Film – der Schluss und das Fazit


So, vollbracht, jetzt haben wir den letzten Teil des Films geguckt. Und ich muss sagen – es war recht unspektakulär. Viele Kommentatoren hier vermuteten ja, dass sich die Schüler über die scheiternden Protagonisten lustig machen würden. Das war ÜBERHAUPT gar nicht der Fall. Es gab nicht eine blöde Bemerkung von meiner Klasse. Nicht, als Michelle aufhört sich zu bewerben und nur noch einen Wohnung für sich und ihren neuen Freund sucht, nicht als Florian mit der dubiosen Nazijacke da sitzt und sagt „ich liebe meine Land, aber ich hasse den Staat“ und auch nicht, als Ivan seinen angepeilten Abschluss nicht schafft.

Lacher gab es von uns allen, als Florian bei der Bundeswehr gefragt wird, ob er irgendwelche speziellen Fähigkeiten hätte: Computer – nein; Führerschein – nein; Klettern – nein; Skilaufen – nein; Erste Hilfeschein – nein; Sportabzeichen – ja – Seepferdchen.

Komisch, obwohl er doch Seepferdchen und einen einfachen Hauptschulabschluss hat, hat die Bundeswehr ihn dann doch nicht genommen. Dabei wollte er sich doch für 12 Jahre verpflichten. Vielleicht sollte ich mehr Werbung für eine berufliche Zukunft bei der Bundeswehr machen – jetzt sollen die dort ja sogar Leute nehmen, die keinen deutschen Pass haben.

Nach dem Film sagte Esra: „Die haben es alle nicht geschafft.“ Kurzes nachdenkliches Schweigen.

Dann entspann sich eine Diskussion über den Wert von: „Ich mach den Abschluss noch mal auf OSZ.“ Die Wiederholer in meiner Klasse und die etwas fleißigeren Schülern sind davon überzeugt, dass man in diesen Schulen wahrscheinlich keinen besseren Abschluss machen wird, weil man sich dort auch nicht anstrengen wird. Die Schüler, die das vorhaben, wollen das natürlich nicht hören und glauben fest an einen Neuanfang. Bilal sagt, dass alle seine Freunde das Probehalbjahr auf dem OSZ bestanden hätten.

Hat das ganze nun was gebracht?

Die Schüler haben sich den Film aufmerksam angesehen. Sie haben sich gemerkt, wie viele Bewerbungen die Jugendlichen geschrieben haben, wie viele Absagen sie bekamen und wie sie am Ende zugaben, dass sie völlig unrealistische Ziele und Vorstellungen hatten. Ich habe sie dabei beobachtet und sie taten mir leid.

Niemals würde ich mit ihnen tauschen wollen. Floristin – da ist das der Traumberuf von dieser Michelle. Und dann bekommt sie dafür noch nicht mal einen Ausbildungsplatz. Ich würde nicht mal einen haben wollen. Ich würde weder als Floristin, noch als Industriemechnikerin arbeiten wollen und mich schon gar nicht für 12 Jahre bei der Bundeswehr verpflichten. Okay, wahrscheinlich will auch keine Jugendlicher Lehrerin sein. Wollte ich ja in dem Alter auch nicht.

Es wird schon irgendwas hängengeblieben sein.

Ayla sagte mir, als ich sie ermahnte nicht so viel mit Marcella zu quatschen, sondern den Film anzusehen: „Aber Frau Freitag, warum soll ich mir das ansehen? Ich werde schon noch früh genug mitkriegen, wie das ist.“ Und damit hat sie wahrscheinlich gar nicht so unrecht.

Ich glaube die sind erwachsen geworden und ich habe es gar nicht gemerkt.

Film Teil 3


Also weiter. Im Film sieht man die Jugendlichen, die an einem Berufskolleg ihren Abschluss verbessern wollen. Sie lesen irgendwas vor, alle sehen sehr gelangweilt aus, einige tragen Mützen. Eine äußerst bedrückende Stimmung. „Hier guckt, die machen das, was viele von euch auch machen wollen. Den Abschluss verbessern auf einem OSZ.“ Schweigen.

OSZ – das ist das Zauberwort in der 10. Klasse. „Ich geh OSZ und mach Realabschluss.“ Wenn man erst mal so weit ist, dann kann man sich bequem zurücklehnen und muss sich weiter keine Gedanken machen. Meine Schüler denken, dass sie das AUF JEDEN FALL dort schaffen. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Würde ich mir auch einreden.

Zurück zum Film: Bei Ivan läuft es gut. Er darf in seiner Berufsschule auch an so Metalldingern rumfummeln. Und dann kommt die Szene, bei der alle voll aufmerksam sind. Ivan erzählt, wie er einen Jungen verfolgt, der sich dann verletzt hat und jetzt hat Ivan eine Anzeige. Seine erst Anzeige. Er denkt, dass der Richter im glauben wird, dass er nichts gemacht hat. Das wird noch sehr interessant. Meine Schüler werden ganz schön doof gucken, wenn sie sehen, dass der Typ dafür eine Woche in den Jugendarrest gehen muss.

Dann sehen wir, wie der Junge, der zur Bundeswehr will bei einer Maßnahme einen Holzfisch feilt. „Ahhhh, das haben wir auch gemacht.“ schreien Esra und Abdul los. Ja, wir haben uns letztes Jahr eine Woche lang so eine Maßnahme angesehen und dort Fische gemacht.

Bis dahin hatten wir den Film gesehen. Eigentlich läuft da ja noch alles recht gut für die Jugendlichen. Darum kann ich noch gar nicht sagen, ob die Schüler sich später, wenn die Protagonisten scheitern, von denen durch blöde Bemerkungen distanzieren werden. Bisher hat meine Klasse interessiert und ohne dumme Kommentare alles über sich ergehen lassen. Marina – eine sehr schlaue und ehrgeizige Schülerin meiner Klasse vermutet, dass diese Michelle gleich schwanger wird. Vom Typ her wäre sie so eine, die mit 17 ein Baby bekommt.

So, morgen geht es weiter. Ich bin gespannt.

OSZ =Oberstufenzentrum

Film Teil 2


„Machen wir kein Kunst?“ fragt Asma, während ich an dem Laptop rumfummele. „Nein, ich will euch heute einen Film zeigen.“ Scheiße, wo ist das Netzkabel von dem blöden Gerät? Ah, da. Mist, warum geht der Film jetzt nicht? „Abdul, komm mal.“ Abdul kommt, checkt und stellt fest: „Frau Freitag, Sie haben das als MP4 runter geladen. Wir müssten jetzt aus dem Internet ein Programm downloaden… “

Mist, Mist, Mist, scheiß Medienkompetenz – da war ich nun so froh, dass ich den Film überhaupt runter geladen habe. Naja, dann Plan B – Computerraumschlüssel holen, Abdul vorschicken, den Beamer anzuschließen, dann alle rüber.

„Ich habe neulich einen Film im Fernsehen gesehen, da dachte ich, der ist extra für euch gedreht worden. Und den will ich euch jetzt zeigen. Film ab!“

Alle gucken. Esra und Elif diskutieren, ob das singende Mädchen arabisch oder türkisch ist. Ich werte das als einen ersten Identifikationserfolg. Dann beim Gruppenfoto der Schüler werden die Mädchen mit Kopftuch gezählt. Miriam fragt: „Ist das in Deutschland?“ Miriam und viele andere können sich wahrscheinlich nur schwer vorstellen, dass die Welt hinter ihrer eigenen Straße und den angrenzenden Querstraßen tatsächlich noch weiter geht.

Und dann: Die Schwebebahn. Die von mir leider völlig unterschätzte Schwebebahn. Für Leute, die den Film in ihren Klassen zeigen wollen – macht das so: „Ich zeige euch jetzt einen Film und da kommt eine Schwebebahn drin vor.“ – Tafelanschrieb: die Schwebebahn (eine Schwebebahn). Vorwissen abfragen, dann erklären, warum die nicht runterfällt. Dann den Film anmachen, wenn die Schwebebahn das erste Mal auftaucht, den Film anhalten und jeden Schüler etwas zur Schwebebahn sagen lassen.

Ich lasse den Film laufen und plötzlich ein heillosen Durcheinander: „Aäääähhh, was das? Wieso fällt die nicht runter?“ Abooooo, niemals würde ich damit….“ „Kenn‘ ich, kenn‘ ich, Frankfurt“ „Is immer noch Deutschland, Frau Freitag?“

Dann kommt dieser Ivan, der zum Arbeitsamt fährt. Im Film heißt es: „Ivan hat einen Termin um acht Uhr.“ Auf der Schwebebahnhofsuhr ist es 20 vor acht. Ich denke – der kommt doch zu spät und will die Schüler darauf hinweisen. Die gucken aber zu konzentriert. Bilal und Abdul diskutieren leise, ob Ivan nicht genau wie Hakan aus der Parallelklasse aussieht. Als die Bahn kommt ist es bereits 17 Minuten vor acht. Stellvertretend für Ivan werde ich unruhig. Nur noch 17 Minuten, na ja, da muss das Arbeitsamt aber direkt an der Station liegen. Wenn er jetzt noch zu Fuß gehen muss…
Die Hakan-oder-nicht-Hakan-Diskussion weitet sich aus. Ich habe Angst, dass die Schüler nicht mehr richtig zuhören. „Habt ihr gehört, wie viele Bewerbungen er abgeschickt hat?“ Die gesamte Klasse im Chor: „Dreißig!“

Dann wird Michelle gezeigt. Fatma: „Frau Freitag, was ist Floristin?“ Ich erkläre.
Dann wieder Ivan. Im Kommentar heißt es „Währenddessen ist Ivan DURCH DIE GANZE STADT zum Arbeitsamt gefahren. Zum dritten Mal.“ Jetzt sieht man ihn gemütlich zum Arbeitsamt schlendern. ZU SPÄT!!! Der kommt GARANTIERT zu spät. Innerlich kriege ich mich gar nicht mehr ein. Ivan ist für mich schon unten durch. Wie kann der so gemütlich laufen. Wo ist eine Uhr? Warum beeilt der sich nicht? Aus dem wird bestimmt GAR nichts mehr.

Dann der Berufsberater. Brille, lange Haare, Zopf – Hippie. Haaa, denke ich – der sieht ja original aus, wie der neue Kollege – der aus der Zalandowerbung. Ich gucke zu den Schülern. Keiner sagt was. Merken die das nicht? Soll ich sie darauf hinweisen? Aber wenn ich das mache, dann verstehen die wieder nicht, was der Typ sagt. Ich schweige also.

Dann geht es um Restausbildungsplätze und so. Ich stoppe den Film und frage in die Runde, ob jemand weiß, wann das nächste Ausbildungsjahr beginnt. Sie wissen es. Sie wissen auch, wann man sich bewerben muss. Sie sind echt gut informiert.

Morgen mehr.

Auf euch – wartet keiner Teil1

Es ist schon voll spät. Ich voll müde und so. Aber ich will euch nicht vorenthalten, dass ich heute en Film mit meinen Schülern geguckt habe. Technische Probleme zwangen mich allerdings den Film an der Stelle zu stoppen, wo der Industriemechanikertypi auf er Schaukel sitzt und erzählt, dass er eine Anzeige hat.

Da ich das Ende nicht im Pausenklingeln zeigen wollte teilen wir nun die Vorführung und sehen den Rest am Montag.

Aber hier eine kleine Mitmachaufgabe: Seht euch mal den Film bis zu der Stelle an und dann schreibt mir doch mal, was ihr denkt, wie die Schüler auf was reagiert haben. Würde mich interessieren.

Statt im Bett stundenlang im Chat


Frl. Krise erzählt mir von ihrem Tag. Ich stöbere dabei durch mein Kinderfacebook. Wir klagen uns gegenseitig unser Leid. Wir verstehen nicht, wie sich unsere Schüler so wenig für ihre Zukunft interessieren können – also Schule, Schulabschluss, Ausbildung… Plötzlich macht es plopp und dieses Chatfenster geht auf und ich sehe Asmas Bild.

Asma: frau Freitag müssen sie nicht schon im bett liegen ??

Ich: ja.

Asma: was hält sie auf ?

Ich: meine klasse

Asma: hahahaha und wiesoo ?

Ich: weil ich mich frage, welchen abschluss du eigentlich verfolgst

Asma: ehmm real

ich: wie denn

Asma: indem ich lerne und nicht zuspät komme hab ich eigendlich am montag vorgehabt

ich: wann fängst du damit an?
meinst du nicht, dass du dir eigentlich was vormachst?

Asma: montag nächste woche versprochen kein schwänzen nur wen es richtige gründe gibt
nein ich mach mir nichts vor ich weiß was ich tuhe

ich: na, dann ist ja gut.

Asma: frau freitag ich hab eine frage haben seugetiere auch deren tage ?

ich: ist nur nicht mehr viel zeit und ich würde mich an deiner stelle ärgern, wenn ich meine chance auf einen guten abschluss so verkacke
ach zu deiner frage:
ich glaube ja. ich hatte mal einen freund und der hatte eine dogge – einen großen hund und die hatte ihre tage, aber ich glaube nicht so oft wie menschen. aber
das musst du mal frau müller oder herrn werner fragen.
ich frage die auch mal morgen. interessiert mich auch.

Asma: versprochen nächste woche anstrengen kein schwänzen nur lernen und pünktlich sein / OKAY ICH FRAG DAN HERR werner HAHHA TIERE BEKOMMEN AUCH TAGE HÄTTE ICH NICHT GEDACHT HAHAH ja ich kann auch interessante fragen stellen

ich: ja.
bis morgen. kunst – 8.00uhr!!!

Asma: jaaa haben wir eig. ein neues thema ?

ich: morgen will ich noch mal blumen aquarellieren.
so. ich muss jetzt ins bett. bis morgen, meine liebe. .)

Asma: asoo okayyy guttt okkay guten nacht

Ich: guten nacht. mach nicht mehr so lange.

Asma: okayy ich geh auch gleich ins bett

ich: TSCHÜß

Das Fernsehen als fieser Spiegel


Neulich habe ich was voll gutes im Fernsehen gesehen. Die Story – eine Dokumentation über eine Handvoll Wuppertaler Hauptschüler, die vom Tag ihres Schulabgangs zwei Jahre begleitet werden. Super! Der Titel „Auf euch – wartet keiner“ auch sehr schön. Begeistert klebte ich vor der Glotze.
„Ich will Floristin werden… ich Feindingensmechaniker… ich will zur Bundeswehr…“ Suuuuper. Und dann – härtester Realitycheck. Ha!

„Huch… mit dem schlechten Zeugnis werden ich gar nicht überall genommen?
Ähhhh, ich wollte mich doch für 12 Jahre verpflichten und dort eine Ausbildung zum Koch machen…ähhh und jetzt nehmen die da nur Realschüler….?
Hmmmm…naja, mache ich erst mal Schule – mache ich den Realschulabschluss nach und dann….
Super, ich habe gleich ein Praktikum als Floristin bekommen!“

Und dann nach einem Jahr – „Das ist doch Ausbeutung ein Praktikum… das habe ich geschmissen. Jetzt habe ich viele persönliche Probleme… da kann ich mich jetzt nicht so um Bewerbungen kümmern.“
„In Mathe hatte ich eine zu schlechte Note, nee, den Realschulabschluss habe ich nicht bekommen. Tja, jetzt muss ich mal sehen. Ich habe gleich einen Termin beim Arbeitsamt. Aber ich finde mein Zeugnis nicht…“

Ich konnte mich gar nicht sattsehen. „Freund, Freund komm mal, guck dir die Traumtänzer man an! GENAU WIE MEINE KLASSE!!!! ABER ORIGINAL. Nie sind sie selbst schuld an irgendetwas. Immer die Anderen. Die Umstände, die scheiß Firma, der Staat, die vielen persönlichen Probleme…

„Ich suche jetzt erst mal eine eigene Wohnung – ich will mit meinem Freund zusammenziehen.“

Das MÜSSEN meine Schüler sehen. Ich habe schon alles geplant: Sie kommen rein. Der Beamer steht schon da. Alles fertig. Wortlos drücke ich auf play und warte. Das müssen die sich reinziehen. Die Sprüche von diesen Schülern da – höre ich alle täglich. Und dann können sie sich mal angucken, wie es ihnen in den nächsten zwei Jahren gehen könnte. Und wenn sie fertig geguckt haben, dann mache ich aus und dann: stummer IMPULS. Einfach warten, was sie sagen.

Uiiiiiiii, ich freue mich so drauf. Ich das wird herrlich, sie dabei zu beobachten.

Ich liebe meine Klasse


„Ihr hattet doch gestern bei dem neuen Mathelehrer, oder? Wie war das denn?“
Jetzt kann alles kommen. Ich versuche in den Gesichtern meiner Schüler zu lesen. Wird das was mit dem neuen Lehrer oder nicht? Es schreit schon mal keiner auf: „Aboooo, er ist voll behindert der Mann.“ Eigentlich ein gutes Zeichen.

„War nett.“ sagt Elif.
„Der ist lustig.“ sagt Bilal
„Habt ihr denn gut mit gemacht im Unterricht?“ will ich wissen.
Esra: „Frau Freitag, wir haben noch gar keinen Unterricht gemacht. Wir haben uns nur kennengelernt.“
„Kennengelernt?“
„Ja wir haben so gequatscht. Abdul hat so seine Stories erzählt.“
Oh no. Der arme neue Lehrer. Esra sieht was ich denke: „Nein, Frau Freitag, keine Angst, war echt voll nett und er fand Abdul voll lustig. Und er hat uns sein Leben erzählt.“

„Echt?“
„Ja, Sie müssen nett sein zu ihm, er hatte früher immer Ärger mit Lehrern. Und mit Schulleitern und so. Aber wir haben gesagt, da muss er hier keine Angst haben, die sind alle nett. Hier sind nur die Schüler blöd.“

„Wissen Sie wie er aussieht, Frau Freitag? Er sieht voll aus wie aus der Zalando Werbung. Voll ein Hippie“ ruft Funda.
Stimmt. Ich hatte ihn kurz vor den Ferien im Lehrerzimmer kennengelernt. Nickelbrille, lange Haare, Zopf. Hippie.

„Ich habe gefragt, ob er schon über 60 ist.“ erzählt Asma.
Esra: „Ja, hahaha, aber er ist erst 48. Und er hat gefragt, ob er schon so alt aussieht.“

„Na, da hat er sich aber gefreut, oder? Aber schön, dass es so gut lief. Bleibt mal dabei. Macht gut mit und seid nett, ihr könntet wirklich alle gute Noten in Mathe gebrauchen. Und jetzt guckt mal alle auf das Arbeitsblatt von gestern. Wer liest denn mal die zweite Aufgabe vor?“

Sie lesen, ich erkläre. Sie lesen was in Englisch, ich übersetze, wir machen alle Aufgaben erst mündlich und dann lasse ich sie die noch mal schriftlich machen. Alle machen mit und alle verstehen alles. Keiner stört, beim Schreiben ist es total still. Dann scheint draußen auch noch die Sonne. Kurz vorm Klingeln trage ich jedem eine gute Mitarbeitsnote ein und wir gehen gemeinsam in die Pause. Im Referendariat hätte man mir diese Stunde um die Ohren geschlagen. In der Realität haben mich diese 45 Minuten glücklich gemacht.

Softer Start


Ach war eigentlich ganz okay, wenn man nicht zu viel erwartet. Irgendwann waren alle da. Ziemlich viele hatten auch ihre unterschriebenen Zeugnisse mit. Einige hatten sogar Stifte und Blätter dabei. War wie immer. Nach fünf Minuten sind die Ferien wie weggepustet.

In meinen Freistunden habe ich mich erst mal auf die neue Kollegin gestürzt. „Soll ich dir das hier erklären, komm ich zeig dir wo das ist und wie man das macht.“ Dies-Das halt. Und sie nach der ersten total verkackten Stunde (war ihre zweite Stunde heute) moralisch wieder aufgebaut: „Die Siebten haben alle einen Knall. Mach dir nichts draus. Keiner gestorben reicht doch für den Anfang.“

Mein Lieblingskollege hat eine Klasse bekommen. Einfach so. Und er ist ganz begeistert von den Schülern. Schön. Freut mich wirklich für ihn. Ich weiss, dass er innerlich denkt, und es leider auch manchmal ausspricht, dass ER was ganz Tolles aus dieser Klasse machen wird. Das denkt man immer. Das dachte ich auch, als ich meine das erste Mal sah. „Die werden bestimmt alle Abitur machen…dafür werde ich sorgen. Wäre doch gelacht…“ Und dann – erste Abstriche: „Na ja, reicht ja auch, wenn ein paar hier mit ’nem Realschulabschluss rausgehen.“ Dann zweite Abstriche: „Ach, ein guter Erweiterter ist doch auch okay.“ Dann dritte Abstriche: „Ist doch schon okay, wenn sie sich nicht schlagen und immer kommen.“ Vierte Abstriche: „Ist doch schon mal gut, wenn sie sich nicht schlagen.“ Dann: „Schön, dass sie sich nicht mehr so doll schlagen.“ Und jetzt: „Naja, Hauptsache ich war im Unterricht.“

Abspecken ist die Devise, sonst hält man das nicht durch. Aber irgendwie süß wie der Lieblingskollege immer noch davon träumt, dass SEINE alle studieren werden.

Eine neue Geschäftsidee


Morgen geht es wieder los. Unglaublich, dass dieses Zweitleben – auch Ferien genannt – immer so schnell zuende ist. Und was wollte ich nicht alles machen…und was habe ich alles nicht nicht gemacht. Nicht mal ansatzweise habe ich mich meinem Schreibtisch genähert. Hätte vielleicht auch nicht zur Erholung beigetragen.

Das einzige, was ich in Richtung Arbeit getan habe, war Chatten mit den Schülern. Wir haben uns gegenseitig bedauert und gejammert. Eben habe ich gerade Marcella ausgerechnet wie viele Tage sie noch Schule hat. Sind nicht mehr viele – etwa 70 Unterrichtstage. Fällt ja noch viel aus. 70 durch 5 – geht ja nicht… naja, etwa noch 14 Wochen. Und dann können sie ins Leben raus. Schlecht vorbereitet, aber guten Mutes werden sie sich dann durch ihr eigenes Leben krepeln. Was wohl aus denen wird?

Was wohl aus mir wird… kann ich nicht auch noch mal eine Ausbildung machen? Frau Dienstag hatte ja überlegt, ob sie nicht als Erzieherin arbeiten könnte. Ich würde gerne was total asoziales machen. Wahrscheinlich wäre das dann was mit Medien oder Werbung. Ja, Werbung für was BÖSES.

Werbung für Waffen. Werbung für Waffen als Postwurfsendung – gefakt als Gewinnspiel. Wird in alle Briefkästen geschmissen – auch in die, die KEINE WERBUNG draufstehen haben. Wäre auf jeden Fall asozial.

Möchte nicht jemand anderes morgen für mich zu meiner Arbeit gehen? Tief seufzend ein- und ausatmen, die Augen rollen, wenn sie ihre Zeugnisse nicht dabei haben, lächeln, meckern, lächeln, meckern, die Schüler würden gar nicht merken, dass das nicht ich bin.

Frl. Krise, lass mal eine Firma gründen. Wir bieten folgenden Service an: „Kein Bock auf Malooooche??? Mieten Sie sich ein Ersatzselbst und bleiben Sie gemütlich im Bett.“
Wir könnten dann immer für die Leute zur Arbeit gehen. Jeden Tag ein anderer Job – wird also auch nie langweilig. Wir könnten sogar einen neuen Blog starten. Vorbereiten müsste man sich auch nicht dolle, wäre ja nur für einen Tag und da schummelt man sich so durch. Die Kunden würden uns ja erzählen, was sie so täglich machen. Wir müssten uns noch nicht mal verkleiden, denn die Arbeitgeber würden ja schnell merken, dass unser Service die Arbeitnehmer vorm Blaumachen schützt.

Die Firmer (hahahahah wie schreibe ich denn Firma????) nennen wir: Stay at home – we work for you.
oder: Du brauchst ’ne Pause? Bleib zu Hause.

Frl. K. was sagste? Biste dabei? Oder willst du immer und immer nur, bis zum Lebensende, in der Schule arbeiten? Vielleicht macht Frau Dienstag auch mit. Für handwerkliche Jobs und Führungspositionen könnten wir ja sie schicken. Ich würde gerne so monotone Sachen machen. Kasse, Einpacken, Auspacken, Einsortieren, Briefe stempeln, gerne auch Akkord.

Also ich finde das ist eine sehr gute Geschäftsidee. Ich werde erst mal checken, ob es so was schon gibt. Vielleicht finde ich ja auch jemanden, der mir meinen Unterricht für morgen vorbereitet.

Ab ins Wasser


Ferien – Zeit für Neues. Frau Dienstag und Ich gehen heute zur Aquagymnastik. Da muss man früh da sein. Kein Problem. Wir sind die ersten. Dann kommen viele kleine dicken Frauen. Alle viel älter als wir. Umziehen und ab zum Becken. Ich blind. Ohne Brille ich ich echt behindert. Ich taste mich zur Leiter. Das Wasser ist kälter, als ich gehofft hätte.

„Hmmmmm, schön warm.“ sagt Frau Dienstag.

Ich friere seit Oktober durchgehend. Ich esse und esse, um mich aufzuheizen – nützt aber nichts. Nachts schlafe ich mit fünf Decken und werde trotzdem nicht warm. Hoffentlich erwärmt man sich durch dieses Rumhüpfen im Wasser. Ich stehe irgendwo in der Mitte und dann geht die Musik an und wir hampeln im Becken rum. Ab und zu stosse ich in die weiche Flanke der Frau neben mir. Die hinter mir schaufelt mir dauernd Wasser in den Nacken. Irgendwann drehe ich mich um und gucke sie vorwurfsvoll an. Ich wollte mir später nicht die Haare föhnen.

Das Wasserjoggen ist echt anstrengend. Ich frage mich, warum die Frauen, die meisten von den anderen Frauen so dick sind. Frau Dienstag freut sich, dass wir so jung und sportlich aussehen.
Irgendwann ist die Stunde rum und wir gehen was essen. Ich muss weiter heizen, mir ist immer noch kalt. Sogar hier unter der Decke auf der Couch. Und meine Nase ist auch schon ganz blau gefroren.

Das war wieder ein Ferientag. Viel passiert echt nicht. Gut, dass die Schule bald wieder anfängt