Wurzeln

Hausaufgabenstunde. Morgen Biotest. Sie sitzen vor ihren Heftern. Und starren auf die Seiten. Sie starren in Einzel- aber auch in Partnerarbeit.
„Ihr sollt LERNEN!!!!!“ rufe ich in den Raum, ohne jemanden direkt anzusprechen. Keiner fühlt sich so richtig angesprochen. Also noch mal: „Roooosaaaa, lernen! Für Bio lernen, ihr schreibt doch einen Test!“
„Vallah, ich lern‘ doch!“ antwortet sie, verdreht die Augen und senkt ihren Blick wieder auf das Blatt. Ich nehme mir den Hefter von Vincent, der direkt vor mir sitzt. Und flüstere: „Worüber schreibt ihr denn eigentlich?“
„Wurzeln.“ sagt Berat. Berat ist kein Freund großer Worte und hält sich selten mit Nebensätzen oder irgendwelchen anderen grammatikalischen Ergänzungen auf. Ich gucke ihn fragend an. Nichts sagen kann ich auch.
„Na, WURZELN!“ wiederholt er, als erkläre sich damit alles. Er sagt es auch ein bisschen lauter – oft denkt man ja, dass die Erhöhung der Lautstärke automatisch zum besseren Verständnis beitrüge. Trägt sie aber nicht.
„Aufbau und Ernährung der Pflanzen!“ ruft Erhan aus der vorletzten Reihe.
Na, das sind doch mal Informationen die sofort bei meinen Synapsen andocken. Und ja, das hat dann wohl irgendwie auch mit Wurzeln zu tun.
Ich gucke in die Runde. Die Schüler tun alle so, als lernten sie. Sie sitzen aber nur da. Lernen tun sie nicht. Ich sitze am Pult und checke die Lage. Plötzlich überkommt mich eine Welle von unglaublich viel schlechtem Gewissen. Ein alter Mann – er muss das pädagogische Gewissen sein, er trägt einen Pollunder- wahrscheinlich ist es Klippert – jedenfalls rüttelt der an mir und schreit: „Siehst du denn nicht, dass sie NICHT LERNEN???? TU DOCH WAS!!!! ES IST DOCH DDDDEEEEEIIIIINNNNNEEEE VERANTWORTUNG!“ Und ich springe auf und renne nach hinten zu Erhan, Hamid und Volkan. Ich schnappe mir Erhans Hefter.
„So Jungs los, lasst mal hören! Die Pflanze … hier…. worum geht es…“ Ich überfliege den kraklig, lieblos hingeklierten Text. Erhan kann nicht mal faken, dass er sich für Bio interessiert. Pfff.
Ah, Nährstoffe… es geht irgendwie um Nährstoffe, denke ich.
„Okay Jungs, also, wie ernährt sich die Pflanze?“
„Wasser!“
„Ja, okay richtig, wo kommt denn das Wasser her?“ Ich will irgendwie zu den Wurzeln und dem Boden und den Nährstoffen.
„Also, woher kommt das Wasser?“
„Aus dem Wasser.“ Das ist wieder so eine typische Schülerantwort. Woher kommt das Wasser? Aus dem Wasser. Liebe Jung- und Neulehrer – auf solche Antworten nie ernsthaft eingehen. Hier sind Ironie, Sarkasmus und rückhaltlose Bosheit gefragt.
„ÄHHHH???? Wasser? Wasser kommt aus Wasser? Hast du auch nur Wasser in deinem Hirn… usw.“ Bis der Schüler merkt, dass man nicht nur irgendwas vor sich hinplappern sollte.
Ich versuche es mit den Nährstoffen. „Okay, Wasser braucht die Pflanze, aber was brauch sie noch zur Ernährung?“
Volkan guckt in seinen Hefter, dann mit konzentriertem Blick zu mir und sagt: „Döner.“
„DÖNER??????? Ja na klar, der Bauer füttert seine Pflanzen mit Döner!!!“ Und hier folgte dann von mir eine – wie Frl. Krise es immer nennt- megamäßige Entleibung. Aufregen, Meckern und am Ende weinerliche Moralpredigt: „Jungs, ihr schreibt morgen die Arbeit… seid doch mal ernst… nehmt das hier doch mal ernst… bitteeee….“
Volkan guckt verwirrt.
„Dünger. Frau Freitag, ich hab DÜNGER gesagt. Vielleicht haben Sie das nicht richtig verstanden.“

Allgemein

40 Gedanken zu “Wurzeln

    • Plagiate hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Frau Freitag. :>>

      Wo haben Sie eigentlich die Idee für „Der Altmann ist tot“ hergenommen? Am besten gefällt mir ja, wenn sich Frl. Krise und Frau Freitag im Kiosk ins „Raucherabteil“ zurückziehen und so herrlich herumspinnen. 🙂

      Beste Grüße

    • Hallo, der Beitrag hat mich echt zum Schmunzeln gebracht. Jaja, die Schüler… welche Klasse war das denn? Hört sich stark nach Unter-/Mittelstufe an…?
      Die Sache mit den Tattoos ist eine ziemlich interessante. Obwohl ich wirklich noch keinen Lehrer gesehen habe, der Tattoos hatte. Lebe ich in einer falschen Welt? 😀

      Liebe Grüße und ich freue mich über jeden neuen Beitrag, den Sie schreiben. 🙂

      • Echt? Kommen Sie mal an unsere Schule! Viele guten Lehrer sind tättowiert. Und zwar richtig 😛 Da würde die Freitag mit ihren harmlosen Bildchen nicht auffallen ;D

  1. Ach, ich dachte schon, sie machen ein Kreuz an die Decke, wenn die mal mitmachen würden!
    Ich habe mir heute überlegt mir auf die Narbe von 2 besch…Rückenoperationen einen Drachen tätowieren zu lassen. Als Zeichen dass alles wieder gut ist.

    Hm, mal schauen ob das nur Frühlingsgefühle sind.

  2. Liebe Frau Freitag,
    vielen Dank für diesen Lichtblick! Wir haben hier momentan nichts zu lachen, da tut das wirklich gut.

    Ich kann absolut nachvollziehen, dass Sie „Döner“ gehört haben. Man hört halt, was man erwartet… Aber gut, dass sich das noch aufgeklärt hat, denn sonst hätten sich meine Kartoffeln im nächsten Monat wirklich gewundert 😉

    Viele Grüße
    Schaf

    Ps.: Schön mal wieder von Ihnen zu lesen. Habe Sie (und Ihre Schüler) vermisst.

  3. Also Döner oder Dünger… Das ist ja nun kein so großer Unterschied. Und Aussprache ist ja eh sehr relativ. Hoffe einfach mal, das die Jungs wissen wie man Dünger schreibt. Döner können sie ja mit sicherheit sowieso schreiben. 😀

  4. Diese „Entleibungen“ kenne ich auch. Nicht von mir, sondern von meinen Lehrern. (Ich bin übrigens ein Schüler) Das beste, was ich erlebt habe, war der Vogel Strauß, der Strauß heißt, weil er so bunt wie ein Blumenstrauß ist, wenn er ein Rad schlägt. Da wäre ich auch fast an die Decke gegangen.

  5. Liebe Frau Freitag,

    ich bin sozusagen einer der Neuköllner Kollegen, der die entsprechenden Resultate des nicht-lernens nach der 10. Klasse übernehmen darf… ihr habt sicher auch alle Hände voll zu tun und mit der anrollenden Inklusion (viel Spaß dabei! Gymnasien und OSZ sind dabei ja fein raus) möchte ich nicht mit euch tauschen. Dennoch:

    könnt ihr den Kindern nicht etwas mehr Grunddisziplin eintrichtern? Euch als Kollegium feste Regeln geben, diese strenger Kommunizieren und Konsquenzen Folgen lassen? Das läuft doch auf Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule in Moabit offenbar sehr erfolgreich – und entlastet am Ende auch die Kollegen.

    solidarischen Gruß

  6. Liebe Frau Freitag,
    sowas: dass ich erst heute auf deinem Blog gelandet bin, ist fast unverzeihlich. Aber auch irgendwie gut: denn jetzt kann ich heute den Abend damit verbringen, deine ganzen kleinen Geschichten bis zum Anfang „zurück zu lesen“. Auch ganz schön gut. Ich bin keine Lehrerin – umgebe mich aber mit ziemlich vielen Lehrern. Weil nämlich mein Mann … der ist halt Lehrer. Und so bin ich irgendwie mit drin. In der Materie. Im Lehrerzimmer. Im Klassenzimmer. Und weil ich mich nach 10 Jahren als Lehrer-Anhang da schon irgendwie ganz gut mit dem ganzen Schul-Ding identifizieren kann und dazu auch noch selber schon seit Jahren blogge, hat es dein Blog heute auf Anhieb auf meine Top 10 Blogs geschafft. Sehr unterhaltsam und überhaupt ganz toll.

    Auf den Blog gestoßen bin ich übrigens über das Hörbuch von „Der Altmann ist tot“. Riesig. Ich höre immer Hörbücher an und während der Arbeit (wie gesagt: ich bin ja keine Lehrerin) und meine Kollegen haben mich des öfteren schief angesehen, weil ich laut losprusten mussten. Du siehst für mich jetzt übrigens aus, wie Carolin Kebekus. Aber das geht wahrscheinlich den meisten so, die ein Hörbuch von dir gehört haben.

    So, das war’s: bin noch an der Arbeit und jetzt gibt’s hier Bierchen. Wollte halt nur mal loswerden, dass ich das, was du hier so treibst echt ganz schön gut finde. Und weil ich ja selber blogge (zugegeben: ganz anderes Thema), bilde ich mir ein zu wissen, dass man sich über solche Kommentare als Autor immer freut. Hoffe jedenfalls, dir geht’s da genauso wie mir 😉

    Ganz herzliche Grüße von caro

    • Liebe Caro, das ist aber nett. Und ich wäre froh so süß auszusehen wie Frau Kebekus. I love her, too.
      Vielen Dank für die netten Worte. und viel Spaß mit dem nächsten Hörbuch.

  7. Hallo Frau Freitag!
    Ich bin riesiger Fan ihrer Bücher und so bin ich auch zu ihrem Blog gekommen.Am besten gefällt mir ,,chill mal frau Freitag“
    da es mir so herrlich aus meinem Leben spricht und ich mich in vielen Situationen wiedererkenne. Leider. VALLAH!;)

  8. Mag man es den Schülern verübeln? Wurzeln und Nährstoffe sind bestimmt nicht das, was das Interessengebiet der Heranwachsenden beschreibt. In der eigenen Schulzeit war man da auch nicht sonderlich motiviert. Die Döner-Episode sorgt wenigstens für ein wenig Freude in der Bio-Stunde und macht Hoffnung auf mehr 🙂

  9. Frau Freeeeeeeeeeeitaaaaaaag!!!!!!
    Wann, wann, wann geht’s weiter mit dem allgemeinen Froh-, Wahn-und Unsinn unseres Berufes? Sind zwar gerade Ferien, oder besser schülerfreie Zeit, aber ich frag trotzdem…. hab gestern heimlich unter der Decke Unterricht vorbereitet, damit der Mann es nicht mitbekommt. Der sagt dann nur wieder…. bla…bla…bla, das ist denen doch eh egal… dass du dir immer soviel Arbeit machst.. typisch Mann eben!
    Machst du das auch manchmal heimlich, Frau Freitag?! Oder brauche ich nen Psychologen?
    Und letztens habe ich von riesigen 3D-Gebilden, n bisschen wie in Transformers, aus unregelmäßigen Verben geträumt, die irgendwie um Helene Fischer gekreist sind und versuchten, die ins Hamburger Hafenbecken zu schubsen… ich glaube, mir fehlt die Schule. Uäh.
    Freu mich auf News von dir, Frau Freitag,
    deine Frau Gemein

  10. Hallo Frau Freitag, ich hab mir auch ein Paar Geschichten aus Schulalltag überlegt. Ich weiss, aber nicht, was eine Satire ist?

    Wenn ich schreibe, das meine Deutschlehrerin viel lieber verreist wären des Schuljahrs und Projekte macht, als uns zu unterrichten – wäre das eine Satire? Oder soll ich dazu schreiben, das wir dabei so was von „traurig“ sind, wenn sie wieder mal weg ist?

    Darf man bei Satire auch etwas dazu ausdenken? Wenn ich unsere Lehrerin, zum Beispiel, Frau Facebook nenne, weil Sie uns oft über Facebook unterrichtet? Obwohl sie nicht Facebook heisst – ist das ok?
    Es wäre schön, wenn Sie mit antworten könnten,
    danke, Maria A.

  11. Sie schreiben hier wirklich nette Geschichten. (-; Es erinnert mich an meine Schulzeit…. War doch irgendwie ganz nett…. Auch wenn es einige verrückte Lehrer gab…. oder gerade deshalb…

      • Das Alter …
        Wenn Frl. Krise das sagen würde.
        Wobei immer mehr für den lang gehegten Verdacht spricht, dass Frl. Krise und Fr. Freitag ein und dieselbe Person sind.
        Jedenfalls sind beide Blogs seit einem Jahr Tod.

        Meine Vermutung ist eher, dass mit Büchern offenbar mehr zu verdienen ist. Die Blogs waren dazu da, auf sich aufmerksam zu machen, potentielle Leser anzulocken. Jetzt wird er nicht mehr benötigt und abgeschafft… 😦

  12. sind diese Geschichten eigentlich erfunden oder real passiert? hatte bisher immer den eindruck, dass das alles real ist, aber jetzt nach den ganzen kommentaren…
    Sonst: ultracool und (leider) sehr real

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