Zur Zeit bin ich echt nicht so gut auf meine Klasse zu sprechen. Nicht nur, weil ich schon jetzt darüber sauer bin, wie viele Schüler am Freitag ihre Anmeldungen für die Prüfung NICHT abgeben werden, dass sie sich nicht um einen Ausbildungsplatz bewerben oder, dass sie dauernd krank sind, nein, auch ihre unendliche Faulheit geht mir gegen den Strich.
Heute wollte ich ihnen ein besonders schönes Bonbon der englischen Grammatik beibringen. Entgegen jeglicher Fremdsprachendidaktik mögen Schüler eigentlich reine Grammatikstunden ganz gerne. Denn wenn sie einmal die Formel verstanden haben, lechzen sie geradezu nach Beispielsätzen, die sie dann regelanwendend umwandeln können.
Heute soll man den Schülern die Grammatik ja unterjubeln. Sie sollen gar nicht merken, dass sie ein grammatikalisches Phänomen vor sich haben. Ich liebe aber diesen Old-School-Style: An der Tafel – oben: Adjektive und Adverbien oder Comparison of Adjectives oder Direct speech and Reported Speech. Dann schön Beispielsätze, dann die Regel erarbeiten lassen, dann die Formel anschreiben und dann Beispielsätze ohne Ende. Bitte nicht weitersagen, dass ich ab und zu noch so unterrichte.
So, also wir sitzen, bzw. die Schüler sitzen da und ich stehe an der Tafel und produziere Sätze zum Umformen. Ronnie, Peter und Adul sind voll dabei. Hinten unterhalten sich allerdings Elif, Esra und Miriam über ihr spannendes Wochenende. So toll kann das gar nicht gewesen sein, denn die meiste Zeit hat Elif nur immer wieder: Ich liiiiIIIbe DicH meIn SchaTzzzz! an Esra gepostet, die dann 1000 Mal: Ich dIIIch auCCh mein DarrrLing fÜR iMMer und EwiG… zurück schrieb.
Trotzdem haben sie sich viel zu erzählen. Unter anderem höre ich: „Halloween war so hammer“ und „echt, dis hat er gesagt?????“
Ständig muss ich Elif ermahnen: „Ellliifff, page 17 in your textbook!!! No, that’s your Workbook. Stop talking, please!“
Es nervt mich echt total. Ab und zu schleudere ich eine Ich-Botschaft nach hinten: „Miriam, ich habe echt Schwierigkeiten hier was zu erklären, wenn ihr da hinten immer nur quascht.“ Die nehmen sie zur Kenntnis, sind eine Minute ruhig, tun so, als arbeiteten sie mit, um dann wieder die Köpfe zusammen zu stecken.
Dann sollen sie die Sätze von der Tafel abschreiben und noch fünf weitere Sätze im Buch bearbeiten. Vorher sollten sie ganz kurz die Regel aus dem Buch abschreiben. Echt eine Sache von 30 Sekunden. Nach 10 Minuten sehe ich die Mädchen hinten wieder quatschen.
„Hallo die Damen, schreiben! Nicht quatschen!“
„Wir sind fertig.“
„Ach, mit allen Sätzen?“
„Welche Sätze?“
„Ihr solltet die Sätze von der Tafel kopieren und die aus dem Buch bearbeiteten.“
„Ähhhh, ich dachte, wir sollten nur die Regel abschreiben.“
So geht das 20 Minuten lang. Ronnie, Peter und Abdul und noch ein paar Streber aus meiner Klasse brühten derweil über den Sätzen aus dem Buch, überschlagen sich mit der Ergebnisssicherung an der Tafel. Als ich den ersten Satz, der mitlerweile über 30 Minuten dran stand wegwischen will, um die Buchsätze anzuschreiben, blökt Miriam von hinten: „Haaaaalt, den habe ich noch gar nicht abgeschrieben!!!“
Als Ronnie, Peter und die anderen fertig sind, reicht es mir. Ich nehme das Workbook, setze mich zu Marcella, die auch gut mitarbeitet an den Gruppentisch und sage: „Okay, wer noch was lernen möchte, kommt bitte hier zu mir.“ Sofort kommen die Schüler, die die ganze Zeit mitgemacht haben, an unseren Tisch. Gemütlich sitzen wir dort und lösen gemeinsam noch mehr Übungsaufgaben im Workbook. Nach fünf Minuten merkt Esra, dass ich nicht mehr vorne stehe und fragt empört: „Ähhhh?? Und was ist mit uns?“
„Ihr könnt auch herkommen, wenn ihr arbeiten wollt.“
Keine der Damen bewegt sich. Bilal fragt, ob er rausgehen kann. Kann er nicht. Mit den Schülern an meinem Tisch arbeite ich intensiv, bis es klingelt. Gut gelaunt gehe ich in die Pause. Binnendifferenzierung, sage ich nur. Die, die arbeiten wollen, können arbeiten und die anderen sollen bleiben wo der Pfeffer wächst. Und morgen mache ich das wieder so!
Klingt nach dem Unterricht unserer Dreizehner in Französisch. Da arbeitet der Kollege nur noch mit denen, die darin Abi machen, der Rest kriegt einen Stapel Zettel für die Woche und soll sich ja nicht wagen bei ihm aufzuschlagen. ^^
Aber dass Bilal rauswollte kann man ihm nicht verdenken. Wenn Sie schon sagen, wer noch was lernen MÖCHTE.
frau freitag, beim nächsten mal bringen sie noch die gitarre mit und dann sieht es so bei ihnen aus: http://www.youtube.com/watch?v=12_DezJEPwE
peschel, kann man getrost vergessen
Das ist böse und nicht okay. Ich habe in Eitorf eine Woche hospitiert und kann sagen, dass die Kinder dort sehr gut lernen. Klar gibt es Ausreißer, aber die gibt es wohl überall … Oder woher nimmst du deine Erkenntnisse, catinka?
ich möchte betonen, dass mein ausgansposting keine wertung beinhaltete. der freitag’sche satz: „Ihr könnt auch herkommen, wenn ihr arbeiten wollt“
hat mich an die reportage erinnert.
Gefällt mir. Aber funktioniert das? Sind die Unwilligen so ruhig, dass die Willigen arbeiten können?
Find ich gut, das haben sie wirklich klasse gelöst.
Und keine Sorge: ihr kleines, schmutziges Geheimnis ist bei uns sicher =)
herrlich..kann man auf jeden anderen Beruf ableiten. Wenn mein Praktikant keinen Bock hat, dann bleibt er halt vor dem TV sitzen. Und der, der Interesse zeigt, bekommt auch alles erklärt.
„schön Beispielsätze, dann die Regel erarbeiten lassen, dann die Formel anschreiben und dann Beispielsätze ohne Ende.“
Wenn das wie Vokabellernen funktioniert, klappt das. Gibt’s am nächsten Tag auch einen Test? Das hatte uns damals unheimlich motiviert. Neue Vokabeln und am nächsten Tag kam ein Test. Sonst wüsste ich nicht mehr so viele französische Wörter.
test am donnerstag. morgen noch mal üben.
Und müssen dann auch nur die mitschreiben, die wollen? 😉
@julius:
Klar, es bleibt doch jedem Schüler freigestellt, seinen Test leer wieder abzugeben. Odr ?!?
Hm…die Idee finde ich super! Das ist noch besser als eine Wochenarbeit aus mehreren Arbeitsblättern/-aufträgen im Unterricht, die die Schüler die Woche danach abgeben muss. Da arbeiten in der Schule auch nur die Motivierten, Lernwilligen… aber die Ergebnisse bei denen, die es am Sonntagabend zu Hause allein versuchen (oder ganz vergessen) sind so frustrierend…
Aber wenn man das als Praktikantin/Referendarin macht, wird man sicher von den betreuenden Lehrkraft nicht mehr lieb gehabt, oder?
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Hallo Frau Freitag,
ich lese schon seit längerem mit wachsender Begeisterung Ihren Blog. Ihre Beiträge retten mir so manchen Tag. =)
Zu Ihrem kleinen Geheimnis: Ich unterrichte auch manchmal so. Die Schüler mögen solche Stunden und die schwachen Schüler haben die Möglichkeit sich zu beteiligen. Wenn das meine ehemalige Fachleiterin wüsste…
Wenn ich richtig verstanden habe, sind gerade die, äh, Herausforderungen unter Ihren Schülern sehr facebook- und generell internetaffin. Da wissen die doch sicher auch, wo man im Netz VÖLLIG KOSTENLOS UND UMSONST all die tollen amerikanischen Filme, TV-Serien, etc. zu sehen bekommt, die im Kino bzw. auf DVD zu teuer für sie sind (und wenn nicht, könnten Sie ja mal einen Zettel mit entsprechenden Adressen „verlieren“, he he).
Worauf ich hinaus will? All die coolen Actionkracher und geilen Seifenopern in diesem Online-Schlaraffenland sind…
auf ENGLISCH!
Das müsste doch selbst bei den Lernresistentesten für eine gewisse Motivation sorgen…! Aber Pssst, von mir haben Sie diesen Tipp nicht! 😉
Vielleicht sollten wir überhaupt nur diejenigen unterrichten, die Interesse bekunden. Die anderen bekommen die entsprechenden Kapitel im Buch genannt und können zur Klassenarbeit kommen.
Übungssätze bringen Erfolgserlebnisse und man muss nicht kreativ sein. Ist so ähnlich wie Matheaufgaben lösen durch Einsetzen der Formel.