Bedingungsloser Unterricht

„Ihr wisst doch, dass ich in der anderen Achten Klasse Ethik unterrichte und ich wollte heute mit denen über ein Thema sprechen, aber ich weiß nich nicht so richtig, ob das nicht zu schwer ist und deshalb hatte ich gedacht, dass ich das kurz mal an euch austeste.“

Eigentlich haben wir Kunst und meine Klasse bearbeitet gerade das Thema Paralleperspektive. Jetzt gucken Sie mich alle gebannt an.
Rosa sitzt, wie immer direkt vor meiner Nase: „Ja, sagen Sie!“
„Okay, also, ihr wisst ja, wie das in Deutschland so läuft mit der Arbeit und den Steuern. Wir haben ja auch schon mal, mit Hamid als Testperson, ausgerechnet wie viel Geld ein Erwachsener im Monat zum Leben braucht. Ihr erinnert euch?“
Hamid: „Hähhhh???“
Taifun: „Ja, 1200 Euro.“
„Genau. Und jetzt gibt es mehrere Gruppen in Deutschland, die sich ein neues System überlegt haben, das nennt sich bedingungsloses Grundeinkommen. Da soll jeder Erwachsene so 1000 Euro oder etwas mehr oder weniger, bekommen und daran sind keine Bedingungen geknüpft. Also nicht, wie jetzt bei HartzIV, wo man sich ständig irgendwo bewerben muss oder zu irgendwelchen Maßnahmen gehen soll.“
Taifun meldet sich: „Aber woher kommt dann das Geld dafür?“
„Gute Frage, also es gäbe kein HartzIV mehr und kein Kindergeld und kein Bafög. Und wahrscheinlich würde die Mehrwertsteuer auch ein wenig teurer.“
Hamid guckt mich verwirrt an: „Bafög!“
„Mann, das bekommst du, wenn du studierst.“, sagt Rosa genervt über die Unterbrechung und grinst mich dann an: „Mein Bruder bekommt das.“

Oskar fragt, ob das dann jeder bekäme und wie das mit Kindern und Jugendlichen wäre. Ich versuche so gut wie möglich alles zu erklären. Dann kurze, konzentrierte Still. Alle denken nach.
Taifun hat als erster eine Meinung: „Ich fände das gut. Ich würde einen Dönerladen aufmachen.“
Oskar meint, dass viele Leute dann bestimmt gar nicht mehr arbeiten würden.
Rosa meldet sich: „Aber, Frau Freitag, viele Leute wollen ja arbeiten und die finden aber keine Arbeit. Weil, wenn sie sich bewerben, dann hat schon jemand anderes die Arbeit.“
„Genau Rosa, es gibt in bestimmten Bereichen gar nicht genug Arbeit für alle. Das wäre dann nicht mehr so schlimm.“
Fatima meldet sich: „Also ich würde arbeiten gehen, weil es doch auch langweilig wäre, nur zu Hause zu sitzen. Ich würde mir einen Beruf suchen, der mir Spaß macht.“
„Es gibt ja auch viele Leute, die einen Job haben, den sie nicht mögen. Das ist ja auch nicht gut.“ gibt Rosa noch zu bedenken. „Also ich finde das System gut. Frau Freitag, wann kommt das?“, fragt sie dann noch.
„Na, das kommt jetzt gar nicht, das sind nur so Ideen von manchen Leuten.“
„Frau Freitag, es nervt ja auch, dass es immer die gleichen Läden gibt. So Fast Food. Vielleicht gäbe es dann andere Läden.“, sagt Gülistan.
„Ja, auf jeden Fall den neuen Dönerladen von Taifun.“, sage ich.

Nachdem wir noch eine Weile diskutiert haben, begeben wir uns fröhlich und zufrieden in die Parallelperspektive.

In der Pause denke ich: „Na, das wird super, nachher mit der anderen Klasse.“ Aber, aber… ich kann mal ganz klar feststellen: Eine Stunde nur mündlich, ohne jeglichen Phasenwechsel in der Achten Klasse… sorry, haut nicht hin. Ja, wir haben interessant diskutiert. Erst über die Abzüge meines Gehalts, dann über das bedingungslose Grundeinkommen und zwischendrin sogar noch über Rassismus im Allgemeinen und über rassistische Kommentare auf der McDonald Facebookseite im Besonderen. Aber fragt mich nicht WIE. Nächste Woche gibt es auf jeden Fall wieder schriftliche Arbeitsaufträge!

Allgemein

8 Gedanken zu “Bedingungsloser Unterricht

  1. ich als nicht-lehrer frag mal ganz doof: was ist denn daran so schlimm, wenn die stunde etwas aus dem ruder läuft, sofern im großen und ganzen die themen vorkommen, die man besprechen will (und rassismus etc sind ja nun auch nicht so uninteressante themen für eine ethik-stunde)?

    • ist so peinlich, wenn einige so laut sind und andere pennen und ich wild mit einer handvoll schülern diskutiere. ich glaube, die schüler haben das gar nicht so krass empfunden – schließlich konnten die ja eine stunde lang mehr oder weniger chillen.

      • Das erinnert mich an… Abitur ’11. Fach(Gesprächsthema): Mathe(ziemlich viel Verschiedenes), Geschichte(viele Diskussionen, 3 Revolutionen – Russland, DDR, Frankreich), Politik(zum Fach weitläufige Diskussionen), Deutsch(Aktuelles und mehr), Französisch(„Hausaufgaben? Nö, sorry. Machen wir nicht. Macht am Ende nur +/- 0,2 der Note aus, gibt Wichtigeres.“), Bio(Was? Wir sollen zum Stundenbeginn mit Kartenspielen fertig sein? Na gut, okay.“), Englisch(„Past Perfect Progressive Passive Plural von ‚he goes‘? Diese Grammatik-Frage haben Sie, soweit ich weiß, die letzten 3 Jahre jetzt jeden Monat mindestens einmal gestellt. Aber zumindest erkennen wir inzwischen, dass es eine Falle ist.“).

        Diskussionen sind echt angenehm und wurden von uns sehr gerne auch mal… oft provoziert. Wir hatten auch fast alle Positionen in der Klasse: Links-liberal, konservativ, grün, links, Beobachter, grün, spirituell, dagegen, grün, links, schlafend, nicht da.

  2. Ihr sprecht über Bedingungsloses Grundeinkommen oder Rassismus? Ist ja voll cool. Warum haben meine Lehrer immer so einen Bullshit gemacht?
    Bei mir ist es eher genau umgekehrt. Ich kann nicht reden, wenn mir alle zuhören. Es interessiert nunmal nicht alle alles. Wenn dann trotzdem alle zuschauen ist doch irgendwas faul.

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