Verarschen kann ich mich alleine, liebe Schulbehörde


„Aber die müssen sich bald anmelden.“ sagt Frau Dienstag. „Auch an den OSZs gibt es nicht unendlich viele freie Plätze.“ Frau Dienstag klärt mich auf, wie das mit meiner Klasse nach dem Schulabgang und ihren verkackten Abschlüssen weiter gehen soll.

Jetzt muss ich mich darüber informieren und dann neue Mantren streuen: „Ihr müsst euch dort bewerben. Da gibt es einen Bewerbungsschluss. Warst du schon da? Hast du dich da angemeldet…“ Super. Das hört ja wohl nie auf.

Morgen haben wir die Zensurenkonferenz. Zur Realschulprüfung zugelassen werden fast alle, die das wollen. Die Realschulprognose haben aber nur sehr wenige. Irgendwie total paradox. Da darf man sich anmelden, wenn man nicht mehr als vier Ausfälle (also fünfen und sechsen) hat, aber am Ende braucht man in fast allen Fächern eine drei.

Das ist so, wie wenn man 100 kg Frauen beim Casting für Germany’s next Top Model auswählt, sie ins Band Modelhaus einziehen lässt und ihnen dann am Ende sagt: „Sorry hier kannst du nur gewinnen, wenn du 48 kg wiegst.

Die Logik der Schulbehörde erschließt sich mir nicht. Haben die Angst, dass wir nicht genug zu tun haben? Schließlich muss ja jeder Angemeldete betreut und betüdelt werden und jede geschriebene Arbeit korrigiert, bewertet und in irgendwelche Computer eingegeben werden. Weniger Anmeldungen bedeutet eben auch weniger Arbeit für uns und das darf wohl nicht sein. Außerdem müssten die Schüler sich ja, wenn sie sich nicht anmelden würden mit ihrer nahen Zukunft auseinandersetzen. So können sie diese unangenehmen Gedanken in dem Glauben, „ich mache ja die Realschulprüfung“ vor sich her ins Nirvana schieben.

Rechnerisch ist bei manchen Schülern gar kein Realschulzeugnis mehr möglich – wer z.B. nur einen Punkt in Mathe hat und im Sommer mindestens 7 braucht, der müsste ja 13 Punkte im zweiten Halbjahr bekommen. (Note vom ersten Halbjahr + Note vom zweiten Halbjahr geteilt durch zwei – ergibt die Endjahresnote). Es gibt aber nur 12 Punkte zu holen in Mathe. Und auch wenn rechnerisch alles möglich ist, dann ist da ja noch die kleine Hürde, dass man für eine gute Note vielleicht ein wenig Anstrengung braucht.

Ach, ich sehe schwarz. Aber Frau Dienstag hat mich beruhigt: „Bilde dir doch nicht ein, dass wir die letzten Menschen sind, die Einfluss auf die Schüler haben.“ Stolz erzählt sie mir immer wieder, dass zwei ihrer ehemaligen Jungs jetzt bei der Deutschen Bahn arbeiten. It figures.

Wie man richtig Eindruck macht

Heute kam die gute Laune wieder zurück. Und heute ist viel passiert. Hier ein paar Impressionen eines Donnerstags in der Schule.

Gestern hat mir Mariella eine herzzerreißende Nachricht auf facebook zukommen lassen. Dass sie nur sich die Schuld gibt und nicht mir. Und ob ich ihr nicht helfen könnte, sie würde mich jetzt wirklich BRAUCHEN. Knack, aua, das Mutterherz… was habe ich gemacht?

Ich habe mir heute das Schulgesetz genommen und nachgeguckt, ob das überhaupt rechtens ist, dass die Schule den Anmeldetermin bestimmt. Und siehe da – die dürfen den zwar bestimmen, aber eigentlich erst nach den Halbjahreszeugnissen. Ich werde jetzt erstmal abwarten, was die Prüfungskommission sagt. Wenn die sie nicht zulassen, dann werde ich Herrn Werner bitten Mariella zu stecken, dass sie mit ihrer Mutter zum Schulrat gehen soll. Evtl. werde ich vorher auch noch mal kurz mit dem reden. Aber erstmal soll sie noch schlottern und Buße tun.
Und falls sie am Ende doch zugelassen wird, fangen ihre Probleme ja erst richtig an, denn sie hat sich ja so wenig um ihre Prüfung und das Thema gekümmert, dass sie jetzt in einem Bereich geprüft werden soll, von dem sie so dermaßen gar keine Ahnung und auch kein Interesse hat. Sie hatte sich ja mit Emre zusammen angemeldet. Das Thema lautet ungefähr: Der Vergleich von Westcoast Hip Hop mit deutschem Gangsta – Rap. Tja, Emre könnte dazu viel sagen, aber der ist ja nun gaaaaar nicht zugelassen, denn der hat mir den Elternzettel nicht mal am Dienstag gegeben. Außerdem hat er im Moment so viele Fünfen und Sechsen, dass er sowieso nicht zugelassen werden würde.

Dann hatte ich heute einen Superaneinanderrassler mit Marcella. Ich liebe Marcella, aber sie raubt mir den letzten Nerv. Heute hat sie in der Englischstunde non-stop gequatscht. Ihre Zensuren sind ein Graus. Sie hätte echt das Potential das Abitur zu machen, aber z.Z. sieht es leider nur nach schlechten Hauptschulabschluss aus. Jedenfalls macht sie heute gaaaar nichts außer Quatschen. Als ich sage: „So, ich sammele jetzt eure Ergebnisse ein“, fängt sie plötzlich an zu schreiben. 30 Minuten nur rumgesessen und gelabert und dann fängt sie an. Da habe ich ihr dann voll wütend das Blatt weggerissen, auf dem aber eigentlich fast nichts stand. Und weil ich so sauer war habe ich da keine gute Figur gemacht und da ist dann ein Stück von dem Blatt zerrissen.

„Ja toll Frau Freitag!“ schreit sie mich an „nur weil Sie ihre Tage haben brauchen sie nicht mein Blatt kaputt zu machen.“
„Erstmal habe ich die gar nicht und dann ist das kein angemessener Ton. RAUS!!!“ Irgendwie ging sie nicht. Ich habe sie ignoriert, sie kam wieder angeschleimt und hat mir die Tafel gewischt. Ich werde das nachher auf facebook mit klären. Easy.

Und dann habe ich noch voll den gutvorbereiteten Unterricht in der Siebten Klasse gehalten. Voll strukturiert, mit informierendem Unterrichtseinstieg (alles was in der Stunde passieren soll steht als Ablauf an der Tafel – sozusagen ein Stundenprogramm und wird sukzessive (Frau Dienstag!) abgehakt.)
Dann habe ich richtig geil unterrichtet. Muss ich echt sagen. Mit übertriebenen Gesten und Mimik und voll präsent und ruhig und die Schüler voll leise und so und voll mitgemacht und alles war super und dann war ich auch noch voll Mrs Konsequent. Drei Schüler stehen zu Beginn einer schriftlichen Phase auf und holen sich von Mitschülern Blätter.

„Eray, Mohamad und Emil, wo sind EURE Blätter?“
„Zu Hause.“
„Okay, dann geht ihr jetzt nach Hause und holt euer Arbeitsmaterial.“
Eray: „Meinen Sie das ernst?“
„Und ob!“
(Mohamad findet plötzlich doch noch seinen Block.)
Die Klasse hält den Atem an. Dann „Abbbooo, er wohnt voll weit.“
Ich: „Pech. Muss er sich halt beeilen.“

Soviel Konsequenz hatten weder die Schüler, noch ich mir zugetraut. Ehrfürchtig arbeiteten sie nun unter meinem Kommando wie die Guppis. Ich bin in ihrer Achtung meilenweit gestiegen. Nach 20 Minuten kamen sogar Eray und Emil mit ihren Blöcken, die sie in meiner Stunde allerdings nicht mehr brauchten.
Aber ab jetzt nur noch so.

Manchmal geht’s


Heute bin ich milde gestimmt, denn ich habe mir gerade Wolle gekauft, um Strümpfe zu stricken – es wird Winter, gehe gleich mit Frau Dienstag zum Sport und soeben habe ich mit dem Freund die letzten Kunstarbeiten meiner Benetton-Klasse zensiert. Die letzten Zensuren, die ich brauchte, um ihnen einen Zwischenstand ihrer derzeitigen Leistungen zu geben. Alles ist erledigt und ich bin hochzufrieden und deshalb, wie gesagt recht milde gestimmt.

Heute bin ich mit meinem Rollkoffer zur Schule getrottet. Ich kam mir vor, als würde ich verreisen, aber der Koffer war nur voll mit den Bewerbungsunterlagen, die ich von der Bewerbungsmesse am Anfang des Schuljahres zusammengesammelt hatte. In der Schule habe ich dann zwei fette Aktenordner damit gefüllt. Die habe ich dann in der Hausaufgabenstunde mit meiner Klasse auf den Tisch gestellt. Ich wußte durch einen kurzen facebook-chat, dass z.B. Mariella aus meiner Klasse noch gar nicht weiss, was sie werden will.

Ich also hin zum schnatternden Mädchentisch, die sich gerade wieder über sehr schulferne Dinge austauschen wollten. Den einen Leitzordner knalle ich Mariella direkt vor die Nase: „Hier guck‘ mal, was du werden willst.“ Den anderen gebe ich Elif. „Da ist was drin zu medizinischer Fachangestellten. Das musst du mal suchen.“

Und jetzt ging das herrliche Treiben los. Begeistert blätterten sie durch die Broschüren von Rossmann, Netto und Ikea. „Hier Ayla, hier is Bürokauffrau, für dich. Willst du doch werden.“ Vorher hatte ich die 16 Hausaufgabenhefte verteilt, die ich auf der Messe abgestaubt hatte. Alle wollten unbedingt eins haben und die blöden Stundenpläne von irgendeinem Bleistifthersteller standen auch hoch im Kurs.

Ronnie, der immer nur auf seinem Platz sitzt und mit Peter quatscht und noch niiiiiie irgendwas in der Schule – für die Schule getan hat: „Ich will auch eins!“
Und endlich hatte ich mal die Gelegenheit für eine kleine persönliche Rache: „Ronnie, du machst doch gar keine Hausaufgaben. Da brauchst du auch kein Hausaufgabenheft.“ Die anderen füllten begeistert ihre neuen Stundenpläne aus. Willst du Schüler beglücken, dann gib ihnen Formulare und Listen.

Auch die Ausbildungsplatzsuche gestaltete sich positiv: „Frau Freitag, abooo, kann ich den Zettel mitnehmen?“ „Miriam, guck hier, dis Heft hier von Handelskammer is‘ voll hamma, da steht alles drin.“

„Frau Freitag, woher haben Sie dieses Buch (Berufe aktuell)?“
„Na, das müsstet ihr alle bekommen haben. In der Berufsorientierung.“
„Nein, haben wir nicht. Ich schwör‘, wenn ich dieses Buch hätte, abooo hier steht soooo viel drin. Wo kriegt man das, Frau Freitag?“

„Im Berufsinformationszentrum. Da waren wir auch schon. Da fandet ihr es soooo schlimm. Erinnert ihr euch?“

Als es klingelt gehen alle beschwingt in die Pause. Ausbildungsplatzsuche kann ja soooo einen Spaß machen. Sie fühlen sich schon so, als hätten sie mehrere Angebote, nur weil sie mal durch ein paar Prospekte geblättert haben. Eine Bewerbung hat noch keiner geschrieben.

Aber sie beschäftigen sich mit ihrer Zukunft und sie haben auch noch Spaß daran. Was will ich mehr. Für nächste Woche mache ich einen Termin beim BIZ und gehe mit denen, die wollen dorthin. Freiwillig, in unserer Freizeit. Tue ich eben so, als sei ich ihre Eltern.

Bezauberndes Binnendifferenzieren


Zur Zeit bin ich echt nicht so gut auf meine Klasse zu sprechen. Nicht nur, weil ich schon jetzt darüber sauer bin, wie viele Schüler am Freitag ihre Anmeldungen für die Prüfung NICHT abgeben werden, dass sie sich nicht um einen Ausbildungsplatz bewerben oder, dass sie dauernd krank sind, nein, auch ihre unendliche Faulheit geht mir gegen den Strich.

Heute wollte ich ihnen ein besonders schönes Bonbon der englischen Grammatik beibringen. Entgegen jeglicher Fremdsprachendidaktik mögen Schüler eigentlich reine Grammatikstunden ganz gerne. Denn wenn sie einmal die Formel verstanden haben, lechzen sie geradezu nach Beispielsätzen, die sie dann regelanwendend umwandeln können.

Heute soll man den Schülern die Grammatik ja unterjubeln. Sie sollen gar nicht merken, dass sie ein grammatikalisches Phänomen vor sich haben. Ich liebe aber diesen Old-School-Style: An der Tafel – oben: Adjektive und Adverbien oder Comparison of Adjectives oder Direct speech and Reported Speech. Dann schön Beispielsätze, dann die Regel erarbeiten lassen, dann die Formel anschreiben und dann Beispielsätze ohne Ende. Bitte nicht weitersagen, dass ich ab und zu noch so unterrichte.

So, also wir sitzen, bzw. die Schüler sitzen da und ich stehe an der Tafel und produziere Sätze zum Umformen. Ronnie, Peter und Adul sind voll dabei. Hinten unterhalten sich allerdings Elif, Esra und Miriam über ihr spannendes Wochenende. So toll kann das gar nicht gewesen sein, denn die meiste Zeit hat Elif nur immer wieder: Ich liiiiIIIbe DicH meIn SchaTzzzz! an Esra gepostet, die dann 1000 Mal: Ich dIIIch auCCh mein DarrrLing fÜR iMMer und EwiG… zurück schrieb.
Trotzdem haben sie sich viel zu erzählen. Unter anderem höre ich: „Halloween war so hammer“ und „echt, dis hat er gesagt?????“

Ständig muss ich Elif ermahnen: „Ellliifff, page 17 in your textbook!!! No, that’s your Workbook. Stop talking, please!“

Es nervt mich echt total. Ab und zu schleudere ich eine Ich-Botschaft nach hinten: „Miriam, ich habe echt Schwierigkeiten hier was zu erklären, wenn ihr da hinten immer nur quascht.“ Die nehmen sie zur Kenntnis, sind eine Minute ruhig, tun so, als arbeiteten sie mit, um dann wieder die Köpfe zusammen zu stecken.

Dann sollen sie die Sätze von der Tafel abschreiben und noch fünf weitere Sätze im Buch bearbeiten. Vorher sollten sie ganz kurz die Regel aus dem Buch abschreiben. Echt eine Sache von 30 Sekunden. Nach 10 Minuten sehe ich die Mädchen hinten wieder quatschen.

„Hallo die Damen, schreiben! Nicht quatschen!“
„Wir sind fertig.“
„Ach, mit allen Sätzen?“
„Welche Sätze?“
„Ihr solltet die Sätze von der Tafel kopieren und die aus dem Buch bearbeiteten.“
„Ähhhh, ich dachte, wir sollten nur die Regel abschreiben.“

So geht das 20 Minuten lang. Ronnie, Peter und Abdul und noch ein paar Streber aus meiner Klasse brühten derweil über den Sätzen aus dem Buch, überschlagen sich mit der Ergebnisssicherung an der Tafel. Als ich den ersten Satz, der mitlerweile über 30 Minuten dran stand wegwischen will, um die Buchsätze anzuschreiben, blökt Miriam von hinten: „Haaaaalt, den habe ich noch gar nicht abgeschrieben!!!“

Als Ronnie, Peter und die anderen fertig sind, reicht es mir. Ich nehme das Workbook, setze mich zu Marcella, die auch gut mitarbeitet an den Gruppentisch und sage: „Okay, wer noch was lernen möchte, kommt bitte hier zu mir.“ Sofort kommen die Schüler, die die ganze Zeit mitgemacht haben, an unseren Tisch. Gemütlich sitzen wir dort und lösen gemeinsam noch mehr Übungsaufgaben im Workbook. Nach fünf Minuten merkt Esra, dass ich nicht mehr vorne stehe und fragt empört: „Ähhhh?? Und was ist mit uns?“

„Ihr könnt auch herkommen, wenn ihr arbeiten wollt.“
Keine der Damen bewegt sich. Bilal fragt, ob er rausgehen kann. Kann er nicht. Mit den Schülern an meinem Tisch arbeite ich intensiv, bis es klingelt. Gut gelaunt gehe ich in die Pause. Binnendifferenzierung, sage ich nur. Die, die arbeiten wollen, können arbeiten und die anderen sollen bleiben wo der Pfeffer wächst. Und morgen mache ich das wieder so!

Einfach mal so oder auch anders


Jetzt mal wieder etwas positiver in die Zukunft schauen. Morgen komme ich bestimmt in die Schule und alle meine Schüler erzählen mir freudig, dass sie sich am Wochenende auf mehrere Ausbildungsplätze beworben haben. Und wenn nicht, dann ist das ja auch nicht so schlimm, denn irgendwo müssen diese ganzen Millionen von Arbeitslosen ja herkommen.

Stellen wir uns mal vor, wir hätten gerade Vollbeschäftigung und meine Schüler würden sich nicht bewerben… Die Ausbilder würden zu uns auf den Hof kommen und mit Geschenken um unsere Schüler buhlen. Keiner müsste eine Bewerbung schreiben, man bekäme den Ausbildungsvertrag gleich dort auf dem Hof in der großen Pause. Wie stünde ich denn dann da?

„Sehen Sie Frau Freitag, das stimmt alles nicht, was Sie immer sagen. Gucken Sie, ich habe gleich zwei Plätze als Mechatroniker bekommen und sogar Mehmet hat ein Angebot von Lufthansa, er kann da Pilot werden oder Stewardess.“ Schlimm wäre das. Unglaubwürdig würde ich wirken. Die Schüler würden mir gar nichts mehr glauben. „Pah, think soll ein unregelmäßiges Verb sein? Wahrscheinlich lügt sie wieder.“ Nein, nein, also Vollbeschäftigung – ohne mich.

Ich freue mich sehr auf diese Woche. Denn meine Klasse hat mal wieder die Chance mich zu verblüffen. Am Freitag sollen sie ihre Anmeldungen für ihre Realschulprüfung abgeben. Wenn sie das bis Freitag nicht machen, können sie nicht an den Prüfungen teilnehmen und vor allem können sie dann nicht das zehnte Schuljahr wiederholen. Bis Freitag heißt bis Freitag! Ich werde nur den eigenen Tod als Entschuldigung gelten lassen, obwohl, da könnten ja auch die Eltern die Anmeldung vorbeibringen.

Das Wiederholen der letzten Klasse ist bei uns schwer in Mode gekommen, da es so bequem ist. Man muss sich um nichts kümmern und darf noch ein Jahr kuschelig in der Schule sitzen und Kindergeld gibt es auch noch weitere 12 Monate. Okay, wenn die Lehrer zustimmen darf auch jemand, der nicht durch die Prüfung gefallen, oder an ihr gar nicht teilgenommen hat, das Jahr wiederholen. Aber das muss abgestimmt werden und ich werde bei keinem meiner Schüler dafür stimmen.

Am Freitag werde ich sehen, ob meiner Klasse ein qualifizierter Schulabschluss genauso wichtig ist, wie der Besuch des Heideparks. Eigentlich sollte man doch meinen, dass bessere Berufschancen einen Dreifachlooping und eine Holzachterbahn schlagen würden, aber ich bin mir da leider gar nicht so sicher.

Ende des letzten Schuljahres – ich erinnere mich, als sei das gestern gewesen, haben meine Schüler mich ja echt überrascht, als sie von einem Tag auf den anderen 40 Euro für unseren Heideparkausflug und einen unterschriebenen Elternbrief mitbrachten.

Ich hab’s, wir machen die Realschulprüfung im Heidepark! Zwischen den schriftlichen Arbeiten ist jeweils eine Stunde Zeit, mit der Achterbahn zu fahren und vor der Mündlichen entspannen sich die lieben Kleinen bei einer Runde Scream. Wenn das nicht schülerrelevanter Lebensweltbezug ist, dann weiss ich auch nicht mehr.

Rachs Restaurantschule

Ich bin soooo müde, ich könnte sofort einschlafen. War erst in der Schule und dann mit Frau Dienstag beim Sport. Sehr anspruchsvoll heute. Einzig Herr Rach und seine Restaurantschule halten mich heute noch wach. Aber eigentlich weiß ich schon wieder, wie das wird. Die Losertypis bauen wieder ihren üblichen Mist: Kommen zu spät, sind in ihren WG’s zu laut, lassen Sachen anbrennen oder streiten sich. Die sich von Toastbrot ernährende etwas fülligere Dame, die immer will, dass die Welt mal endlich sieht, dass sie nicht faul ist, wird ständig überarbeitet sein und in den Ecken rumsitzen und pausieren, immer wird ihr etwas wehtun und das Essen, was dort gekocht wird schmeckt ihr auch nicht. Sie ist voll: Krankheit als Weg-mäßig unterwegs.

Die irre Ältere wird sich zu einer ganz schlimmen Meckermama entwickeln und von den anderen gemobbt. Die zwei Jungs mit Abitur werden sich ausgrenzen und schlaubergern. Überheblich denken sie, dass sie was besseres sind als die anderen.

Und der Rach – der wird sich bei jedem Fehlverhalten der Azubis tierisch aufregen, noch 1000 Mal sagen, dass ER ihnen doch ihre LETZTE Chance gibt. Er wird schimpfen und drohen und am Ende nicht konsequent sein. Jedesmal, wenn jemand zu spät kommt wird er so tun, als hätte er sowas noch niiiieeee erlebt. Trotzdem wird wieder jeder noch eine letzte Chance und noch eine letzte Chance bekommen.

Das einzig Schöne ist mal wieder, dass ich mir das nur angucken muss und keine Elterngespräche zu führen brauche. Ich finde, wenn dieser Rach sich wirklich für so toll hält, dann sollte er mal einen Wandertag mit Frl. Krises Klasse machen. Und wenn er das überlebt hat, dann sprechen wir weiter.

Ein Programmtipp

Also, ich kann jedem nur empfehlen sich diese „Restauranttester Rach probiert sich als Ausbilder ausbildungsresistenter Dauerarbeitsloser“ anzusehen. Das kommt immer montags auf dem Bildungs- und jetzt auch Ausbildungssender RTL2. Ich habe mich wirklich köstlich amüsiert. Das steht dieser Rach, der immer sehr gestresst und schlecht ernährt ausssieht und versucht nun den Menschen EINE LETZTE CHANCE zu geben, die die Gesellschaft und die Welt und sogar Gott schon aufgegeben haben. Aber ER, ER gibt ihnen jetzt die ALLLERALLLERALLLERLETZTE Chance! Das wiederholt er ungefähr alle zwei Minuten. Er würde ja nicht auf die Zeugnisse und Lebensläufe gucken, sondern nur auf den MENSCHEN. Aber dann: „So, jetzt erstmal ein Einstellungstest.“ Warenkunde – ach so, die sollen zu Kochs und Servicekräften im Gastrobereich ausgebildet werden – ja also Warenkunde – oh Überraschung, sie kennen ja gar keine Fische, dann Wissenswertes aus der Erdkunde – Wo liegt Frankfurt am Main – Antwortmöglichkeiten: Rhein, Donau, Elbe – richtige Antwort aber: Main. Ich: Ähhhh???? Und dann der Hammer des – ich-gucke-ja-nicht-auf die Schulleistungen-Typis – ein DIKTAT. Und – oh Überraschung – die ganzen Losertypen dort haben doch echt Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung.

Ach es war herrlich. Die hatten keine Ahnung, kein Benehmen und noch nicht mal angemessenes Bewerbungsklamotten an. Und das Beste an der ganzen Sendung war: Ich habe nicht einen von denen unterrichtet. Die sind ganz ohne mich so geworden. Denen habe ich nicht jahrelang vorgebetet, dass man nicht zu spät zum Bewerbungsgespräch kommen darf und, dass es wichtig ist, wie man sich da anzieht – die haben das auch ohne mich NICHT gelernt. Ich liebe diese Sendung. Herr Rach ich bin Fan! Sie werden mit denen noch viel Spaß haben. Aber SIE werden das am Ende auf jeden Fall hinbekommen, denn SIE und RTL2 haben es einfach viel besser drauf, als wir alle zusammen!

Extremvorbereiting

Kaum zu glauben, aber heute habe ich fast den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und meinen Unterricht für morgen vorbereitet. Hat ewig gedauert und jetzt schmerzt der Rücken und ich habe Hunger.

Und wenn das morgen immer noch nicht klappt, dann weiss ich auch nicht. Kleinfitzeliger als ich heute kann man seine Phasen gar nicht sizieren. Alles schön in Gruppenarbeit und mit auslosen und Folien und Kärtchen und Pie und Pah und Po. Wenn alles klappt, kann ich mich morgen an den Schreibtisch setzen und mich ausruhen. Mal sehen. Wenn es nicht klappt, dann mache ich sowas nie wieder. Dann bereite ich nichts mehr vor. Dann wird alles a la Krise aus dem Ärmel geschüttelt. Oh nein, sie macht das immer „aus der la Meng“ was auch immer das ist.

So, da das heute nicht interessanter wird und ich in die Badewanne will, mache ich jetzt mal Schluss. Für interessante Inhalte hier, muss ich mich erstmal eingrooven in der Schule. Wird schon. Nächste Woche lerne ich auch die neuen Siebtklässler kennen… das wird bestimmt spaßig.

Die Schule ist kein Jobcenter

Mal angenommen ich gehe zum Friseur. Lasse meine Haare schneiden und färben. Es dauert Stunden und ist teuer. Das Resultat ist furchtbar. Ich fange an zu heulen, weil ich so schrecklich aussehe: „Was haben Sie denn gemacht? Das sieht ja furchtbar aus. Ich möchte mit ihrem Chef oder Ihrer Chefin sprechen!“

Chefin kommt: „Ja, tut mir leid. Aber wir haben solche Schwierigkeiten ausgebildete Friseure oder Friseurinnen zu finden, da mussten wir auch unausgebildete Vertretungskräfte einstellen.“ Ich schluchzend zu der Dame, die mir meinen Kopf total verhunzt hat: „Was sind Sie denn von Beruf, wenn Sie nicht Friseurin sind?“ „Ich bin ausgebildete Erzieherin.“ Ich kann es nicht glauben und gehe.

Kann sich jemand vorstellen, dass Jurastudenten im Krankenhaus arbeiten? Denkmalschützer in Restaurants kochen? Mathematiker Flugzeuge fliegen? Weshalb darf jeder Kreti und Pleti Vertretungsunterricht in unseren Schulen machen? Da tummeln sich Studenten, Architekten und alle möglichen Leute zwischen den Lehrern. „Ach, Sie waren schon mal verreist, dann könnten Sie doch sicher den Erdkundeunterricht der achten Klassen übernehmen. Sie haben einen Hund? Machen sie doch bitte auch Bio.“

Warum darf jeder unterrichten? Ist die Kunst des Unterrichtens so easy zu erlernen, dass man sie sich übers Wochenende aneignen kann? Und dann zensieren die die Schüler meiner Klasse und die bekommen dann schlechte Zensuren und bleiben sitzen. Oder sie bekommen schlechten Unterricht und lernen nichts. Vielleicht bekommen sie ja auch guten Unterricht, aber die Chancen, dass jemand, der nie ein Didaktikseminar besucht hat ein Naturtalent in der Unterrichtsgestaltung ist, sind doch eher gering. Ich finde, die Schüler und auch wir Lehrer haben das nicht verdient. In den Schulen sollten nur ausgebildete Lehrkräfte arbeiten. Die Schule sollte kein Nebenjobort für Studenten und Lebenskünstler werden, die woanders nichts finden.

Wenn ich groß bin werde ich…

Wussten Theo von Guttenberg, Frank W. Steinmeier und Angela Merkel in der Neunten Klasse bereits, was sie mal werden wollen? Oder wussten nur ihre Eltern, dass aus denen noch was werden SOLL?

Weiß man mit 15 überhaupt schon, was man als Erwachsener machen möchte? Theos Eltern haben bestimmt nie gesagt: „Hauptsache du findest gute Frau. Muss aber Jungfrau sein. Abiturschule ist egal. Hauptsache heiraten und danach macht du viele Söhne.“ meine eltern haben immer gesagt: „Wenn die mal noch Frisöse wird…“

Wie soll man auch in der verwirrenden Zeit der Pubertät wissen, welchen Beruf man möchte. Ich wollte wahlweise Trapezkünstlerin, Archäologin, Kapitän oder Briefträgerin werden.

Meine Schüler wissen gar nicht, was sie mal werden wollen. Okay, einige wollen berühmt werden. Das ist ja schon mal was. Hätte ich auch nichts gegen. Ich sage ihnen immer: „Ich hebe eure Kunstarbeiten auf, wenn ihr dann mal berühmt seid, und in der Zeitung steht, dann kann ich die an BILD verkaufen. Aber macht  mal nicht nur durch irgendeinen bescheuerten Einbruch oder mit Ehrenmord von euch reden.“

Und dann sage ich auch in jeder Klasse: „Wäre schön, wenn jemand von den Mädchen Kosmetikerin werden könnte, ich habe doch immer so viele Pickel.“ Falls ich mir ein Auto kaufen möchte, habe ich geschworen, vorher Hakan zu konsultieren, der kennt sich voll krass aus. Leider hängt der z. Z. in einer Maßnahme fest, aber ich vertraue seinem Sachverstand total.

Letztes Jahr hatte ich eine Schülerin, die von einer Gymnasiumschule  zu uns kam. Daniela hatte gute Zensuren und wir sprachen oft nach dem Unterricht über Auslandsaufenthalte und wie das Studieren funktioniert. Sie will Plastische Chirurgin werden. Ich setze alle meine Hoffnungen in sie. Sie hat mir Rabatte versprochen. Eine Kosmetikerin, dir mir billiges Botox spritzen kann, würde mir aber in den nächsten Jahren erstmal reichen.

Die Berufswahl ist echt schwierig und ich bin froh, dass ich das hinter mir habe. Ich beneide meine Schüler nur selten darum, dass ihnen noch alles offen steht.

Die Eltern kümmern sich meiner Meinung nach zu wenig darum. Und die Schüler wissen ja gar nicht, was es so alles gibt. Wenn die wenigstens sagen würden: „Irgendwas mit Medien.“ Aber ich bezweifle, dass von Guttenberg vor 25 Jahren sagt: „…irgendwas mit Krieg, will ich später auf jeden Fall mal machen.“