Lang, platt und niveaulos

Morgen fängt die Schule an. Also wir waren schon drei Tage in der Schule, aber morgen kommen die Schüler.
Ich stehe vorm Spiegel. Mist, ich wollte doch noch zum Friseur. Sechs Wochen Zeit und dann am letzten Ferientag: Huch, keine neue Brille, keine Zahnprofilaxe und nicht beim Friseur gewesen.

Frustriert von meinen kaputten Haarspitzen wende ich mich Facebook zu und denke: Was ist denn jetzt los? Kann Facebook meine Gedanken lesen oder beobachtet mich Mark Zuckerberg heimlich durch die Kamera meines iPads und sieht meine verwurschtelten Haare? Hinter den Urlaubsfotos meiner Freunde taucht plötzlich dieser Artikel auf. Überschrift: Das sind die 10 besten Haarstyles für Frauen ab 50. Häh? Woher weiß Facebook, dass ich fast 50 bin? Okay, irgendso ein Algodings kann das aus meinem angegebenen Geburtstag errechnen. Aber woher weiß Facebook, dass ich zum Friseur wollte? Egal. Und ist doch eigentlich super, dass ich jetzt erfahren kann was das Beste für mich und meine Haare ist.
Vor den Bildern gibt es erstmal einen kurzen Einführungstext:

Frauen mit fünfzig können sich nur einen einzigen Haarstyle leisten? Kurz und praktisch? Von wegen! Wir sagen: 50 ist das neue 40. Und wir wissen: 40 ist das neue 30. Und mit diesem neuen 30 kann man sich einige Frisuren mit langen, mittellangen und kurzen Haaren leisten.

Ich lese diese Zeilen drei Mal und bin immernoch verwirrt: 50 ist also das neue 40 und 40 ist das neue 30. Das wußte ich gar nicht. Ist dann 30 das neue 20 und 20 das neue 10? Aber gut. Bin ich also nicht 50 sondern 30. Schlagen die mir jetzt einen Iro vor? Ich bin gespannt.

Der erste Frisurenvorschlag heißt: Super kurz und super vielseitig. Unter der Überschrift ist ein Bild einer sehr, sehr jungen Frau, die auf keinen Fall 50 ist, sie sieht nicht mal wie eine genuine 30 Jährige aus. Sie ist höchstens Mitte 20 und die Haare sind grau gefärbt, man sieht ihre sehr, sehr dunklen Ansätze. Bei einer richtigen 50 Jährigen wäre das ja umgekehrt: Die dunkelgefärbten Haare würden grau nachwachsen, wenn man, wie ich zu faul zum regelmäßigen Färben ist. Ich fühle mich also schonmal ein bisschen betrogen. Mal sehen, was unter dem Bild steht:

Einige super kurze Haarschnitte wirken schwer und streng. Das sind nicht gerade zwei Begriffe, die man mit einem Jungbrunnen verbindet. Deshalb ist eine Kurzhaarfrisur mit einem weichen Schnitt besonders attraktiv und für Frauen in den 50ern geeignet. Leicht chaotisch und etwas fransig – das macht jung und ist besonders vielseitig.

So so, leicht chaotisch und etwas fransig macht uns also jung und vielseitig. Was soll das eigentlich heißen: jung und vielseitig? Und diese Kurzhaarfrisur kommt bei mir sowieso nicht in Frage. Meine Haare sind viel zu dünn. Und so ein superkurzer Pony, der nur bis zur Mitte der Stirn geht, das habe ich in den Neunzigern schon probiert. Ich sah aus wie jemand, der sich die Haare mit einer stumpfen Schere selbst geschnitten hat und dann aus der Nervenheilanstalt getürmt ist. Aber mal sehen, was sie mir noch vorschlagen.

Die nächste Frisur heißt: Der Anit-Kurzhaarschnitt.
Auf dem Bild ist Annett Bening mit einem Haarschnitt, der sehr nach missglücktem Eigenversuch aussieht. Die Haare sind mal kurz mal lang, stehen hoch aber irgendwie auch nicht. Und überhaupt Annett Bening? Die ist doch 59. Okay, nach deren Logik ist wahrscheinlich 60 das neue 50. Demnach ist sie mit ihren 49 doch nicht fehl am Platz. Unter dem Bild steht:

Ein Kurzhaarschnitt, der eher ein Anti-Kurzhaarschnitt ist, weil er überhaupt nicht vorhersehbar ist: Er funktioniert für alle Haartypen, betont Ohren, Nase und Kinn. Der Pony ist seitlich, fransig geschnitten – ein Style, der zu jedem Anlass passt und absolut im Trend ist! Allerdings ist dieser Haarschnitt auch sehr gewagt und passt nicht zu jeder Kopfform. Gerade wenn man vorher recht lange Haare hatte, dann ist diese Frisur schon ein mutiger Schritt.

Die nennen diese Frisur also Anti-Kurzhaarschnitt, weil sie überhaupt nicht vorhersehbar ist? Häh? Ist Frau Benning zum Friseur gegangen und wollte eine Dauerwelle und dann: Viola! Der Anti-Kurzhaarschnitt. Na, damit hätten Sie nicht gerechnet, Frau Benning, oder?

Dieser Antikurzhaarschnitt sei für alle Haartypen geeignet. Das klingt gut. Aber er betone auch noch Ohren, Nase und Kinn. Na, ich weiß nicht. Ob das immer nötig ist? Diese drei Körperteile hören doch gar nicht mehr auf zu wachsen. Die vergrößern sich mittlerweile seit 30 Jahren und ich glaube es ist gar nicht so eine gute Idee die zu betonen. Oder was meinst du, Frau Dienstag? Nee, nee, ich guck mal was sie noch vorschlagen:

Frisur Nummer 3: Stillvoll und klassisch: Der Bob

Na, der ist jetzt keine Überraschung. Okay, die schreiben ja selbst klaschisch. Heißt klassisch in diesem Zusammenhang nicht vielleicht einfach alt? Auf dem Bild ist wieder eine ältere Frau, also definitiv älter als ich, aber sie ist auf jeden Fall viel selbstbewußter als ich, denn sie trägt ein ärmelloses Kleid und sehr häßliche große Ohrringe. Der Bob steht ihr. Kann man nicht meckern. Sie sieht gut aus. Aber Achtung, da kann wohl so einiges schiefgehen, wenn man beim Friseur nach einem Bob fragt:

Die A-Linienform und die Länge machen den Bob schon stilvoll und zu einem wahren Klassiker. Gerade für dünner werdendes und feines Haar macht er sich wahnsinnig gut! Es empfiehlt sich, die Spitzen mit der Rasierklinge zu schneiden. Fragen Sie Ihren Friseur, ob er das kann! Schneidet man die Spitzen mit der Schere, sehen sie schnell aus wie die Borsten eines Besens. Ein Geheimtipp für den perfekten Bob: Er endet am Kinn und muss daher regelmäßig geschnitten werden.

Also dünner werdendes Haar habe ich ja schon mal. Lucky me! Aber jetzt soll ich meinen Friseur fragen, ob er das mit der Rasierklinge kann? Auweia. Also erstmal frage ich mich, können das nur Friseure oder auch Friseurinnen und was ist, wenn er sagt: Nö, kann ich nicht und dann mit der Schere schneidet. Ich will doch nicht wie ein Besen aussehen. Also der ist mir definitv zu riskannt dieser Bob. Und man darf doch keinen Friseur fragen, ob er irgendetwas kann. Wo kämen wir denn dahin? Die Eltern fragen mich doch auch nicht, ob ich Unterrichen kann. Das wäre ja noch schöner. Nee, nee, also kein Bob für mich.

Der nächste Frisurenvorschlag ist der Long-Bob. Der sei progressive und modern. Den hätte ich sowieso in ein paar Monaten, nachdem ich mir den kurzen Bob hätte rasieren lassen. Der sieht auch langweilig aus. Die Frau auf dem Bild mag ihn aber. Im Text steht, dass der für Frauen ist, die mehr vom Leben erwarten. Tu ich ja nicht. Also auf zum nächsten Haarschnitt.

Nummer 5: Mittellange lockere Wellen

Frau in Orange mit komischer Bernsteinkette. Auch eine Schauspielerin, die man uns hier als 50Jährige verkaufen will. Diese Hollywoodfrauen, die noch so gut aussehen sind immer mindestens schon 70. Aber sehen eben noch super gut aus. Schade, dass ich nicht weiß, wer sie ist. Sie ist auf keinen Fall meine Generation. Schon weil wir ja keine dicken Bernsteinketten tragen würden. Unter dem Bild steht:

Sie denken mittellange Haare bis zum Schlüsselbein sind out?

Nö, dachte ich eigentlich nicht. Sagen wir, hab ich mir eigentlich noch nie Gedanken drüber gemacht. Und jetzt sehe ich, dass sie schreiben, dass die Frau auf dem Bild Madonna sein soll.

Der Gegenbeweis ist Madonna! Ihre lockeren Wellen wirken kühler und erwachsener als glatte, voluminöse Haare – das ist modern und macht äußerst jung.

Niemals ist das Madonna! Und Madonna ist doch auch schon 59.

Frisurvorschlag Nummer 6: Unsichtbare Lagen für einen weichen Schnitt. Die Frau auf dem Bild (keinen Tag älter als 27) sieht aus wie Lady Di in ihrer übelsten Zeit, da muss ich nicht mal den Begleittext zur Frisur lesen. Dieser Haarschnitt kommt mir nicht in die Tüte.

Frisur Nummer 7 heißt nur profan: Mittellange Haare. Auf dem Bild: Liz Hurley mit mittellangen Haaren. Normal halt. Genauso ist dann auch der Text zur Frisur: Steht eigentlich jedem und man kann auch mal einen Friseurbesuch ausfallen lassen. Einen? Ich lasse oft im zweistelligen Bereich ausfallen. Ich lasse die Friseurbesuche so oft ausfallen, dass ich, wenn ich dann endlich gehe, so dermaßen von den Friseuren angemeckert werde, dass ich immer erwarte, dass sie sagen: Tja, da hilft jetzt nur noch Glatze!

Die Frau auf dem Bild bei Frisur Nr 8 (Lang, glatt und definiert) sieht aus wie so eine Frau aus der nachmittags Werbung im ZDF. Reumamittel oder Treppenlifter. Sie ist so um die 40 und hat grau gefärbte lange Haare und man denkt zwangsläufig: Die armen Fotomodels, was die immer mitmachen müssen. Unter dem Bild steht, dass auch Frauen über 50 ruhig lange Haare tragen dürfen, allerdings nur mit sauberem und definiertem Schnitt. Au Backe, wie würden die denn meine Frisur nennen? Lang, platt und undefinierbar. Eigentlich darf ich diese Frisur auch nicht haben, denn man darf gar keinen Friseurbesuch ausfallen lassen und die Haare müssen sehr gepfegt sein, damit sie nicht an Niveau verlieren. Also auf meinem Kopf: Lang, platt und niveaulos.

Vorschlag Nummer 9 (Frau Dienstag aufgepaßt!): Volumen und Locken – nicht nur für die Jugend. Michelle Pfeiffer (59) zeigt uns wie’s geht. Aber Achtung was das Volumen betrift. Das wandert anscheinend mit dem Alter in die Haarlängen!
Voluminöse Locken sehen zu jugendlich aus, denken Sie? Da sind Sie auf der falschen Spur! Auch Frauen mit 50 können sich eine lange, wallende Mähne leisten. Der Unterschied: Das Volumen beginnt nicht, wie bei jungen Frauen, am Ansatz, sondern in den Längen. Das ist der Schlüssel für eine altersgerechte Mähne!

Altersgerechte Mähne, naja…

Den wirklichen Frisurenhammer haben die Macher dieses Artikels für die Nummer 10 aufgehoben. Hüftlange Haare – auch für Frauen 50+
Und 50+ ist der Frau auf dem Bild wirklich sehr geschmeichelt. Die ist mindestens 80 und sieht aus wie… tja, wie sieht sie eigentlich aus? Ich hab noch nie eine so alte Frau mit so langen grauen Haaren gesehen. Vielleicht in irgendeinem Märchenfilm oder in der ZDF Werbung, aber nicht in Natura. Und unter dem Bild steht:

Hüftlange Haare können auch mit 50+ wirklich zauberhaft und jugendlich aussehen. Voraussetzung ist, dass das Haar gepflegt, gesund und dick genug ist. Für Frauen mit dünner werdendem Haare eignen sich Extensions. Sie verleihen der Frisur ein gesundes Aussehen und genug Fülle.

Abgesehen davon, dass ich gar nicht zauberhaft aussehen möchte, erfüllen meine Haare keine der Voraussetzungen…gepfegt, gesund und dick. Und was soll eigentlich immer dieses „Frauen mit dünner werdendem Haar“? (Ha, die schreiben „mit dünner werdendem Haare“ – voll fasch, oder?)
Meine Haare werden nicht dünner. Die sind dünn. Ich glaube die verändern sich gar nicht, die fallen einfach aus. Aber Extensions? Ich weiß nicht.

So. Jetzt bin ich ja genauso schlau wie vorher. Danke Facebook! Vielleicht wasche ich meine Haare einfach mal wieder. Bürsten kann auch nicht schaden und den Artikel 10 Styling Fehler, die dich alt machen lese ich einfach gar nicht.

Allgemein

6 Gedanken zu “Lang, platt und niveaulos

  1. Ich hatte bis etwa 27 mittellange Haare und seither immer kurze Dunkelblonde Haare, jetzt mit bald 51 mit hellen Strähnchen aufgepeppt, dann sieht man die grauen Haare nicht.
    Und seit 2 Jahren habe ich ich die Haare wieder wachsen lassen. Ich arbeite zwar 100%, habe Stress, aber pflege die Haare besser als früher mit Haaröl, Conditioner und sie wachsen und wachsen.
    Meinem Mann gefällt es sehr und er nennt mich jetzt seine Löwin, wegen der Löwenmähne morgens und irgendwie gefällt es mir jetzt besser als früher.

    Ich lasse es auf mich zukommen wie lange sie noch wachsen, auch die Erwachsenen Kinder sind recht erstaunt mich jetzt mit langen Haaren zu sehen.
    Aber Hey, auch wenn in der Schweiz die Frauen ab 50 fast alle kurze Haare tragen, ist mir das egal!
    Ich trage die Haare so, wie sie mir gefallen!!

  2. Danke für diesen hochgradig erheiternden Blogpost. Die Leute, die derartige „Scheißartikel“ texten, tun mir ja immer ein bisschen leid, weil ich mir immer vorstelle, wie sie nach einem besonders schlimmen Dreizeiler vor lauter Verzweiflung in die Tischplatte beißen… Aber gleichzeitig eignen sich diese Texte auch so gut, um sich drüber lustig zu machen. 😀

    Liebe Grüße
    Sabrina

  3. Hallo Frau Freitag!
    Wie schön endlich wieder was von dir zu lesen.
    Genauso gut sind dann Artikel wie: 10 Tipps sofort jünger auszusehen
    – sofort zum Liften gehen
    – gleich ne neue Sportart anfangen
    -jetzt aber die superduper (teure) Creme kaufen …..
    SCHÖNE Grüße,
    Christine
    PS: Hier in „lower saxony“ haben wir nicht nur Doppelwahlkampf, sondern auch fast schon wieder Herbstferien!

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