„Jetzt links und in Schrittgeschwindigkeit über den Parkplatz. Ich will mit dir heute Quereinparken üben.“, sagt Harald und ich mache, was er will. Seine Ruhe täuscht. Seine Aggressionen lässt er an vorbeifahrenden Müttern mit Kind auf Fahrrädern aus. Er schimpft und meckert. Eigentlich will er mit mir meckern, glaube ich. Aber er darf nicht. Ich bin ja Kunde und ich habe ja nichts gemacht. Ich sitze stumm neben ihm und tue, was er mir sagt. An jeder roten Ampel öffne ich in Gedanken die Tür und verlasse dramatisch das Auto. „Das war’s! Mir reicht’s! Ich gehe!“ Ich habe extra keine Tasche dabei, damit ich meinen theatralischen Abgang nicht durch das Öffnen der hinteren Tür verderben muss. Oder soll ich einfach rechts ranfahren und aussteigen? Ich habe auch keine Monatskarte dabei. Ich müsste schwarz nach Hause fahren. Würde ich machen. Wenn er mir nur einmal schräg kommt. Los Harald, vergiss dich! Nur eine Sekunde. Ein falsches Wort und ich bin raus. Komm, sag etwas Gemeines und ich versau dir deinen Tag so richtig. Aber er sagt nichts. Nur: „Quereinparken. Das ist nicht so leicht.“
Natürlich ist das nicht so leicht. Und vor allem für mich. In seinen Augen ist ja alles eine unüberwindbare Herausforderung für mich. Ich fahre vor und dann zurück und dann in die Lücke. Stehe perfekt. Wo ist das Problem? Wir sitzen im Auto. Er sagt, das sei ein Teil der Prüfung. Ich nicke. „Wann fahren wir eigentlich auf die Autobahn.“ Ein tiefes Ein- und Ausatmen. „Erst ganz am Schluss.“
„Wie viele Fahrstunden werde ich denn noch brauchen.“ Ich weiss, dass ich jetzt keine Zahl hören werde. Ich wäre schon zufrieden mit einem: zwischen 30 und 100. Aber er sagt nichts. „Es wird noch sehr lange dauern.“ Und plötzlich verstehe ich: Harald ist in mich verliebt und kann den Gedanken, mich nicht mehr zwei mal in der Woche zu sehen nicht ertragen. Deshalb sagt er immer, dass es noch so lange dauern wird. Damit wir uns nie trennen müssen.
Ach Harald. „Soll ich nochmal einparken?“ frage ich. Es hat Spaß gemacht und ich würde gerne… „Nein, das üben wir später.“ Oh Harald, sorry, aber mit dir werde ich das wohl nie wieder üben. Wir fahren zurück zur Fahrschule. Ich parke den Wagen in einer Querstraße. Wir steigen aus. Das war’s mit uns. Unspektakulär. Ich hatte mir das dramatischer vorgestellt. Ich gucke zuviel Netflix. Im richtigen Leben sind die dramatischen Momente nicht mit Musik unterlegt. Harald geht zur Fahrschule, ich nach Hause. Ich drehe mich nochmal um. Irgendwie wird er mir fehlen, dieser traurige Harald.
Aaah (Erleichterungs-Ah)! Freu mich.
jetzt neu: die Fahrlehrer Berlins im „Stiftungfraufreitagtest“! Schon mal der Gedanke gekommen, er möchte dich lange (abhängig) halten, weil er so mehr Kohle verdient? Da hat er sich jetzt wohl geschnitten.
Ich habe das ganze Fahrstunden-Elend hier mit wachsender Fassungslosigkeit verfolgt und kann jetzt nur begeistert ausrufen: Hurra! Glückwunsch zum Fahrlehrer-Wechsel!!
Ich habe meinen Führerschein auch relativ spät im Leben gemacht und war damals aus mir selbst heraus total verunsichert und von der Befürchtung erfüllt, dass ich das niemals schaffen werde.
Als ich in meiner ersten Fahrstunde losfahren sollte, fuhr das Auto nicht dahin, wohin ich wollte, sondern bestimmte selbst die Richtung.
Wenn mein Fahrlehrer nicht beherzt ins Lenkrad gegriffen hätte, hätten wir erst mal im Graben gesessen. Da war mir klar: Das lernst du nie, Mädel.
Mein Fahrlehrer zeigte entspannt auf einen kleinen Waldweg, der ins nächste Kaff führte und meinte, ich solle mal da lang.
Mein Einwand, dass auf diesem schmalen Weg der Graben aber sehr nah am Auto sei, wurde schmunzelnd beiseite gewischt.
Als dann das nächste Kaff am Horizont auftauchte, wollte ich nicht mehr aus dem Wald heraus, weil mir das Gras am Straßenrand doch weicher und autoschonender vorkam als die Bordsteinkanten im Kaff, an denen ich doch bestimmt das hübsche kleine Auto entlangmangeln würde – auch diesen Einwand ließ er nicht gelten.
Zurück ging’s dann über eine „richtige“ Straße mit Tempo 100. – Also, ICH wollte ja aus Feigheit viiieeel langsamer fahren, wurde aber zu 100 km/h genötigt.
Langer Rede kurzer Sinn: Ich habe tatsächlich mehr Fahrstunden benötigt als die ganzen jungen Hüpfer.
Aber zu keinem Zeitpunkt hat mein Fahrlehrer mir das Gefühl gegeben, dass ich zu alt und/oder zu doof sei. Die Tasache, dass ich mehr Stunden brauchen würde, kam zwar zur Sprache, aber nicht als demotivierendes „Tja, wenn man alt und blöd ist, braucht man halt laaaaange, bis man was begreift, ne?“, sondern mehr so „Lern mal schön in deinem eigenen Tempo, ohne Stress und ohne Druck.“.
Übrigens wurde deses Thema nur einmal angesprochen, als ich fragte, wie viele Fahrstunden ich denn wohl brauchen würde. Es wurde nicht bei jeder Fahrt wieder aufgewärmt.
Der seltsame Harald hat also offenbar seinen Beruf verfehtl. Er soll seinen Fahrschülern das Autofahren beibringen. Mir scheint, sein Ziel ist aber, alle potentiellen Autofahrer, die ihm in die Finger fallen, zu permanenten Fußgängern zu machen.
Mike hört sich gut an. Bitte bleiben Sie bei Mike. 🙂
Eine gute Entscheidung 🙂