„Frau Freitag, vielen Dank!!! Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir gestern Abend für einen Ärger von unseren Eltern bekommen haben.“ Esra steht vor mir und bebt vor Wut. Ihre Augen sind schon ganz wässrig. Gleich fängt sie noch an zu heulen.
„Sie haben unser Leben ruiniert. Nur, weil wir Ihnen egal sind.“
„Esra, warte mal, gerade weil ihr mir NICHT egal seid, habe ich angerufen.“
Esra ist sauer. Elda auch. Sie wollen mir nicht mehr zuhören. Alle Erklärungsversuche laufen ins Leere.
„Wissen Sie was Eldas Mutter mit ihr gemacht hat? Das glauben Sie gar nicht. Warum haben Sie angerufen?“
„Esra, ich…“
„Sie hätten ihre Mutter mal sehen müssen!“
„Laß doch Frau Freitag mal ausreden.“ mischt sich Elif ein.
„Danke Elif, aber ich glaube das bringt jetzt gar nichts. Ich rede später mit denen.“
Was war passiert? Inspektöse Freitag war wieder aktiv. Gestern sehe ich in meinem Fach, dass Esra und Elda am Dienstag in der ersten Stunde gefehlt haben. In Geschichte wurde ein angekündigter Test geschrieben. Die Geschichtslehrerin wollte von mir wissen, wer unentschuldigt und wer entschuldigt gefehlt hat – wegen des Nachschreibens.
Esra und Elda kleben aneinander wie Pech und Schwefel. Wie Hundekot und Profilschuhsohle, wie Siamesische Zwillinge. Sie haben jeden Tag die gleichen Klamotten an – meistens Durchsichtiges im Animalprintlook. Zur Zeit viel schwarz und beige – Sandfarbe oder Kamel.
In den letzten Wochen fällt mir auf, dass die beiden oft in den ersten Stunden fehlen und dann immer gemeinsam. Von Elda bekomme ich dann ganz abstruse Zettel: Elda hatte in der ersten Stunde Bauch- Zahn- Kopfschmerzen. Ich habe mich jetzt schon des öfteren gefragt, weshalb diese Schmerzen dann verschwinden. Selten wache ich mit Bauchschmerzen auf und mein Kopf tut auch erst nach der Arbeit weh. Ich vermute seit langem, dass Elda die Entschuldigungen selbst unterschreibt. Die Unterschrift der Mutter wirkt recht kindlich.
Gestern bekomme ich jedenfalls in meiner Freistunde einen investigativen Anflug, schnappe mir die Türkischlehrerin und bitte sie bei Eldas Mutter anzurufen. Und zu fragen, ob ihre Tochter das Haus am Dienstag pünktlich verlassen hätte. Ich steh gespannt-gebannt neben dem Telefon und lausche dem: Üjfdhgierzthgvdhgi4güüüü öretmin jdkfhefhhüüüyrygüllim entschuldigungszettel düglqwetujpäfdsügljgimm.
Die Mutter fragt, ob Esra auch gefehlt hätte und bedankt sich, mit der Bitte immer gleich anzurufen, falls soetwas nochmal vorkommen würde. Dann telefoniere ich noch mit Esras Mutter. Auch sie hat ihre Tochter pünktlich aus dem Haus geschickt.
In der Pause laufen mir die ahnungslosen Elda und Ersa über den Weg. „Sagt mal ihr zwei Hübschen, wo wart ihr denn am Dienstag in Geschichte?“ Ich antizipiere schuldbewußtes Grinsen. Aber nichts da. Sebstgerecht gucken sie mich an und legen gleich los.
Esra sagt, dass sie beim Frauenarzt und Elda, dass sie mit Bauchschmerzen zu Hause saß. Erwartungsvoll gucken sie, ob ich das schlucke. Ich warte und dann kommt noch das i-Tüpfelchen auf ihrem Lügengebilde: „Hat Ihnen Herr Werner nicht die Entschuldigungen gegeben?“
Ich: „Nein, hat er nicht.“
Gemeinsam blöken sie nun los: „Oh Mann, was können wir dafür, dass er das nicht macht?“
Und jetzt reicht es mir: „Okay Schluss jetzt. Ich habe eben mit euren Müttern telefoniert. Es reicht. Lügt mich nicht weiter an.“
Jetzt gucken sie blöd aus der Wäsche, aber nur für ein paar Sekunden. „Frau Freitag, wir sagen jetzt wie es wirklich war. Wir sind pünktlich los und der Bus hatte Verspätung und dann sind wir zu spät gekommen und dann dachten wir, dass wir dann lieber eine Entschuldigung bringen, weil wir ja sonst eine Fehlstunde haben.“
„Ja, und die habt ihr jetzt auch.“ sage ich, drehe mich um und gehe.
Beim Rauchen erzählt mir ein Kollege, wie sie sich in seiner Stunde lautstark über die Scheiß Frau Freitag aufgeregt haben. Ich denke zufrieden – na, da habe ich ja wohl alles richtig gemacht. Oder?
:
JA
>>“Sie haben unser Leben ruiniert. Nur, weil wir Ihnen egal sind.”<<
Wohaa. Allein diese Aussage hätte mich ja sprachlos gemacht.
Liebe Frau Freitag,
auch wenn es kitschig klingt: You are the hero of my Lehrerdasein. Yes, es gibt Hoffnung!!!!!
Danke für die wunderbaren Minuten in Ihrem Blog auf der Datenautobahn!
Danke. (In echt.)
🙂 Großartig! Weiter so! Sie sind die beste Lehrerin von ganzer Welt!
Esra und Elda habens schon fast faustdick hinter den Ohren. Für durchschlagenden Erfolg fehlt noch mehr Menschenkenntnis. Nur weil wer wie Frau Freitag umgänglich ist, ist er/sie nicht blöd.
Beim nächsten Versuch werden die beiden schon gefinkelter vorgehen. Ich freue mich bald davon zu lesen.
Wenn Sie als Lehrerin denen das Leben nicht ruinieren, wer dann? Die Mütter scheinen ja damit völlig überfordert zu sein.
Oh man, Sie haben mir damit den Tag gerettet…
Aber es ist schon dreist, was sich einige Ihrer Lütten erlauben.
Hallo Frau Freitag!
Ich lese Ihren Blog noch nicht sehr lange und bin von den meisten bisher gelesenen Einträgen nicht besonders begeistert. (Könnte aber auch an einer generellen Abneigung gegenüber Lehrern liegen, da ich selbst noch Schüler bin.)
In diesem Fall jedoch stehe ich eindeutig hinter Ihnen. Sie haben absolut richtig gehandelt, Inspektöse Freitag. Wollte ich nur mal sagen. : )
danke. und ja, als schüler ist man wahrscheinlich zu nah dran. aber vielleicht hilft das lesen ja, die lehrer nicht ganz so doll nicht zu mögen. wir sind doch auch nur menschen. mehr will ich hier doch auch gar nicht vermitteln.
Und das sind dann genau die, die bei mir zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen mit genau der selben Geschichte.
Wie oft habe ich diesen Quark schon zu Ohren bekommen.
Nur weiter so Frau Freitag.
voriges jahr hat der 14-jährige sohn/hauptschüler unserer türkischen nachbarsfamilie sein 1-wöchiges praktikum im tierheim machen dürfen. die stolze mutter verkündete daraufhin allüberall, daß der sohnemann nun seine wahre berufung gefunden habe und also definitiv tierarzt werden würde. ich sagte, daß er dazu doch ein abitur machen müsse… daraufhin knallten wütend türen und die stolze akademikermutti brüllte: scheisse-deutsche, immer alles besser wisse!