Trübe Zukunftsaussichten


Ich möchte mich entschuldigen. Ich möchte mich bei den Leuten entschuldigen, die bald in Rente oder Pension gehen und von den Schülern meiner Klasse nie auch nur einen Cent Steuern, bzw. Rente sehen werden. Meine Klasse wird nicht arbeiten und Steuern zahlen. Sorry. Meine Schuld. Ich habe ihnen nicht die richtige Einstellung zum Ernst des Lebens vermitteln können.

Die Schüler meiner Klasse wollen nur Spaß haben. Wenn sie keinen Spaß haben, dann wenigstens chillen oder gleich richtig schlafen. Sonst ist nichts. Ich plädiere für einen ausgedehnten Winterschlaf – über mehrere Jahre – aller Teenager. Die sollen erst wieder aufwachen, wenn sie wirklich erwachsen sind.

„Hat sich eigentlich schon jemand von euch irgendwo beworben?“
Stille.
Dann von mir gezielte Anfrage: „Elif, was willst du werden?“
„Beim Arzt.“
„Gut, und warum hast du noch keine Bewerbung abgeschickt?“
„Wer nimmt denn mit Kopftuch, Frau Freitag?“
„Na vielleicht ein türkischer oder arabischer Arzt.“
„Aboooo bei türkischer Arzt, wissen Sie was da immer los ist? Da kommen immer soooo viele Leute.“ Kann ich mir vorstellen, wenn ich mir alleine die gesammelten Krankschreibungen meiner Schüler ansehe.
„Elif, warum bewirbst du dich nicht? Du musst dich mal ranhalten.“
„Aber ich weiss doch gar nicht, ob ich Realschulabschluss schaffe.“
„Na, willst du denn warten, bis du den Realschulabschluss nicht geschafft hast und dich erst dann bewerben? Dann gibt es nichts mehr. Ihr müsst das jetzt machen.“

Ich gehe durch den Raum. Da war doch noch ein Schüler mit einem Berufswunsch, wer war
das denn noch? Ach ja, Yassine, der wollte Mechatroniker werden.

„Yassine, was ist mit dir – schon Bewerbungen geschrieben?“ Yassine liegt mit dem Kopf auf dem Tisch. So, wie eigentlich in jeder Stunde, die er bei mir hat. Ich vermute Nachtarbeit. Wenn der nachts schläft und tagsüber trotzdem so müde ist, dann muss es was Medizinisches sein. „Yaneee, Frau Freitag,…“
„Was YANEE? Ja oder nein?“
„Ouuunnpffff, Frau Freitag.“ mit letzter Kraft dreht er den Kopf auf die andere Seite und schließt wieder die Augen. Ich traue mich nicht weiter zu fragen. Es kommen nur noch Seufzer.

Miriam kommt gerade rein, die war bei der schulinternen Berufsberatung. „Miriam, und wie sieht es aus?“
„Wie?“
„Na, worüber habt ihr geredet? Wo willst du dich bewerben? Was hast du Herrn Müller erzählt, was sind deine Berufsvorstellungen?“
„Na ich will Apothekerin.“
„Miriam, dazu brauchst du ein Studium. Du machst ja nicht mal den Realschulabschluss.“
„Yaneee, Apothekenhelferin.“
„Und?“
„Nichts und.“
Zufrieden sitzt sie da. Anscheinend reicht es, dem Berufsberater zu sagen, was man werden möchte. Zugegeben, damit liegt Miriam schon ganz weit vorne, denn die meisten in meiner Klasse haben noch gar keinen Zukunftsplan.
„Miriam, hast du dich denn schon irgendwo beworben?“
„Nein, wieso?“
„Wieso???? Na, denkst du das reicht, zu sagen, was du werden willst? Meinst du Herr Müller schreibt jetzt deine Bewerbungen?“ Miriam verdreht nur die Augen, holt ihren Spiegel raus und zieht sich ihren Lidstrich nach.

„Was ist mit dir Ayla, hast du dich schon beworben?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil ich noch gar nicht weiß, was ich werden will.“

Ich plädiere dafür, die Schulzeit auf reguläre 16 Jahre auszudehnen. Die Schüler hätten nichts dagegen. Ach, lassen wir sie doch so lange in der Schule, bis sie selbst Kinder bekommen. Sie könnten auch mit ihren eigenen Kindern in einer Klasse sitzen. Disziplinierend einwirken und so. Ob die nun von einer Maßnahme in die nächste wandern oder jahrelang kuschelig bei Frau Freitag in der Klasse sitzen und alle paar Wochen fragen: „Gehen wir Klassenfahrt?“, ist doch eigentlich egal.

Allgemein

19 Gedanken zu “Trübe Zukunftsaussichten

  1. .. oh ja.

    Mein Sohn ist jetzt in der ersten Klasse.

    Gestern hat er gesagt, wenn heute sein aller aller letzter Schultag wäre, würde er sofort in den oberen Stock ziehen und zu den Mahlzeiten herunterkommen ….

    • Tjoah, immerhin hat er noch Pläne und Ziele.

      @ Frau Freitag:

      Könnten Sie Ihren Schülern event. erklären,wie man die Anträge der ArGe vollumfänglich ausfüllt? Und wie man sich dagegen wehren kann?

      Dann kommen die Dummbratzen nicht ständig zu mir auf die Rechtsantragsstelle ins Gericht und pöbeln einen voll.

      Wäre lieb von Ihnen.

      Schönes Wochenende.

  2. Ich glaube nicht, dass das klappen wird. Unsere Dreizehner sind nach neun Jahren weiterführender Schule so genervt von uns, dass sie die Tage zählen, bis sie endlich weg sind.
    Und vom Verhalten werden die ja auch nicht unbedingt erwachsener, sie wissen nur immer besser, was der Lehrer vorne alles falsch macht. 😦

  3. Frau Freitag, nun bleiben Sie doch mal gechillt und machen nicht so einen Stress.
    Ewig die nervenden Fragen nach dem werden wollen.
    Wie soll ein Schüler das denn nach 10 schlappen Schuljahren wissen?
    Was sollen denn blöde Bewerbungen, kommt doch eh keine Antwort… und Sie dagen doch auch, dass es nicht einfach ist eine Stelle zu bekommen.
    Warten wir doch einfach mal ab….

  4. Ach, ach, ach…..fast tröstet es mich, dass es bei ihnen auch nicht viel besser als bei mir läuft, werte Frau Kollegin! (Sind Sie sicher, dass Sie ihren Schülern alles richtig erklärt haben, mit der Berufswahl und so?)

  5. Woher sollen die Schüler auch wissen was sie werden wollen, wenn sie ihre Praktika so gewissenhaft hinschmeißen wie die bei Frl. Krise? 😉

    Wobei Bewerbungen schreiben und Absagen sammeln keinen Spaß macht. Zudem die Unternehmen wegen der Antidikriminierungsgesetze ja keinem mehr sagen wollen/können, warum sie einen nicht genommen haben. Die sind so feige, die reagieren ja nicht mal mehr auf abseitige Tipps für die Absage oder auf Nachfragen wie lange es noch dauert bis die Absage kommt. 😀

    Und den ganzen Frust erspart man sich, wenn man keine Bewerbungen schreibt. Also die perfekte Lösung.

  6. Hab ich damals wahrscheinlich auch erklärt bekommen, bewerben und so…. aber, wozu? Was machen? Lieber auf ne weiterführende Schule… sitzen geblieben… im Folgejahr von der Schule geflogen (zum dritten Mal übrigens)… dann zwei Jahre gejobbt und DANN erst irgendwo beworben. Und in der Ausbildung tatsächlich noch etwas gefunden was mir Spaß macht (aber nichts mit der Ausbildung zu tun hatte), und mich privat in der Richtung weitergebildet, und seit 12 Jahren in meinem Wunschberuf. Und Steuern zahl ich auch. So viel dass ich mich jedesmal frage ob die mich nicht verwechseln 😉
    Weiss nicht, tröstet das nun?

  7. Ihre Entschuldigung ehrt Sie sehr! Aber meinem Gefühl nach liegt das Problem nur zu einem geringen Teil bei Ihnen. Die Einstellung zum Leben entwickelt sich schließlich auch noch unter so vielen anderen Einflüssen…

    Außerdem kann ich mich gut erinnern, dass ich auch keinen Plan für die Zukunft hatte, während ich noch in meinem Schülerdasein „gefangen“ war. Erst nachdem ich die Schule hinter mir hatte, bin ich wirklich zum Nachdenken gekommen, was ich mit meine Leben anstellen soll.

    Gehören Sie etwa zu diesen Übermenschen, die schon seit frühester Kindheit wussten, was aus ihnen wird und sich nie wie Treibholz fühlen?

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