Frau Freitag und Frl. Krise im Integrations-Experiment

Seit Jahren verspricht mir Frl. Krise, dass sie mit mir zum Hupen im Autokorso fährt, wenn die Türken beim Fußball gewonnen haben. Und wir haben verabredet, dass wir dann Kopftücher aufsetzen, damit wir unter den jubelnden Türken nicht so auffallen. Ist bisher noch nie dazu gekommen und da die Türkei momentan wohl nicht so grandios spielt haben wir unser Vorhaben jetzt vom Fußball abgekoppelt.

Frl. Krise hat uns Kopftücher und den ganzen Schnickschnack, den man dazu braucht besorgt und heute ging es los. Als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes gemacht bindet sie mir mehrere Tücher um den Kopf und schiebt mich ins Badezimmer: „Voila, die Türkin.“ Und wahrhaftig sehe ich aus, als hätte ich den fettesten Migrationshintergrund, den man nur haben kann. Leider ohne Homer Simpson mäßigen Hinterkopf.
„Ich will einen Hinterkopf!“
„Kein Problem, warte mal, da stopf ich eine Socke rein.“ Gesagt getan, dank Frl. Krise und der Socke habe ich das erste Mal in meinem Leben einen formschönen Hinterkopf. Ich bin begeistert. Schon finde ich Gefallen an meiner Verkleidung. Schön warm, man braucht weder Mütze noch Schal und die Haare musste ich mir auch nicht waschen. Dann verwandelt sich Frl. Krise vor meinen und den Augen des Freundes zu einer so was von echt aussehenden türkischen Anne, dass ich an ihrer Deutschheit zweifele. „Bist du sicher, dass deine Eltern nicht eingewandert sind? Frag‘ doch noch mal nach…“

Als wir fertig sind lassen wir uns von allen Seiten fotografieren. Ich habe hautenge Jeans an, hochhackige Stiefel und einen schwarzen Mantel. Mein Kopftuch ist auch schwarz und um aus dem Haus zu kommen setze ich erstmal die Sonnenbrille auf. Frl. Krise hingegen trägt einen dicken langen Mantel, sie wollte alles ganz authentisch machen und ein braunes Kopftuch. Sie sieht irgendwie ein bisschen armselig aus. Ihr Gesicht wirkt traurig, wie es so zwischen dem braunen Tuch hervorguckt. Und ihre Sonnenbrille hat sie auch vergessen.

Dann kommt der schwerste Teil unseres Intergrations-Experiments: Aus meiner Wohnung auf die Straße kommen, ohne, dass uns ein Nachbar sieht. Wir fliegen förmlich die Treppen hinunter und rennen fast zu Frl. Krises Auto. Die ganze Aktion von hysterischem Kichern unterlegt. Je weiter wir uns von meiner Straße entfernen, umso mehr genieße ich mein neues Ich. Nur wenn ich zu Frl. Krise rüber gucke, könnte ich mich totlachen.

Wir gurken ziemlich unmotiviert durch die Gegend und kommentieren den Kleidungsstil der Passantinnen auf der Straße: „Guck, guck, wieder eine mit Shorts.“ ruft Frl. Krise empört.
„Ja, vallah, voll Schlampe.“

Dann geht es zu einer großen Einkaufsmeile. Wir wollen Shoppen gehen. Wir parken in einem Parkhaus und stürzen uns in die Einkaufsmeute.

Was erwarten wir eigentlich? Ich hab keine Ahnung, na, wir wollen sehen, wie sich das anfühlt so mit Kopftuch. Wird man da anders angeguckt, anders behandelt, wie fühlt man sich selbst.
Und während ich so an den Geschäften vorbeilaufe und mir die Menschenmassen entgegenkommen merke ich, dass ich mich ganz komisch fühle. Ich fühle mich gut. Äußerst gut. Arrogant und überheblich fühle ich mich. Ich komme mir vor, als sei ich was Besseres als alle anderen. Wie eine saudiarabische Selbstmordattentäterin fühle ich mich und so sehe ich auch aus. Liegt vielleicht an der Farbe des Kopftuchs und der Sonnenbrille, die ich immer noch trage. Wenn ich dann allerdings neben mich gucke, und sehe, wie das klägliche Frl. Krise neben mir latscht, dann merke ich deutlich den Unterschied. Sie ist türkische Mama und ich bin definitiv arabisch.

Frl. Krise spielt ihre Rolle aber auch meisterhaft. Immer wenn ein Mann uns entgegen kommt, senkt sie schüchtern und keusch ihren Blick. Ich rauche, mache große Schritte und gucke jeden der mir entgegen kommt genau an. Na, spüre ich von dem da Ablehnung? Rieche ich den Rassismus? Na, ihr linkstolerante Kleinfamilie, wollt ihr besonders pro-multi-kulti rüberkommen und lächelt mich deshalb so breit an?

Also alles in allem muss ich sagen, dass ich mich super gefühlt habe und kein bisschen ausgegrenzt. Allerdings war da die eine Sache im Kaufhaus an der Kasse. Da hätte man leichte Ressentiments hineindeuten können, aber das muss euch Frl. Krise erzählen. Ich muss jetzt noch Unterricht vorbereiten und mich von meinem aufregendem Wochenende entspannen.

11 Gedanken zu “Frau Freitag und Frl. Krise im Integrations-Experiment

  1. So viele Photos, und ich habe noch immer keines gesehen… 😦
    Aber ab heute werde ich arrogant-keuche arabisch-türkische Damenduos mit anderen Augen sehen.

  2. Pingback: Integrationsexperiment Teil II | frl. krise interveniert

  3. „Ich habe hautenge Jeans an, hochhackige Stiefel und einen schwarzen Mantel.“

    Ist das denn authentisch? Ansonsten ein absolut spannendes Experiement (Hier sind Frauen eindeutig im Vorteil, dass sie dies tun können).

  4. Hahaha: „Ich bin definitiv arabisch.“ Brüller!!! Ich freu mich immer so, wenn die Mail mit Ihren Berichten kommt. Sogar am Wochenende. Toll!

  5. Pingback: Frau Freitag und Frl. Krise im Integrations-Experiment (via Na, wie war’s in der Schule?) « Breenroundtheworld

  6. Liebe Frau Freitag,
    ich bin auch Lehrerin an so Schule wie Sie und ich verfolge seit langem Ihren Blog. Ihren GENIALEN Blog!
    Mit Kolleginnen habe ich schon die verschiedenen Arten erörtert, das Kopftuch zu tragen.
    Oma-mäßig unter dem Kinn gebunden ist schlecht im Sportunterricht. Kommt ein Ball von der Seite, ist er nicht zu erkennen wg. Scheuklappen-Effekt.
    Eng am Kopf mit dem Eierkopf-Aufbau ist super. Man kann die Schülerinnen im Profil erkennen und nicht nur von vorne. Und im Sport bekommen sie nicht so oft den Ball an den Kopf.

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