Ibo vs Frau Freitag

„Wir haben einen neuen Schüler in der Klasse.“ schreit mir Yunus aus der 7b entgegen, als er in den Raum kommt.
„Frau Freitag, wir haben neuen Schüler.“ reiht sich Marina ein, die kurz hinter Yunus kommt.
Jeder will mir diese Neuigkeit mitteilen. „Wo ist der denn der Neue?“ frage ich, denn die Schüler, die nun vor mir sitzen kenne ich alle. Neue Schüler mitten im Schuljahr nerven. Die haben noch keine Bücher, geschweige denn Workbooks und natürlich haben die auch keinen Plan, was wir bisher gemacht haben. Ich bin ein großer Befürworter des „Jeder bleibt mindestens bis zum Halbjahresende dort wo er ist.“

Ich will mit dem Unterricht beginnen, aber da ist ja noch der ominöse neue Schüler, der bisher noch nicht aufgetaucht ist. Mika meldet sich: „Frau Freitag, der findet den Raum nicht. Soll ich ihn holen?“
„Nein, lass mal, der trudelt schon irgendwann ein. Ich will jetzt auch anfangen. Wie heißt der denn?“
„Ibo!“ schreit mir Yunus zu und alle kichern. „Wir haben jetzt zwei Ibos.“ Der ursprüngliche Ibo, sitzt direkt vor meiner Nase. „Na Ibo, wie ist er denn so dein Namensvetter? Ist der auch so nett wie du?“ Ibo ist ein Goldstück. Total klein und super süß. Man will ihn sofort mit nach Hause nehmen. Wenn er was weiss meldet er sich mit einem ausgestreckten Arm, den er mit der anderen Hand festhält, als würde der Meldearm durch die Decke flitzen. Und dabei schreit er „Ich, ich, ich!“ Voll Grundschule – todessüß!

„Der neue Schüler ist gar nicht nett.“ stellt Ibo mit sehr ernstem Gesicht fest. Er schüttelt dabei den Kopf und wiederholt noch mal mit Nachdruck „Das ist gar kein netter Schüler!“ Oh, oh… denke ich noch, als die Tür aufgeht und Ibo Nr.2 eintritt. Dick, kurze gegeelte Haare, Augenringe, als hätte er seit Mai nicht mehr geschlafen, Alphajacke, Eastpackrucksack. Mit dem Gesichtsausdruck eines Auftragskillers latscht er an mir vorbei, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen und will sich in eine der letzten Reihen verziehen.
„Hallo? Moment mal. Komm mal bitte hierher zu mir!“ befehle ich ziemlich unmissverständlich. Die Klasse schweigt.

Wortlos steht er vor mir und guckt mich ziemlich ausdruckslos an. „So, du bist also der neue Schüler. Wie heißt du denn?“
Er nennt mir seinen Namen, ich schreibe den auf und bestimme, wo er sitzen soll. Dann beginne ich mit dem Unterricht.
„Please take out your Workbooks!“
Ich gehe zu dem neuen Ibo.
„Hast du ein Workbook?“
Er guckt mich verächtlich an und macht dieses muslimische Schnalzgeräusch. Ja, ist muslimisch, weil das die muslimischen Jungs immer machen. Man nimmt die Zunge an die obere Zahnreihe, zieht sie dann mit einem Schnalzen schnell zurück. Ich reagiere äußert allergisch – geradezu algerisch auf dieses Geräusch.
„Was soll das?“ frage ich Ibo streng und mache das Geräusch nach. Ich bin kein Tier und auch keiner deiner Freunde auf der Straße, mit denen du so reden kannst. Ich habe dich gefragt, ob du ein Workbook hast.“
Die Klasse ist mittlerweile in eine Zuschauerstarre verfallen. Gebannt wollen sie sehen, wer den ersten Schlagabtausch gewinnt. Frau Freitag vs Ibo, the new kid in class.
„Was ist, hast du ein Workbook?“
„Tzzzzz“
Ich glaube es nicht, er macht noch mal dieses Schnalzgeräusch. Eine Unverschämtheit! Ich weiss zwar, dass das Schnalzen ’nein‘ heisst, aber so geht es ja wohl nicht. Ich stehe vor Ibo und warte, bis er leise ’nein‘ sagt.
„So, dann nimm mal das Textbook hier, Seite 12. Hier. Und schreib den Text ab. Wie auch die anderen, die kein Workbook mithaben.“ Ich höre aus verschiedenen Ecken ein leises Murren. Mittlerweile habe ich allerdings in dieser Klasse bereits implemetiert, dass geschrieben wird, sobald man sein Arbeitsmaterial vergessen hat. Dann sind die wenigstens ruhig und ich kann mit den anderen Schülern weiterarbeiten.

„Abo, ich schreib nicht!“ mault Ibo plötzlich los, als er den Text im Buch sieht, der sich über eine Doppelseite erstreckt. Die anderen Schüler haben sich bereits in ihr Schicksal gefügt.
„Doch du schreibst.“
„Nein, mach ich nicht. Wieso sollte ich?“
„Weil du kein Workbook mithast.“
„Aber, aber…“
„Hast du ein Workbook?“
„Nein.“
„Also schreibst du.“
Widerwillig nimmt er seinen Block raus. Eins zu null für Frau Freitag, aber wir sind erst in Runde 1.

Allgemein

30 Gedanken zu “Ibo vs Frau Freitag

  1. Ich will ja nicht meckern, aber Workbooks (und Arbeitshefte) sind ein rotes Tuch inzwischen. Bei drei Kindern, mehreren Fremdsprachen, Deutsch, Mathe zahle ich seit vielen Jahren und inzwischen über 100 Euro pro Schuljahr dafür. Sie sind am Ende normalerweise zu einem Drittel bearbeitet. Hurra! Aber es werden ja Kopierkosten gespart. Und wann wurde den Eltern des Ibos (ist das nicht ein Vogel?) mitgeteilt, welches Material er braucht? Sorry, aber ich bin inzwischen zum Schul-und-Lehrer-Hasser geworden. Wäre mal ganz nett die „Gegenseite“ zu verstehen.

    • Also – 1. (B)ibo hätte sich schon erkundigen können, was er braucht, bevor er an unsere schule kam und wenn er nicht so penetrant gewesen wäre, dann hätte ich ihn auch nicht schreiben lassen. 2. bei uns gibt es nur ein arbeitsheft für englisch und das müssen die schüler kaufen und das ist auch gut so, denn ja es spart kopierkosten, aber es ist auch mal – im gegensatz zu den kopien schön bunt. 3. bei mir in der klasse gibt es nur drei kinder, die nicht harz 4 bekommen. die anderen bekommen alles von der schule bezahlt – mitlerweile auch nachhilfe und jeden schulausflug und klassenfahrten sowieso und sie bekommen auch 100 euro im schuljahr für schulmaterial, da finde ich 7,50 euro für ein workbook nicht so schlimm. die 100 euro wollen ja auch irgendwie ausgegeben werden.

      ich kann verstehen, dass es bei selbstzahlern ins geld gehen kann mit den heften und so, aber ich finde das ist schulstandort abhängig. vielleicht solltest du das mal in der schule ansprechen. ich versteh dich! ich würde mich auch aufregen. und wenn bei mir das workbook nur zu einem drittel voll ist, dann nur bei den schülern, die es immer vergessen. aber die haben dafür wahrscheinlich das gesamte textbook abgeschrieben. 🙂

      also, nicht aufregen – oder job kündigen und harz 4 beantragen, dann gibt es all die goodies umsonst.

      • Schuld sind an den Workbookpreisen ja eh nicht die Lehrer, sondern die verdammten Schulbuchverlage…
        Ich weiß auch nicht, ich habe das Gefühl, als seien Lehrmaterialien in den letzten Jahren massiv im Preis gestiegen. Es gibt ja auch nur noch ganz wenige Schulbuchverlage, die alles unter sich aufteilen.
        Und was will man als Lehrer denn auch anderes machen, mit irgendwas muss man schließlich unterrichten und man kann sich ja auch nicht jeden Abend hinsetzen und sozusagen selber ein Workbook basteln (auch wenn von meinen examinierten Kollegen viele kenne, die das tun).
        Jedenfalls vermute ich, dass sich richtig viel Geld damit verdienen lässt, da man die Hefte ja nicht weiterverkaufen kann und die sicher in hoher Stückzahl verkauft (was die Produktionskosten ja wieder senkt, trotz uneinheitlicher Schullandschaft in Deutschland) und mir von diversen Fachbuchautoren versichert wurde, dass sie so gut wie kein Geld dafür bekämen….
        Die Fachbücher für die Unis sind ja auch unverschämt teuer, da weiß ich auch gar nicht, wie man sich das leisten soll, wenn man die Bücher alle neu kaufen würde…zumal wenn mehrere Kinder in einer Familie studieren.

      • OMG! Der Tisch! Der scheint wichtig! Warum? Der ist eklig. Der war schon vor 30 Jahren eklig. Warum hält der sich? Vielleicht ist das so ein Altar gegen alles und für….was auch immer.Die neuen Hippies. Und wir sind jetzt die Gegner?
        Schade, dass ich nicht mehr rauche.

    • Ich glaub, das mach ich! Nicht mehr arbeiten. Der Harz ist doch schön. Darf ich dann auch die Kinder den ganzen Nachmittag gleichzeitig am TV und Notebook lassen? Vielleicht muss ich dann auch nicht mehr kochen. Aber dann hol ich sie auch vom Gym runter und schick sie zum Kippeln zu Frau Freitag. In meiner Klasse ist dabei übrigens mal einer hinten über gekipp (el) t. Komisch, der hat das nie wieder gemacht. Kann man ja vielleicht mal den Stuhl irgendwie bearbeiten……..

      • und zu einer 1 A Hartzigkeit gehört unbedingt der tiefergelegt massive und vor allem gekachelte couchtisch mit kippen, kaffeetassen und fernbedienung. und mit den kinder bitte nicht mehr sprechen. die sollen sich nur noch mit zweitklassigem elekroschrott beschäftigen, sonst sind sie in der schule zu unauffällig …

  2. „A fistful of Dollars“ – der große Showdown:

    The man without name (Clint Eastwood) to Ramon: „When the man with a 45 meets the man with a rifle, you said the man with a pistol is a dead man“ (loads his gun). Let’s see if it’s true.“

    🙂

  3. Bin selbst Lehrerin und seit letztem Sonntag „Frau Freitag Fan“. Da hat mir meine gute Freundin und Kollegin das Buch geschenkt.

    Ja, es ist nicht immer einfach mit den Schülern, den Kollegen und dem Bildungssystem an sich. Die beste Strategie ist tatsächlich: Humor, Humor, Humor (ruhig auch mal ein bisschen schwarz).

    Musste besonders bei der Einteilung der Lehrer lachen und habe mich selbst bei den „Auf den letzten Drücker Kommenden und viel Arbeit Vortäuschenden“ eingeordnet. ;o)

    Weiter so, liebe Frau Freitag! Und viel Erfolg bei Ibo II.! (Meistens entpuppen sich ja die, die sich am Anfang so aufführen, später als harmlose Gesellen. Trotzdem: „Hart aber herzlich“ vorgehen.)

  4. Ein technischer K.O. in Runde [so schnell wie möglich] wird Dir das Leben mit Ibo leichter und den/die/das Blog um einige unterhaltsame Beiträge ärmer machen.

    Ich vermute mal, dass die alte Schule Ibo keine Träne nachweint …

  5. Oh mann, bei solchen Rotzlöffeln wünscht man sich sicher die Prügelstrafe zurück.

    Und was Schulbücher angeht; ich als ehemaliger Gymnasiumsschulen-Schüler habe damals auch nur 1-2 Schulbücher kaufen müssen und Schüler, deren Eltern kein Geld hatten bekamen das Geld auch vom Sozialamt erstattet oder kostenlos von der Schule geliehen.
    Und Workbooks sınd allemal besser als am Ende nur noch rumfliegende Kopien, dıe dazu noch stinken.
    Gibbet das überhaut noch ? Wir bekamen damals dıese Billıgstkopıen auf Altpapıer, lıla bedruckt und nach Spırıtus oder so aehnlıch stinkend, ıch hasste dıese Dınger, wenn man zuvıel daran roch wurde man fast hıgh.
    Wahrscheınlıch haben sıch dıe Lehrer damals auf Frust an den Kopıen berıeselt 🙂

    Sonnıge Grüsse aus der Türkeı !

    P.S.: scheıss türkısche tastatur !!!!

  6. „…macht dieses muslimische Schnalzgeräusch“.

    Wirklich ganz sicher ‚muslimisch‘? Also ein aus dieser Religion abgeleitetes oder durch diese induziertes Geräusch. Oder eher ein türkisch-arabisches Geräusch?

    • Hier gibts einen Text zu Schnalzlauten, in dem das erwähnt wird:

      For example, an English speaker visiting Israel and asking a hotel receptionist if there are any rooms available might be answered with a single dental click. The English speaking guest may interpret such a click as expressing negative affect, and be bewildered by what seems to be an inappropriate and perhaps impolite response on the part of the hotel receptionist. However, in Hebrew, unlike in English, a single dental click has little or no affective value; rather, it has a simple logical meaning, namely the expression of negation. Thus, the hotel receptionist was simply saying ’no‘. In fact, the use of a dental click to express negation is characteristic not just of Hebrew, but of many Arabic dialects and other languages.

      Und die korrespondierende Verteilungskarte ist hier, die roten Punkte markieren Sprachen, in denen man den Schnalzlaut als negative Antwort benutzt.

      Finde ich sehr spannend, dass die Schüler das auch so machen, diese Geschichte kann ich für mein Sprachkontaktseminar gebrauchen 🙂

      • Interessant. Aber wie sind denn nun die Erklaerungen auf der Karte zu verstehen? Bei manchen Sprachen steht da, dass es ja oder nein heissen kann, also was denn nun?
        PS: in meinem Land gibt es das Geraeusch auch und es heisst nein.

  7. Welche Nationalität hat Ibo?

    Bin gespannt auf die 2. Runde!

    Echt blöd, wenn man sich mit den Erziehungsunterlassungen der Eltern abplagen muß.
    Dazu sind Lehrer nicht da!!

    Übrigens, viel Erfolg!

  8. Juchu! Genau richtig. Den Schülern immer erst zeigen, dass man auch ein Ar*** sein kann. Wenn das drin ist, kann man ruhig nett sein. Und zu den Workbooks: eigentlich ist doch festgelegt, wie hoch der Elternanteil ist. Wir dürfen an unserer Schule von den Etern nicht mehr verlangen, als das, was der Rahmen dieses Anteils hergibt (meist 1 Lehrwerk). Das führt dazu, dass wir in Deutsch im Moment nur mit Kopien arbeiten können, da unser Etat leider dafür aufgebraucht wurde, die Chemikalien der Hauptschule zu entsorgen, in deren Gebäude wir gezogen sind. Super attraktiv für unsere Schüler, die alle Kopien natürlich mit Liebe farig gestalten *hust* und selbstverständlich *hust* ordentlich *röchel* abheften. Ich finde Bücher gut und angesichts der Tatsache, was Eltern in anderen Ländern für Bildung ausgeben müssen, sind ein paar Workbooks wohl zu verschmerzen. Sollten dann natürlich auch genutzt werden.

  9. Frau Freitag. Es ist 23:39, Sonntag… in wenigen Stunden werde ich wieder zur Arbeit gehen…Eine anstrengende Woche liegt vor mir….und ich lese über dieses „Schnalzen“, DIESES SCHNALZEN….mein gerade überwundender Burnout … wieder da! Toll gemacht. SIE haben Ferien. Ich NICHT! Ich war in meiner alten Firma Ausbilder einer zu keiner Ausbildung fähigen Auszubildenden (wir waren der 3. Betrieb, der es versuchte….grusel) und dann …. dann gab es noch diesen 36 jährigen …. nennen wir ihn „Diesen 36 jährigen“. Die Azubine hatte es mal wieder mit „diesem 36 jährigen“…Es flogen mitten im Büro die Fetzen und ich als Teamleiter und Ausbilder hatte die undankbare Aufgabe, diese Leute wieder zur Raison zu bringen. Auf die Frage, was denn ein erwachsener Mann sich dabei denkt, sich SO zu verhalten, erntete ich auch nur „Schnalzen“. Beispiele: „36 jähriger Kollege“, in dieser Sachlage xyz, konntest du da etwas erreichen? –> „Schnalzen“….“36 jähriger Kollege, warum mischt du dich in die Ausbildung ein, du kannst einer Auszubildenden nicht in meiner Abwesenheit befehlen, sie solle sofort die Berufsschule schwänzen und zur Arbeit kommen, wir beide bekommen bald hier richtig Ärger…“ Reaktion: Verächtliches Schnalzen. Das der Geschäftsführung berichtet…Achselzucken und der Hinweis, dass sich noch über besagte Kollegen (Azubine und 36 jähriger Kollege) einige Kunden beschwert hätten, bitte um Rückruf… In besagter Firma bin ich nun nach einem bipolaren Hörsturz, einem Burnout und einer Migräneattake nun nicht mehr. Leider reicht schon das Lesen einiger „Anekdoten“ („Schnalzen“….) aus, um jenen Burnout zu reaktivieren…. >< Bevor ich nun Mitleid bei Ihnen errege…ich war selbst ein wirklich schlimmer Schüler (alles was Sie so beschreiben, war ich selbst mal….nie Bücher am Start…Stifte…waren am 3. Tag spätestens weg….aber sowas von) und ich habe echt mal ein Lehramtsstudium angefangen. Und sowas von abgebrochen…..so, ich rauch noch eine und gehe morgen brav in mein Büro, wo ich "nur" viel zu tun habe, aber keinerlei Führungsverantwortung für irgendwelche nicht zu handlebaren Personen habe….Ah, ich gönn mir morgen n Käsebrötchen, mit Körner und Tomate und Gurke. Und versuche noch schnell diese Burnoutepisode wieder zu vergessen. Gute Nacht.

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