Wenn die Störung kommt

Manchmal sind die letzten Stunden echt das Letzte. Heute mit Mädchencatchen. Ganz ehrlich… ich hätt‘ auch gut ohne weiterleben können.

Die Stunde fing ganz hoffnungsvoll an: Ich, voll schon in der Pause drinne und langsam trudeln ein paar Siebteklecker rein und setzen sich teilweise auf ihre Plätze oder stehen vorne bei mir. Ibo – der sich langsam zu meinem Lieblingsschüler entwickelt – steht vor mir, singt: „Ai se eu te pego,… nossa, nossa…“ und tanzt dazu. Ich grinse und sortiere meine Unterrichtsplanung auf dem Tisch. Alles ist friedlich, die Sonne scheint durch die Jalousien und ich habe einen Anflug von Entspannung. Es klingelt. Die Schüler schleichen auf ihre Plätze.

„So, ich mache mal die Anwesenheit, dann fangen wir an.“ sage ich und gucke mich um. Es sind nur sieben Schüler da. „Äh, wo sind denn alle?“
„Die schwänzen.“
Über 13 Schülerinnen und Schüler fehlen. Plötzlich kommt Benita rein und guckt giftig zu Saira.

Die schreit gleich los: „WAAAAS???? WAAAASSSS????“
Und Benita schreit sofort zurück, dann wieder Saira und plötzlich beide gleichzeitig. Schrill und unglaublich laut. Man versteht nicht, was sie eigentlich sagen. Alle anderen Schüler und ich gucken uns ungläubig an. Ich sehe zu Ibo und singe leise: „Nossa… nossa.“

Benita hört plötzlich auf zu schreien und fragt mich, ob ich mal kurz mit vor die Tür kommen könnte. Draußen erzählt sie, dass Saira auf Facebook lauter scheiße über sie schreibt und sie jetzt zu ihrer Klassenlehrerin gehen will, um ihr das zu erzählen.

„Aber Benita, die ist doch schon weg. Komm mal jetzt mit rein und setz dich ganz nach hinten. Du kannst ja erstmal alles genau aufschreiben.“ SCHREIBEN!
Benita guckt mich entsetzt an und fragt:“ Können Sie das nicht aufschreiben?“ Benita ist keine Freundin des geschriebenen Wortes – sie ist eher eine Anhängerin des geschrienen Wortes.
„Nein, kann ich nicht, denn ich weiss ja gar nicht, was los ist und außerdem möchte ich jetzt Unterricht machen.“

Wir gehen wieder rein und sobald Benita im Raum ist schreit sie wieder los. Plötzlich kommt Saira auf sie gestürzt und zieht ihr an den Haare. Ich stehe hinter den Mädchen und starre sie an. Sie schlagen sich nicht richtig, sondern greifen sich nur gegenseitig in die Haare und ziehen daran. Ein bizarres Schauspiel. Ich bin genervt. Meine aufkeimende Entspannung ist futsch. „Benita, geh‘ jetzt mal doch raus und such deine Klassenlehrerin.“

Irgendwann geht sie. Kurz danach geht auch Saira einfach raus. Ich fange mit dem Unterricht an. Plötzlich steht Gamze auf – Benita hätte noch ihr Handy, also geht sie auch raus. Fünf Minuten vergehen, wir haben gerade alle die Seite im Buch gefunden, die ich heute besprechen wollte, da geht die Tür auf und sieben Schüler erzählen mir, dass sie einen Kampf zwischen Benita und Saira schlichten mussten und deshalb zu spät seien. Dass sie ohnehin zu spät waren, da sich der Kampfanfang ja nach Unterrichtsbeginn in meinem Raum zugetragen hat, leuchtet ihnen nicht ein. Ich verfrachte sie an die leeren Tische und will weiter unterrichten, allerdings müssen ja jetzt die Neuigkeiten von Benita und Saira ausgetauscht werden. Alle quatschen durcheinander und Damla summt: „I will always love you“ vor sich hin.

Ich kann nicht mehr. Unterricht ist nun gar nicht mehr möglich. Wie heißt es so schön: „Störung geht vor.“ Aber was ist, wenn es nur noch Störung gibt?
„Okay, Blätter raus, ich schreibe die Sätze an die Tafel. Ihr schreibt die ab und ich will jetzt NICHTS mehr hören! DAMLA hör auf dieses blöde Lied zu summen!“
„Tschuldigung!“
Irgendwann schreiben sie und es wird wieder still. Ich gucke zu Ibo. Der grinst mich an und singt leise: „Nossa… nossa… assim você me mata, ai se eu te pego…“

Allgemein

16 Gedanken zu “Wenn die Störung kommt

  1. Manchmal hat das Leben einen eigenen Soundtrack – Nossa heißt Wahnsinn, oder? 😉 Nicht unterkriegen lassen, das sind nur die aufkeimenden Frühlingsgefühle…

  2. wenn das die Vorboten der Frühlingsgefühle sein sollen, Tolkienist, dann will ich nicht dabei sein, wenn sie sich voll entfalten.
    So ein Zickenkrieg unter Mädchen ist stressiger, als wenn Jungs sich in den Haaren haben. Die Mädchen giften heimlich weiter, die Jungs haben dies selten in ihrem Repertoire.

  3. Da ich lange nicht hier war und deshalb ein wenig unsicher hinsichtlich der Ibo Aussage bin: hat er sich tatsächlich ein wenig geändert?

  4. Ich dachte, dass das Verwenden der No-Woman-No-Cry-Harmonien mittlerweile gegen die Genfer Konventionen verstößt. Aber Irrtum – hier sind sie schon wieder, einfältig und uninspiriert wie bei den 1000 Liedern zuvor.

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