Manchmal geht’s


Heute bin ich milde gestimmt, denn ich habe mir gerade Wolle gekauft, um Strümpfe zu stricken – es wird Winter, gehe gleich mit Frau Dienstag zum Sport und soeben habe ich mit dem Freund die letzten Kunstarbeiten meiner Benetton-Klasse zensiert. Die letzten Zensuren, die ich brauchte, um ihnen einen Zwischenstand ihrer derzeitigen Leistungen zu geben. Alles ist erledigt und ich bin hochzufrieden und deshalb, wie gesagt recht milde gestimmt.

Heute bin ich mit meinem Rollkoffer zur Schule getrottet. Ich kam mir vor, als würde ich verreisen, aber der Koffer war nur voll mit den Bewerbungsunterlagen, die ich von der Bewerbungsmesse am Anfang des Schuljahres zusammengesammelt hatte. In der Schule habe ich dann zwei fette Aktenordner damit gefüllt. Die habe ich dann in der Hausaufgabenstunde mit meiner Klasse auf den Tisch gestellt. Ich wußte durch einen kurzen facebook-chat, dass z.B. Mariella aus meiner Klasse noch gar nicht weiss, was sie werden will.

Ich also hin zum schnatternden Mädchentisch, die sich gerade wieder über sehr schulferne Dinge austauschen wollten. Den einen Leitzordner knalle ich Mariella direkt vor die Nase: „Hier guck‘ mal, was du werden willst.“ Den anderen gebe ich Elif. „Da ist was drin zu medizinischer Fachangestellten. Das musst du mal suchen.“

Und jetzt ging das herrliche Treiben los. Begeistert blätterten sie durch die Broschüren von Rossmann, Netto und Ikea. „Hier Ayla, hier is Bürokauffrau, für dich. Willst du doch werden.“ Vorher hatte ich die 16 Hausaufgabenhefte verteilt, die ich auf der Messe abgestaubt hatte. Alle wollten unbedingt eins haben und die blöden Stundenpläne von irgendeinem Bleistifthersteller standen auch hoch im Kurs.

Ronnie, der immer nur auf seinem Platz sitzt und mit Peter quatscht und noch niiiiiie irgendwas in der Schule – für die Schule getan hat: „Ich will auch eins!“
Und endlich hatte ich mal die Gelegenheit für eine kleine persönliche Rache: „Ronnie, du machst doch gar keine Hausaufgaben. Da brauchst du auch kein Hausaufgabenheft.“ Die anderen füllten begeistert ihre neuen Stundenpläne aus. Willst du Schüler beglücken, dann gib ihnen Formulare und Listen.

Auch die Ausbildungsplatzsuche gestaltete sich positiv: „Frau Freitag, abooo, kann ich den Zettel mitnehmen?“ „Miriam, guck hier, dis Heft hier von Handelskammer is‘ voll hamma, da steht alles drin.“

„Frau Freitag, woher haben Sie dieses Buch (Berufe aktuell)?“
„Na, das müsstet ihr alle bekommen haben. In der Berufsorientierung.“
„Nein, haben wir nicht. Ich schwör‘, wenn ich dieses Buch hätte, abooo hier steht soooo viel drin. Wo kriegt man das, Frau Freitag?“

„Im Berufsinformationszentrum. Da waren wir auch schon. Da fandet ihr es soooo schlimm. Erinnert ihr euch?“

Als es klingelt gehen alle beschwingt in die Pause. Ausbildungsplatzsuche kann ja soooo einen Spaß machen. Sie fühlen sich schon so, als hätten sie mehrere Angebote, nur weil sie mal durch ein paar Prospekte geblättert haben. Eine Bewerbung hat noch keiner geschrieben.

Aber sie beschäftigen sich mit ihrer Zukunft und sie haben auch noch Spaß daran. Was will ich mehr. Für nächste Woche mache ich einen Termin beim BIZ und gehe mit denen, die wollen dorthin. Freiwillig, in unserer Freizeit. Tue ich eben so, als sei ich ihre Eltern.

7 Gedanken zu “Manchmal geht’s

  1. Wie schön, dass dieser Tag so gut angekommen ist. Aber inwieweit das bedeutet, dass die Schüler sich nun mit ihrer Zukunft beschäftigen…
    Da warte ich lieber ab bis Freitag, um mir ein Urteil zu erlauben. 😉

  2. Mensch Frau Freitag… was ein Motivationsschub! Ins Biz, inner Freizeit, freiwillig? Unglaublich. Ich bin hin und weg und verhülle mein Haupt mit einer Packpapiertüte vor so viel Schwung und Motivation.

  3. Wie schön: WEEZER auf Frau Freitag ihr Blog.
    Eine Gruppe, die in ihren Liedern häufig die amerikanische Jugendkultur thematisiert. Auch, da Sänger und Texter R. Cuomo oft autobiografisch seine eigene Jugend in den Lyrics verarbeitet. Dazu dieser herrliche Mix aus naiven Schlagermelodien und bretternden Gitarren. Durch die – besonders auf ihrem zweiten Album ‚Pinkerton‘ – rauhe, für den glattpolierten amerikanischen Rockmusikstandard unübliche Produktion, bekamen die eingängigen, auch am Lagerfeuer singbaren Melodien eine ungeahnte Wucht und Dynamik. Ihr Auftreten als emotional dahinrockende Nerds machte Weezer in den 90er Jahren zudem zu einer stilprägenden Band, die auch den uncoolen Jugendlichen der Mittelschicht eine Heimat bot.
    Wohl nichts für ihre Klasse …

  4. Ich finde es toll, dass die Schüler so motiviert in die Zukunft blicken, befürchte allerdings, dass das BIZ der richtige Ort ist, um herauszufinden, welcher Beruf wirklich der richtige für sie ist. Hier werden die Teens nur mit Arbeitsloszahlen, Abschlussvoraussetzungen, und stereotypischen Jobs konfrontiert. Auch ihre Eltern, sowie viele Lehrer – besonders natürlich die BIZ-Berater – zeigen ihnen auf, welcher Beruf der beste für sie wäre.
    Viele Jugendliche haben oft nicht das Glück, genau zu wissen, was sie zukünftig machen wollen. Welchen Weg sie einschlagen wollen.
    Als Kind wollten sie noch Feuerwehrmann oder Tierpfleger werden, heute sind sie durch Vorurteile und besserwisserische Meinungen geprägt.
    „Was willst du werden?“ – „Das, wo ich viel Geld verdiene, mir keine Sorgen um meinen Job machen muss und ich gute Aufstiegsmöglichkeiten habe!“. Das ist das, was die Gesellschaft uns immer wieder predigt. Aber werden wir damit glücklich? Gehen wir gerne zur Arbeit? Können wir unsere Arbeit so mit Leidenschaft verrichten? Ich denke, dies ist der falsche Weg. Man sollte schon früh in den Schulen beginnen, die Fähigkeiten der Kids zu fördern. Träume nicht zu zerstören, sondern zu realisieren. Das würde wirklich einiges ändern – zum Positiven. Ein schönes Beispiel hierfür ist folgender Beitrag – wie ich finde: http://www.ich-bin-der-erfolg.de/wordpress/?p=221

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