinen Stift geklaut, er hat meine Federtasche…“ Und heute sah ich es ganz deutlich: Orkan steht auf Gülistan. Nach dem Unterricht stellen die Mädchen mit mir die Stühle hoch.

„Sag mal Gülistan, Orkan, der will was von dir dir, oder?“
Sie grinst. Die anderen Mädchen halten den Atem an. „Frau Freitag, er hat auf Facebook gefragt, ob ich mit ihn gehen will. Aber Frau Freitag, wissen Sie, er ist voll pervers.“

Tja, da muss der Orkan wohl noch an seinem Verhalten arbeiten. Nur Sachen wegnehmen und das Mädchen anmalen reicht wohl nicht. Vielleicht mal die Ausdrucksweise justieren, denn meine Mädchen sind noch sehr etepete und das ist auch gut so. Die sollen mal nicht nachgeben. Sollen die Jungs doch aufhören mit ihren schweinischen Sprüchen – da stehen die Mädchen nie drauf. Vielleicht muss ich denen auch mal ein paar Tipps im Umgang mit den Mädchen geben. Hamid hat sich heute auch die ganze Zeit im Spiegel angeguckt, bis ich ihm den mit der Begründung: „So, schön genug!“ weggenommen hab. Was ich erst später sah, er hatte sich die Haar irgendwie anders gekämmt. Neuer Look – für neuen Eindruck. Geht es bei dem wohl auch los.

Kurz bevor es zur nächsten Stunde klingelt gehen die Mädchen. Kübra ist die letzte. Sie ist sooo süß, mit ihrer Brille und ihrem Kopftuch und trotzdem hat sie es faustdick hinter den Ohren.
„Kübra, wart‘ mal kurz.“ Sie dreht sich an der Tür noch mal um.
„Gülistan steht doch auch auf Orkan, oder?“
Sie grinst und flüstert: „Ich glaub‘ schon.“

Wenn die Störung kommt

Manchmal sind die letzten Stunden echt das Letzte. Heute mit Mädchencatchen. Ganz ehrlich… ich hätt‘ auch gut ohne weiterleben können.

Die Stunde fing ganz hoffnungsvoll an: Ich, voll schon in der Pause drinne und langsam trudeln ein paar Siebteklecker rein und setzen sich teilweise auf ihre Plätze oder stehen vorne bei mir. Ibo – der sich langsam zu meinem Lieblingsschüler entwickelt – steht vor mir, singt: „Ai se eu te pego,… nossa, nossa…“ und tanzt dazu. Ich grinse und sortiere meine Unterrichtsplanung auf dem Tisch. Alles ist friedlich, die Sonne scheint durch die Jalousien und ich habe einen Anflug von Entspannung. Es klingelt. Die Schüler schleichen auf ihre Plätze.

„So, ich mache mal die Anwesenheit, dann fangen wir an.“ sage ich und gucke mich um. Es sind nur sieben Schüler da. „Äh, wo sind denn alle?“
„Die schwänzen.“
Über 13 Schülerinnen und Schüler fehlen. Plötzlich kommt Benita rein und guckt giftig zu Saira.

Die schreit gleich los: „WAAAAS???? WAAAASSSS????“
Und Benita schreit sofort zurück, dann wieder Saira und plötzlich beide gleichzeitig. Schrill und unglaublich laut. Man versteht nicht, was sie eigentlich sagen. Alle anderen Schüler und ich gucken uns ungläubig an. Ich sehe zu Ibo und singe leise: „Nossa… nossa.“

Benita hört plötzlich auf zu schreien und fragt mich, ob ich mal kurz mit vor die Tür kommen könnte. Draußen erzählt sie, dass Saira auf Facebook lauter scheiße über sie schreibt und sie jetzt zu ihrer Klassenlehrerin gehen will, um ihr das zu erzählen.

„Aber Benita, die ist doch schon weg. Komm mal jetzt mit rein und setz dich ganz nach hinten. Du kannst ja erstmal alles genau aufschreiben.“ SCHREIBEN!
Benita guckt mich entsetzt an und fragt:“ Können Sie das nicht aufschreiben?“ Benita ist keine Freundin des geschriebenen Wortes – sie ist eher eine Anhängerin des geschrienen Wortes.
„Nein, kann ich nicht, denn ich weiss ja gar nicht, was los ist und außerdem möchte ich jetzt Unterricht machen.“

Wir gehen wieder rein und sobald Benita im Raum ist schreit sie wieder los. Plötzlich kommt Saira auf sie gestürzt und zieht ihr an den Haare. Ich stehe hinter den Mädchen und starre sie an. Sie schlagen sich nicht richtig, sondern greifen sich nur gegenseitig in die Haare und ziehen daran. Ein bizarres Schauspiel. Ich bin genervt. Meine aufkeimende Entspannung ist futsch. „Benita, geh‘ jetzt mal doch raus und such deine Klassenlehrerin.“

Irgendwann geht sie. Kurz danach geht auch Saira einfach raus. Ich fange mit dem Unterricht an. Plötzlich steht Gamze auf – Benita hätte noch ihr Handy, also geht sie auch raus. Fünf Minuten vergehen, wir haben gerade alle die Seite im Buch gefunden, die ich heute besprechen wollte, da geht die Tür auf und sieben Schüler erzählen mir, dass sie einen Kampf zwischen Benita und Saira schlichten mussten und deshalb zu spät seien. Dass sie ohnehin zu spät waren, da sich der Kampfanfang ja nach Unterrichtsbeginn in meinem Raum zugetragen hat, leuchtet ihnen nicht ein. Ich verfrachte sie an die leeren Tische und will weiter unterrichten, allerdings müssen ja jetzt die Neuigkeiten von Benita und Saira ausgetauscht werden. Alle quatschen durcheinander und Damla summt: „I will always love you“ vor sich hin.

Ich kann nicht mehr. Unterricht ist nun gar nicht mehr möglich. Wie heißt es so schön: „Störung geht vor.“ Aber was ist, wenn es nur noch Störung gibt?
„Okay, Blätter raus, ich schreibe die Sätze an die Tafel. Ihr schreibt die ab und ich will jetzt NICHTS mehr hören! DAMLA hör auf dieses blöde Lied zu summen!“
„Tschuldigung!“
Irgendwann schreiben sie und es wird wieder still. Ich gucke zu Ibo. Der grinst mich an und singt leise: „Nossa… nossa… assim você me mata, ai se eu te pego…“

Wulffen lohnt sich nicht

„Weiss jemand, wer Christian Wulff ist?“ frage ich in der Siebten Klasse, in der wir eigentlich noch die Steigerung der Adjektive durchkauen.
„Fußballspieler?“
„Nein.“
„Ein Schauspieler?“
„Nein, auch nicht. Kinder, das ist ein Politiker, der…“
„Ich kenn den!“ schreit Marvina „Der ist Minister!“
„Nein, also der war mal Minister. Also ganz von vorne. Bitte alle zuhören. Das ist jetzt wichtig, dass ihr das versteht, ihr sollt ja auch nicht doof sterben, wie meine Mutter immer sagt.“
„Lebt Ihr Mutter noch?“ fragt Ibo.
„Ja, tut sie. Also, wer weiß, wer Frau Merkel ist?“
„Bundesministerin!“ schreit Silla
„Nein Mann, die ist die Bundeskanzlerin.“ sagt Karim schon leicht genervt „Und Christan Wolf ist Bundespräsident.“
„Wulff. Ja, der ist Bundespräsident. Stimmt. Und gestern Abend ist was ganz wichtiges passiert. Hat das jemand mitbekommen?“
Etwas Wichtiges sei passiert – jetzt hab ich sie. Gebannt starren sie mich an.
„Was denn???“ will Ibo stellvertretend für alle wissen.
„Ist er gestorben?“
„Diese Witty ist gestorben, kennen Sie Frau Freitag?“
„Whitney Housten, ja, die ist gestorben, aber das war nicht gestern.“

„Ahhhh, ich weiss, ist das der, der abgeschrieben hat?“ fragt Merve.
„Nein, das war Guttenberg, aber der Herr Wulff hat auch was gemacht und deshalb Ärger bekommen. Habt ihr da mal irgendwas in den Nachrichten drüber gehört?“
Ibo meldet sich: „Der hat was gegen Moslems ge…“
„Nein, das hat nichts mit Moslems zu tun.“
„Ach, ich weiss, der der hat was in der Zeitung geschrieben, was nicht stimmte, oder nein, die Zeitungen haben was geschrieben was falsch war.“

„Halt, halt, halt, jetzt mal langsam, jetzt bringt ihr alles durcheinander. Der hat was gemacht, was man Vorteilsnahme nennt. Könnt ihr euch vorstellen, was das ist?“
„Schummeln?“
„Betrug?“
„Also, stellt euch mal vor, ich gehe zum Schulleiter und sage: Herr Kaleu, gucken Sie mal, ich habe montags immer keine Lust in die Schule zu gehen, hier sind 200Euro. Geben Sie mir doch einfach immer Montags frei. Darf der Schulleiter sowas machen?“
„Nein!!!! Bestechung!!!!!“ schreien mir einige Schüler entgegen.
„Genau. So eine Art Bestechung. Das ist verboten.“ Ich erzähle von dem Hotel-Film-Deal, erkläre Immunität und fühle mich wie Sokrates. Endlich bringe ich Schülern mal was Lebensnahes bei. Alle hören mir aufmerksam zu. Ich schließe meinen Vortrag mit einer Art Hausaufgabe:
„Guckt mal heute Abend die Nachrichten, der Herr Wulff wird bestimmt zurücktreten von seinem Amt als Bundespräsident.“
„Welche Nachrichten? Pro7?“ fragt Ali
„Egal welche, das läuft heute überall. Und ihr wisst dann auch worum es geht. So und jetzt holt mal eure Hausaufgaben raus – ihr solltet die Verbesserung von dem Test machen.“
„Das mit die Adjektive?“

Kalt fetzt nicht!

Die Heizung ist kalt. Die Heizung ist kalt, weil sie kaputt ist. Momentan sitze ich in der Küche und die müde Februarsonne wärmt mir netterweise den Rücken. Warme Suppe habe ich auch schon gegessen und heißen Kaffee trinke ich und warme Zigar. „Ja ja, in der Küche ist es noch schön warm…aber geh mal in dein Zimmer!“ sagt der Freund. Mach ich mal lieber nicht – in mein Zimmer gehen.

„Na heute Nacht wird es bestimmt schön kalt.“ kichert mir Frl. Krise freudig durchs Telefon entgegen. Warum muss eigentlich bei uns jedes Jahr die Heizung kaputtgehen. Wenn die Sonne hier gleich hinter dem Haus verschwindet, dann gehe ich aber schnell in die Badewanne und da bleibe ich dann bis morgen früh. Vielleicht sollte ich das Wochenende in der Schule verbringen.

Mist, jetzt ist die Sonne fast weg. Wird schon kälter. Man merkt immer erst, was für einen Luxus man in der Wohnung hat, wenn eine der Bequemlichkeiten nicht mehr funktioniert. Oh Mann, das klingt wie Eldas Statuseinträge bei Facebook: „Wenn ein Junge seine Freundin wie eine Prinzessin behandelt, dann weiss man, dass er von einer Königin großgezogen wurde.“ Diese Weisheiten schreiben die ja dauernd. Und alle kommentieren dann mit: „voll schöön, vallah“ oder „wie recht du hast.“ Und eigentlich heißt doch der Spruch nur: Königin hat Sohn wie Prinzen erzogen und wir können uns dann mit 12 Prinzen in einer Klasse rumschlagen.

Wenn die Königinnen (also die Mütter) wüßten, wie sich ihre Hamids, Alis, Hakans und wie sie alle heißen bei uns benehmen, ich glaube sie würde vor Scham im Boden versinken. Ich frage mich ja manchmal, ob die sich auch so benehmen würden, wenn ihre Familien nicht nach Deutschland ausgewandert wären. Also, wenn sie noch im Gazastreifen, Im West-Jordan-Land, im Libanon, im Irak oder in der Türkei zur Schule gehen würden. Benähmen die sich dann auch so unverschämt? Liegt das nun an uns Lehrern?

Naja lässt sich ja nicht rausfinden und wir müssen wohl einfach mit denen weiterarbeiten und abwarten, was draus wird. Die Jungs in meiner Klasse sind ja eigentlich auch nicht frech oder unverschämt. Aber die kleinen Fuzzis aus den anderen Siebten, die ich gar nicht kenne, alter Falter sind die manchmal krass. Ich bin immer völlig geplättet, was die sich da rausnehmen auf dem Hof.

So, jetzt wird das hier zu kalt und ich habe ja auch gar nichts mehr zu sagen. Mein Hirn friert auch schon. Badewanne here I come!