Ohne Waffen töten

Heute brauche ich kein Pony, sondern einen Sachbearbeiter. Die Bürokratie hat schon wieder ihre schleimigen Finger fest um meine Gurgel gekrallt. Kurz vor den Zeugnissen hat sie immer besonders viel Spaß mir das Leben schwer zu machen. Wir armen Klassenlehrer… Noten eintragen, den Kollegen hinterherlaufen (den Satz habe ich schon so oft geschrieben), damit die ihre Noten eintragen, Sozialverhalten eintragen, Fehlzeiten errechnen, Fehlzeitenstatistik machen – als hätte sich dadurch schon mal was verbessert, Vokabeltests korrigieren, zensieren, Aktennotizen schreiben, Eltern anrufen, Termine mit denen vereinbaren usw. Schleierhaft, wie ich neben diesen ganzen Zeitvertreiben noch unterrichten kann. Tue ich z.Z. auch eher schlecht als recht. Erstrecht schlecht.

Ich weiss schon, warum diese Arbeitshäufung jetzt ansteht – man soll doch richtig fertig in die Winterferien gehen – nicht, dass man sich in den drei Wochen zwischen Weihnachten und Zeugnisausgabe zu sehr erholt…

Ach, vorhin war ja auch lustig… ich komme so nach hause und an der Ampel kommen mir zwei so halbstarke Jungs mit Migrationshintergrund entgegen. Von dem einen konnnte ich meine Blick gar nicht abwenden, da der so dermaßen dunkelbraun getoastet war, dass man laut lachen wollte. Aber als sie an mir vorbeigehen höre ich den sagen: „Ich brauch keine Waffen, ich kann auch so töten.“ Tja, was sagt man dazu? Ist doch mal ’ne Aussage. Der andere nur so: „Hmm.“
Würde ich auch gerne mal sagen… Ich brauch keine Waffen – ich kann auch so töten. Nimmt mir wahrscheinlich keiner ab. Wie wär’s mit: Ich brauch keine Didaktik, ich kann auch so unterrichten.

Frau Freitag, ist denn gar nichts in der Schule passiert?
Nö, irgendwie nicht. Meine Klasse – das sind echt nicht so die Partymaker. Die Mädchen sowieso nicht – viel zu lieb und süß und die Jungs – tja, seitdem Hamid mit dem Muttiheft ruhiggestellt ist und Anil sich in sich selbst zurückzieht – jedenfalls in meinem Unterricht – ist echt nicht so viel los bei mir. Ich will mich auf keinen Fall beschweren, aber ich muss mich echt noch mal bei den ganzen Knalltüten meiner alten Klasse bedanken, dass sie mir soviel Stoff geliefert haben. Da war schon immer was los. Momentan würde ich gar nicht so sehr an meinen Fähigkeiten eine gute Klassenlehrerin zu sein zweifeln. Aber ich weiss auch, dass es nur an den Schülern und nicht an mir liegt. Diese lieben Mädchen, die ich habe, die könnte jeder Depp von der Straße unterrichten. Die könnte der Kumpel von dem, der ohne Waffen töten kann, zum Schulabschluss bringen. Darauf kann ich mir leider noch kein Ei braten. Die sind (noch) gar keine Herausforderung. Aber bleibt ja noch Hoffnung – die Pubertät wird wahrscheinlich auch nicht an denen vorbeigehen.
Morgen habe ich nur die Jungs. Ich verspreche, mit denen was zu erleben, worüber ich hier schreiben kann. Notfalls lasse ich mal den Satzt mit dem „ohne Waffen“ los. Und ich bin sicher, bei Frl. Krise war heute wieder extreme Action. Die hat sich ihre Klasse halt zu so einem Knalltütenhaufen erzogen. Vielleicht schaffe ich das auch noch. Werde sie mal fragen, wie sie das gemacht hat.

Ein unnötiger Mittwoch

Ich will ein Pony.
Heute kam ich mal früher als sonst nach Hause und hatte mir schon auf dem Weg überlegt, was ich mit meiner Zeit alles anfangen könnte. Was ich alles erledigen werde. So viel wegschaffen könnte ich heute – an einem einzigen Nachmittag…
Und dann komm ich rein, kriege Mittagessen – wie ein Schüler, nach dem Schultag zu Oma geht. Dann: „Ach ich leg mich mal kurz auf die Couch ab. Habe gerade ein dolles Müde in mir.“ Auf der Couch surfe ich ein wenig durchs Internet – hierhin – dahin- dorthin- zurück zu dahin… und plötzlich schlummere ich ein, in einen tiefen Schlaf. Durchgepennt bis 17 Uhr und dann zum Sport – noch mit den Kissenabdrücken auf der Backe. Mittagsschlaf – ist eigentlich gar nicht mein Ding… und geschafft habe ich außer Schlafen GAR NICHTS!!! Unverschämt. Und jetzt bin ich schon wieder auf der Couch, schaffe es gerade noch, mich mit den Pralinen vollzustopfen, die ich zu Weihnachten bekommen habe.

Soll ich mir ein Pony kaufen? Ich könnte doch zur Schule reiten. Wir hätten sogar einen Hof, wo das Pony warten könnte, bis ich fertig bin. Da kommen auch keine Schüler hin. Mein Pony könnte auf keinen Fall auf dem normalen Schulhof stehen. Es gäbe bestimmt Schüler die mein Pony ärgern würden, aber die meisten würden es streicheln wollen. Mit dem Pony zur Schule kommen ist doch auch nicht so anstrengend, wie mit dem Fahrrad. Und ökologisch wertvoller, als mit dem Auto. Warum macht das denn keiner? Aber wo kriege ich denn ein Pony her und was kostet so ein Tier? Vielleicht sollte ich mich ins Umland versetzen lassen. Da kommen bestimmt ganze Dorfschulkollegien mit Ponys zum Dienst.

Ach, mein Leben ändert sich ab Freitag: Hamsa – mein persönlicher Sargnagel auf der doofen Achten Klasse wird morgen in eine andere Klasse versetzt. Er ist dann einfach weg. Ich kann es noch gar nicht glauben. Jetzt habe ich vielleicht noch mal eine neue Chance mit der Klasse. Jetzt verändert sich ja das ganze Gruppengefüge. Und für Hamsa ist der Wechsel ja auch eine neue Chance – noch mehr Lehrer in den Wahnsinn zu treiben, hahaha, nein, nein, nur Spaaaaß – er kann ja jetzt noch mal neu anfangen sich in einem ganz anderen Licht darzustellen. Vielleicht nutzt er ja die Chance und wird ein gaaaanz netter, lieber Schüler. Hahahahahaha Hoffnung hahahahaha.

Okay, jetzt Tagesschau. Kann man Ponys eigentlich im Internet bestellen. Und werden die dann geliefert?

Hamids Auflagen

„Der kriegt ein Muttiheft! Und die Mutter soll ihm gleich das Handy abnehmen und er bekommt es abends erst wieder, wenn alle Lehrer was Gutes in das Heft geschrieben haben.“ informiere ich die Erzieherin kurz vor dem Elterngespräch.
Heute geht es Hamid an den Kragen. Heute wird er gegrillt. Nachdem sich Anil in meiner Klasse durch unglaublich bescheuertes Nervverhalten ins Abseits gespielt hat, meint Hamid, das Machtvakuuum mit seiner Wenigkeit füllen zu können. Er spielt sich seit Wochen wie der Chef der Klasse auf. Wenn alle still sind, muss er immer noch mal losquaken. Wenn ich was sage, dann hat er grundsätzlich die ein oder andere sehr wichtige Nachfrage und wenn es mir dann irgendwann zu bunt wird und ich ihn dann auffordere ruhig zu sein, dann kommt von ihm immer noch ein Einwurf und nochwas und nochwas. Echt unerträglich. Und ich möchte gar nicht wissen, wie er sich bei den Fachlehrern aufführt, denn ich vermute, bei mir verhält er sich noch verhältnismäßig gut. Am Wochenende hatte ich die Kunstbilder meiner Klasse zensiert und sehe, dass hinten auf Hamids Bild draufsteht: THE BOSSSS! Habe ich sofort durchgestrichen und drunter geschrieben: I’m the boss! Denn er irrt, wenn er meint der Chef der Klasse zu sein. Deshalb heute das Elterngespräch.

Ich sitze im Lehrerzimmer mit der Erzieherin und warte auf Mama Hamid. Wir kennen sie vom Elternabend. Eine imposante Frau. Groß und breit – wie Hamid. Die arme Frau hat drei Jungs und zwei Mädchen. Hamid ist der jüngste und lebt wahrscheinlich zu Hause wie Graf Koks von der Gasanstalt (kennt ihr den noch Graf Koks… habe ich als Kind nie verstanden.) Hamids Mama geht jeden Tag arbeiten. Sie steht sehr früh auf und man würde erwarten, dass die vielen Kinder ihr dann nachmittags und abends zu Hause helfen – aber Hamid wirkt so, als hätte er noch nie einen Finger im Haushalt gekrümmt. (Na ja, ich habe gut reden… ich mach auch nicht gerade viel.)

Fatma, aus meiner alten Klasse, sagte mal: „Natürlich helfen wir alle zu hause. Wir machen den ganzen Haushalt. Wozu hat meine Mutter denn sonst so viele Kinder bekommen?“ Fatma hat sieben Geschwister.

Anita zischt durchs Lehrerzimmer und beugt sich im Vorbeigehen kurz zu mir: „Frau Freitag, dein Termin ist da.“
Überpünktlich ist Mama Hamid. Gut! Aber Pünktlichsein ist auch nicht Hamids Problem. Wir gehen raus und setzen uns an den Tisch vorm Lehrerzimmer.
Und dann wird ausgepackt. Wie schlecht sich der Sohn benimmt, wie die ganze Klasse durch seine Störereien nicht zum Arbeiten kommt, wie sich die Fachlehrer bei mir über ihn beschweren, wie sie sagen, dass man, wenn Hamid fehlt, wunderbaren Unterricht mit der Klasse machen kann usw.
Ich betone ausdrücklich, dass sich Hamid das Chefsein abschminken kann, denn diese Position sei schon durch mich und die Erzieherin besetzt. Hamid hört sich alles schweigend an und wird immer kleiner.
Mama Hamid erzählt von ihrem Werdegang, von ihren anderen Kindern und sagt ihrem Sohn, wie peinlich es für sie ist, seinetwegen immer wieder in die Schule bestellt zu werden. In der Grundschule wurde sie fast wöchentlich eingeladen. Wir erklären ihr, wie das Muttiheft funktioniert und setzen das Strafmass fest. Bei schlechten Einträgen der Lehrer muss Hamid Freitags zur Nullten Stunde kommen und eine schriftliche Strafarbeit erledigen, die sich gewaschen hat. „Das geht sehr gut, ich kann ihn dann morgens gleich wecken und wir können zusammen das Haus verlassen. Ich muss ja auch um sieben Uhr los.“ sagt Mama Hamid. Hamid schluckt. Im Kopf rattert es: Um halb acht in die Schule, puhhh… Und gleich heute Abend wird der Laptop eingezogen und erst freigegeben, wenn er sich den ganzen Tag in der Schule gut benommen hat.
Hamid verspricht mit Handschlag sich zu bessern. Wir verabschieden uns herzlichst von seiner Mutter und gehen hochzufrieden noch einen Kaffee trinken bevor es klingelt.
Wer sagt’s denn – FROH ist definitiv noch da.

Froh zu sein bedarf es wenig

„Frohes neues Jahr, Herr Werner.“
Herr Werner guckt mich kurz an und sagt: „Froh ist vorbei!“

Mit der Aussage schlurfe ich heute morgen ins Lehrerzimmer. Froh ist vorbei. Ist froh wirklich vorbei? Ist da nicht vielleicht noch ein wenig Froh? Gibt es hier gar kein Froh? Ich versuche jedenfalls soviel froh wie möglich mit in den neuen Arbeitsabschnitt zu nehmen. Abschnitt 3: Die Zeit von Weihnachten bis zu den Winterferien. Ein Klacks, ein Witz – so schnell rum, dass man diese Zeit eigentlich abschaffen könnte. Ich sag‘ mal wie es ist: Lohnt sich nicht! Sind doch nur drei oder vier Wochen. Man könnte eigentlich auch die Weihnachts- und die Winterferien beidseitig verlängern. Wir wären alle mehr erholt und könnten richtig durchpowern bis zu den Osterferien und von dort ist es doch sowieso nur noch ein Spaziergang bis zu den Sommerholidays.

Im Lehrerzimmer fragt mich niemand, ob ich verreist war. Ich bin ein bisschen enttäuscht, schließlich war meine Reise voll teuer. Da möchte man doch wenigstens sagen, dass man weg war und wo und dass es voll super war und viel besser als zu Hause bleiben.

Und irgendwann klingelt es auch zum in die Klasse gehen. Und da sitzen meine lieben Schüler. Ich frage, ob sie schöne Ferien gehabt haben. Hatten sie. „Sylvester ist der schönste Feiertag im Jahr!!!“
Hamid erzählt mir eine wüste Story mit Polizei und Pistolen – wahrscheinlich solche zum Knallern, die er mit seinen 12 Jahren aber auch noch gar nicht haben darf. Jedenfalls hat die Polizei sie ihm wohl abgenommen.
„Gut so.“ mein Kommentar.

„So, let’s start with EEEEEENGLISH!“ Irgendwann müssen wir ja auch mal wieder Schule spielen. „Wie start with a new topic. Have a look…“
Emine meldet sich.
„Emine, can it wait?“
Emine guckt mich verwirrt an. „Kann das nicht warten? Ich will jetzt Unterricht machen.“
„Nein, ist voll wichtig!“
„Okay. Was ist denn?“
Emine guckt mich mit großen Augen an.
„Also Frau Freitag, wenn wir an einem Donnerstag Sommerferien haben und die dann an einem Freitag aufhören…“
„SOMMMMMERFERIEN?????“
„Ja, wann fangen die denn nun genau an?“
„Jaaaa, wann sind eigentlich die Sommerferien?“ schreit jetzt auch Anil.
„Kinder, jetzt waren gerade Weihnachtsferien. Draußen ist es saukalt und glaubt mir mal, ihr erfahrt noch früh genug, wann die Sommerferien anfangen. Das hat noch kein Schüler versäumt. Und now back to English!“
Emine schmollt ein wenig, Hamsa faselt was von Osterferien und irgendwann ist die Stunde fertig unterrichtet.

Abschließend muss ich aber jetzt so entspannt über meinem Kaffee feststellen: Froh ist noch nicht vorbei. Froh fängt gerade an.