Vielleicht redet man mal mit mir?

„Frau Freitag, Frau Freitag, wir kriegen neuen Schüler!“
„Jaaaa, voll schlimm, der soll voll schlimm sein!“ Rosa und Leila stehen letzte Woche mit entsetztem Blick vor mir.

„Moment mal. Langsam. Was ist mit einem neuen Schüler?“ frage ich, denn ich weiss von nichts.
„Frau Freitag, warum müssen IMMER WIR die schlimmen Schüler bekommen?“ fragt Leila und schmollt mich dabei an, als würde ich jede Stunde mit einem neuen Krawallheini anrücken.
„Also mir ist nicht bekannt, dass wir jemanden in die Klasse bekommen.“
„Aber alle erzählen das.“ sagt Rosa.
„Leila, was heißt denn eigentlich, dass wir IMMER die schlimmen Schüler bekommen?“
„Na, ist doch so.“ jetzt schmollt sie richtig.
„Wen meinst du denn? Anil ist doch schon lange weg. Meinst du Paolo? Der kam doch von einer anderen Schule und der ist doch auch ganz nett.“
Leila macht mir wortlos und mit einem schnell ausgeatmeten pffff klar, dass sie da nicht meiner Meinung ist.

„Jetzt setzt euch mal hin. Noch ist ja gar kein neuer Schüler zu sehen.“ Die Mädchen setzen sich. An ihren besorgten Gesichtern kann ich ablesen, dass sie im Gegensatz zu mir, nicht glauben, dass sich dieses Thema in Wohlgefallen auflösen wird.

Im Lehrerzimmer gucke ich mich um. Warte, dass mich irgendjemand anspricht und mir mitteilt, dass ich ab Montag einen neuen Schüler bekomme. Aber nichts. Ich beschließe, mich nicht weiter darum zu kümmern. Wer nicht fragt bekommt auch keine schlimmen Jungs in die Klasse. Etwas unwohl ist mir allerdings. Woher stammt dieses Gerücht? Und ganz undenkbar wäre es auch nicht – die Kollegen machen ständig irgendwelche Sitzungen in denen das unmögliche Verhalten einzelner Schüler diskutiert wird und Ordnungsmaßnahmen festgelegt werden.

Ich habe dieses Jahr noch keine Sitzung gemacht. Anil – mein schwieriger Fall – den haben wir außerhalb der Schule untergebracht. gut für ihn und für uns und vor allem gut für all die Parallelklassen, die sich nicht mit ihm beschäftigen müssen. Jetzt ist bei mir in der Klasse also ein Platz freigeworden. Meine Klasse hat nicht den schlechtesten Ruf und die Kollegen klagen und jammern dauernd, was für Brocken sie in ihren Gruppen haben. Da kann ich mir schon vorstellen, dass man sich da schnell mal überlegt, den schwierigen Schüler einfach in die Freitagklasse zu versetzen.

Aber niemand spricht mich an. Nicht am Montag, nicht am Dienstag, nicht am Mittwoch oder am Donnerstag. Freitag haben wir Wandertag und die ganze Zeit liegt kein Zettel in meinem Fach oder eine Email in meinem Computer.

War vielleicht alles nur ein schlechtes Gerücht. Ich beschließe mich nicht weiter darum zu kümmern.
Montag komme ich ins Lehrerzimmer und da verstopft etwas mein Fach. Eine Schülerakte. Die dicke fette Akte von Günther G., ab sofort strafversetzt in die Klasse von Frau Freitag. Ich glaub ich spinne! Aber bevor ich mich aufregen kann klingelt es zum Unterricht.

Als ich gerade mit dem Unterricht beginnen will, geht die Tür auf. „Sind Sie Frau Freitag?“
Ich nicke.
„Ich bin Günther.“

Allgemein

42 Gedanken zu “Vielleicht redet man mal mit mir?

  1. Achwooo, sowas im Voraus anzukündigen ist doch langweilig. Es geht doch nichts über den guten, alten Überraschungseffekt.
    Aber glaube mir, wenn der Chef einem nen Paket auf den Tisch klatscht und dazu „$kleinesland (natürlich außerhalb der EU) per Express, muss morgen um 12 da sein“ sagt, kommt auch diese Freude auf…ebendiese Freude, die einen noch so schönen Tag binnen Sekunden den Abfluss hinunterkippen kann… 😉
    Ich bin sicher dass du auch Günther irgendwie unterkriegst 🙂

    • Ts… mein Onkel hiess Günther und war sehr nett und erfolgreich im Leben. (Sattlermeister).

      Also bitte keine Vorurteile gegen Namen.

  2. Das kommt mir bekannt vor, aber eher umgekehrt, nämlich, dass mich ein Kollege im Gang anspricht: „Ich kriege morgen eine Hannah aus deiner Gruppe, kannst du mir mal ein paar Infos über sie geben?“ Ich: „Ach! Hannah geht weg? Warum denn? Und warum sagt mir das niemand?“ Es lebe die interne Kommunikation.

    Frau Freitag, viel Glück mit Günther. Vielleicht entwickelt er sich ja noch halbwegs positiv, so wie Ibo.

  3. Hat der Günther G. auch in Echt so einen, sagen wir mal für Jugendliche ausgefallenen, Namen?

    Oder mögen Sie Gunter Grass nicht und wollen dem jetzt einfach einen schlimmen Schüler zuordnen?

  4. Uff, ich wäre schwer angefressen! Zumindest als Klassenlehrer bekommt man bei uns schon Bescheid, wenn einem ein „Strafversetzter“ oder sonstiger Neuling zugeteilt wird. Spätestens ganz kurz vor Unterrichtsbeginn. 🙂

    Oft gehe ich aber als Fachlehrer in andere Klassen, und da sitzt gelegentlich ein ganz fremdes Gesicht. „Das ist eine neuer Schüler, Ms B.!“ Ich gucke dann erstmal nach: Steht er/sie schon im Klassenbuch? Wenn nicht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das ein Fake ist, sehr hoch, und ich bitte das fremde Gesicht freundlich, den Raum zu verlassen.

    Und siehe da, ich lag bisher noch immer richtig, der Entlarvte geht betreten grinsend raus … sollte ich mich aber wirklich mal irren, hat den Schwarzen Peter der Klassenlehrer, der mir nix gesagt und das neue Gesicht noch nicht eingetragen hat.

    • Kaum geschrieben, schon wieder geschehen … heute saß zu Unterrichtsbeginn wieder ein fremdes Gesicht im Raum, das sich dann schmollend wieder trollte, als ich ihn fragte, wer er eigentlich sei …

  5. Ich lese bei Ihnen das erste Mal von „diskutierenden Kollegen in Sitzungen“ und bin ehrlich froh zu hören, dass es die auch bei Ihnen gibt. Ich dachte schon, das gäbe es nur an meiner Schule.

  6. Und? Wie ist Herr G? Sie können uns doch nicht einfach einen Brocken hinschmeißen und nicht weitermachen! ;o)

    Aber ganz recht..einfach nicht Bescheid sagen, wenn ein neuer Schüler kommt, ist natürlich mies! ich bin mir allerdings sicher, dass Sie das spielend hinbekommen–

  7. Tja….mein Vater ist ja auch Lehrer und der kriegte eines Tages vor den Osterferien die Mitteilung: „Übrigens, nach den Ferien sind sie Schulleiter an einer anderen Schule.“ Das war auch sehr spaßig…

    Das wird schon mit Günther, Frau Freitag – vielleicht ist er ja wenigstens für ein paar gute Stories gut… 😉

  8. Ich habe nie verstanden was eine Zwangsversetzung eigentlich bringen soll? Toll die Klasse in der Günther war hat jetzt Ruhe, aber dafür muss sich nun Frau Freitags Klasse mit ihm ärgern. Eigentlich ein Null-Summen-Spiel – eine Klasse gewinnt damit die andere Klasse verliert.

    • Das gleicht sich unterm Strich meistens wieder aus. Auch Frau Freitag hat sicherlich gelegentlich Schüler, die in andere Klassen oder Schulen „umgesetzt“ werden.

      Außerdem ist es für den einen oder anderen „schwierigen“ Schüler eine gewisse Chance, auf neuem Terrain quasi neu zu beginnen. Manchmal klappt das sogar ganz gut.

      • ich setze ungern und sehr sehr selten schüler um. aus der letzen klasse waren es nur zwei und einen hat der schulleiter umgesetzt nicht ich.

  9. > was eine Zwangsversetzung eigentlich bringen soll?

    Wobei ja das die eigentliche Frechheit ist. Warum soll Unterricht bei Frau Freitag eine Strafe sein ?

  10. Warum muss man als Lehrer auch wissen was die Leitung mit der eigenen Klasse anstellt. Aber der Buschfunkt funktioniert wohl in der Schule super und beim nächsten mal sollte man mal vorsichtig „abtasten“ was da im Busch ist! 😉 Ich hoffe Günther ist nur halb so „schlimm“!

  11. DAS (vollendete Tatsachen + bewusstes Verschweigen + Schüler wussten es vor der Lehrerin) geht Ü B E R H A U P T nicht!

    Frl. Freitag, das Universum ist aus dem Gleichgewicht gekommen. „Das Böse“ darf nicht gewinnen, ich bitte Sie inständig um eine adäquate Reaktion, die zeigt „was geht“ und „was nicht geht“.

  12. Liebe fraufreitag, an deine Frage (war nicht Günther, oder?) kann ich leider keinen Kommentar anhängen, also an dieser Stelle: Nein, ich glaube nicht, dass das Günther war, er sah eher so aus, also ob er Emre oder Burak heißt, und HH ist ein bisschen weit weg, oder? Und 07:40 Uhr, unser (viel zu früher) Unterrichtsbeginn passt garantiert so gar nicht zu Günther …

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