Au Kacke die Backe

Jetzt habe ich den Salat. Während sich hier alle noch aufregen – über die Jacke – schwillt die Backe. Heute morgen wache ich auf und sehe noch genauso scheiße aus wie gestern. Einseitige Elefantitis, als hätte ich das gesamte Abendessen von gestern und vorgestern in meiner Backe gebunkert. Also war ich heute auch nicht auf Arbeit. Dafür war ich bei der Bank. Mal kurz raus, dachte ich – draußen wird die Backe ja von selbst gekühlt.

„Hallo, ich bin Lehrerin und ich bräuchte so ein kostenloses Konto, wo ich Geld hin überweisen und es dann abheben kann. Früher hießen die Klassenfahrtskonten. Haben Sie so was?“
Der Bankangestellt lehnt sich zurück. Er trägt einen Anzug – nicht ungewöhnlich für einen, der in einer Bank arbeitet. Ich trage eine Mütze, die ich jetzt auch nicht absetzen will, weil ich mir die Haare nicht gewaschen habe. Ich habe auch noch das T-Shirt an, in dem ich geschlafen hab‘ – eigentlich bin ich ja krank und liege den ganzen Tag auf der Couch. Ich wollte ja nur mal kurz raus.

„Also, so ein Konto… da soll Geld hin überwiesen werden? Aber nicht Ihr Geld.“
„Nein, also, das Geld kommt von der Schule.“
„Von der Schule?“
„Ja, also, vielleicht haben Sie davon gehört, es gibt doch jetzt so ein Bildungs- und Teilhabepaket – da bekommen Kinder von Hartz 4 Empfängern die Ausflüge bezahlt und die Klassenfahren und so. Und da wird dann das Geld vom Jobcenter zur Schule überwiesen und dann auf das Konto der Lehrer und ich hebe es dann ab und gebe es den Kindern zurück. Ich will da aber nicht mein Girokonto für nehmen.“
„Aber haben Sie das schon mit dem Finanzamt besprochen?“
„Finanzamt? Wieso Finanzamt?“
„Na, da fallen doch Zinsen an und die Bank muss das doch dann an das Finanzamt melden. Und dann müssen Sie erklären, wo sie das Geld herhaben.“
„Wieso Zinsen, das Geld kommt da rauf und ich hebe es doch sofort wieder ab.“
„Ja aber da fallen ja Zinsen an. Vielleicht nur 10 Cent. Aber immerhin. Das müssen wir dann dem Finanzamt melden.“
Hä? Was erzählt der denn da. Der hat vielleicht auch falsche Vorstellungen darüber, wie viel Geld bei so einem Wandertag zusammenkommt. Oder hat er nur keinen Bock, mir ein Konto einzurichten. Er lehnt sich in seinem Drehstuhl nach hinten. Ist so ein Stuhl, wo die Lehne flexibel ist. Er hat seinen silbernen Kugelschreiber in der Hand und spielt mit dem rum. Ich denke nach. Er starrt mich an.
Plötzlich beugt er sich vor: „Hatten Sie einen Zahneingriff?“
Ich fass sofort an meine geschwollene Backe. Die ist total heiß. „Äh ja, ein Implantat. Vorgestern.“
„Oh ja, das kann schlimm sein. Das dauert. Damit hat meine Schwägerin Wochen zugebracht.“
„Wochen????“
„Ja, aber da war auch alles vereitert.“
Vereitert denke ich. Ich will nur noch raus. Der Kiefer puckert.
Er erhebt sich und kommt auf mich zu: „Fragen Sie erst mal bei Ihrem Finanzamt nach. Dann machen wir so ein Konto. Aber Sie sollten sich wirklich vorher erkundigen.“
„Hmmm, mach ich – danke.“
Ich gebe ihm die Hand und gehe.
Später denke ich: Eigentlich unverschämt, was der da gesagt hat – was wäre denn gewesen, wenn ich immer so schräg aussehen würde. „Nein, keine OP. Ich habe so ein einseitig aufgedunsenes Gesicht. Haben Sie was dagegen?“

Momentan sieht es nicht so aus, als wenn die Backe wieder abschwellen will. Ich wollte eigentlich morgen wieder zur Schule gehen, aber eine Freundin, die mich gerade kurz besucht hat meint, dass meinen Schülern wahrscheinlich die geistige Reife fehlt, um angemessen mit meinem Anblick umgehen zu können. Vielleicht hat sie recht – wenn schon der Banker nicht an sich halten konnte, würden das dann Ibo, Kufa und Anil schaffen?

Easy Listening und Heavy Breathing

„Und hier, warten Sie, ich schreibe Ihnen noch meine Privatnummer auf. Da können Sie mich JEDERZEIT anrufen.“ sagt Dr Müller-Meyer-Wohlfahrt und schiebt mir den Zettel mit den How-to-behave-after-getting-an-implant-regeln rüber. Ich schiele kurz drauf, um ihn nicht angucken zu müssen. Mein Mund ist von der Betäubung noch völlig schief. Im Flur hängt ein Spiegel und ich hab voll schock gekriegt, als ich mich sah. Da bin ich eben 30 Jahre gealtert. Ich sehe aus wie nach einem Schlaganfall.
Während ich noch lese: „5 Tage nach der OP keinen Alkohol trinken und nicht rauchen“ gucke ich kurz zu Dr Müller-Meier-Wohlfahrt. Er steht immer noch neben mir und faselt irgendwas über Antibiotika. Ich will mich bei ihm bedanken. Ich halte ihm meine Hand hin und sage: „Das haben Sie sehr schön gemacht.“ Das haben Sie sehr schön gemacht… sagt man das zu einem Zahnarzt? „Sie haben auch sehr schön mitgemacht.“ sagt er und schüttelt meine Hand.

Mitgemacht ist gut. Mehr als durch die Nase atmen und eine Stunde lang im Mund rumgefummelt zu kriegen habe ich ja nicht gemacht. Die Hauptarbeit lag ja eher bei ihm. „Und dann macht bitte nochmal einer Musik an.“ säuselte er gleich nachdem er mir die Spritze in den Kiefer gerammt hatte. Aber sein entspanntes Mitsummen hat mich tatsächlich beruhigt. Easy listening and heavy breathing. Gar nicht so leicht zu atmen, wenn man mit dem Kopf nach unten liegt und einem literweise Blut in den Rachen läuft. Bei Dexter wurde gerade eine Frau, die so ein Serialkiller gefangen hielt, tagelang mit Blut gefüttert. An die musste ich denken. So schmeckt das also. Diese Geräusche, als der Doc mir das Zahnfleisch aufschneidet und dann nach oben schiebt, um Platz zu schaffen, für seinen Knochenaufbau – alles voll Dexter. Nur die Arzthelferin hat irgendwie gestört. Die hat sich immer zu doll auf mich draufgelehnt und wenn sie mich angesprochen hat, dann immer sehr laut, als wäre ich eine Omi im Altersheim und schon leicht debil. Dr Müller-Meyer-Wohlfahrt und ich hätten das auch ohne sie hingekriegt, da bin ich mir ganz sicher.
Stolz, dass wir das alle so gut gemeistert haben, begebe ich mich nach Hause. Mein Freund lacht sich schlapp über meinen schiefen Mund. Sagt dann aber: „Ich würde dich auch lieben, wenn du der Elefantenmensch wärst.“

Au Backe au

Au Backe, ich werde operiert. Ich bekomme ein Implantat. In einer Stunde muss ich hin. Ich war auch schon in der Schule und jetzt bin ich aber wieder zu Hause. „Warum fehlen Sie heute, wenn Sie doch da sind?“ will Anil wissen. Ich zeige ihm meine Zahnlücke und stammele mit Finger im Mund „Isch werdheuteobbberriiiert.“ Mitleid macht sich in den Kindergesichtern breit und dann aber maßlose Freunde darüber, dass dann die Kunststunde bei mir ausfällt. Die gehen nach Hause und ich zum Zahnarzt. Was mich da erwartet – keine Ahnung. Knochenaufbau. Wie der das machen will ist mir absolut schleierhaft und ich weigere mich seit Wochen diese Faltblätter, die mir der Herr Doktor gegeben hat, zu lesen. Der Kommentar meiner Schwester, als ich sagte, dass ich mir ein Implantat machen lassen will: „Ich dachte der Trend geht zur Zahnlücke.“
Schrecklich, erst fallen einem die Zähne aus und dann… was soll dann noch kommen … Tod und vorher noch keine Rente kriegen. Jammmer, jammer. Draußen scheint die Sonne und ich tue mir selber sehr leid. Angst vor den Schmerzen habe ich nicht und der Zahnarzt oder besser – der Oralchirurg – sieht aus wie Herr Müller Meyer Wohlfahrt in jung. Nett ist er und so ganz entspannt. Einfühlend, nett und sehr gepflegt. Ein Mann, in den sich Frauen im Besten Alter verlieben könnten. Ich werde das nicht tun. Ich könnte mich nicht in einen Typen verlieben, der sein Geld damit verdient, mir Löcher in den Kiefer zu bohren. Dexter! Dexter sieht nicht so gut aus. Aber der macht seine Sache auch gut. Der ist ja neben seiner Tätigkeit als Killer, auch noch Blutspezialist. Das kann der echt gut. Blutspritzer analysieren.

Aber zurück zu mir: Au, mein armer Kiefer. Der weiss noch gar nicht, was ihm blüht.
Der Deutschlehrer sagte neulich: „Im Mittelalter wäre ich mit meinem Gebiss jetzt schon tot.“ Und recht hat er. Da können wir aber sehr dankbar sein, dass wir heute so eine gute zahnmedizinische Versorgung in Deutschland haben, dass wir nicht mehr an Wurzelentzündungen sterben müssen. So, Zähne putzen, noch eine rauchen und dann los. Vielleicht auch in umgedrehter Reihenfolge.

Mittelalter – ein Zustand am Ende der Woche

„Frau Freitag, was wollen Sie später mal werden?“ fragt mich Valli und guckt mich dabei wartend und äußerst interessiert über seine schmutzige Brille an. Er trägt seine Brille immer auf dem unteren Ende der Nase. Dadurch sieht er aus wie ein Professor.
„Lehrerin. Aber Valli, guck mal, ich bin schon Lehrerin.“
Valli denkt kurz nach, dann fällt es ihm auch auf.
„Wie heißen Sie mit Vornamen?“ ruft jetzt Taifun von hinten. Wir befinden uns in der Hausaufgabenstunde. Jeder primelt vor sich hin und tut so, als mache er seine Hausaufgaben. Die Mädchen sind bei der Erzieherin und backen Waffeln. Ich habe jeden Freitag immer nur die Jungs.
„Frau. Frau ist mein Vorname. Frau Freitag. Frau ist Vorname, Freitag der Nachname.“
Taifun grinst: „Dann haben alle meine Lehrerinnen die gleichen Vornamen.“
„Hmmm, haben sie.“

„So kommt Jungs, jetzt macht mal diese Geschichtsaufgabe zuende. Hier, ausschneiden, sortieren und dann aufkleben.“ Volkan, brauchst du Hilfe?“
Volkan nickt.
„Also, wer steht denn ganz oben?“
„König.“
„Genau. Dann schieb‘ den schon mal an da hin. Wer kommt dann?“
„Kaufleute?“
„Nee.“
„Ahhh, Adel.“
„Genau. So, dann guck‘ mal, wer ganz unten ist.“
„Zigeuner.“
„Zigeuner? Hä?“
„Na hier, Bettler.“
„Ja. Bettler. Aber wieso Zigeuner?“
„Na, sag ich doch, Zigeuner. Bettler.“
Ich erkläre: Sinti, Roma, Zigeuner-no-no, Diskriminierung, Bettler blah, blah, blah. Irgendwann hat er es kapiert.
„So, jetzt die Sprechblasen. Wer sagt was? Lies mal vor“
„Wir kümmern uns um das Seelenheil der Menschen.“
„Ah, Kirche“
„Aber Kirche gibt es ja hier gar nicht. Hier gibt es nur Menschen.“
„Ahhh, Geistliche.“
„Richtig. Also schieb mal die Sprechblase dort hin. Was steht denn in den anderen Sprechblasen? Lies mal vor!“

„Wir sind oft Opfer von Ungerechtigkeiten und wir tätigen Geldgeschäfte.“ Volkan guckt sich seine Mittlelalter-Leute an und schreit dann: „Ich weiß, Kaufleute.“

„Nein, das ist nicht Kaufleute.“ mischt sich jetzt Prof. Vallis ein. „Das ist Juden.“
„Juden?“ denke ich. Und tatsächlich gibt es neben den leibeigenen Bauern, dem Bettler, dem Adel und den Kaufleuten auch die Juden. Und die zeichnet also aus, dass sie Geldgeschäfte tätigen. Alle, immer und ausschließlich, logo. Was ist das denn für eine Kopiervorlage? Wo kommt die denn her? Blood and Honor Schulbuch GmbH, oder was?

„Hmm, ich glaube da hat Vallis recht. Leg die Sprechblase mal neben Juden. Den Rest kannst du ja alleine machen.

„Firat, soll ich dir helfen? Zeig mal her.“
„Ich weiss nicht wo das hier hinkommt.“
„Was steht denn da?“
„Wenn wir noch nicht zum Adel gehören, dann werden wir irgendwann dazu erhoben. Ist das Adel?“
„Neee, kann ja nicht. Ist doch unlogisch, warte mal.“
„Ritter!“ schreit Vallis von hinten.
Firat freut sich über den unerwarteten Geistesblitz von hinten und klebt sofort die Sprechblase auf.
„So Firat und das hier? – „Wir leben am Rand der Gesellschaft.“ zu wem gehört das?“
„Kaufleute?“
„Neein, wäre ja lustig, aber nein, die würden so was nicht sagen.“
„Adel?“
„Stimmt zwar irgendwie, aber hier ist der untere Rand gemeint, nicht der obere.“
„Ahhh, Peter.“
„Peter?“
„Na hier, Peter. Ach nein, das heißt Bettler. Bettler. Also Zigeuner.“
„Hmmm, genau.“ Freitag 14 Uhr. Die Woche war lang. „Ja, Zigeuner. Kleb‘ das mal hin. Aber mach bitte den Tisch nicht dreckig.“

Ibo hat immer Hunger

Ibo sitzt am Tisch vor dem Lehrerzimmer. In sich zusammengesunken sitzt er dort. Ihm gegenüber seinen Klassenlehrerin, die wild auf ihn einredet. An der schmalen Tischkante ein älterer Mann mit schütterem Haar. Ich sehe ihn nur von hinten, aber die Szene erschließt sich mir sofort. Ibo bekommt einen Einlauf, in Anwesenheit seines Erziehungsberechtigten. Genussvoll nähere ich mich dem Trio. Ibo sieht mich und bekommt einen Schreck. Kurz bevor ich ins Lehrerzimmer abbiege, beuge ich mich noch zu Ibos Vater runter: „Ah, sie sind Ibos Vater?“ Er grinst mich flüchtig an, nimmt meine ausgestreckte Hand und erhebt sich kurz.
„Ich bin Frau Freitag, ich bin die Englischlehrerin von Ibo. Läuft nicht gut.“ stelle ich fest, gucke noch mal schnell zu Ibo. Message verstanden? Guckstu Ibo, ich habe mich deinem Vater schon vorgestellt. Die Hemmschwelle, ihn deinetwegen noch mal hierher zu bestellen ist gerade erheblich gesunken. Dann begebe ich mich gut gelaunt zu meinen Lehrerkollegen: „Guten Morgen, allerseits.“

Ibos Verhalten hat sich noch nicht merklich verbessert. In der letzten Woche hatte er deshalb auch schon eine Klassenkonferenz. Mist, Verena arbeitet wahrscheinlich schon an seinem Rauswurf. Der darf auf gar keinen Fall in meine Klasse kommen. Das halte ich nicht aus.

In der vorletzten Englischstunde kam er 10 Minuten zu spät. Seine Mitschüler arbeiteten bereits, da kommt er rein und steht da, mit den Händen hinterm Rücken. Ich gucke hinter ihn und da hat er zwei(!) fette Brötchen in den Händen. Da Ibo grundsätzlich zu spät und dann immer mit Essbarem in der Hand in meinen Englischunterricht kommt, schiebe ich ihn zur Tür und flüstere: „Du kommst hier pünktlich und ohne Essen. Und heute kommst du nicht mehr rein. Setz‘ dich draußen hin.“ Nach ein paar Minuten bin ich raus und habe ihm die Arbeitsblätter gegeben, die die Schüler in dieser Stunde bearbeiten sollten.

Nach 30 Minuten – und nachdem er wahrscheinlich seine beiden Brötchen vertilgt hatte, macht Ibo die Tür auf:“ Kann ich wieder rein?“
Ich gucke mich in der Klasse um. Alle Schüler arbeiten ruhig und konzentriert.
„Nein, heute arbeitetst du draußen.“
Am Ende der Stunde lobe ich die Klasse; „Heute habt ihr echt gut mitgemacht.“
„Ibo war ja auch nicht da.“ sagt Vanessa.

In der letzten Stunde kam Ibo dann pünktlich und ohne Essen. Allerdings hat er die Hälfte der Stunde nur Mist gemacht und sich erst in den letzten 10 Minuten dazu durchringen können zu arbeiten.

Im Lehrerzimmer treffe ich Verena.
„War das vorhin Ibos Vater?“
„Ja.“
„Was sagt der denn zu seinem unmöglichem Verhalten?“
„Der fragt: Was ist denn so schlimm daran, wenn Junge mit Essen in Unterricht kommt?“
„Tja, was ist daran so schlimm? Wahrscheinlich hatte er Hunger. Und warum darf er eigentlich nicht seine Jacke anlassen, wenn ihm doch kalt ist?“

Are you talking to me?

Müde, kalt, faul, keine Idee, was ich hier schreiben könnte. Ich rufe mal Frl. Krise an. Die soll mir was sagen. Die ist doch Deutschlehrerin.

Die muss erst mal was essen, sie ist „grad erst reingekommen.“ Frl. Krise hat so bestimmte Sätze, die sie immer wieder gerne sagt. Ihr Top-Satz: „Hör‘ mal!“ Den schaltet sie vor alles, was sie dir erzählen will. Wenn sie nichts mehr erzählen oder hören will, dann sagt sie „du ich muss dich mal aus der Leitung schmeißen.“ – habe ich neulich schon mal geschrieben, daran sieht man, dass es stimmt. Gerne fragt das Fräulein auch: „Bist du jeck?“ Keine Ahnung was das heißt – muss irgendwas finnisches sein. Vielleicht aus Lappland. Und dann natürlich „Gib mal eine!“
Ich sage auch immer die gleichen Sätze. Wenn man nur 10 Sätze haben dürfte, dann wären meine wahrscheinlich diese hier:

„Gib mal!“
„Wo sind meine Zigaretten?“
„Was gib’s zu essen?“
„Haben wir noch Wasser?“
„Schalt‘ mal um, ist langweilig.“
„Sag, ich bin nicht da oder ich schlafe schon.“
„Schmeckt super, danke!“
„Räumst du das noch weg?“
„Ich komme so gegen fünf.“
„Gute Nacht.“

Und für die Schule:

„Nein.“
„Ja.“
„Schhhhhhh!“
„Quiet, please.“
„Noch 5/6/7 Wochen.“
„Muss ja, muss ja.“
„So.“
„Kommst du mit Rauchen?“
„Ihr geht mir auf die Ketten.“
„Schönes Wochenende/schöne Ferien.“

Ich möchte neue Sätze. Wie wäre es mit diesen hier:

„Der Nächste bitte.“
„Hände hoch!“
„Machen Sie sich schon mal frei.“
„Ich habe mit Sunny gesprochen, da ist leider nichts zu machen.“
„Franky, we got to talk.“
„Nehm‘ ich!“
„Frau Meier bitte an Kasse sieben.“
„Möchten Sie eine Tüte?“
„Haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“
„Zuuuuuurückbleiben!“

Schön wäre ein Berufsalltag mit diesen täglichen Sätzen:

„Ach nein, das wäre doch nicht nötig gewesen.“
„Sind Sie sicher, dass Sie das übernehmen möchten?“
„Key West, herrlich, das passt mir gut.“
„Schon die 48. Auflage, ist ja toll!“
„Ich danke der Produktionsfirma, meiner Familie…“
„Die Erde sieht von hier oben sehr klein und friedlich aus.“
„Yes we can!“
„Frau Freitag, bitte in mein Büro.“
„Fahren Sie bitte rechts ran und legen Sie die Hände aufs Lenkrad.“
„Das Traumhaus gewinnt das Los mit der Endnummer 1843470347947.“

So, für heute bleiben mir noch 10 Wörter: kalt, Kopf, müde, dunkel, Dexter, Yoga, Strumpf, Aschenbecher, gute Nacht.

Mein neuer Freund

Frl. Krise hat Cihan und ich habe Dexter. Ich bin jetzt bei der letzten Staffel. Dexter stellt Sinnfragen. An Gott glauben oder lieber nicht. Sein Sohn soll in die Kita. Er mag den Freund seiner Schwester nicht. Er hat Stress auf Arbeit. Normaler Alltag, aber Dexter muss ja nebenbei immer noch killen. Am Wochenende habe ich soviel Dexter geguckt und dabei Strümpfe gestrickt, dass mir jetzt meine Schulter wehtut und ich schon zweimal von Dexter geträumt habe. Von Sonnabend auf Sonntag sprach er plötzlich aus dem Off mitten in meinen Traum rein. In seiner monotonen gefühlsfreien Dexter-Art.Und dann von Sonntag auf Montag kommt er doch mit seinen Leichensäcken in meinem Traum vorbei. Ich bin leicht verstört aufgewacht.

Stumpfe ich von all den Morden und den Zerstückelungen am Ende noch leicht ab? Ab und zu stehe ich vor den Klassen und denke: Der muss weg. Der ist böse. Ab in den Sack.
Aber ich habe ja kein Boot und man sieht bei Dexter auch nie, wie er nach dem Mord alles Sauber macht. Man sieht ab und zu, wie er seinen Mordraum präpariert – ich hätte ja nicht mal einen Mordraum. Und dann nimmt er immer diese Malerfolie und ganz viel Frischhaltefolie. Wenn er dann zusticht denkt man im ersten Moment, ah, saubere Sache. Weil die Folie ja erst kein Blut durchläßt. Aber dann kommt das Blut doch und bevor man das Ausmaß der ganzen Schweinerei mitbekommt, beginnt schon die nächste Szene. Noch nie hat man in einer Folge gesehen, wie Dexter alles sauber macht. Ich stelle mir das sehr aufwendig vor. Dieses ganze Blut. Wie wischt man das denn auf? Und selbst, wenn er die Plastikplanen mit dem Blut in die schwarzen Säcke stopfen würde, was ist, wenn mal so ein Sacke ein Loch hat? Dann tropft doch das ganze Blut überall hin.
Bei Dexter sieht alles immer so einfach aus. Opfer finden, Spritze, auf den Tisch, Folie rum, ein bisschen rumquatschen, dann zack Messer in den Bauch und eine Stunde später bringt er schon seinen Sohn ins Bett. Ich glaube, das haut zeitlich nicht hin.
Und dann hinterläßt er auch nie irgendwelche Spuren. Will soll ich dass denn machen? Wo ich gehe und stehe hinterlasse ich Spuren meiner selbst – meine Klamotten verteile ich auf kleine Häufchen in allen Zimmern der Wohnung. Dann sind immer volle Aschenbecher um mich rum und viel Dies-Das. Diese Absonderung und Verteilung von Zeug stünde mir als Serienkiller sehr im Weg.

Vielleicht ist das alles nicht so einfach. Wahrscheinlich bleibt mir nur der steinige pädagogische Weg mich mit problematischen Schülern auseinander zu setzten. Ich frage mich nur, was Dexter mir dann in meinem Traum mit seinem Besuch sagen wollte und vor allem frage ich mich, wer in den schwarzen Säcken war, die er dabei hatte.

Wie hässlich!

Meine Nerven bluten. Aua. Montag. Aua.

„Wie hässlich!“ zischt Belinda beleidigt vor sich hin. Ich hatte ihr einen Brief weggenommen, den sie heimlich während der mündlichen Phase meines schlechten Unterrichts schrieb. Eigentlich ist in dieser grauenhaften Achten Klasse immer mündliche Phase – jedenfalls für die Schüler.
Ich war stinksauer, weil Belinda sich einfach an MEINEN Notizzetteln, die ich auf dem Schreibtisch stehen habe, bedient hatte. Jetzt war es ihr enorm peinlich, dass sich ihre Liebesverwirrungen in meiner Hosentasche befanden. Eigentlich ist Belinda immer darauf bedacht gut mitzumachen oder jedenfalls den Anschein einer guten Schülerin zu vermitteln – sonst fragt sie ständig, ob sie gut mitgemacht habe. Heute nicht. Heute schmollt sie und zischt „Wie hässlich.“ Sie meint mich, aber sie ist zum Glück schlau genug nicht „Ist die hässlich“ zu sagen. So muss ich nicht reagieren und sie bekommt keinen Ärger.

Seitdem Kufa und Hamsa ihre Briefe bekommen haben, ziehen sie von selbst ihre Jacken aus und haben auch immer ihr Arbeitsmaterial dabei. An der Mitarbeit und dem Nicht-Stören müssen wir noch arbeiten. Insgesamt ist es in der Klasse etwas ruhiger geworden, aber Spaß macht es uns allen nicht. Heute habe ich es mir durch meine nervende Körnel-Art auch noch mit den ruhigen, lieben Schülern verdorben. Da muss ich aufpassen, dass das nicht einreisst. Wenn ich die ganze Klasse gegen mich habe, dann wird das nichts mehr.

In der Mittagspause versuche ich mich vom Unterricht zu erholen. Fällt mir schwer, denn ich habe Hofaufsicht. Aber die Sonne scheint, es ist friedlich und da kommt auch schon Anita, der ich mein Leid klagen kann. Sie hatte die blöde Klasse auch schon mal ein Jahr in Deutsch und war heilfroh, sie dieses Jahr abgeben zu können. Wenigstens kann sie sich an die Schüler erinnern und so kann ich ihr jeden Montag mein Leid klagen.
„Oha, heute war schlimm. Nicht nur, dass die so lahm sind, ich frage die, wie das große Land über den USA heißt und da sagt Miriam: Los Angeles. Wo soll ich denn da anfangen? Ich frage nach dem größten See in den USA und die sitzen vor einer Landkarte und da zeigt Belinda auf den Mississippi. Oh Mann, ich habe bekomme gerade meinen Tiefpunkt. Mist! Und ich muss noch bis halb fünf weitermachen…“
Ich jammere und jammere. Von weitem sehe ich Dschinges mit einem Freund auf uns zukommen. Er grinst. Ich grinse zurück. Wenigstens grinst mich noch irgendein Schüler an. Diese Achten sind kurz davor mich zu lynchen.
„Frau Freitag!“ schreit mir Dschinges schon von weitem entgegen.
„Dschinges!“ antworte ich ihm genauso laut.
Jetzt stellt er sich vor Anita und mich: „Frau Freitag, ich bedaure sooo, dass ich nicht mehr bei Ihnen Kunst habe. Wirklich!“
„Dschinges, ich find’s auch schade.“
„Frau Freitag, ganz ehrlich, Sie sind die beste Lehrerin, dies gibs.“
„Danke Dschinges.“ sage ich und denke an die grauenhafte Stunde, die ich gerade hinter mir habe.
Dschinges will wieder los. Irgendwann dreht er sich noch mal um und schreit: „Frau Freitag, ein Kuss auf Ihr Herz.“

Danke Dschinges, kann ich gebrauchen.

Die Kacke mit der Jacke

Also nochmal was zur Kleiderordnung in meinem Unterricht. Es wird kalt draußen. Der gemeine Schüler trägt jetzt Jacke. Da gibt es alles Mögliche: Polyestermäntelchen, Jeansjacken, Leder- und auch total dicke Daunenjacken. Im Winter wird die Jacke für den Schüler zum Haus. Wie eine Schnecke verkriecht er sich dadrin. Der normale Mensch zieht seine Jacke aus, wenn er sich in geschlossenen Räumen aufhält. Nicht so mancher Schüler. Nun gibt es unterschiedliche Gründe, warum Schüler ihre Jacken im Unterricht anbehalten wollen:

1. Es ist in dem Raum kalt und sie frieren.

2. Ein Schüler oder eine Schülerin schämt sich seiner oder ihrer Körpermaße und möchte sich möglichst flächendeckend verhüllen, da er oder sie sich nicht unsichtbar machen kann.

3. Der Schüler ist so stolz auf die Jacke, dass er möchte, dass man sie die ganze Stunde lang sieht.

4. Das Jackeausziehen ist dem Schüler zu anstrengend.

5. Der Schüler denkt, dass der Unterricht schneller vergeht, wenn er die Jacke anbehält.

6. Die Jacke ist so warm, dass der Schüler darunter nur ein T-Shirt trägt und dann frieren würde.

7. Der Schüler wird von seinen Mitschülern geärgert und empfindet die Jacke als Schutz/Panzer. Diese Schüler haben auch gerne ihre Sweatshirt-Kapuze auf.

8. Der Schüler weiss, dass der Lehrer möchte, dass jeder ohne Jacke im Raum sitzt und deshalb lässt er die Jacke an. Um die Aufmerksamkeit des Lehrers zu bekommen. Er möchte bewusst gegen die Regel „Jacken aus im Unterrichtsraum“ verstossen, weil er austesten möchte, was der Lehrer dann macht. Passiert nichts, dann kann er in der nächsten Stunde eine weitere Regel aushöhlen – im Unterricht essen und trinken, Musikhören, mit dem Handy spielen usw.

Die Provokation mit dem „Jacke anbehalten“ zu beginnen ist keine dumme Idee, denn man kann sich ja zunächst auf ein kleines „Mir ist aber kalt“ Geplänkel mit dem Lehrer einlassen. Holt man gleich das Handy raus, verstößt man zu offensichtlich gegen die Regeln.

Wenn man eine Weile unterrichtet, kann man schnell erkennen zu welchem Jackeanbehalte-Typus ein Schüler gehört. Die dünnen Stoffmäntelchen der dickeren Mädchen übersehe ich auch oft, denn da ist schon klar, dass die das Hüftgold verstecken sollen.
Mein Freund aus der Achten neulich – welcher Jacken-Typ war der denn wohl? Dick ist er nicht, geärgert wird er nicht, kalt war ihm nicht – richtig – er wollte lediglich provozieren und das nicht zum ersten Mal. Und ihr könnt mir auch glauben, dass ich den Eltern nicht nur geschrieben habe, weil der seine Jacke nicht ausgezogen hat. Der möchte sich mit mir messen und das kann er haben.

Und an die Junglehrer – man bringt euch – hat man mir ja auch- immer bei, dass die Schüler sich an die Regeln halten, wenn man sie gemeinsam erarbeitet. Das stimmt schon und ich habe mit meinen Klassen auch immer ganz herrliche Klassenregeln erstellt, aber es gibt Regeln, die man nicht mit Schülern aufstellt. Und dazu gehört – Jacke aus.
Wir einigen uns ja auch nicht gemeinsam darauf, dass „Wir niemanden aus der Klasse erstechen.“

Vier Minuten

Vier Minuten! Nur vier Minuten hat es gedauert von der Ansage, dass wir jetzt vom Eis müssen, bis ich mit meinem Perso abmarschbereit zwischen meiner Klasse stand. Und in diesen vier Minuten sind sie nicht nur alle, sofort und ohne zu murren, von der Bahn gekommen, nein, sie haben auch ohne große Umwege und Verzögerungen ihre Schlittschuhe ausgezogen und sie mir zur Abgabe gebracht. Ich war echt platt. Respekt, liebe Klasse!

Wenn ich da drei Jahre zurückdenke, wie ich fast eine halbe Stunde hinter meinen Schülern hergefahren bin: „Marcella, wir müssen gehen, kommt jetzt mal runter!“
„Nur noch ein Runde!“ und weg waren sie. Schrecklich war das. Nichts hatte ich im Griff. Und jetzt: Vier Minuten!!! Ich bin immer noch tief durchdrungen von pädagogischem Stolz. Als hätte sie heute alle das Abitur bestanden.

Mit meiner neuen Klasse läuft es echt gut. Auch außerhalb der Schule. Noch nicht ein Mal, habe ich mich für die geschämt. Für meine alte Klasse habe ich mich sogar geschämt, wenn sie gar nicht da waren.

Alle kommen pünktlich und haben ihr Geld dabei. Wir gehen gesittet durch die Absprerrung am Eingang. Ohne Schubsen und Drängeln. Es sind ungefähr tausend andere Klasse auf der Eisbahn. Außerdem hatte jede Schule der Stadt heute Wandertag. Wir stehen ewig an, um die Schlittschuhe zu bekommen. Meine Klasse steht 45 Minuten in einer Schlange und nichts passiert. Ich unterhalte mich mit Taifun und Volkan und keiner stresst, niemand heult und alle sind herrlichst gechillt. Das sieht auch der Mann an dem Fenster, an dem man eigentlich nur die nicht passenden Schlittschuhe umtauschen soll. Er guckt mich an und fragt: „Haben Sie ihre Klasse im Griff?“ Ich gucke meine Schüler an, dann den Mann und nicke: „Denke schon.“
„Na, dann kommen Sie mal her.“

Und gegen jede Schlittschuhbahnausführungsvorschrift gibt er uns an am Umtauschfenster die Schlittschuhe raus. Das erspart uns bestimmt 30 Minuten Wartezeit.

Dann helfe ich einigen Schülern sich die Schuhe zuzubinden. So muss die Arbeit im Kindergarten sein. Vor zappelnden Kinderbeinen hocken und Schnürsenkel zubinden. Volkan lernt, dass man mit halbzugebundenen Schuhen nicht so gut laufen kann. Auch wenn es cool aussieht.

Irgendwann kommt sogar die Sonne raus. Keine besonderen Vorkommnisse. Das Leben kann so einfach sein. Beispiel und Liebe – genau wie Fräulein Krise immer sagt.