„Und, bereit für die Autobahn?“ fragt Dieter, als ich ihm vor der Fahrschule die Hand gebe. Er raucht noch. Er raucht eigentlich immer, wenn ich komme. „Klar. Und ich habe heute auch für gutes Wetter gesorgt.“ Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Ich klopfe auf meine Tasche: „Ich habe heute sogar meine Sonnenbrille mit.“
„Sonnenbrille, wofür das denn?“
„Na, diese Sonnenblenden, die nerven irgendwie. Ich habe immer das Gefühl, dass die mir die Sicht nehmen. Dieter guckt mich an und schüttelt dann den Kopf. Das macht er oft. Ich sage etwas und er macht ein Gesicht, als hätte ich etwas total Absurdes gesagt. Er guckt dann so, als hätte ich ihm erzählt, dass ich den ganzen Abend nackt auf dem Kudamm rumgelaufen bin oder vorhabe mir die Stirn zu tätowieren. Die Sonnenbrille bleibt den ganzen Vormittag in meiner Tasche. Dieter hält nichts von Sonnenbrillen, also setze ich sie nicht auf. Als wir irgendwann durch einen Tunnel fahren bin ich auch ganz froh darüber. Denn Tunnel heißt ja: „Sonnenbrille absetzen, den Anweisungen des Tunnelpersonals nachkommen usw.“ Und ich hätte da wahrscheinlich Schwierigkeiten gehabt erst die Sonnenbrille ab- und meine normale Brille aufzusetzen und gleichzeitig in den Tunnel reinzufahren.
Wir gehen zum Auto. Dieter guckt auf die Straße. „Heute sind wieder nur Idioten unterwegs.“ Er schüttelt den Kopf. Er hält nicht viel von den meisten Verkehrsteilnehmern. Smartfahrer rangieren ganz unten und dann kommen die Fahrradfahrer. „Ah wieder eine Frau auf einem Fahrrad. Guck mal, die fährt X-beinig. Willst du wissen, warum Frauen immer x-beinig fahren?“ „Tun sie das?“ „Ja.“ Das hat er mich schon öfter gefragt, aber ich frage nie nach, wenn Dieter wieder mit den x-beinigfahrenden Frauen um die Ecke kommt. Ich erwarte dann immer so eine absurde, frauenverachtende Antwort, dass ich sein Angebot mir seine Theorie mitzuteilen immer ausschlage. Ich frage dann einfach nicht mehr nach, sondern lenke ihn mit irgendeiner Verkehrsfrage ab. „Linksabbiegen. So. Ich fahre jetzt bis da vorne an die Linie und warte, wa?“
„Wo fahren wir eigentlich hin, Dieter?“, frage ich auf der Sonnenallee.
„Wir fahren auf den Berliner Ring und dann einmal um Berlin rum.“ Einmal rum. Krass. Berliner Ring. Hört man immer im Radio. „…irgendwas blablabla am westlichen Berliner Ring.“
Wir fahren am Flughafen vorbei. An dem, der in Betrieb ist und dann an dem, der noch nicht in Betrieb ist. Dieter kommentiert. Und ich fahre.
„Hier könnte ich jetzt in die S-Bahn steigen und direkt nach Hause fahren.“, sagt er. „Das machst du aber bitte nicht.“, sage ich. Egal wo wir lang fahren, alles wird von Dieter in Relation zu den Möglichkeiten nach Hause zu kommen gesetzt. „Hier könnte ich in die U-Bahn steigen und wäre in 25 Minuten vor meiner Haustür.“
Beim Schönefelder Kreuz fahre ich auf den Ring. „Gib Stoff! Hier ist Richtgeschwindigkeit 120! Los gib Gummi! Und schalte mal in den fünften Gang! Umweltbewußte Fahrweise“
Ich denke: „Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn!“
Im Radio: „Smoke on the water – fire in the sky.“
Dieter singt auch. Aber nicht ‚Smoke on the water‘ sondern: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,…“
Ich versuche einen LKW zu überholen. Innenenspiegel, Außenspiegel, Schulterblick, Blinken, rausziehen, Gas geben, LKW im Rückspiegel…
Dieter: „…laß uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland. Kennste?“
„Ja, kenn ich.“
Das Radio:“…Smoke on the water. They burned down the gambling house. It died with an awful sound…“
Dieter: „… und der Sonne zugewandt.“
Ich, scheiße, da ist schon wieder so ein lahmer LKW. Die Sonne blendet mich. Dieter zündet sich eine Zigarette an.
„Jetzt Richtung Hellersdorf?“, frage ich
„Ja, es sei denn du willst nach Groß Köris.“, sagt Dieter.
Am Dreieck Spreeau die erste Pause. Wir stehen in der Sonne und rauchen. Ich mache außerdem nach ein paar Dehnübungen. „Dieses Autofahren geht ganz schön in die Arme.“ sage ich und Dieter lacht. „Warmduscher.“, sagt er. „Warmduscher, Weichei, im Kino vorne Sitzer … was gibt es denn da noch?“ Ich überlege. Außer Weichei fällt mir nichts ein. Dieter hat noch einen: „Turnbeutelvergesser.“ Er lacht so laut, bis sein Lachen wieder in dieses Husten übergeht. Ich muss aufs Klo.
Wieder im Auto, die Sonne scheint, ich fahre 120, überhole LKWs und fühle mich super cool. „Nu gib mal Zunder, Mädel. Der Wagen kann noch was!“ Ich trete das Gaspedal. 140. „Mehr!“, sagt Dieter. 160. „Mehr!“ „Ich fahr doch schon 160!“, sage ich. Ich überhole mehrere Autos und diverse LKWs. Mir reicht die Geschwindigkeit völlig. „Memme. Angsthase. Mädchen.“, sagt Dieter. Endlich ein Schild: 120. „Abbremsen.“, sagt Dieter. „Mehr abbremsen. 120. Hast du das Schild nicht gesehen?“
Dieter: „Gestern war ich aus.“
Ich: „Oh, wo denn?“
„In so einem Lokal. Mit einer Bekannten.“ Er kichert.
„Oh, eine Bekannte. Ein Date!“
„Nee, nee. Dit is ’ne ganz Nette. Und wir kennen uns auch schon länger. Aber irgendwie…“
„Was irgendwie?“
„Sie wollte dann noch, dass ich auf ’nen Kaffee mit zu ihr komme. Wir hatten uns vormittags getroffen. Und irgendwann fragt sie: Hast du Hunger?“
„Na, klingt doch gut.“
„Gänsekeulen hätte sie.“
„Lecker.“
„Nee, nee, die ist ja ganz in Ordnung, aber die labert soviel. Ich frag mich immer, wie man soviel reden kann. Und mich interessiert das alles nicht. Ich bin dann schön zu mir nach Hause und hab mir mein Gulasch gemacht. Mit Kartoffeln. Ich hatte mir gestern noch drei Kartoffeln gekauft.“
„Drei?“
„Ja, so große. Das war genug.“ Singlemänner, denke ich. Kauft er sich nur drei Kartoffeln. Tzzz.
„Da war die Frau bestimmt traurig, dass du nicht mit zu ihr zum Essen gekommen bist.“
Dieter lacht: „Na, da kann ich auch nichts dran ändern. Da vorne Richtung Potsdam. Es sei denn du willst nach Phöben.“
Dieter ist Kult, den werde ich vermissen !
ich mittlerweile auch. aber ich befürchte der bleibt uns noch erhalten.