Elternsprechtag. Wie ich den liebe. Die Schüler, die wissen, dass ich am Abend ihren Eltern gegenüber sitze, sind heute ganz lieb und demütig gewesen.
Elda und Esra kamen sogar in der Mittagspause zum Lehrerzimmer. Ich saß gerade über einem Teller nicht ganz so leckerer Nudeln.
„Frau Freitag, können wir noch mal mit Ihnen reden? Wegen heute Abend und so?“
Jetzt werden noch mal alle Register gezogen. Esra bemüht sogar noch eine kranke Großmutter, wegen der ihre Eltern z.Z. große Sorgen hätten. Elda kommt wieder mit der türkischen Hochzeit. Ich denke an die Nudeln.
„Passt mal auf ihr Lieben, lasst uns einfach heute Abend darüber sprechen. Und jetzt geht mal nach Hause.“
Dann beginnt der Elternsprechtag. I love it! Ich stelle immer ein paar Stühle für die Wartenden vor die Tür und immer, wenn ich kurz rausgehe, um den nächsten reinzubitten, sitzen die lieben Kleinen dort mit leidendem Gesicht, neben ihren Erziehungsberechtigten. Wenn sie reinkommen, kann ich an den Gesichtern ablesen, bei wie vielen Kollegen sie schon waren.
„Na, bei wem wart ihr denn schon? Und was habt ihr denn dort zu hören bekommen?“
Als ich die Tür öffne und Marcella und ihre Mutter verabschiede, sitzt da Abdul und neben ihm die Übersetzer-Tanten-Cousine. Sie grinst mich breit an. Super. Auf die ist echt Verlass. Die kommt immer. Mama Abdul muss sich leider entschuldigen, sie ist mit der Schwester beim Arzt, aber Mama lässt schön grüßen. Schade, die hätte ich auch gerne gesehen, vor allem, weil es für Abdul eigentlich gar nicht so schlecht aussieht.
Noch nie hatte ich so viel Positives über ihn zu sagen. Die Cousine schreibt alles mit, lässt sich alles genau erklären, fragt nach und macht Vorschläge. Und das alles in dieser herrlichen leicht hektischen wachen Coolness die sie umgibt. Sie ist voll da. Totale Präsenz. Man könnte es present perfect nennen. Ich will sie heiraten. Sie soll bei mir wohnen. Ich will Schüler sein und sie soll sich um meine Leistungen kümmern. Ich beneide Abdul, dass er mit ihr so viel zu tun hat. Und dann hat er auch noch diese süße liebe Mutter, die immer anfängt zu weinen. Diese Cousine ist wie ein teuflischer Engel. Die ist echt super. Beim Verabschieden fragt Abdul: „Frau Freitag, wie lange ist noch bis zur Notenabgabe?“
„Ungefähr fünf Wochen.“
In Abduls Kopf rechnet es. Dann strahlt er: „Super, immer nach dem Elternsprechtag bin ich zwei Monate gut in der Schule. Das haut dann ja noch hin.“
Dann kommt Elda mit ihrer Mutter. Showdown. Wird Frau Freitag die gefälschten Entschuldigungen auf den Tisch legen oder nicht? Ist das das Ende von Eldas freiem Leben? Wird sie heute nacht noch in die Türkei verschickt und dort zu einer Heirat mit einem Bauerssohn gezwungen? Wird Elda ihr Leben ungeliebt im kargen Anatonlien zwischen einem brutalen Ehemann und vielen Schafen verbringen müssen?
Eldas Mutter ist eine bildhübsche moderne türkische Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat.
Wir reden über Eldas Leistungen, die eigentlich keinen Grund zur Klage geben. Ich erkläre die Schulabschlüsse und nenne die Fächer, in denen sich Elda noch verbessern muss.
Und dann greife ich in mein Regal und hole alle Entschuldigungen von Elda raus.
„So Mama Elda, gucken Sie mal, welche von denen hier tragen denn Ihre Unterschrift?“
„Die beiden schieben die Zettel hin und her. Wir unterhalten uns über die einzelnen Daten und es stellt sich raus, dass mindestens ein Zettel gefälscht ist. Ich nehme die Entschuldigungen wieder an mich.
„Passen Sie auf, mir machen das so: Wenn Elda krank ist, dann rufen Sie einfach kurz in der Schule an. Die Entschuldigungen erkenne ich, bis auf die eine hier alle an, okay?“
Dann erzählt Elda noch, dass Frau Hinrich gesagt hat, dass sie ihr Deutsch verbessern muss.
„Aber Frau Freitag, wie soll ich das denn machen?“
„Lesen!!! Du musst lesen!“ rate ich ihr, greife hinter mich ins Regal und gebe ihr „Arrabqueen“. „Hier, lies das mal. Geht um Zwangsheirat.“
An der Tür flüstere ich ihr zu: „Zwangsheirat, wegen gefälschter Entschuldigungszettel.“
Hallo Frau Freitag, was hältst du denn von solchen Entschuldigungen?
„Zwangsheirat, wegen gefälschter Entschuldigungszettel.“
Hahaha, zu geil! Voll auf die 12 ^^
Story!!! Meine Mutter verheiratet mich in die Türkei!!! (Ich muss in Türkei heiraten mit ein kuseng!)
Ist ja wie bei Ali, der immer vom Gesetz der Straße erzählt hat, dabei kam er nach der Schule gar nicht raus, weil er seiner Mutter im Haushalt helfen musste!!
Was für ein Spagat: Nicht nur westliche larifari-konsensgesellschaft vs muslimische Religionsdoktrine, auch noch Gangsta-Street-Wars vs ohne kriminell und schwerverletzt zu werden halbwegs aufwachsen!
Da kann man schon mal durcheinander kommen, wer wen zwangsverheiratet!
Und wenn es doch tatsächlich welche gibt, denen diese Scheiße blüht , dann kann man es ja auch mal instrumentalisieren. Wird ja andersrum auch gemacht!!
Hah…das war gut!!!!
Und sie soll Zeitung lesen, jeden Tag, kann sie von mir kriegen…hmpf!
der spass mit dem buchtipp war köstlich, ebenso die beschreibung des elternsprechtages (oder – abends). ich erinnere mich gut an unsere elternabende damals, da sah ich auch blass aus und hatte einen angstkrampf…
*Lach*, wie klasse…, Sie sind mir ja ausgebufft…
Bin gespannt, wie es bei Elda weitergeht…., mit Deutsch….und allem Anderen 😉
Bin übrigens über Matt und dann über Frl. Krise zu Ihnen gestoßen und lese in allen drei Blogs gerne mit.
Herzlichst
Wiebke
Gefälschte Entschuldigungszettel wären in der Familie der Arabqueen wohl das kleinere Übel. Was sagen denn Ihre SchülerInnen zu der Geschichte?
Ich fürchte, Sie lieben sie alle:-)
Kann ich bitte mit einziehen, wenn die Übersetzer-Tanten-Cousine kommt, Frau Freitag, bitte, bitte?
okaaaay…
Wie wärs mit Fernseh schauen, in deutsch
ich werd es vorschlagen.
Die perfekte Retour-Kutsche zum Schluß. Super. 😀