Noch mehr Verzicht

Frau Borchart ist schockiert. Gestern hat sie ein Schüler beleidigt. Heftig beleidigt! Hat Wort ein benutzt, das mit N anfängt und mit utte aufhört. Nicht zu fassen! Und voll gemein. Arme Frau Borchart. Sie erzählt es mir heute und ist immer noch ganz geschockt. Ich auch.

Wenn er wenigstens gesagt hätte. „Frau Borchart, ich finde Sie richtig doof.“
„Wäre ja auch nicht nett gewesen. Aber wenigstens hätte er dich gesiezt.“
Frau Borchart hat das wirklich nicht verdient. welche Lehrerin hätte so eine Beleidigung denn schon verdient? Nicht mal Frau Schwalle.

Heute in der Mittagspause hat Frau Borchart den ganzen Vorfall schon verdaut und vielleicht auch schon ein wenig vergessen. Die Zeit heilt ja alle Wunden.

Ich sitze mit Frau Borchart und Frau Saint-Patrick am Tisch im Lehrerzimmer. Wir trinken Kaffee und gackern. Wir sprechen über Verzicht bis Ostern. Frau Borchart sagt: „Ich wollte auf Schokolade verzichten. Aber das ist so schwer.“
Frau Saint-Patrick sagt: „Waaaas? Auf Schokolade verzichten, das könnte ich niiiiiieeeee.“
Frau Kriechbaum kommt an unserem Tisch vorbei, schnappt den letzten Satz auf und sagt: „Schokolade macht glücklich.“
Ich habe einen anderen Vorschlag: „Frau Saint-Patrick, ersetze doch Schokolade mit Sex.“
„Sex?“
„Ja. Da freut sich auch dein Mann.“
„Stimmt. Aber nur, wenn ich Sex mit IHM hätte.“

Frau Borchart hört uns zu. Wahrscheinlich überdenkt sie ihren Schokoladenverzicht noch einmal. dann sagt sie: „Aber immerzu Sex…?“
Ich: „Ja, statt Schokolade.“
Sie: „Ist aber doch voll anstrengend.“
Ich: „Was heißt hier anstrengend? Es macht auch glücklich und du wirst doch dafür sogar noch bezahlt.“

Ziele

Das mit dem Nettsein bis Ostern klappt nicht so richtig. Ich war zu einer Kollegin etwas unnett und weil das so einen Spaß gemacht hat – gleich am nächsten Tag wieder. Deshalb wollte ich jetzt auf Kohlehydrate verzichten.

Der Freund so morgens: „Willst du Schulstullen?“
„Nein! Ich will einen geschälten Apfel und Karotten in kleinen Stangen.“
Er: „Hähhhh?“
„Ja, dieses ewige Brot ist echt nicht gesund.“
„Aber wie willst du denn den Apfel mitnehmen?“
„Tupperdose.“
Und so aß ich gestern schön artig meinen Apfel und meine Karotten. So wie die anderen Lehrerinnen auch. Heute gab es dann wieder so eine Dose Obst. Immer mit zwei Gummibändern gesichert.
„Das brauchst du nicht. Diese Gummibänder. Die Dose geht doch nicht auf. Ist doch Tupper.“
Er: „Doch geht auf.“

Und heute dann… die Dose mit dem langweiligen Apfel und den Karotten in der Tasche, gehen alle Kollegen in die Mensa. Und da gibt es Spaghetti. Tja… nun wird das mit dem keine Kohlehydrate bis Ostern auch nichts mehr.
Ich weiß schon, warum ich mir am Neujahrstag nichts fürs neue Jahr vornehme. Schaff ich sowieso nicht. Man könnte sich ja aber auch mal Sachen vornehmen, die man voll leicht schafft. Hier wäre meine Liste:

– Morgens schon vier Zigaretten, bevor ich das Haus verlasse.
– Wenn die Schüler nerven – ruhig mal anschreien.
– Unterrichtsvorbereitung auf ein Minimum beschränken.
– Nachmittags Kaffee in großen Mengen – dazu noch mehr Zigaretten.
– Ständig Baden, statt Duschen.
– Abends die Benutzung der Zahnseide vergessen. Oft.
– Um halb acht auf der Couch sein und bis zum Einschlafen durchglotzen.
– Nichts im Haushalt tun.
– Ab und zu ein schlechtes Gewissen haben, weil ich nichts im Haushalt getan habe.
– Mich das ganze Jahr nicht mit den Leerstellen meiner Rentenversicherungsdings… ach, sagen wir wie es ist: Die Briefe von der Rentenbehörde nur abheften, aber nicht lesen.
– Leiden, wegen der Rentensache, weil die mir später bestimmt das Genick bricht.

So, das wären alles Sachen, die könnte ich LOCKER bis Ostern machen. Was heißt hier bis Ostern. Das schaffe ich sogar bis zum Jahresende.

Deine Klasse ist dein Klo

„So ihr Lieben, noch eine wichtige Ansage.“
„Auweia, was denn?“
„Ihr habt in der nächsten Stunde Vertretung. Bei Frau Borchart.“
„Wer ist das?“
„Ist das diese eine Frau mit den blonden langen Haaren?“
„Abooooo – DIE???? Ich schwöre, die ist voll streng!“

Vertretungsunterricht. Vertretungsunterricht nervt. Was aber auch nervt, ist Vertretungsunterricht für die eigene Klasse. Denn das Benehmen deiner eigenen Schüler ist so wie dein Badezimmer, wenn Besuch kommt. Da wollt ihr ja auch keine braunen Streifen im Klo haben. Und natürlich will der Klassenlehrer keine Klagen über die eigene Klasse hören. Nichts ist furchtbarer, als wenn man gechillt im Lehrerzimmer abhängt und ein wütender Kollege oder eine aufgebrachte Kollegin stürzt sich auf dich:

„Oh Gott, ich hatte DEINE gerade in Vertretung. Die sind ja GRAUENHAFT! Sind die immer so?“
Nein, das willst du nicht. Sowas ist Gift in den Ohren des geschundenen Klassen-MCs.

Was tut man also? Man bereitet seine Klasse auf den Vertretungsunterricht vor.

„Nein, Frau Borchart ist total nett. Die gehört sogar zu meinen Lieblingskollegen. Die ist eine gaaaanz tolle Lehrerin. Ihr werdet sie super finden.“ Man kann hier ruhig ein bisschen übertreiben. Self fulfilling…
„Sie wird was ganz TOLLES mit euch machen.“ Hier wäre es gut, wenn sie wirklich was ganz tolles oder zumindest IRGENDETWAS vorhätte.
„Und jetzt passt mal auf Kinder. Ich sag euch jetzt mal was!“ An dieser Stelle ist es sehr wichtig die totale Aufmerksamkeit von der Klasse zu erhalten. Dazu streckt man seinen Kopf ein wenig nach vorne, macht sich ein bisschen kleiner, als man ist und setzt ein Gesicht auf, als verrate man das bestgehüteteste Staatsgeheimnis.

„Also, wenn ich nachher ins Lehrerzimmer komme, dann möchte ich, dass Frau Borchart zu mir kommt und sagt: ‚Na, das ist aber eine SEHR, SEHR nette Klasse und wie toll die mitgearbeitet haben! So was habe ich ja noch NIE erlebt. Wirklich reizende Kinder.‘ Und dann antworte ich: ‚Stimmt, die sind wirklich toll. Deshalb fahre ich ja mit denen auch zum HEIDEPARK!'“

Und bei dem H-Wort kannst du dann in die strahlenden Kindergesichter deiner Klasse blicken. Nun ist Ein-Mal-gutes-Benehmen-während einer Vertretungsstunde noch kein Gegenwert für einen Heideparkbesuch. Aber man kann später noch sehr viele wenn-danns dran knüpfen. By the way – macht nicht den Fehler, wie ich, den Heideparkbesuch in der Achten nicht zu erlauben und die Klasse dann aufs Zehnte Schuljahr zu vertrösten. Das Zehnte kommt auch irgendwann und dann heißt es nur noch: „Sie haben es aber versprochen!“

„Also Kinder, verstanden?“
„Ja, Frau Freitag!“, sagt Rosa und grinst. Dann guckt sie streng zu den Jungs „Jungs, ihr habt es gehört! Nur eine Stunde gut benehmen! Verstanden! Auch du Vincent!“
Dann stellst du dich an die Tür und klopfst jedem kurz beim Rausgehen auf die Schulter. Nicht die Hand geben! Grippe und Masern – das fehlt einem gerade noch.
„Alles klar, ja?“

Und später gehst du ins Lehrerzimmer und versuchst unauffällig an Frau Borchart vorbeizugehen.
„Ach, Frau Freitag, ich hatte DEINE gerade in Vertretung. Du, die haben ja total gut mitgemacht. Ich hatte einen Text mit und sie sollten dazu was schreiben und sie waren richtig heiß darauf loszulegen. Alle! Auch die Jungs! Besonders gut war dieser Vincent. Also ich hab noch keine Klasse erlebt, die so gierig war etwas zu lernen.“
Dann lächelst du bescheiden und sagst: „Ach die Lieben. Süß.“

Und wenn du deine Klasse wieder im Unterricht hast, dann sagst du: „Danke liebe Klasse! Ich sehe schon das H von Heideparkbesuch.“

Auweia, keine Wimpern

Nachtrag:
Tarik sitzt vor mir grinst und flüstert: „Ich kann das jetzt mit der Schleife!“
Ich: „ECHT??? Zeig mal.“ Ich gehe zu ihm, weil ich seinen Schuh ja nicht von meinem Platz aus sehen kann.
Tarik bindet sich mit einem stolzen Grinsen und OHNE HINGUCKEN die Schnürsenkel zu einer 1A Schleife zusammen.
Ich bin begeistert. „Super! Und sogar ohne gucken. Hast du das deinen Eltern gezeigt?“ Er schüttelt den Kopf.
Ich: „Warum nicht?“
Er zuckt mit den Schultern. Ich grinse ihn verlegen an und klopfe ihm nochmal anerkennend auf die Schulter. Mehr fällt mir dazu auch nicht ein.

„Ihre Augen sind aber ziemlich klein, Frau Freitag“, sagt Dilay, nachdem sie mich minutenlang angestarrt hat. Wir zeichnen uns gegenseitig – als Einstieg ins Thema Portrait und für Dilay war keine Schülerin mehr übrig, also habe ich mich erbarmt. Und das habe ich jetzt davon.
„Sie haben ja gar keine Wimpern“, stellt sie fest.
Kleine Augen, okay. Ich bin auch etwas müde. Aber KEINE Wimpern? „Hier!“, sage ich und beuge mich ganz dicht zu ihr vor „Die sind sogar gefärbt.“
„Echt? Zeigen Sie mal!“, erwidert sie skeptisch. „Oh, Frau Freitag, Sie waren gestern geschminkt.“ Und recht hat sie. Frl. Krise und ich hatten am Vorabend eine kleine Lesung in einem Buchladen, und um mit Frl. Krise mithalten zu können, musste ich wenigstens die Augen etwas betonen. Frl. Krise benutzt ja sogar Lippenstift.
„Echt???? War sie geschminkt?“, schreit Rosa ungläubig von hinten, springt auf und rennt auf mich zu: „Ohhhhh, Frau Freitag…. schick.“ Ich grinse stolz, dabei hatte ich nur vergessen mich abzuschminken. Rosa geht wieder auf ihren Platz und Dilay starrt mich weiter an und versucht sich gerade an meinem Kinn.
„Schwer.“, sagt sie.
„Zeig mal!“, ruft Gülistan.
Dilay hält ihr Bild hoch und Gülistan lacht laut auf: „Wie ein Nilpferd!“ Sofort will jeder in meiner Klasse das Bild sehen. Alle lachen.
„Ja ja, das kommt schon hin. Ich habe um das Kinn rum so etwas Nilpferdhaftes.“, sage ich. „Zeig mal Dilay.“
Sie hält mir ihr Bild entgegen. Dadrauf habe ich gar kein Kinn. Aber ich will die liebe Dilay auch nicht entmutigen. Portraitzeichnen ist aber auch schwer…
Ich betrachte das Bild genauer: „Dilay, als wenn ich in einen Spiegel gucken würde. Mach mal weiter.“
Gibt doch nichts über intrinsische Motivation und am Ende habe ich mich auf ihrem Bild wirklich wiedererkannt.

Fast

Heute beginnt die Fastenzeit. Eigentlich habe ich immer Fastenzeit. Montag wäre ich fast zum Sport gegangen. Fast hätte ich eben die Spülmaschine ausgeräumt und ich kann fast rappen.
Diesmal will ich mitmachen bei der Fastenzeit. Aber nicht so katholisch mit kein Fleisch und so. Das kann ja jeder. Ich werde mir ein paar dufte neue Herausforderungen aussuchen. Und ich gehe doch recht in der Annahme, dass das dann sechs Wochen geht, oder? Also bis zu den Osterferien. Was könnte man denn da machen… Neulich, als ich mir nach dem Sport noch Köfte in dem türkischen Imbiss gekauft habe, da habe ich was interessantes gelesen. In der Christlichen Zeitung, die da rumlag. Das nenne ich mal tolerant… nicht nur mir Ungläubigen was zu essen zu verkaufen, nein, mir auch noch die Möglichkeit zur Katholikenlektüre zu ermöglichen… wirklich beachtlich.

Und in einem Artikel stand, dass man in der Fastenzeit mal nur nett sein soll. Also nicht nur nett sein, sondern andere Leute loben und denen schöne Dinge sagen soll. Das hat mich inspiriert. So sehr, dass ich den Artikel abfotografiert und zu Frau Dienstag geschickt habe. Und ihr Kommentar nur: „Ich bin doch nett.“ Tzzzzz. Bringt sie ihren Kolleginnen mal Schokolade oder Pralinen vorbei? – NEIN. Ruft sie die Eltern der lieben Schüler ihrer Klasse an und sagt ihnen, wie gut sie ihre Kinder erzogen haben? – NEIN. Lobt sie meine Kosmetikerin, dass sie mir so schön die Augenbrauen gezupft und die Wimpern gefärbt hat? – Nein. Sagt sie mal: „Oh, wie schön du geschrieben hast!“ – NEIN. Frau Dienstag liest hier übrigens nur, wenn sie vorkommt. Ich erwäge, ein Sachbuch über sie zu schreiben. Wickelt sie sich nackt in Cellophan und überrascht so ihren Mann, wenn der gestresst von der Arbeit kommt? – NEIN. Sie macht all diese Dinge nicht und wie kommt sie denn dann dadrauf, dass sie sich nicht an diesen christlichen Artikel halten muss.
Ich werde das jedenfalls ausprobieren. Ich werde in den nächsten sechs Wochen nett sein. Ich werde meine Umgebung mit Komplimenten und kleinen Geschenken beglücken und immer ein Lächeln auf den Lippen haben. Und Ostern werden wir dann ja mal sehen, wem es besser geht – Frau Dienstag oder mir.

In Schule

Wer hat eigentlich damit angefangen, den Artikel vor Schule wegzulassen? „Schule neu denken. In Schule blah, blah, blah…“
wenn jemand besonders vom-Fach-mäßig daherkommen will, dann läßt er vor Schule immer den Artikel weg und ich könnte kotzen, wenn ich das höre. Ich vermute fast, dass das Knallbert Meyer oder sein Kumpel Klippi Klippert war.
Man sagt doch auch nicht „Die Strukturen in Bundeswehr müssen verändert werden.“ oder „In Fernsehen sind die Jobs zu gut bezahlt.“ Warum dann also SCHULE ohne Artikel? Bitte, bitte macht das nicht. Man kann genau so gut sagen in DER Schule ist es schön. Jeden Tag predige ich den Schülern, dass sie die Artikel benutzen sollen und dann kommen die angeblichen Fachleute und sprechen wie Achtklässler. Oder wir machen das so, dass wir Artikel immer weglassen. Meine Schüler wären sofort dafür.
In Nachrichten ist ja jetzt immer von Ukraine zu hören. Waffenruhe scheint nicht durchgesetzt zu sein. Russische Regierung ist irgendwie komisch. Aber ich kann mich damit gar nicht beschäftigen, weil ich zu Sport muss. Griechenland will Schuldenschnitt und IS hat Arsch offen. In Schule war heute ganz gut. Ich habe Vokabeltest schreiben lassen. Schüler waren überrascht. Vielleicht Schule neu denken. Kennt jemand Buch mit Titel Schule neu denken? Vielleicht sollte ich mal Schule neu denken. Vielleicht auch Lehrer neu denken. Ich denke immer: wenn es Ärzte ohne Grenzen gibt – warum gibt es nicht Lehrer ohne Grenzen. Ich bin Lehrer ohne Grenzen. Alle sollen Lehrer ohne Grenzen sein in Schule. Schule wäre voll neu. Wir voll ohne Grenzen. Alles geht. Schüler denken: Hähhhhh? Wir denken: Haaaaahhhh!

Heute morgen war Frau von Leyen (die kriegt jetzt auch keinen Artikel mehr) in Fernsehen. Ich hasse wie sie redet. So immer Erklärbär. Als wären alle dumm. Nur sie nicht. Ich habe so Angst, dass sie unsere Bundeskanzelerin werden will. Neiiiin. Bitte nicht. Und ich finde es immer so skuril und ein bisschen eklig, dass sie so viele Kinder hat. Und Haare sind nicht schön. Frisur seltsam. Sprache doof. Wenn sie könnte würde sie auch : „In Bundeswehr“ sagen. Da bin ich mir aber sowas von sicher.

Okay you got point. Sagt nicht: In Schule. Sagt: in der Schule. Bitte. Mehr verlange ich ja gar nicht.

Frau Dienstag kocht

„Heute Sport?“
„Nee, ich bleib zu Hause. Ich will kochen.“
KOCHEN statt SPORT???? So kommt mir eben Frau Dienstag! Spinnt die? Wir gehen immer am Montag zum Sport. Und jetzt will sie KOCHEN??? Am Ende noch ESSEN, was sie gekocht hat?
Frau Dienstag, kochen ist der Feind von Sport und vielleicht kann man nach dem Sport ESSEN. Aber statt Sport KOCHEN… ich glaube das ist nicht erlaubt. Und Frl. Krise – die arbeitet an einer eingebildeten Erkältung. Na toll. Von allen verlassen.
Bleibe ich eben auch zu Hause. Und schon breitet sich das schlechte Gewissen aus. Alleine zum Sport? Nee, darf man nicht.
„Was kochst du heute?“, frage ich den Freund.
Er so: „Ich dachte, heute koche ich mal nichts, weil wir ja noch so viel Brot haben.“ Ich hatte am Samstag ein Brot gekauft und er zwei. Jetzt haben wir drei Brote.
Hast du keine anderen Probleme, Frau Freitag? Drei Brote und kein Sport – damit lässt es sich eigentlich leben. Na, ich sag mal, für mich ist das schon problematisch genug.
Gestern Abend hatte ich mich auch schon so aufgeregt. Über Frau Thomalla im Tatort. Wer denkt denn, dass so eine Kommissarin aussieht? Heute lese ich in der U-Bahn, dass Frau Thomalla über ihren Ausstieg bei Tatort gar nicht so traurig ist. Pfff, das wäre ja noch schöner, wenn sie dadrüber traurig wäre. Sie war ja von Anfang an eine völlige Fehlbesetzung. Und wer hat ihr denn zu diesem Haarschnitt geraten? Und wer hat ihr gesagt, dass sie in Senf gut aussieht? Ich finde Frau Dienstag sollte ihren Job übernehmen. Sie kann voll streng gucken und sie sieht aus wie eine Oberhauptkommissarin. Und wenn ihr die Mitarbeiter auf der Nase rumtanzen, dann sagt sie: „Ich geh jetzt nach Hause. Kochen.“
Frau Dienstag, beschwer dich später nicht bei mir, dass sie dich nicht beim Tatort genommen haben, weil du so dick geworden bist. Jeder ist seines Glückes Schmied.

36 Shades of Bunt

„Frau Schwalle, entschuldige die Störung, ich wollte fragen, ob ich den Tarik kurz mitnehmen könnte.“
„Du kannst sie alle mitnehmen, wenn du willst.“
„Nein Danke, ich brauche nur den Tarik.“
Tarik guckt sich verwirrt um. Ich grinse ihn an. Das verwirrt ihn noch mehr. In Zeitlupentempo packt er seine Sachen zusammen. Er fragt sich, ob er vorhin in der Kunststunde irgendetwas falsch gemacht hat. Hat er nicht.
Okay, er ist nicht gerade mit Inbrunst an die Kolorierung seines Bildes gegangen. Erst, als ich einen nigel-nagel-neuen 36 Farben Buntstiftkasten aus meinem Schrank holte, der noch zu war überfiel in ein Funken Interesse.
„Guck mal Tarik, hier. Den kannst du benutzen“, flüstere ich ihm zu. Ungläubig guckt er mich an: „Warum ich?“
„Na, du bist doch mein bester Mann. Guck mal, wieviele Farben da drin sind.“ Er betrachtet die Zahl auf dem Kasten: „Sechsundzwanzig.“
„Ja, genau, sechunddreißig Farben.“ Vorsichtig gnibbeln wir gemeinsam den Tesafilm weg. Jeder einen Streifen. Dann öffe ich den Kasten direkt unter seiner Nase. Wie eine Schatztruhe öffne ich den. Und da liegen sie, die noch super angespitzten Buntstifte in tausend Schattierungen. Okay, in 36 verschiednen Farbtönen. 36 Shades of Bunt.

„Tarik, meinst du, du schaffst das, die nachher wieder in die gleiche Reihenfolge zu bringen? Also hier die warmen Farben und da hinten blau, grün und braun und so.?“ Tarik nickt, nimmt sich einen gelben Buntstift und koloriert hingebungsvoll seine Zeichnung, bis es klingelt.

Und zwei Stunden später latscht er nun also hinter mir her zu meinem Klassenraum.
„Soll ich Ihnen was helfen?“, fragt er etwas verunsichert, weil er immer noch nicht weiß, warum ich ihn abgeholt habe.
„Nicht direkt“, sage ich.
In meinem Raum ist es sonnig. Ein Hauch von Frühling. Tarik setzt sich neben meinen Schreibtisch. Ich ziehe ein paar Schnürsenkel aus meiner Hosentasche.
„Ach, aber nicht wieder die Schleife“, sagt er.
Ich: „Doch natürlich. Du musst das doch lernen. Ein so großer Kerl wie du, muss doch eine Schleife binden können.“
Zieh mal deinen Schuh aus. Dann üben wir.
„Aber er stinkt.“
„Kein Problem.“
Ich zwirbel den alten Schnürsenkel aus seinem Schuh, um meine neuen reinzufädeln. „Weißt du, deine Schnürsenkel sind so kurz. Ich hab dir hier neue gekauft.“
„Die haben Sie gekauft?“
„Ja.“
„Für mich?“
„Ja.“
„Und wie teuer waren die?“
„Zwei Euro siebzig.“
Und dann stelle ich fest, dass die blöden Teile, die ich gekauft habe genauso lang sind wie Tariks alte Schnürsenkel.
Also üben wir wieder unter erschwerten Bedingungen.
Noch nie habe ich das Binden einer Schleife didaktisch so dermaßen reduziert.
„…jetzt den Zeigefinger ein bisschen rausgucken lassen, dann um den Daumen und den Zeigefinger rumm und dann da durch, wo der Daumen ist. Den Daumen rausziehen und dann….“
Tarik übt. Tarik gibt nicht auf. Er schwitzt. Aber er gibt nicht auf und nach 20 Minuten bindet er seine erste kreplige Schleife. Dann sogar Schleife mit Schuh am Fuß. Am linken Fuß und am rechten Fuß. Jeweils zwei Mal. Dann gratuliere ich ihm.
„… und das übst du jetzt aber am Wochenende und Montag zeigst du mir das dann nochmal.“

Ich bringe Tarik zurück zum Unterricht von Frau Schwalle, verabschiede mich von ihm und gehe zufrieden in die Sonne eine Zigarette rauchen.

Heimliche Pralinen

„So Kinder, jetzt beeilt euch mal, klingelt gleich.“ Plötzlich leises Murren, dann lauter Protest: „Wir sind keine Kinder! Wir sind Erwachsene.“

Ab heute spreche ich also meine Klasse so an: „He, ihr Erwachsene… macht mal so und macht mal so nicht.“
Unterricht müssen sie aber erst wieder lernen. So eine Woche Ferien haut ja echt rein. Irgendwie haben die heute die ganze Englischstunde meinen Unterricht regelrecht ausgebremst. Wir lesen einen langweiligen Text. Sie hören nicht zu. Unterhalten sich, und wie so Kleinkinder, plappern diese Erwachsenen alles raus, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Anstrengend.

Ich unterrichte die schon auf so einem niedrigen Niveau, dass ich die ganze Stunde flach auf dem Boden liege. Ach, aber ich muss hier auch nicht meckern – ich war ja auch nicht gerade bombenmäßig vorbereitet und kam mit dem Klingeln im Schulgebäude an. Nun ja.

Unspektakulärer Unterricht war das heute. Brauche ich also auch nicht drüber zu schreiben.
Aber dann gehe ich ins Lehrerzimmer und da finde ich in meinem Fach eine Schachtel Pralinen. Einfach so. Ohne Zettel. Ich schreie laut: „Ohhhh, eine Schachtel Pralinen.“ Niemand beachtet mich. Habe ich einen heimlichen Verehrer? Oder ist die von den Neuen, dafür, dass ich sie gestern durch die Schule gescheucht habe? Eigentlich hätte ich lieber einen heimlichen Verehrer. Aber wer sollte das sein? Ich mag meine Kollegen. Aber gibt es da einen von den Herren, den ich besonders gut finde? Nein. Definitiv nicht.

Au Backe, wenn die Pralinen nun von einem Kollegen sind, der heimlich in mich verliebt ist… und der offenbart sich mir irgendwann und ich will das gar nicht…. oh Gott, dann muss ich dem einen Korb geben. Und das wäre ja auch nicht leicht, weil der Kollege dann ganz traurig wäre. Und unser Verhältnis wäre definitiv gestört. Oh nein! Ich will das nicht! Weg mit dem heimlichen Verehrer! Behalte deine Liebe für dich!

Allerdings… wer sollte mich schon gut finden? Wie ich schon mal erwähnte – ich sehe aus wie Freddy Mercury und auf dem Kopf wie Homer Simpson. Wer steht denn auf sowas? Nur Perverse. Oh nein, mein heimlicher Verehrer ist pervers. Oder das ist nur so ein Spaß von meinen Kolleginnen, die sich denken, der Frau Freitag, der tun wir mal Pralinen ins Fach und dann glaubt sie bestimmt einer hier findet sie gut.

Oh ich Arme… keiner findet mich gut im Lehrerzimmer! Nur weil ich so wenig Haare habe – voll gemein. Warum liebt mich keiner? Warum verehrt mich keiner heimlich.

Ich werde die Pralinen essen. Einsam und allein auf der Couch – davon sehr dick werden und weinen.

Neustart bewirkt Wunder

Sie sind da!!! Sie sind da!!! Die Neuen!!! Sie stehen im Weg rum!!! Ich muss im Slalom durchs Lehrerzimmer!!! Herrlich!!!
Heute fahre ich extra besonders früh in die Schule – mal sehen, ob ich ein paar verwirrte Neue abgreifen kann.
Ahhh, da sitzen sie. Im Schulleiterbüro. Die Tür ist offen. Ich erkenne deutlich, dass ich sie nicht kenne. Fazit: Das sind Neue. Ich begrüße den Schulleiter. Lungere noch ein bisschen vor der offenen Tür rum. Der Schulleiter sagt „Frau Freitag, kommen Sie doch rein. Hier, dass sind zwei neue Kollegen“. Wir geben uns die Hand. Sie sagen ihre Namen. Die habe ich sofort wieder vergessen. Egal.
Schulleiter: „Frau Freitag, vielleicht wollen Sie die beiden neuen Kollegen…“
„Mit ins Lehrerzimmer nehmen? Klar!“
Schulleiter: „Ich dachte eher, dass Sie Ihnen die Schule zeigen können.“
„Oh. Echt? Reicht nicht im Lehrerzimmer einen Kaffee trinken und alles erklären?“
Schulleiter: „Nee.“

Jetzt muss ich dazusagen, dass unsere Schule sehr, sehr groß ist. Man vermeidet eigentlich, durch die ganze Schule zu laufen. Man hat so seine Wege und die geht man. Soll man mal in einen entlegenen Trakt – dann stöhnt man und nimmt sich Verpflegung mit. Unsere Schule ist so groß, die würde – würde sie dort sein, mit einem Teil in Köln und mit der anderen Arschbacke in Düsseldorf liegen.
Das hat man nun von übertriebener Neugier. Ich nehme die beiden mit uns wir latschen und latschen und ich laber und laber und sie verstehen wahrscheinlich nur Bahnhof, denn sie fragen immer wieder Sachen, die ich ihnen schon erklärt habe. Und sie haben noch gaaar nichts. Keine Schlüssel, keinen Stundenplan, keine Schülerlisten und vor allem keine Ahnung.

Nach und nach genieße ich meine kleine Schulführung aber doch. Könnte ich das nicht hauptberuflich machen? Also statt unterrichten, nur Neue durch die Schule führen und schlaue Tipps geben? Ich fänd’s super.

„Was macht man denn mit Schülern die so richtig doll stören?“, fragt einer von den Neuen, als wir in der Raucherecke vor der Schule stehen.
„Eine schallern!“
„Nee, jetzt mal wirklich. Kann man die nachsitzen lassen?“
„Wenn du die findest und dich dann dazusetzt… sicher. Ich würde sagen, Eltern anrufen. Sofort die Eltern anrufen.“

Und promt stört Yunis so dermaßen den Unterricht, dass ich ihm nach etlichen Verwarnungen sage: „Okay, ich rufe deinen Vater heute an.“
„Ja, machen Sie.“
„Mach ich auch.“
„Hahaha, mein Vater hat neue Handynummer.“

Er macht weiter Unfug. Simuliert einen Geschlechtsakt mit seinem Stuhl. Ich gucke mir das genau an. „Das ist schön Yunis, das werde ich deinem Vater auch erzählen. Darüber wird er sich besonders freuen.“

Nach der Stunde spreche ich mit seinem Klassenlehrer, erhalte die neue Handynummer von Papa und rufe zwei Stunden später an.

Papa Yunis ist nett. Aber irgendwie auch frustriert: „Wissen Sie, immer wenn Yunis was macht, die Lehrer rufen an. Aber wenn ihm was gemacht wird, dann rufen Lehrer nicht an.“
„Was meinen Sie?“
„Vor den Ferien, Yunis Handy wurde geklaut. Und hat kein Lehrer angerufen.“ Ich denke: Nee, warum auch? Den Verlust des Handys, wird Yunis zu Hause schon selbst mitgeteilt haben. Und warum sollen wir denn dann die Eltern in so einem Fall anrufen?“
„Wissen Sie Frau Freitag, ich will neue Schule für Yunis!“
Ich denke SUUUUPER!!! So eine Wirkung hatte ich meinem kleinen Anruf gar nicht zugetraut.
„Ja, das kann ich verstehen und oft kann ja so ein Neustart wahre Wunder bewirken. Ich wünsche Ihnen viel Glück damit.“
Er bedankt sich, ich lege auf und denke: Lehrerin ist doch echt ein geiler Job.