Wie die Zeit vergeht

Alter Falter – die Hitze. Hot, hot, hot. Wir gucken einen Film über Schrift. Die Schüler können sich vor Begeisterung gar nicht mehr auf den Stühlen halten. Ich habe mich nach hinten zu Schantalle gesetzt. Schräg hinter sie – direkt in ihren Nacken. Ganz unangenehm. Und in regelmäßigen Abständen flüstere ich ihr zu: „Lass das doch mal.“ oder „Jetzt guck‘ doch mal den Film an.“ Ansonsten versuche ich mich nicht zu bewegen, da ich sonst einen Kreislaufkollaps wegen der Hitze erleiden würde. Irgendwann ist auch diese Stunde vorbei und der Schultag zuende.

Angefangen hatte der Tag ganz gut. Die regelmäßigen Teilnehmer meiner Klasse fanden sich sogar fast pünktlich zur ersten Stunde ein. Regelmäßig kommen allerdings nur noch 11 von 21 Schülern. Der Rest trudelt dann im Laufe der zweiten oder dritten Stunde oder kurz vor der Mittagspause ein. Marcella sehe ich nur noch in den Pausen auf dem Hof. Eigentlich hatte ich meiner Klasse versprochen, dass wir noch mal an die Ostsee fahren. Dieses Projekt nahm mich schon wieder so in Anspruch, wie letztes Jahr der Heidepark. Internet, Bus, Bahn, Reisebüro… Und dann kommt Frau von der Leyen mit ihrem Bildungsteilhabepaket. Plötzlich liegen so Zettel in unseren Fächern, dass wir für alle Schüler, die vom Schulbuchkauf befreit sind – eigentlich meine ganze Klasse – Geld von der Schule bekämen. Die Befreiten müssten jetzt nichts mehr selbst bezahlen und wir sollen unser PRIVAT-Konto angeben und dann wird uns das Geld überwiesen und später müsste ich das dann mit der geldgebenden Stelle abrechnen.

Das alles klingt kompliziert. Privat-Konto klingt auch nicht besser und warum sollen denn die Steuerzahlerkinder für ihren Trip selbst zahlen und deren Eltern auch noch durch ihre Steuern den Trip der anderen mitfinanzieren. Irgendwie streubt sich da mein Gerechtigkeitssinn. Okay, wenn meine Klasse immer in der Schule und im Unterricht wäre, wenn sie sich für ihre Schulleistungen interessieren würden, wenn sie für die Prüfungen gelernt hätten – dann hätte ich nichts dagegen mit ihnen wegzufahren und dann würden ich ihnen das auch noch persönlich bezahlen – aber so?

Heute habe ich gesagt, dass ich ja in den letzten Wochen nur noch eine Klasse mit 11 Leuten habe und deshalb beschlossen hätte nicht die Stadt zu verlassen. Ich höre leichtes Wimmern. „Heidepark.“ jammert Musti. Ich gebe unmissverständlich zu verstehen, dass ich für einen weiteren Heideparkbesuch nicht zur Verfügung stehe. „Du kannst gerne in den Sommerferien dorthin fahren, Musti.“

Überraschenderweise akzeptieren die Schüler ziemlich schnell, dass ich nicht mit ihnen wegfahren möchte und diesmal bin ich auch nicht die Böse. „Da kann ich Frau Freitag verstehen… wenn die alle nicht mehr zum Unterricht kommen…“

„Frau Freitag, wir haben voll schönen Garten.“ sagt Funda plötzlich begeistert „Vielleicht können wir da alle grillen.“
„Eine super Idee. Frag‘ doch mal deine Eltern. Und wenn wir das am Nachmittag machen und das sozusagen keine Schulveranstaltung ist, dann könnt ihr da auch rauchen.“
„Aber Sie müssen auch kommen.“ sagt Ayla.
„Klar komme ich, gerne. Und rauchen werde ich dann auch.“

Funda fängt an aufzuschreiben, was wir brauchen. Ich höre Köfte und Bulgur und vieles mehr, was mir Hunger macht.
„Du musst erstmal fragen, wer alles kommen will.“ sagt Esra.
Funda nimmt sich ein Blatt und schreibt: „Also: Esra, Ayla, Marcella, Peter, was ist mit dir?“ Peter nickt schüchtern. Funda schreibt seinen Namen auf. Ronnie sitzt in der letzen Reihe und kippelt. Wenn jemand in 20 Jahren fragt: Kannst du dich an diesen Ronnie erinnern? Dann antworte ich: Letzte Reihe immer kippelnd und immer schlecht gelaunt.
„Ronnie, was ist mit dir?“
„Was?“
„Na, willst du zum Grillen kommen.“
„Hmmm, weiss nicht. Mal sehen?“
Ronnie ziert sich – Ronnie hat genau zwei Freunde. Einen aus der Grundschule, der nicht auf unserer Schule ist und Peter, mit dem er ab und zu auf dem Hof rumhängt.
„Ach komm Ronnie, wir grillen, das wird bestimmt lustig.“
„Na, okay. Aber ich will SCHWEINEFLEISCH.“
Außer Peter, Ronnie und mir befinden sich zur Zeit nur Moslems im Raum. Ich erwarte jetzt großes Geschrei, und Ekelbekundungen ob der Nennung des Haramtieres.

„Schweinefleisch,“ sagt Funda lässig „kein Problem, du kriegst dein Schweinefleisch, wir haben einen zweiten Grill.“ Funda grinst und schreibt Ronnie auf ihre Liste.
„Ich kann auch Köfte essen.“ sagt Ronnie jetzt leise „schmeckt ja auch gut.“

Oh Mann, ich glaub‘ die werden erwachsen.

Geschichte ist nichts für Weicheier Teil 1

„Da wurde ein Baby geboren, das hatte einen Bart und das Baby konnte sprechen und dann hat das Baby gesagt, dass die Welt untergeht und dann ist es gestorben.“
Yussuf sitzt vor seinem Bild und pinselt. Mann, wie der den Pinsel hält – als täte es weh den normal anzufassen.
„Baby mit Bart – alles klar, Yussuf.“ sage ich.
„Waaas, glauben Sie nicht?“
„Nein, glaube ich nicht. Baby mit Bart – okay. Mutation. Aber sprechen. Nein. Sorry, echt nicht.“
„Waaas echt nicht?“ Yussuf wird jetzt etwas lauter. Dieses Baby scheint ihm am Herzen zu liegen. „Das stimmt! Diese Baby gabs wirklich, vallah!“ Als ob sein ‚vallah‘ mich jetzt umstimmten würde.
Dschingis liegt ausgestreckt auf dem Tisch und hört zu. Wir quatschen schon die ganze Stunde. Dschingis hat 10 Minuten gemalt. dann hatte er keine Lust mehr. Jetzt sitze ich auf seinem Platz und arbeite an seinem Bild und er hat sich hinten abgelegt. Ich hatte ihn gebeten, mir was über diesen Mladic zu erzählen. Wir lauschten gebannt seinen durchaus detailreichen Ausführungen zum Bürgerkrieg. Während seines Vortrags unterbreche ich ihn mehrmals, um ihn Srebrenica sagen zu hören. Niemand kann diesen Ort so schön aussprechen wie Dschingis.
„Dschingis, sag’s noch mal.“
„SREBRENICA“
Als Dschingis berichtet, was alles Schreckliches während des Massakers dort passiert sei, wird Yussuf immer unruhiger. Dschingis läßt sich echt nicht lumpen und reiht eine Horrorgeschichte an die nächste. Plötzlich unterbricht ihn Yussuf: „In Palästina war viel schlimmer.“
Das läßt Dschingis jetzt aber nicht auf sich sitzen: „Was schlimmer? Bei uns war schlimmer.“
„Gar nicht. In Palästina ist schlimmer. Weißt du wie lange dort schon geht?“
Ich versuche zu schlichten: „Jungs, jetzt streitet euch mal nicht.“ Mittlertweile schreien sie sich nur noch mit „Was Palästina?“ „Was Bosnien?“ an. „Dschingis, Yussuf, also, ihr habt ja beide Recht.“ Wir einigen uns darauf, dass der Palästinakonflikt länger dauert, dafür das Massaker in Srebrenica aber schlimmer war. Damit können beide leben. Dschingis hat sich jetzt allerdings so verausgabt, dass er nur noch liegen kann.

Nach einer kurzen Pause kommt dann Yussuf mit dem bärtigen Baby.
„Also Yussuf, ich glaube das nicht.“ Gleich geht er wieder hoch. Ich kann es genau beobachten, wie er sich aufplustert, um mit aller Kraft seine sprechende Baby Story zu verteidigen.
„Das stimmt das wurde gefilmt.“ Wird ja immer besser.
„Wie gefilmt Yussuf? Da war also zufällig ein Kamerateam dabei, als das bärtige Baby geboren wurde.“
Jetzt mischt sich Mirco ein: „Wieso könnte doch sein.“
„Hmm, klar. Ist ja auch bei jeder Geburt ein Kamerateam dabei. Yussuf, ich kann also bei Youtube das sprechende Baby sehen.
Yusuf – vor Aufregung schon mit gerötetem Kopf: „Was Youtube. Das ist nicht auf Youtube.“
„Also wie jetzt, ich dachte das wurde gefilmt. Wo hast du das denn gesehen? Arabisches Fernsehen?“
„Ich habe das gar nicht gesehen. Aber meine Mutter hat mir das erzählt.“
Ah, jetzt wird mir auch klar, warum er so vehement an diesen Schwachsinn glauben möchte. Hat doch schliesslich die heiligste aller Verwandten ihm vom sprechenden Baby erzählt.
Als Yussuf endlich merkt, dass niemand außer ihm an bärtige Säuglinge glaubt versucht er es mit der Geschichte eines acht Meter großen Hodschas, der irgendwo beerdigt sein soll.
„AAAACHT Meter…“

Habe ich ihm das geglaubt? Habe ich nachgefragt? Haben wir noch über Dinosaurier, Affen, Schraubenzieher und den Koran gesprochen? Klar. Aber davon morgen mehr.

@ juckt

Habe Ausschlag. Juckt. Muss ich immer kratzen und kann nicht schreiben. Der Rücken juckt. Und die Beine auch. Obwohl auf den Beinen gar kein Ausschlag ist. Alle wissen mal wieder ganz genau Bescheid:
„EHEC! Ganz klar. Hast du Gurken gegessen?“ der Schonlehrer nüchtern, im Vorbeigehen.
„Altersakne.“ die Sekretärin, mit leichtem Grinsen in der Stimme.
„Kretze oder Flöhe.“ Frl. Krise, nach einem Besuch in unserer schmutzigen Küche.
„Chlorallergie – geh mal nicht mehr zu dieser Wassergymnastik.“ der Freund, der immer meint, ich mache zu viel Sport.
„Könnten auch Windpocken sein, oder Röteln.“ eine Kollegin, die dann aber gleich von meinem Ausschlag ablenkt und über ihre Krankheiten spricht.
„Geh‘ doch mal zum Arzt.“ jeder dem ich meinen Rücken zeige.
„Bestimmt eine Allergie.“ wider die Sekretärin.
Ich: „Allergie, niemals, ich nehme mich und meinen Körper nicht wichtig genug für Allergien. Und ich habe keinen Bock auf Allergietests und den ganzen Schnulli. Ich bin doch nicht Ronnie, der so stolz seine Katzenallergie vor sich herträgt, als wäre das ein besonderer Verdienst.“ Nein, nein. Allergien – bin ich nicht der Typ für. Dann schon eher Windpocken.
„Warst du jetzt endlich mal beim Arzt?“ der Freund.
„Ich warte noch ein bisschen, ich habe das Gefühl es heilt gerade wieder ab.“ Aber ehrlich gesagt habe ich nur ein einziges Gefühl – ein ganz massives Jucken. Und das breitet sich über den ganzen Körper aus. Ich wache schon mit einem Kratzen auf und wenn man lange genug kratzt, dann brennt die Haut so angenehm und das Jucken wird kurz überdeckt. Die Handinnenflächen jucken auch und die Füße und die Schienbeine.

Aber ich glaube das geht wieder weg. Ich kratze das einfach weg. Das Kratzen stört mich auch nicht weiter. Und wenn irgendwann alles blutet und dann verschorft, dann kann ich da rumpulen. Ein neues Hobby.

Was will mir meine Haut, dieses große Organ – dieses größte Organ – eigentlich mit dem Jucken sagen? Wenn es irgend so ein harmloses Hausmittel gäbe… das würde ich ja probieren, aber gleich zum Arzt rennen… bin ich Schüler oder was? Hausmittel, so Gurkenscheiben…hihihi…

Wahrscheinlich bin ich nur nicht ausgelastet genug, wenn ich mich so intensiv mit körperlichen Gebrechen beschäftigen kann. Hoffen wir mal, dass die drei Stunden in der Siebten morgen mich so aufreiben, dass es nicht mehr juckt.

Genug gecliffhangert

„Frau Freitag…“
„Du ich habe jetzt Pause, ich komme gleich rein.“
Damit dampfen sie ab und warten im Treppenhaus. Ich unterhalte mich weiter mit der Kollegin. Die ist happy, denn das Wochenende beginnt und sie hat weder ein Handy, noch einen Finger kaputtgemacht. Ich bleibe überraschend cool. Jetzt ist auch egal. Gleich werde ich reingehen und Gülistan wird mir ihren Finger unter die Nase halten und sagen, dass sie schon bei der Schulleitung war und jetzt gleich zum Arzt geht, weil sie mit ihrer Mutter telefoniert hat und dabei – als sie UNERLAUBT – auf dem Schulgelände ihr Telefon benutzte, sei ihr doch aufgefallen, dass das Display im Arsch sei und ich das jetzt bezahlen muss. Dann werden sich die Freundinnen einmischen und sagen, dass Gülistan jetzt unbedingt eine Anzeige machen soll, denn so geht es ja nicht usw.

Ich gehe zum Mülleiner, um meine Zigarettenkippe wegzuwerfen. Auch ich – evangelisch bis hinten gegen – bin äußerst abergläubisch. „Wenn ich die Kippe nicht auf den Boden werfe, dann ist vielleicht nur das Handy kaputt und sie sieht von der Anzeige ab.“

Die Kollegin geht in die Freiheit, ich zurück ins Schulgebäude.

„Okay Gülistan, was ist denn?“ frage ich betont ruhig und sachlich.
„Frau Freitag, ich glaube ich habe meine Jacke bei ihnen im Raum gelassen.“
Erleichtert gebe ich ihr meinen Schlüssel: „Hier, guck‘ mal, ob sie da noch ist.“
Sie rennt die Treppe hoch. Ich gucke ihre beiden Freundinnen an. „Und ihr, was wollt ihr?“
„Das ist meine Jacke.“ sagt die ein.
„Ach so, die hast du ihr nur geliehen.“
Sie nickt und grinst.
„Na, hoffen wir mal, dass die auch wirklich in meinem Raum ist.“
„Ich hab‘ sie!“ schreit uns Gülistan von der Treppe entgegen. Sie gibt mir meinen Schlüssel zurück. „Schönes Wochenende, Frau Freitag.“ zwitschert sie mir dabei entgegen und hüpft mit ihren Freundinnen über den Schulhof.
„Danke, werd‘ ich haben. Euch auch ein schönes Wochenende.“

Tja, so kann’s eben manchmal auch gehen. Und denkt mal nicht, dass mir diese kleine Episode keine Lehre wahr. ich könnte einen Text darüber schreiben: „Wie soll sich die Lehrkraft bei Handybenutzung im Unterricht pädagogisch korrekt verhalten?“ Ich würde eine 1+ schreiben!!! Auf jeden! Danke Gülistan! ♥ ♥ ♥

Ach es war doch auch zum Heulen

Nach einer unerträglichen langen Weile sitze ich wieder an meinem Pult. In meiner Hosentasche ist das verdammte Handy von Gülistan. Die Klasse schweigt. Widmet sich wieder ihrer schriftlichen Aufgabe. Mein Daumen tut weh. Ich gucke zu Gülistan. Sie reibt sich ihren Zeigefinger. Plötzlich fängt sie lautlos an zu weinen. Ich könnte auch heulen.
Was für eine unnötige Scheiße war das gerade?

Sie guckt immer wieder zu mir und zeigt dann auf ihre Finger. Manuela gibt ihr ein Taschentuch. Ich sitze auf meinem Stuhl und spüre das blöde Telefon an meiner linken Arschbacke. Wahrscheinlich ist das Display gesplittert. Billigen Elektroschrott, den die Schüler sich da immer kaufen. Aber ich kann auch nicht nachsehen. Ich will nicht, dass die anderen Schüler wieder an unseren peinlichen Kampf erinnert werden.

Oh Mann, wie sie heult. Sie geht bestimmt zur Schulleitung und sagt, dass ich ihr die Finger gebrochen habe. Und dann zum Arzt, der schwere Prellungen feststellt und dann gleich noch zur Polizei, die eine Anzeige wegen Körperverletzung aufnimmt. Und das alles, weil… ja warum eigentlich? Weil ich das Handyverbot, das ich ja nicht mal aufgestellt habe, durchsetzen wollte. Hätte ich gar nichts gemacht, wäre jetzt auch gar nicht passiert. Ich hätte auch, wie schon oft so tun können, als sähe ich das Handy gar nicht. Hätte, hätte…jetzt ist es aber passiert. Kurz vor dem Klingeln sage ich: „Gülistan, du bleibst bitte noch mal kurz hier.“

Als alle weg sind sitzt sie mir gegenüber. Ihr großen braunen Augen total verheult. Zum Glück schminkt sie sich noch nicht. Das sähe jetzt noch wüster aus, verschmierte Wimperntusche…

„Gülistan, was war das vorhin?“
Sie zuckt mit den Schultern.
„Warum hast du mir das Handy nicht gegeben?“
„Ich…ich… ich wollte nicht.“ stottert sie und da kommen schon wieder Tränen.
„Ich habe dir an der Hand wehgetan, stimmt’s? Mir tut es hier am Daumen auch ganz schön doll weh.“ Ich halte ihr meine Hand unter die Nase und sie betrachtet interessiert die rote Stelle unter meinem Nagel.
„Da haben wir und beide ganz schön erschreckt, oder?“
Sie nickt und ich sehe so was wie ein Lächeln.

„Wie machen wir das denn in Zukunft?“ frage ich sie. „Ich nehme nicht mehr Handy im Unterricht.“ flüstert sie.
„Und wenn ich sage, dass du mir was geben sollt…“
„Dann mach‘ ich, bestimmt.“

Ich greife in die Tasche und schiebe ihr das Handy rüber. „Hier.“
Sie lächelt. „Danke.“

Warum habe ich ihr das Handy gegeben? Das war reiner Selbstschutz. Eigentlich hätte ich es im Sekrtetariat abgeben, aber was wäre passiert, wenn die Eltern es abholen kommen und dann – wo sie doch schon mal da sind, gleich zur Schulleitung tapern, um sich über die brutale Pädagogik von Frau Freitag zu beschweren. Diese Szene möchte ich mir gar nicht vorstellen.

Ich dachte nun sei alles wieder gut, bis ich nach der letzen Stunde vor der Schule meine Feierabendzigarette rauche. Da steht plötzlich Gülistan, mit drei Freundinnen vor mir. „Frau Freitag….“

Jetzt zieht euch mal das rein!

„IST DAS ETWA EIN HANDY????“ Ich glaub jetzt hackt’s. Sitzt da seelenruhig in der vorletzten Bank und spielt mit dem Handy rum. In der SIEBTEN Klasse. Dass die Schüler meiner Klasse im Unterricht gerne mal telefonieren („Bin gleich fertig Frau Freitag, Moment noch.“) tut hier nicht zur Sache. In der Siebten geht keiner in der Stunde auf’s Klo, niemand darf eine Mütze tragen und Handys… Das wissen diese Schüler, schließlich quälen wir uns nun schon fast ein Schuljahr lang durch mehrere Wochenstunden schlechten Unterricht. Je schlechter ich vorbereitet bin, umso strenger bin ich mit den Schülern. Paradox.

„Gülistan, was hast du da?“ Kamikazig stürze ich zu ihr. Panisch umklammert sie irgendwas mit beiden Händen, versucht sich dann auf die Hände zu setzen. Ich bin sicher es ist ein Handy. Nichts beschützen die Schüler mit soviel Hingabe wie ein Handy.
Ahhh, jetzt sehe ich etwas Metallisches aufblitzen. Klarer Fall. Ein HANDY!!! So!!!
„Gülistan! Ich glaub‘ ich spinne!!! Gib mir sofort das Handy!!!“ Keine Reaktion, aber ich spüre 25 Augenpaare auf mich gerichtet. Was wird jetzt passieren? Wird Gülistan das Handy hergeben? Wird Frau Freitag sich durchsetzen? Wer wird gewinnen? Endlich passiert mal was Aufregendes. Das sind nämlich die spannenden und vor allem die lehrreichen Momente im Unterricht. Wen kümmert schon, wie man das Simple Past bildet und wann man das braucht. Brauch ich eh‘ nicht, aber wenn sich Frau Freitag jetzt nicht durchsetzt, dann hole ich in der nächsten Stunde auch mein Handy raus. Und dann behalte ich nächste Woche auch meine Mütze auf. Wenn sie jetzt nicht gewinnt, dann ist ja wohl klar, wer der Stärkere ist. Sie jedenfalls nicht.
„Gib‘ mir das Handy.“ wiederhole ich etwas strenger. Ich versuche es möglichst bestimmt klingen zu lassen. Gülistan hat den Kopf gesenkt und umklammert immer noch ihr Telefon. Im Tierreich hätte ich es jetzt leicht. Kurzer schneller Nackenbiss und gut wär’s. Ich muss dieses blöde Ding jetzt kriegen. Ich werde es mir einfach schnell nehmen, denke ich. Aber schnell ist irgendwie relativ. Ich greife nach Gülistans Hand und erwarte, dass sie das Handy vor Schreck und vielleicht sogar vor Ehrfurcht oder sowas wie Respekt mir gegenüber loslassen würde. Aber nix da. Sie hält es jetzt noch fester. Na warte, das kann ja nicht sein, dass diese kleine poplige Siebtklässlerin stärker ist als ich. Wir rangeln eine Ewigkeit um das Handy. Ich möchte gar nicht wissen, wie peinlich das aussieht. Während ich noch versuche ihre Finger einzeln vom Handy zu lösen denke ich: Was machst du hier Frau Freitag? Unwürdiger Auftritt, unwürdig und unerlaubt. Nicht die Schüler anfassen!!! Niemals!!! Und dieses Fingeraufbiegen geht schon ziemlich weit über ein normales Anfassen hinaus. Jetzt hat sie mich gekratzt an meinem Daumen. Aua! Dieser verdammte Zeigefinger, jetzt habe ich ihn schon ein paar Milimeter weg, wenn ich den jetzt weiterbiege, dann müsste sie doch loslassen….ahh, jetzt bin ich an dem Handy dran, scheiße, was knirscht da so?

…Fortsetzung folgt…

Generation Gap

Wir denken doch immer, dass wir Erwachsene sooo schlau sind. Dass wir alles wissen, kennen und verstehen. Wir lachen doch so gerne über die dumme Jugend. Vor allem in solchen Lehrerblogs, wo überhebliche Lehrerinnen wie Frau Freitag oder Frl. Krise sich auf Kosten der Jugend bei anderen überheblichen Menschen beliebt zu machen versuchen.
Und die lieben Kleinen verzapfen ja auch viel Lustiges, wenn der Tag lang ist. Und der Schultag ist gerne mal lang. Oft und gerne schmunzele ich über die Sachen, die die Schüler sagen und oft bin ich entsetzt, was sie alles noch nicht wissen. Umso mehr freue ich mich, wenn die Schüler auch mal unsere Unwissenheit und unsere Unkenntnis mitbekommen. Man erinnere sich doch mal an all die Lehrerinnen, die keine Filme einlegen konnten.
Heute finde ich nun diesen herrlichen kleinen Dialog meiner Schülerinnen auf Kinderfacebook. Ich habe mich so sehr darüber amüsiert, dass ich euch den nicht vorenthalten kann. Lest selbst:
Marcella: haha sitz gerade in der bibliothek und neben mir sitzen 2 leute…. die eine erklärt den anderen wie er googlen kann und wie er E-mails schreiben kann er ist ca 40 und hat noch nie eine Internet seite aufgeschlagen haha haram wallah dummheit…. ha ha
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Esra:  hahahahhahaha Marcella ey ja solche leuete gibts auch heute noch :
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Marcella: haha wallah schlimm sie sagt in sogar man kann auch bilder googlen er so „wow sowas gibs“ haha ich musste mich kraaank lachenn
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Esra: OMG ne oder wie sah der eigentlich aus war der etwa jung?
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Marcella: ne eher ein älterer abaa nicht zu alt haha um die 40 ich meine 80 jährige wissen doch was internet ist haha

Zukunftscountdown

„Bald ist ja Anmeldeschluss bei den Oberstufenzentren.“ keiner sagt was. Alle Zehntklässler sitzen über ihre Blätter gebeugt und zeichnen lachende Blumen. Niemand will sich unterhalten, aber ich langweile mich. Meinen Papierkram habe ich erledigt, zum Schränkeaufräumen habe ich keine Lust und die Stunde dauert noch mindestens 25 Minuten.

„Thoja, was willst du denn eigentlich nach der Schule machen?“ Thoja ist zum Glück nicht in meiner Klasse. Sie wiederholt das zehnte Schuljahr, in der Hoffnung doch noch den Realschulabschluss zu ergattern. Ich habe ihre Noten schon gesehen und weiss, dass sie den auch diese Jahr nicht geschafft hat. “ Ich geh‘ Handel. Mein Freund macht ja auch mit Handel und so. Dann können wir Firma machen.“

„Was für eine Firma?“

„Na so Firma. Vielleicht mit Autoteile und so.“

„Aber Thoja, interessieren dich denn Autoteile?“ Keine Antwort ist auch eine Antwort, deshalb frage ich weiter: „Wenn du dir was aussuchen könntest, was würdest du denn für eine Firma haben wollen?“

„Klamotten.“ antwortet sie ohne lange nachzudenken. Wahrscheinlich wird sie Verkäuferin bei H&M. Oder sie eröffnet eine eigene H&M Filiale.

„Eigentlich wollte ich ja Designerin werden.“  informiert sie uns nun weiter. „Warum gehst du dann nicht Hauptstraße?“ fragt sie Selina. In der Hauptstraße befindet sich das Oberstufenzentrum für Bekleidung.

„Aboo, Hauptstraße ist voll Schrott. Ich kenne Leute die Hauptstraße gehen. Die lernen da nur nähen. Ich will ja Designerin werden.“ Den Rest dieser möglichen Konservation erspare ich mir, denn den kenne ich schon von Fatma, die ja nach eigenen Aussagen auch „Deseinerin“ werden wollte. Also wende ich mich Mustafa zu. Der ist in meiner Klasse und es interessiert mich wirklich, ob er sich jetzt endlich mal mit seiner eigenen Zukunft auseinandergesetzt hat.

„Musti, was ist mit dir. Was machst du im September?“

„Mann, Frau Freitag!!!!“ stöhnt er, wie er es seit einem dreiviertel Jahr tut. Dann grinst er verlegen und legt dramatisch den Kopf auf den Tisch. Aber diesmal lasse ich nicht locker. „Was Mann Frau Freitag. Was willst du denn werden?“

„Kein Plan.“

„Aber irgendwas musst du doch machen wollen.“ Dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben. Musti kichert nur doch, denn jetzt starren ihn alle an. Ich beiße mich tiefer in seine Waden. „Mustafa, guck mal, du musst mal überlegen, was dir Spaß machen würde.“

„Feuerwehr.“

„Ich geh‘ zur Post.“ mischt sich plötzlich Fabian ein. „Super, Post ist gut. Post ist sehr gut.“ kommentiere ich. Fabian lächelt glücklich. „Haben die dich echt angenommen ja?“

„Ich geb‘ heute Bewerbung ab.“

„Na viel Glück, die nehmen dich bestimmt.“ sage ich und wende mich wieder meinem Hauptopfer zu. „Musti, warum gehst du nicht zum Oberstufenzentrum für Gesundheit. Ich könnte mir dich gut vorstellen in so einem pflegendem Beruf. Krankenpfleger. Das wäre doch was für dich.“

„Ha, alte Leute und so. Musst du Arsch abwischen.“ schreit Thoja vergnügt von hinten. Können wir diese Berufsrichtung also auch vergessen.

In den letzten Minuten der Stunde versucht die gesamte Gruppe Mustafas Zukunft zu planen. Ergebnis: offen. Ich bin sehr gespannt was aus ihm wird. Er wahrscheinlich auch.

„Na, Musti, irgendwo musst du dich allerdings anmelden, sonst hast du im Herbst gar nichts.“ versuche ich das Thema abzuschließend zusammenzufassen. „Aber Frau Freitag, vielleicht sterbe ich auch.“ Logik???

„Ja, Musti, vielleicht stirbst du übermorgen und wenn du dich morgen anmeldest, dann wäre das voll umsonst gewesen.“

Musti grinst. „Könnte ja sein.“

Mein linkes auge trännt schon seit 4 stunden dieser hurensohn

Kinderfacebook ist und bleibt eine lyrische Fundgrube. Ich stöberte dort eben rum, weil ich mal die Meinungen zum Grand Prix hören wollte. Aber die lieben Kleinen sind noch nicht wach.

Elif schreibt: ich wette Mariella hat Lebensfreude
Miriam: wie kommst du drauf?
Elif: weil sie azerbaijanerin ist
Miriam: assoo hehe
Elif: 😉

Tja Azerbaijan… hatte ich ja nun gar nicht auf dem Zettel. Und Italien ist auch an mir vorüber gegangen. Darüber wird sich Marcella morgen lautstark freuen. Meine Klasse: wie der Green Room beim ESC.
Meine Begeisterung für Schweden teilte gestern Abend nur der Juristenfreund. Wenigstens einer. Wir mochten alle den Style Council Song von Serbien. Und wir waren uns einig, dass es diesmal eigentlich ganz gute Songs gab. Jetzt bleibt nur noch die Frage, ob Arthur Abraham gewonnen hat. So lange konnte ich mich dann doch nicht mehr wachhalten.

Da ja gestern nicht mehr als der ESC passiert ist, möchte ich hier mal ein paar schöne Statuseinträge von meinen Schülern präsentieren. Seid mal nicht so langweilig auf eurem eigenen Facebookprofil. Immer nur: Bohnenkaffee trinken oder müde sein will man doch irgendwann nicht mehr lesen. Lasst euch mal von der next generation inspirieren:

diese band blue sing für england…. in der grundschule war ich yaa son freakk von denen …oh mannn

Auf gehts Mathe zerstören 😀 (verbotener Handyeinsatz in der Schule!)

Gesangsunterricht fickt arsch mann…stimme wird abgefuckt und heisa – (Blutdruck-Yusuff – wenigstens nimmt er Unterricht!)

monnttaaaaaaaggg wiiieeedddaa schulllleee ♥ ♥ ♥ (Samira nach längerer Krankheit.)

Boaaaaaaaaaaaaaa wie ich mir dieses Wochenende soooo hart verdient habe!!!!

Ich verreck vor Schmerzen 😦

Message from your heart ☼ ٩(-̮̮̃•̃)۶ sehr schwer 😦

Kämpfe um das, was Dich weiterbringt, Akzeptiere das, was Du nicht ändern kannst & trenne Dich von dem, was Dich runter zieht !!! (Esra – jetzt bei AA?)

Freunde sind die Familie, die wir uns aussuchen. (Auf solche Weisheiten stehen die Schüler.)

Finde einen Menschen der dein Leben verändert nicht deinen Beziehungsstatus..!!;);) ( hab ich mir geliehen) 😛 (wenigstens ehrlich)

habt ihr schon das neueste gehört: us- soldaten haben angeblich xxx-videos bei osamas versteck gefunden (War klar gewesen, dass sowas beim Kinderfacebook auftaucht. Es folgt eine endlose fragerei, was denn XXX-Videos sind.)

♥ (kommt vor)

hat sehr starke Kopfschmerzen = (Diese Schülerin hat immer irgendwas. Und teilt das alle 10 Miniten dem Internet mit.)

Kurze Zeit später schreibt sie:

habe sehr langweile >) (Und diesen Zustand kenne ich sehr genau!)

Wer seiinee Hand voR eiineeR Frau erhebT, hat diieSee Hand niichT veRdiienT..! (Stimmt! Ab die Hand!)

Ukraine ♥ ♥ ♥ ♥ (Sorry, diesmal leider nicht.)

Frau Freitag: wünscht allen ein erholsames Restwochenende und einen guten Wochenstart. Wird eine gute Woche! Vallah!