Das Handy ist kein Herzschrittmacher!

„Niemand nimmt mir mein Handy ab! Niemand!“

„Aber wenn Frau U. sagt, du sollst ihr das Handy geben, dann musst du das auch machen!“ sage ich – betont ruhig und recht nett. Frau U. steht neben mir. Sie unterrichtet in meiner Klasse Physik und bekommt kein Bein auf den Boden. Das Klingeln von Sabines Handy – mitten in der Stunde – war heute nur das I-Tüpfelchen auf diversen Physikkatastrophen. „Ich geb‘ mein Handy aber nicht ab. Mir egal. Ich brauche mein Handy immer bei mir. Ich kann ohne mein Handy nicht leben!“ Frau U.: „Ich hatte Sabine zur Schulleitung geschickt. Weil sie sich weigerte das Handy abzugeben.“

„Sabine warst du beim Schulleiter?“ frage ich sie. „Was sollte sie da?“ frage ich mich.

„Nein. War ich nicht.“ Ich: „Warum nicht?“ Sie: „Was sollte ich da?“ Ich: „Tja, also…?“

Frau U. in triumpfgefärbtem Ton: „Über das Handyverbot sprechen und über deinen Verstoß gegen die Schulordnung.“ Sabine: „Ich gebe mein Handy niemandem. Nicht mal dem Schulleiter!Ist mir doch egal, was in der Hausordnung steht.“ Ich gucke Frau U. an, dann Sabine: „Also pass auf. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder du gibst Frau U. jetzt das Handy und wenn du dich in der nächsten Stunde gut verhälst bekommst du es vielleicht zurück…“ Ich grinse kurz Frau U. an, die ist mittlerweile versteinert. „…oder der Schulleiter muss dich in der nächsten Stunde aus dem Unterricht holen und dir dein Handy abnehmen und das hat dann natürlich noch weitere Konsequenzen…Suspendierung, Anruf zu Hause, Tadel…“ Sabine guckt auf den Boden. Grimmig. Wer Sabine kennt würde ihr niiiiieeeee ein Handy oder überhaupt irgendetwas abnehmen. An ihr kann man kein Exempel statuieren. Sie ist stur und eigensinnig und man darf sie nicht zur Feindin haben. Ja, man darf das nicht und man will es eigentlich auch nicht und man muss es auch gar nicht. Sabine ist eigentlich ein sehr vernüftiges Mädchen. Cool und stark, sehr ehrgeizig, aber eben auch stur.

„Ich gebe mein Handy nicht ab.“ sagt Sabine und geht, ohne uns noch einmal anzusehen weg.

„Tja Frau U. was nun?“ Ich bezweifle, dass der Schulleiter Sabine in der folgenden Stunde im Unterricht besuchen wird. Das war wohl meinerseits etwas zu hoch gepokert, aber etwas Besseres viel mir nicht ein. Warum ist Frau U. auch so unsensibel und läßt sich auf so einen doofen Konflikt ein. Jeder Konflikt mit Handys ist echt nervenaufreibend.

Als wir uns gerade umdrehen wollen, um ins Lehrerzimmer zu gehen, steht plötzlich Sabine vor uns. Sie sieht und nicht an, steckt mir aber wortlos das Handy in die Jackentasche und rennt weg. Ich überreiche es glücklich strahlend Frau U.: „Wenn sie sich jetzt in der nächsten Stunde benimmt kannste ihr das Handy ja wiedergeben. Würde ich jedenfalls machen…aber das musst du entscheiden.“

Zufrieden gehe ich eine Rauchen. Manchmal kommt es eben doch anders als man denkt. Auch wenn es meistens schlimmer kommt..

Wo ist es eigentlich so dreckig?

Also hier mal was ganz Internes. Ich frage mich seit langem, warum meine Fingernägel in der Schule immer so dreckig werden. Jedesmal, wenn ich nach Hause fahre und mir meine Finger ansehe sind die schwarz, als hätte ich in der Erde gewühlt. Und warum wachsen die in der Schule so schnell? Ständig sind die zu lang und dann auch noch so schmutzig. Es kommt mir vor, als müsste ich  mir täglich die Nägel schneiden.

Aber woher kommt der Dreck? Auch in Stunden in denen ich nur mit Papier arbeite – also Fotokopien -verdrecken sie. Ist das der Toner aus dem Kopierer? Sind das die schmutzigen Schüler? Die sind eigentlich bei uns immer sehr sauber und gestylt. Und ich kratze denen ja auch nicht auf den ungewaschenen Rücken rum. Geht das nur mir so? Haben auch andere Kollegen das Problem? Ist es die Asche aus der heißen Brennpunktschule? Ist es der Bodensatz der Gesellschaft, den wir dort verwalten? Feinstaub? Ist Feinstaub schwarz? Sind meine Fingernägel wie Moodringe, werden sie schwarz, wenn ich schlechten Unterricht mache? Ist es das Alter? Ist es der Tod, der sich schonmal in den Nägeln festsetzt? Ist es materialisierter, erstarrter Schweiß? Ist Schweiß nicht durchsichtig? Gibt es einen Trick die Nägel dauerhaft sauber zu halten? Kann man sie versiegeln? Hilft eine Maniküre? Hilft Nagellack? French Nails? Was kosten die?

Und letztendlich: Habe ich keine anderen Probleme als meine schmutzigen Fingernägel?

Was war den heute mit denen los?

Heute war irgendwie der Wurm drin. In jeder Stunde meisterhaft abgekackt. Wirklich in jeder. Fing schon mit der ersten an. Ich schreibe einen Test, drei Leute sind beim Klingeln da, nach fünf Minuten kommen sechs gackernde Vollpupertärinnnen rein geflogen und kichern sich auf ihren Plätzen erstmal in aller Ruhe weiter aus. „Huch, Tschüch, Test, abo…wußtich nisch…mach nicht so…“ Habe ich aber gnadenlos weiter so gemacht und die konnten Zeugnis ihrer Unkenntnis ablegen. Alle einen Ausfall. Nach dem Test geht das heitere Gequatsche weiter. Ich will einen Text lesen, scheint keinen zu interessieren. Sie schlagen nicht mal das Buch auf. Ich warte, ich gucke böse, ich zerplatze innerlich, warte weiter…und dann setze ich mich hin: „Okay, so kann ich hier nicht unterrichten. Das kann nicht war sein, dass ihr hier so unruhig seid. Nicht in der ersten Stunde….“ Sie starren mich etwas ungläubig an. Huch, Metaebene?

Ich schleuder ihnen eine Moralpredigt entgegen, die sich gewaschen hat. Sie endet mit der Frage: „Was wollt ihr eigentlich später mit eurem Leben anfangen? Einen Schulabschluss wollt ihr ja offensichtlich nicht.“ Ich frage jetzt gezielt einzelne Schüler und Schülerinnen.

Mohamad: „Frau Freitag, bei uns ist das irgendwie anders. Bei mir in der Familie hat keiner einen Abschluss. Oder wenn, dann nur einen Hauptschulabschluss. Aber die Eltern geben denen trotzdem dann Geld. So 5000-10000 Euro.“ Ich traue meinen Ohren nicht und schreie: „Und Mohamad du meinst deine Eltern geben dir 10 000 Euro, wenn du hier von der Schule ohne jeglichen Abschluss abgehst? Das glaubst du doch selber nicht. Woher sollen die denn soviel Geld nehmen?“ Jetzt mischen sich die Mitschüler ein: „Warum sollen deine Eltern dir Geld geben, wenn du alles verkackst?“

Mohamad sucht nach Auswegen: „Ich könnte auch so eine Ausbildung zum Bäcker machen. Bei meinem Vater. Der ist Bäcker. Da kann ich das auch ohne Schulabschluss…“ Ich kläre ihn auf, dass sein Vater kein Bäckemeister sei. Er: „Doch ist er.“ Ich: „Nein, ist er wahrscheinlich nicht.“ Er: „Doch, der macht das schon seit dreizehn Jahren…und wenn ich dann Bäcker bin, dann verdiene ich so zwischen 3000 und 5000 Euro im Monat.“ Ich: „????? Wie bitte? Ein Bäcker – 5000 Euro, komm mal klar Mohamad, komm mal in der Realität an. Ein Lehrer verdient 2000 Euro, da kriegt doch ein Bäcker nicht 5000!!!!!!!!“ Mohamad guckt verwirrt. Sabine dreht sich zu ihm und flüstert: „Willst du denn Bäcker sein?“ Mohamad kaut auf seiner Unterlippe und denkt nach. Diese neuen Fakten scheinen seine Zukunftspläne enorm durcheinander zu bringen. Als ich Ahmet nach seinen Zukunftsplänen frage bekomme ich folgendes Szenario: „Ich mach erstmal viel Geld.“ Ich: „Wie denn ohne Schulabschluss?“ Er: „Ich hätte da 10000 Möglichkeiten.“ Ich: „Illegale Dinge, oder was?“ Er: „Nein, legal.“ Ich: „Nenne mir eine Möglichkeit, wie du ohne Abschluss viel Geld verdienen willst?“

Seine 1000 Ideen behält er für sich und murmelt nur: „Dann heirate ich eben und bekomme 10 Kinder.“ Nach dem Statement kann ich mich zurückhalten, denn jetzt wird er von den anderen Schülern verbal zerfleischt.

Ich frage mich allerdings immer noch: In welchem Alter kommt der Jugendliche in der Realität an?

Unsere sind genau so

Gestern abend sehe ich im Fernsehen diese Wahlsendung von Stefan Raab. Wir haben Freunde zum Essen eingeladen und hängen alle schlapp auf der Couch und rauchen. Die Politiker sind wie immer, meinen sich etwas cooler geben zu müssen, weil sich das Publikum wie bei einer Nachmittagstalkshow benimmt.

Plötzlich kommt ein Beitrag über ziemlich ahnungslose Erstwähler. Ihnen werden mehrere Fragen zur Politik und zu Politikern gestellt. Sie wissen gaaaaar nichts. Leider geben sie das nicht zu, sondern verkünden im Brustton der Überzeugung, dass Merkel bei der SPD ist, wir im Kommunismus oder in einer Monarchie leben und dass es einen Maxi-Minister gäbe, der sich um die großen Dinge kümmern würde. Alle lachen. Nur Frl. Krise und ich sehen uns an: „Die sind genauso wie unsere.“ Ich überlege, wer in meiner Klasse wüßte, was Demokratie ist, wer von ihnen würde Westerwelle erkennen? Wer würde wissen, was SPD heißt? Mein Freund lacht sich über die bescheuerte Ahnungslosigkeit der Jugendlichen halb tot. Ein Mädchen sagt auf die Frage, was sie aus ihrem Leben machen will: „Naja, ich hab‘ Abgang…“ ich weiß sofort was sie meint. Ein Abgangszeugnis, also keinen Schulabschluss. Bei uns ist „Ich hab‘ nur Abgang“ ein ganz normal verständlicher Satz. Wir verstehen das genauso gut wie „Ich war Arzt“ oder ein freudiges „Frau Freitag wir haben jetzt unbefristet“ Ich empfinde diese Sätze in keinster Weise als irgendwie seltsam oder unkorrekt. Automatisch verbessere ich die Schüler jedes Mal, wenn sie so sprechen, aber wundern tue ich mich nie darüber. Frl. Krise scheint es ähnlich zu gehen. Vorgestern bekam ich von ihr eine SMS: „Wir sind Italiener“

Wenn ich die Schüler auf ihre falsche Sprache aufmerksam mache, heißt es nur: „Wir sind halt Ausländer.“

Nach dem Bericht über die dummen Erstwähler wird bei Raab entsetzt nach den Gründen von soviel Bildungslücke gefahndet. Die Schule, die Lehrer, die Eltern…Tja, ich weiß es auch nicht. Ich kann nicht sagen, dass wir denen in der Schule den ganzen Tag gar nichts, oder nur Schwachsinn beibringen. Ich weiß noch nicht mal, ob meine Schüler eigentlich wissen, dass sie fast gar nichts wissen, oder sich nur mit Dingen auskennen, die in unserer Gesellschaft relativ unwichtig sind. Oder ist Bildungs Ansichtssache und Raab hat nur die falschen Fragen gestellt. Hätte Westerwelle gewußt, wie MSN oder Blue Tooth funktionieren? Weiss Merkel, wie man einen Eyeliner benutzt und was French Nails kosten und wie sieht es mit Trittins Kenntnissen über den Eastcoast-Westcoast Streit im Rap aus? Vielleicht könnte man darüber auch mal eine Fernsehsendung machen, damit meine Schüler auch mal was zu lachen haben.

Aber versteht mich nicht falsch, ich war auch entsetzt und ihr könnt sicher sein, dass ich meiner Klasse gleich morgen einbläuen werde was eine Staatform ist und was die Parteiabkürzungen eigentlich heißen.

Wer die Qual hat hat die Wahl

War ich eben Wahlomat, Lan? Was das ja? Gibts übertrieben viel Fragen, aber gibs nich Antworten.

Und es gibt auch nicht die richtigen Fragen – Thesen. Atomausstieg….ja, das habe sogar ich mittlerweile mitbekommen, welche Meinung die Grünen und die CDU dazu haben. Aber Bildungspolitik – nur mal kurz angeschnitten. Ich dachte Bildung sei die Zukunft, sei so wichtig – und dann nur drei vier Luschifragen zur Dreigliedrigkeit, Bafög und zum gesetzlich garantierten Ausbildungsplatz.  Aber dann stolpere ich doch über eine Frage-These, die mein Herz schneller schlagen läßt:

These 15 von 38: Betreuungsgeld

Eltern, die für ihre Kinder keinen Krippenplatz in Anspruch nehmen, sollen ein Betreuungsgeld erhalten.

Also erstmal: Krippenplatz – schön dieser altertümliche Ausdruck. Heißt das nicht mittlerweile Kitaplatz, Na egal, aber lassen wir uns diese These mal genauer durch den Kopf gehen. Was steckt dahinter und wie kommt irgendjemand auf die Idee sowas zu fordern?
Also ich stelle mir das so vor: Bayrischer Landtag, Politiker sitzen zusammen. Alle von denen sind verheiratet (alle sind Männer) und alle haben Kinder, sie wohnen alle mit ihren Familien in einem schönen Haus mit Garten, die Ehefrauen sind natürlich zu Hause und erziehen die Kinder, bis sie eingeschult werden zu Hause.
Sagt einer: „Ej, lass mal den Frauen Geld geben, wenn die Kinder zu Hause bleiben. Ist ja auch Stress für die Frauen und dann haben die wenigstens auch was davon und so ein Krippenplatz kostet doch auch Geld und dann müssten wir auch nicht mehr so viele neue Krippen bauen, das spart ja dann wieder Geld.“ Alle anderen finden das ist eine super Idee und schreiben das in ihr Parteiprogramm.
Frau Freitag liest das in der Zeitung und traut ihren Augen nicht. Frau Freitag kennt viele Mütter mit Kleinkindern, auch von denen arbeitet keine und sie sind auch alle den ganze Tag zu Hause – aber keine von denen hat ein Haus mit Garten. Frau Freitag liest: Geld fürs Zuhauselassen….neiiiiiiin, auf keinsten Fall!!!!! Nicht!!!!!Wie sähe das denn praktisch aus – die Eltern sagen sich: „Vallah mehr Geld…für Kind zu Hause…beste…muss Kind nicht zu Kartoffeln in Kindergarten, kann ich Kind schön zu Hause von älteren Schwestern beaufsichtigen lassen…“ Dann kommen die Kinder in die erste Klasse und haben da zum ersten Mal den Kontakt zur deutschen Sprache. Viel Spaß ihr armen Grundschulkollegen und Kolleginnen. Liebe Politiker, wie kann man auf der einen Seite die christlichen Werte hochhalten….

These 23 von 38: Christliche Werte

Christliche Werte sollen das Leitbild deutscher Politik sein!

….und auf der anderen Seite Geld dafür bezahlen wollen, wenn die frühkindliche Erziehung unser zukünftigen Bürger zu einem großen Teil muslimisch ist. Und was bitte sollen dann die späteren Sprachtests?
These 8 von 38: Sprachtests für Kinder

In allen Bundesländern: Einführung verbindlicher Sprachtests für alle Kinder im Vorschulalter.

Da braucht ihr nichts zu testen, ich garantiere euch auch ohne Tests, dass viele Kinder aus dem Einzugsbereich meiner Schule miserabel bei diesen Tests abschneiden werden! Oder sollen nur Familien mit deutschsprachigem Ureinwohnerhintergrund Anspruch auf Betreuungsgeld haben?


Aber vielleicht sehe ich nicht die vollen Möglichkeiten dieser Forderung. Vielleicht ist das Betreuungsgeld doch keine so schlechte Idee. Vielleicht ist das der Anfang, die Chance, die Zukunft, die LÖSUNG! Vielleicht will man auf Dauer dieses Betreuungsgeld ausweiten. Geld für die Betreuung im Grundschulalter, bis hin zur vollständigen Erziehung der Kinder zu Hause. Statt Zehnjähriger Schulpflicht, die Möglichkeit ein Jahrzehnt Betreungsgeld zu kassieren. Man müsste dann auch nicht den Hartz4 Satz erhöhen und wir Lehrer hätten definitiv kleiner Klasse, weniger Stress und der Weg wäre frei für eine Eliteförderung an allen Schulen.
Mist, so habe ich das ganze noch gar nicht gesehen, da muss ich jetzt doch noch mal genau überlegen, was ich morgen wählen soll.

The empire strikes back

So, Frau Freitag greift durch. Frau Freitag hat die Schnauze voll. Jetzt wird den Schwänzern der Garaus gemacht. Jetzt reicht es echt. Heute komme ich auf den Hof und da sitzen die Mädchen und ein paar Jungs gemütlich auf den Bänken und quatschen. Ich gucke auf ihren Stundenplan:  Sport.  Gehe zum Vertretungsplan. Vertretung bei Frau B. Wutschnaubend stürze ich mich auf sie.  „Warum seid ihr nicht bei Frau B.????“ Gestammel und Fadenscheiniges wird mir entgegen gebracht. „Tja, eine weitere Fehlstunde für euch. Pech.“ Im Lehrerzimmer trage ich die Schüler in meine Fehlstundenliste ein. Es klingelt, ich gehe zu meinem Unterricht. Ich war bisher immer bei meinem Unterricht. Ist gar nicht so schwer. Man muss nur einfach hingehen. Warum können meine Schüler das nicht?

Nach der Stunde mache ich wieder meinen Kontrollgang auf dem Hof. Mittlerweile weiß ich ja, wo ich meine Klasse finde und da sitzen die doch tatsächlich immer noch an der gleichen Stelle. „Sagt mal spinnt ihr? Ihr habt doch jetzt Physik!“.  „Herr O. läßt uns nicht rein.“ Wortlos drehe ich mich um. Kurz vorm explodieren. Na wartet… ihr bekommt heute alle einen Brief nach Hause. Und dann wollen wir doch mal sehen. Und da werde ich jedem einzelnen eine Schulversäumnisanzeige androhen. Wenn eure Eltern das Wort Anzeige lesen werden sie euch doch endlich mal Dampf unterm Hintern machen. Ich erzähle meiner Klasse ja nun schon seit Jahren, wie so eine Anzeige funktioniert und dass die Eltern da unter Umständen bis zu 2500 Euro bezahlen müssen. Das schockt sie, jedesmal, für fünf Minuten, oder bis zur nächsten Stunde.

Bevor ich nach Hause gehe sehe ich nochmal auf den Hof – gibt doch nichts über einen gut organisierten Überwachungsstaat – jedenfalls sehe ich da Ali, der dort fröhlich Basketball spielt. Mittlerweile hat er nicht nur zwei Vertretungsstunden und Physik geschwänzt, nein,  jetzt schwänzt er gerade noch die Geschichtsstunde, die schon seit 20 Minuten läuft. „Ali! Mitkommen!“ Schuldbewußt trottet er hinter mir üher über den Hof… „Hat die Stunde schon angefangen?“ Der Hof ist menschenleer. Ich drehe mich zu ihm um – „WILLST DU MICH VERARSCHEN????“ Er geht zum Unterricht.  Ich wutschnaubend zurück ins Lehrerzimmer. Fünf Minuten später kommt ein Kollege mit Ali runter: „Du, Frau Freitag, der ist doch von dir, oder?  Der wummert da oben wie bescheuert gegen die Tür.“ Ich mit versteinertem Gesicht: „Danke.“ Zu Ali: „Okay, dann rufe ich jetzt deine Mutter an, die soll kommen und dich abholen.“ Die Mutter kam, wir führten ein nettes Gespräch, Ali ziemlich kleinlaut, der Vater ist auch informiert. Alis Wochenende ist im Arsch. Und ich ging fröhlich nach Hause und schrieb sofort Elternbriefe  an fast alle Schüler meiner Klasse. Komisch, wie das meine Laune verbessert hat….

Wer kommt mich hier eigentlich täglich besuchen?

Eine der tollsten Sachen bei einem Blog sind ja die Suchbegriffe, die jeden Tag aufgelistet werden. Da sitzen dann Leute am Computer, geben ihre Fragen in die Suchmaschinen ein und zack, landen sie bei Frau Freitag. Ich erkenne viele Lehrer – die schreiben so typische Lehrersuchbegriffe – aber es kommen auch täglich so abgedrehte Sachen, die nur von Schülern stammen können.

Dann stelle ich mir da einen pickligen Teenager vor, der mit zitternden Fingern „abnormale Sex mit Lehrerin“ tippt und dann bei mir landet. Und hier dann meine Kritik an Teach first Deutschland lesen kann.  Warum der eigentlich hier landet ist mir allerdings nicht ganz klar. Ich möchte an dieser Stelle mal die Suchbegriffe derletzten zwei Tage vorstellen:

Heute

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Lass mal nicht zum Unterricht gehen….

Weil ich heute erst später zur Schule muss, habe ich gerade Zeit gehabt, mich meinen persönlichen Statistiken hinzugeben. Dabei sind mir das Ausrechnen und Ranglistenanlegen der Fehlzeiten meiner Klasse die Liebsten.

Ich habe ein etwas kompliziertes, aber sehr übersichtliches System die Verspätungen und die Fehlstunden meiner Schüler festzuhalten. Alle vier Wochen schreibe ich den Eltern Briefe und berichte ihnen u.a. wie oft ihre Kinder geschwänzt haben. Manche Eltern rufe ich fast täglich an: „Tut mir leid Frau El-/Al-/Schmidt…aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ihr Sohn/ihre Tochter heute schon wieder nicht bei Deutsch war.“

Die Schülerinnen und Schüler spreche ich sofort (meistens auf dem Hof) auf ihre Vergehen an und bekomme die interessantesten Storys, die mir aber mitlerweile völlig egal sind. Geschwänzt ist geschwänzt. Dann informiere ich die Klasse jede Woche über den Stand der Dinge, wer hat bisher wie oft gefehlt. Dazu bekommen sie jedesmal einen Vortrag, dass sie sich doch mit diesen Zeugnissen um eine Lehrstelle bewerben werden müssen. Darauf folgt ein: „Macht nicht so! Strengt euch an, das muss unbedingt sofort aufhören…“ Nächste Stunde gehe ich auf den Hof und da sitzen wieder welche, die gerade schwänzen. Wenn ich sie erwische bringe ich sie persönlich in den Unterricht.

Alle diese Maßnahmen kosten Zeit, Kraft und meinen Nerven tun sie gar nicht gut. Ich rege mich über jede einzelne Stunde und sogar über die Verspätungen tierisch auf. Das geht nun schon seit zwei Jahren. Und was nützt das alles?

GAAAAAAR NICHTS!!!!! Ich bin die einzige in meiner Klasse, die sich erfolgreich irgendwo bewerben könnte. Ich habe weder eine ent-noch eine unendschuldigte Stunde und ich war immer pünktlich. Mir folgen vier Schüler, die auch immer da und immer rechtzeitig kamen. Einige von denen waren aber schon mal einen oder einen halben Tag krank. Dann gibt es sieben Leute, die ein bis zwei Stunden geschwänzt haben und zwei bis drei mal zu spät kamen. Wenn das so bleibt, kann ich über diese Fehltritte hinwegsehen. Aber dann sind da die anderen, die, die gezielt nicht zu bestimmten Unterrichtsstunden gehen. Fünf bis sechs Fehlstunden und ich vermute, dass die Kollegen in der ersten Schulwoche noch gar nichts aufgeschrieben haben, denn da ist meine Liste noch ganz leer. Und dann meine vier Problemfälle: einer acht, einer neun, die ehemalige Dauerschwänzerin 12 und Maya 16(!!!) Fehlstunden. Und die ist jedenTag (pünktlich) in der Schule. Die geschwänzten Stunden verbringt sie auf dem Hof oder rauchend mit irgendwelchen zwielichtigen Jungs vor dem Schulgebäude.

82 unentschuldigte Fehlstunden insgesamt. In drei Wochen. Für eine Klasse. Ist das normal? Liegt das an mir? Was kann ich dagegen tun? Hat jemand eine Idee? Methoden, die das Schwänzen eindämmen? Einsperren und Auspeitschen ist meines Wissens nach nicht erlaubt. Den Eltern rate ich zu Handyentzug und Ausgangssperren. Aber was kann ICH machen? Wie gesagt, ich gehe ja täglich mit gutem Beispiel voran. Oder rege ich mich ganz umsonst auf? Gehört das Schwänzen einfach dazu? Und wenn das so ist, oder kann ich da gar nichts gegen tun? Falls das so ist, wie schaffe ich es dann, mich nicht mehr so enorm darüber aufzuregen?

Meine Schüler sind genau die, die immer im Fernsehen als die armen Opfer des Schulsystems dargestellt werden. Chancenlos und benachteiligt. Aber ich sehe nur, dass sie die Chance hätten, einen guten Schulabschluss zu machen, nur – sie nutzen die Chance gar nicht. Sie gehen ja nicht mal zum Unterricht! Ach ich weiss, ich werde mal einen TEACH FIRST FELLOW an die Schule holen, der weiss bestimmt was zu tun ist.

Wenn alles getan ist…

Wenn alles getan ist, ist super. Wenn der schlimmste Tag der Montag ist, dann ist der Sonntag nicht schön, aber der Montagabend, nämlich jetzt, ist das Paradies auf Erden. Ich bin so entspannt, dass ich gar nicht weiß, worüber ich schreiben soll.

Vielleicht mal über die netten Schüler. Die gibt es nämlich auch. Sogar an unserer Schule. Vielleicht sollten wir uns mal nur auf die konzentrieren. Wenn wir über unseren Berufsalltag reden, dann erzählen wir doch immer von den Schwierigen, von den Nervtötern, von den Nichttuern, den Alleskaputtmachern. Von den Schülern, mit denen man am meisten Arbeit hat und die einem den Unterricht, denTag und den Spaß am Beruf zerstören.

Konzentrieren wir uns mal auf die netten Schülerinnen und Schüler. Die, von denen wir leider bis zum Schuljahresende nicht die Namen wissen, oder die wir immer wieder verwechseln – gerade weil sie nicht stören. Das sind die, von denen wir nicht die Eltern kennen, weil wir die nie anrufen oder zum Gespräch einladen müssen. Überhaupt reden wir, ich zumindest, höchst selten mit den lieben, netten Schülern, weil die ja immer da sind, nicht stören und alles tun was ich von ihnen verlange. Sie machen ihre Hausaufgaben, lernen, schreiben gute Arbeiten…was gibt es also mit denen zu besprechen? Probleme scheinen die nie zu haben, denn sie tanzen nie aus der Reihe. Wenn sie mal eine Stunde, oder in einer Miniphase des Unterrichts unkonzentriert sind, dann rede ich schon mal mit denen: „Das bin ich von dir aber nicht gewohnt…mach nicht so, das ist doch gar nicht deine Art….von dir erwarte ich aber dies und das….du bist doch sonst immer so….“ Diese Schüler dürfen nicht negativ auffallen, denn sie bilden das wacklige Gerüst auf dem ich so tue, als fände bei mir geregelter Unterricht statt.

Diese Schüler sollen immer die perfekten Schüler sein. Sie dürfen sich nicht verändern. Die dürfen nicht in die Pubertät kommen, schlecht gelaunt sein oder faul und unverschämt werden.

In meiner Klasse gibt es vielleicht sechs oder sieben davon. Sechs oder sieben Schülerinnen und Schüler, die einfach so funktionieren und um die ich mich so gut wie gar nicht kümmere. Sollten die mal mit irgendeinem Problem zu mir kommen, dann fordere ich von denen dass sie das auf dem schnellsten Wege selber lösen. Ich habe keine Zeit, keinen Nerv und auch keine Lust mich auch noch intensiv um die lieben, netten Schüler zu kümmern.

Ist das nicht krass – der Lohn für gutes Verhalten und regelmäßige Mitarbeit ist ignoriert werden…Warum ignorieren wir nicht mal die Störer? Frl. Krise schreit jetzt „ETEP, ETEP, da soll man das genau so machen…nur das positive Verhalten verstärken….“ Was machen die Störer eigentlich, wenn sie ignoriert werden? Hat das jemand schon mal probiert?

Mein Plan für den Rest der Woche, intensive Gespräche und Zuwendung für die lieben Schülerinnen und Schüler und die anderen links liegen lassen.

Mal ehrlich, hat unser ganzes pädagogisches Gekümmere schon mal was gebracht? Sind diese Deppen nicht am Ende doch sitzengeblieben, von der Schule geflogen, im Jugendarrest gelandet oder ohne Schulabschluss abgegangen? Also liebe Kollegen, ab morgen nur noch Elitenförderung an den Schulen, aber an allen Schulen, auch an den wo man schon zur Elite gehört, wenn man nicht mit ’nem Messer zur Schule kommt.

Teach first – und dann?

Ich wurde von einer Freundin darauf hingewiesen, dass es eine neue Art von Schulfremden gäbe, die sich in unser schönes realexistierendes Schulsystem drängen. Teach first – kommt natürlich aus Amerika und heißt dort „Teach America“ (glaube ich zumindest). Aber die direkte Übersetzung – Unterrichte Deutschland – klingt den Organisatoren wohl zu…zu…nun, zu irgendwas.

Jedenfalls geht es bei diesem Programm darum, überdurchschnittlich gute, super strebsame, Hyperakademiker erstmal für zwei Jahre an einer deutschen Brennpunktschule zu beschäftigen. Dort erhalten sie für einen relativen Hungerlohn auch Einblicke in eine Realität, die sie in ihrem Leben noch und später nie wieder sehen werden.

Eine Art Zivildienst oder soziales Jahr für Überflieger, denn nach diesen zwei krassen Jahren mit dem Unterschichtsgesocks garantiert ihnen die Industrie mehr oder weniger Spitzenpositionen in Riesenunternehmen, wo sie ihr Leben lang dann Managergehälter und Boniiii in Größenordnungen scheffeln, von denen uns popligen Lehrern ganz schwindlig wird.

Ist doch schön, oder? Schlaue, junge, engagierte angehende Manager von Großunternehmen kommen in die Ghettoschulen und sehen, wie es dort abläuft. Dieses Erfahrungen nehmen sie mit in die Chefetagen. Dort werden sie dann richtige Entscheidungen treffen und sofort die Welt verbessern. Klingt doch super. Wer könnte jetzt wieder was dagegen haben?  Ich!

Jedenfalls bin ich skeptisch und das nicht nur, weil dieses Programm aus Amerika kommt und bei uns von Lufthansa und Vodafone unterstützt wird. Ich frage mich, was wollen die an den Schulen? Dient dieses Programm der Persönlichkeitsfindung von hochbegabten Ausnahmeabsolventen? Ist das so ein Gut-Menschentum, ähnlich wie wenn Schauspielerinnen und Models durch Afrikas Slums krauchen, immer mit einem süßen schwarzen Baby auf dem Arm, und einem Haufen Presse im Schlepptau?

Was sollen die in den Schulen machen? Stehen die dort nicht nur im Weg rum und erwarten von uns noch alles erklärt zu bekommen? Sollen die Schüler denken – „Oh toll, die haben es geschafft, wir nicht.“ Sollen die Blögge schreiben, wie krass es in den Schulen zugeht, sozusagen zwei Jahre Horrorkabinett für Leute die mit der Schule gar nichts zu tun haben? Oder sind das am Ende die Spitzenleute, die uns aus dem Pisaschock holen sollen? Sind die etwa an den Schulen, um uns zu helfen? Wenn ja, wie? Wären nicht gut ausgebildete Lehrer besser?

Mit all diesen Fragen surfe ich mich zu deren Internetseite und traue meinen Augen nicht. Da wird das Programm natürlich erstmal beschrieben. Selbstloser als die hat nur Jesus gehandelt. Klingt alles super, warum und wie die das machen sollen. Aber dann die große Überraschung. Diese Fellows (so nennen die sich) seien eigentlich viel geeigneter in den Brennpunktschulen was zu bewirken, als wir. Die seien doch so engagiert und überfliegerich, dass sie die Schüler viiiiel besser erreichen würden. Ich denke: Na, da hört sich doch alles auf…so eine Unverschämtheit…jetzt kommen da so Fuzzis und machen diesmal kein Praktikum bei Coca Cola, sondern opfern sich für zwei Jahre in voll krasse Schule mit voll arme Harz4-Kinder. Und das alles ohne jegliche pädagogische Ausbildung – oh halt – nach einem kurzen Lehrercrashkurs. Für die reichen sechs Wochen, denn die sind ja schon so schlau.

Dann gibt es da noch ein Video. Da sieht man so jung dynamische Teach first Anwärter mit ihrem Intentionen: Ich will….ich will… ich will…Ich will mal wissen, wie die in der Praxis scheitern – weil so leicht wie sich das alles anhört ist das an den Brennpunktschulen nämlich nicht. Oder wollen wir nur nicht? Wollen wir Lehrer unsere Schüler nicht begeistern, fördern, erreichen, ihnen eine Chance geben…genau, daran liegt das, dass aus den meisten Schülern nichts wird. Wir wollen das gar nicht und die Teach first Leute, die wollen das alles.

Okay, jetzt habe ich es kapiert. Vielleicht sollten die gleich das Schulsystem übernehmen, die haben ja offensichtlich die besseren Leute. Und vielleicht werden Mohamad und Kevin dann auch Manager bei Lufthansa und Vadafone.