Alter Falter – die Hitze. Hot, hot, hot. Wir gucken einen Film über Schrift. Die Schüler können sich vor Begeisterung gar nicht mehr auf den Stühlen halten. Ich habe mich nach hinten zu Schantalle gesetzt. Schräg hinter sie – direkt in ihren Nacken. Ganz unangenehm. Und in regelmäßigen Abständen flüstere ich ihr zu: „Lass das doch mal.“ oder „Jetzt guck‘ doch mal den Film an.“ Ansonsten versuche ich mich nicht zu bewegen, da ich sonst einen Kreislaufkollaps wegen der Hitze erleiden würde. Irgendwann ist auch diese Stunde vorbei und der Schultag zuende.
Angefangen hatte der Tag ganz gut. Die regelmäßigen Teilnehmer meiner Klasse fanden sich sogar fast pünktlich zur ersten Stunde ein. Regelmäßig kommen allerdings nur noch 11 von 21 Schülern. Der Rest trudelt dann im Laufe der zweiten oder dritten Stunde oder kurz vor der Mittagspause ein. Marcella sehe ich nur noch in den Pausen auf dem Hof. Eigentlich hatte ich meiner Klasse versprochen, dass wir noch mal an die Ostsee fahren. Dieses Projekt nahm mich schon wieder so in Anspruch, wie letztes Jahr der Heidepark. Internet, Bus, Bahn, Reisebüro… Und dann kommt Frau von der Leyen mit ihrem Bildungsteilhabepaket. Plötzlich liegen so Zettel in unseren Fächern, dass wir für alle Schüler, die vom Schulbuchkauf befreit sind – eigentlich meine ganze Klasse – Geld von der Schule bekämen. Die Befreiten müssten jetzt nichts mehr selbst bezahlen und wir sollen unser PRIVAT-Konto angeben und dann wird uns das Geld überwiesen und später müsste ich das dann mit der geldgebenden Stelle abrechnen.
Das alles klingt kompliziert. Privat-Konto klingt auch nicht besser und warum sollen denn die Steuerzahlerkinder für ihren Trip selbst zahlen und deren Eltern auch noch durch ihre Steuern den Trip der anderen mitfinanzieren. Irgendwie streubt sich da mein Gerechtigkeitssinn. Okay, wenn meine Klasse immer in der Schule und im Unterricht wäre, wenn sie sich für ihre Schulleistungen interessieren würden, wenn sie für die Prüfungen gelernt hätten – dann hätte ich nichts dagegen mit ihnen wegzufahren und dann würden ich ihnen das auch noch persönlich bezahlen – aber so?
Heute habe ich gesagt, dass ich ja in den letzten Wochen nur noch eine Klasse mit 11 Leuten habe und deshalb beschlossen hätte nicht die Stadt zu verlassen. Ich höre leichtes Wimmern. „Heidepark.“ jammert Musti. Ich gebe unmissverständlich zu verstehen, dass ich für einen weiteren Heideparkbesuch nicht zur Verfügung stehe. „Du kannst gerne in den Sommerferien dorthin fahren, Musti.“
Überraschenderweise akzeptieren die Schüler ziemlich schnell, dass ich nicht mit ihnen wegfahren möchte und diesmal bin ich auch nicht die Böse. „Da kann ich Frau Freitag verstehen… wenn die alle nicht mehr zum Unterricht kommen…“
„Frau Freitag, wir haben voll schönen Garten.“ sagt Funda plötzlich begeistert „Vielleicht können wir da alle grillen.“
„Eine super Idee. Frag‘ doch mal deine Eltern. Und wenn wir das am Nachmittag machen und das sozusagen keine Schulveranstaltung ist, dann könnt ihr da auch rauchen.“
„Aber Sie müssen auch kommen.“ sagt Ayla.
„Klar komme ich, gerne. Und rauchen werde ich dann auch.“
Funda fängt an aufzuschreiben, was wir brauchen. Ich höre Köfte und Bulgur und vieles mehr, was mir Hunger macht.
„Du musst erstmal fragen, wer alles kommen will.“ sagt Esra.
Funda nimmt sich ein Blatt und schreibt: „Also: Esra, Ayla, Marcella, Peter, was ist mit dir?“ Peter nickt schüchtern. Funda schreibt seinen Namen auf. Ronnie sitzt in der letzen Reihe und kippelt. Wenn jemand in 20 Jahren fragt: Kannst du dich an diesen Ronnie erinnern? Dann antworte ich: Letzte Reihe immer kippelnd und immer schlecht gelaunt.
„Ronnie, was ist mit dir?“
„Was?“
„Na, willst du zum Grillen kommen.“
„Hmmm, weiss nicht. Mal sehen?“
Ronnie ziert sich – Ronnie hat genau zwei Freunde. Einen aus der Grundschule, der nicht auf unserer Schule ist und Peter, mit dem er ab und zu auf dem Hof rumhängt.
„Ach komm Ronnie, wir grillen, das wird bestimmt lustig.“
„Na, okay. Aber ich will SCHWEINEFLEISCH.“
Außer Peter, Ronnie und mir befinden sich zur Zeit nur Moslems im Raum. Ich erwarte jetzt großes Geschrei, und Ekelbekundungen ob der Nennung des Haramtieres.
„Schweinefleisch,“ sagt Funda lässig „kein Problem, du kriegst dein Schweinefleisch, wir haben einen zweiten Grill.“ Funda grinst und schreibt Ronnie auf ihre Liste.
„Ich kann auch Köfte essen.“ sagt Ronnie jetzt leise „schmeckt ja auch gut.“
Oh Mann, ich glaub‘ die werden erwachsen.