Einer muss ja anfangen


Die Zeitumstellung packten meine Schüler natürlich nicht. In der ersten Stunde saß ich noch mit wenigen, in der zweiten Stunde fehlten immer noch acht Schüler. Fatma kam um 11. „Fatma, es ist elf Uhr! Und jetzt komm mir nicht mit der Sommerzeit!“
„Doch, Frau Freitag und der Bus, der hatte Ersatzverkehr, ich schwöre, was kann ich dafür? Gehen Sie gucken.“ Bin ich nicht. Also gucken gegangen.

Weil so wenig Schüler da waren konnte ich mich endlich mal länger mit einzelnen Beschäftigen. Dafür bleibt ja leider immer zu wenig Zeit, wenn die ganze Meute anwesend ist. Asmaa ist heute ganz alleine. Fatma, Miriam, Elif und Esra fehlen und da sitzt sie nun ganz einsam am Fenster. Ich setze mich zu ihr. Wir quatschen über ihre Zukunft.
„Frau Freitag, das ist echt schwierig einen Ausbildungsplatz zu finden, so wegen Kopftuch.“ Asmaa trägt seit der neunten Klasse ein Kopftuch. Sie ist trotzdem immer total geschminkt und sehr modisch angezogen. Sie sieht echt super aus, wird von allen Jungen heiß begehrt und auf Facebook täglich angeflirtet. Asmaa hat sich noch nicht bei einem einzigen Betrieb oder sonst irgendetwas beworben. Kein Wunder, dass sie das alles als schwierig empfindet. Wenn man keine Bewerbungen abschickt, dann bekommt man wohl auch keine Angebote. Wahrscheinlich sieht Asmaa was ich denke.
„Frau Freitag, diese Isra – kenne Sie die? Sie hat auch Kopftuch, sie war letztes Jahr hier. Sie hat einen ganz tollen Abschluss und dann hat sie sich beworben bei so einer ganz tollen Firma und sie hatte ein Foto geschickt, wo sie ohne Kopftuch war und sie hat auch den Ausbildungsplatz bekommen. Aber dann als sie anfangen wollte, da haben sie gesagt, dass sie sie mit Kopftuch nicht nehmen werden. Dann saß sie ganz lange zu Hause und und jetzt arbeitet sie in dem Laden von ihren Eltern. Ihre Mutter sitzt immer hinten mit Freundinnen, trinkt Tee und quatscht und sie muss den ganzen Tag an der Kasse sitzen. Aber das ist so ein Laden, wo die so Taschen verkaufen. So für 10-15 Euro.“
Asmaa macht ein Gesicht, das mir zeigen soll, dass diese Taschen nicht kaufenswert sind und der Verkauf deshalb wahrscheinlich auch keinen Sapß macht.
„Frau Freitag, wenn ich so eine Arbeit hätte, dann wäre das ja okay, ich, mit meinem schlechten Zeugnis und so. Aber Isra – die war soooo gut und hatte sooo ein tolles Zeugnis.“
Wir starren beide in die Luft und denken nach.
„Und das alles nur wegen Kopftuch.“ stellt sie noch mal fest.
Wir überlegen was man tun könnte. Spielen verschiedene Möglichkeiten durch. Kopftuch tragen, Kopftuch abnehmen, Kopftuch auf der Arbeit nicht tragen und sonst doch … es ist alles nicht so leicht. Asmaa sagt, dass viele Frauen in ihrer Umgebung jetzt ihren eigenen Weg gehen: „Viele sind geschieden und lernen jetzt Deutsch.“ Ich erkläre ihr, was Emanzipation ist.

Mariam hört uns zu und sagt, dass sie glaubt, dass sie die letzte Generation sein wird, die Kopftuch tragen: „Unsere Kinder werden das nicht mehr machen. Die werden sich bestimmt immer mehr anpassen.“ Nüchtern sagt sie das. Ohne Groll, Angst oder Ablehnung. Sie stellt es einfach als eine Art Tatsache fest.

Asmaa nützt das momentan nichts. „Tja, Asmaa,“ sage ich, „Vielleicht musst du die erste sein, die das Kopftuch wieder abnimmt, um einen gute Ausbildungsplatz zu bekommen. Und vielleicht musst du das aushalten, wenn die Leute dann Blödsinn über dich erzählen. Vielleicht tust du dich mit anderen Mädchen zusammen und ihr macht das alle gleichzeitig.“

Irgendjemand muss ja mal anfangen. Irgendeine Frau hat ja auch als erste die Scheidung eingereicht.

Allgemein

20 Gedanken zu “Einer muss ja anfangen

  1. > Aber dann als sie anfangen wollte, da haben sie gesagt, dass sie sie mit Kopftuch nicht nehmen werden.

    Nun, man kann sich ja ein zweites oder drittes mal bewerben. Hab ich Leute gekannt, die haben sich über 100 mal beworben, bis sie auch nur zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden.

    Es wird ja wohl noch Ausbildungsbetriebe geben, die nicht diskriminieren.

  2. Dieser Post lässt mich mit einem absolut wunderbaren Gefühl ins Bett gehen!

    Ich hoffe, dass dieser Zustand anhält, bis ich morgen früh wieder vor den Meinen stehe!

    Liebe Gruß,
    die Käthe

  3. Wow!

    Ich fühle, wie der Mantel der Geschichte mich kurz streift…

    Muslimische Frauen auf dem Weg zur Emanzipation. Da bin ich aber gespannt, ob hier etwas beginnt, das Kreise zieht.

  4. Wie wäre es denn mit Perücke? Wenn es nur darum geht, das eigene Haar zu bedecken, dann wäre doch Perücke der ideale Ausweg. Nicht?

    Das mit der Scheidung ist übrigens gut, wenn die Frau sich dann selber versorgt. Tun viele aber nicht. Sie leben vom Geschiedenen oder vom Staat. Also auch wieder vom Geschiedenen, der Steuern zahlt, und dazu noch von der Gemeinschaft. Das ist wahre Emanzipation.

    • das mit der perücke machen doch die streng religiösen jüdischen frauen – die rasieren sich die haare ab und tragen perücken. die geschiedenen frauen leben so, wie alle geschiedenen frauen in deutschland leben. vom geld des geschiedenen mannes oder vom staat oder sie gehen arbeiten. da sehe ich keinen unterschied, ob die frau muslimisch oder nicht muslimisch ist. und sich von einem tyranischen idioten mann scheiden zu lassen, obwohl das in der umgebung nicht üblich ist sehe ich schon als emanzipation. du nicht?

      • Dann sollten sie mal von den jüdischen Frauen lernen. Klar sehe ich das positiv, sich vom Tyrannen zu befreien, aber, hat Clara Zetkin mal sinngemäß gesagt, der erste Schritt zur Befreiung der Frau ist die Erlangung ihrer ökonomischen Unabhängigkeit.

  5. Wie jetzt? Bei Ihnen hab ich doch so ein tolles Video gesehen wo muslimische Frauen sagen dass sie SELBSTBESTIMMT ihr Kopftuch tragen und sich da von ihrem Mann nicht reinreden lassen. Ok, das war jetzt nur so hinter dem Video was Sie gezeigt haben aber da ging es um Kopftuchbinden.

    Ich finde es es unverschämt wenn jemand nicht den Haarschmuck tragen dürfen soll wie er oder sie will. Arbeitgeber darf man verklagen wegen sowas und deshalb sagen die jetzt gar nichts mehr bezüglich Gründen warum sie einen nicht nehmen.

    Ich muss mir ja auch enge Leggings angucken, ist eben Religionsfreiheit und freedom of fashion.

    Für mich wäre das das Ende vieler Haarprobleme. Ich finde die nicht-muslimischen Frauen könnten mal einen Tag alle Kopftuch tragen aus Solidarität gegen Kopftuchnörgler.

    • ich glaube es gibt aber viele jobs, wo man nicht so rumlaufen darf wie man will. nicht überall kann man leggings tragen – z.B. Frau Merkel – im Bundestag. oder wie wäre es mit einem kellner, der in einem Nobelrestaurang mit piercings und brandings bedient. ein versicherungsvertreter mit dreadlocks und gesichtstatoos…

      • Das stimmt und anpassen muss man sich immer im Leben, aber dann ist die Begründung eben irgendwie sachlich und nicht Angst vor dem Islam. (Einfach ist die Debatte natürlich nicht.)

        Es gibt ein Anti-Diskrimierungsgesetz. Ich glaube, wenn Ihre Schülerin so schlau war, sich ohne Kopftuch zu bewerben und genommen wurde, dann darf sie danach mit Kopftuch hingehen sonst kann sie den Arbeitgeber auf ein volles Jahresgehalt verklagen. Zeuge für die Aussage „Kopftuch geht nicht“ wäre allerdings nötig glaube ich.

      • Ohne Nachweis darüber, dass die Kündigung ausschließlich wegen dem Kopftuch erfolgt ist kann sich das Mädel die Klage in die Haare schmieren.
        Die pauschale Behauptung, dass sie deswegen rausgeflogen ist allein reicht nicht.

        Und kein Personaler ist so dämlich und schreibt explizit rein, dass sie deswegen zu spät kam.

        Und auch so steht die Sache auf wackligen Beinen.

  6. Ich habe so arge Zweifel bzgl. der Freiwilligkeit des Kopftuchtragens. Egal, was die jungen Mädchen sagen (ihnen eingetrichtert wurde, zu sagen?)

    Aber kaum erwähnt man sowas, wird man gleich in die Ecke intoleranter Nörgler abgestellet oder gar noch schlimmer.

    Wieder eines der Themen, bei denen man sich so leicht die Finger verbrennt und deshalb den Mund hält.

    Würde ich eine eine Azubine mit Kopftuch in meinen kleines Team einstellen.. ehrlich gesagt müsste ich da überlegen, sie müsste wohl ein gutes Stück besser sein, als die anderen Bewerber, fürchte ich. Das Kopftuch als Makel, der ausgeglichen werden muss? Zum Glück dürfen wir gar nicht ausbilden..

    Kudos an Fr. Freitag, sich dieses Dilemmas anzunehmen.

    • ja, ein heikles thema. ich glaube mittlerweile die mädchen und frauen tragen die kopftücher aus allen möglichen gründen. so verschieden die alle sind, so unterschiedlich sind auch die beweggründe. ich muss da auch noch toleranter werden. vermute ich doch auch als erstes immer unfreiwilligkeit. ich finde ja, die frauen und männer sollten mal tauschen. in den geraden jahren tragen die frauen das kopftuch, in den ungeraden die männer.

      • Ich erzähle Ihnen mal zur Entspannung was meine Freundin sagt, deren Vater Jordanier ist. Sie meint, Kopftücher sind unglaublich SEXY.
        Finde ich auch.

        Gucken Sie sich mal in Asien um. Wie viele Leute welche Kopfbedeckungen haben. Es ist einfach Kultur. Und Sie haben völlig recht, jede Frau entscheidet sich aus individuellen Gründen , will sie das machen oder nicht. Ich glaube, die Damen möchten gefragt werden warum, und nicht pauschal betrachtet werden.

        Jetzt müsste hier noch jemand berichten warum man in der Türkei in der Uni kein Kopftuch tragen darf. Oder durfte? Da wurde mal (?) streng getrennt nach Staat und privat. So ganz verstehe ich es nicht. Wo ist schon streng genommen die Grenze zwischen Staat/Politik und privat?

      • Die Grenze ist ganz einfach: innerhalt staatlicher Gebäude (Behörden, Unic in öffentlicher Trgerschaft, Schulen in öffentlicher Trägerschaft etc.) ist man im staatlichen Umfeld. Daher auch das Verbot für Staatsbedienstete ein Kopftuch zu tragen (Trennung von Staat und Religion)

        Bist du in der Öffentlichkeit oder in deiner Wohnung, dann befindest du dich eindeutig nicht innerhalb staatlichen Umfeldes.

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