Das Fernsehen als fieser Spiegel


Neulich habe ich was voll gutes im Fernsehen gesehen. Die Story – eine Dokumentation über eine Handvoll Wuppertaler Hauptschüler, die vom Tag ihres Schulabgangs zwei Jahre begleitet werden. Super! Der Titel „Auf euch – wartet keiner“ auch sehr schön. Begeistert klebte ich vor der Glotze.
„Ich will Floristin werden… ich Feindingensmechaniker… ich will zur Bundeswehr…“ Suuuuper. Und dann – härtester Realitycheck. Ha!

„Huch… mit dem schlechten Zeugnis werden ich gar nicht überall genommen?
Ähhhh, ich wollte mich doch für 12 Jahre verpflichten und dort eine Ausbildung zum Koch machen…ähhh und jetzt nehmen die da nur Realschüler….?
Hmmmm…naja, mache ich erst mal Schule – mache ich den Realschulabschluss nach und dann….
Super, ich habe gleich ein Praktikum als Floristin bekommen!“

Und dann nach einem Jahr – „Das ist doch Ausbeutung ein Praktikum… das habe ich geschmissen. Jetzt habe ich viele persönliche Probleme… da kann ich mich jetzt nicht so um Bewerbungen kümmern.“
„In Mathe hatte ich eine zu schlechte Note, nee, den Realschulabschluss habe ich nicht bekommen. Tja, jetzt muss ich mal sehen. Ich habe gleich einen Termin beim Arbeitsamt. Aber ich finde mein Zeugnis nicht…“

Ich konnte mich gar nicht sattsehen. „Freund, Freund komm mal, guck dir die Traumtänzer man an! GENAU WIE MEINE KLASSE!!!! ABER ORIGINAL. Nie sind sie selbst schuld an irgendetwas. Immer die Anderen. Die Umstände, die scheiß Firma, der Staat, die vielen persönlichen Probleme…

„Ich suche jetzt erst mal eine eigene Wohnung – ich will mit meinem Freund zusammenziehen.“

Das MÜSSEN meine Schüler sehen. Ich habe schon alles geplant: Sie kommen rein. Der Beamer steht schon da. Alles fertig. Wortlos drücke ich auf play und warte. Das müssen die sich reinziehen. Die Sprüche von diesen Schülern da – höre ich alle täglich. Und dann können sie sich mal angucken, wie es ihnen in den nächsten zwei Jahren gehen könnte. Und wenn sie fertig geguckt haben, dann mache ich aus und dann: stummer IMPULS. Einfach warten, was sie sagen.

Uiiiiiiii, ich freue mich so drauf. Ich das wird herrlich, sie dabei zu beobachten.

Allgemein

35 Gedanken zu “Das Fernsehen als fieser Spiegel

      • Ist nix mit hihihi!

        Die Kinder werden einsehen, dass sie zu den Verlierern gehören und dass jede Mitarbeit im Unterricht keinen Sinn hat.

    • Seh ich aehnlich.
      Selbstreflexion ist sehr langwierig und ich kenn Leute, die nach einem halben Jahr taeglicher Therapie sowas noch nicht hatten.
      Der Schreiber des bestatterweblogs erwaehnte mal, dass er von der Realen Person hinter einer immer wiederkehrenden Figur seines Blogs auf diesselbe angesprochen wurde und die Person war sich nicht darueber im Klaren, dass jedesmal sie gemeint war.

  1. Kann ich da dabei sein? Oder, noch besser: Filmen Sie das ebenfalls und unterlegen Sie es dann mit Kommentaren… Das wäre so genial. 🙂

  2. Frau freitag, aus dem Festsetzen in Kopf wird wohl nichts werden. Grund: pubertäre Demenz.
    Mein Lieblingssatz aus der Sendung kam von dem Typ, der schon ein paar Tage im Jugendarrest saß: „Die Kinderzeit ist jetzt vorbei…“
    Ach…schon?

  3. Ach, ich weiss nicht, ob Sie sich die Hoffnung machen sollten … es gab ja mal diese Studie in den USA:

    http://www.capital.de/karriere/job/:Zu-dumm–Warum-sich-inkompetente-Menschen-masslos-ueberschaetzen/100032030.html?mode=print

    Und irgendwie denken die meisten, daß sie besser sind als der Durchschnitt (nein, nicht der Median, falls wieder einer damit anfängt ;o) – klappt aber schon mathetechnisch nicht.

    Kann also gut sein, daß getreu dem SEHR alten Motto „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?“ abfällige Kommentare über die Akteure der Doku kommen, die eigene Zukunft aber deutlich rosiger gesehen wird.

    JMHO, bin aber trotzdem gespannt, was bei Ihrem Experiment herauskommt (wenn Sie es denn durchführen).

    • So, Eselskappe auf und ab in die Ecke – jetzt hab‘ doch ich den Bock gerissen und Durchschnitt und Median vertauscht ! Excuse of the day ? aboo, is halt schon spät !

  4. Es passt ja genau in eine Schulstunde, aber bis die sitzen und so.. Hoffentlich haben Sie eine Doppelstunde!
    Im Übrigen stimme ich auch dagegen, wie Verzagter Realist, das wird mit Ihren Schülern üüüüüüüüberhaupt NICHTS zu tun, ich schwöre! Und wie unfair die alle zu denen sind, vallah!

  5. Wenn Sie im Reality-TV Ihre Schüler wiedererkennen, dann müsste Sie das doch stutzig machen: Die Klasse im Fernsehen ist so. Ihre Klasse ist so. Andere Klassen in ähnlicher Situation sind nicht anders. Kann das Zufall sein oder an der persönlichen Unzulänglichkeit der faulen Schüler liegen? Nein. Als übergreifende Erklärung verbleiben (a) das Sarrazin-Gen und (b) strukturelle Hindernisse, die Ihre Schüler (und all die anderen) davon abhalten, „etwas aus sich zu machen“.
    (a) scheidet aus. Bleibt (b).
    Die Herausforderung (nicht für Sie persönlich, für die Gesamtgesellschaft!) lautet also: strukturelle Hindernisse identifizieren und beseitigen. Dann klappt’s auch mit dem Schulabschluss.
    Ach ja: Für Ihre TV-Vorführung folgt daraus meiner Ansicht nach, den Schülern vor der Show die Frage mitzugeben: Was hindert die Filmfiguren daran, zu dem zu werden, was sie werden wollen?

    • >> Die Herausforderung (nicht für Sie persönlich, für die
      >> Gesamtgesellschaft!) lautet also: strukturelle Hindernisse
      >> identifizieren und beseitigen. Dann klappt’s auch mit dem
      >> Schulabschluss.

      Ist ein bisschen inhaltsleer, was ist gemeint ?

      Mehr Makro (Gesellschaft/Staat verteilen Geld mit der Giesskanne ohne Evaluierung, ob das was bringt) ? mehr Millarden in eine Sozialindustrie pulvern, die ihr Versprechen nicht haelt, ja nicht halten kann/will, weil sie sonst die Daseinsberechtigung verliert ? wie im Film Geld in gefakede Werkstaetten und gesponserte Praktikumsplaetze pumpen, damit die Jugendlichen in einer Massnahme/Warteschleife und damit raus aus der Arbeitslosenstatistik sind ?

      Oder mehr Mikro ? (finanzieller) Druck auf die Eltern bei erkennbar mangelnder Unterstuetzung der Kinder ? Herausloesung der Kinder aus schwierigen Milieus, z.B. in Form von Internatsschulen ? Kindergartenpflicht fuer alle ab 3 ? solche und aehnliche Punkte waeren sicher nicht billig, wuerden m.E. aber insgesamt billiger kommen als Folgekosten in Form von Hartz 4 lebenslang.

      jmho

    • Dann vielleicht offener fragen: Warum haben die einen Erfolg und die anderen nicht?
      (Dass keiner Erfolg hat, wissen die Schüler dann erst hinterher.)

  6. Die „story“ hat mir auch gefallen.
    Bin gespannt wie Ihre Schüler reagiert haben 🙂

    Gerne würde ich auch diese Schüker in 10 jahren nochmal sehen und höre, was mag dann wohl aus ihnen geworden sein?

  7. Super Idee! Aber ob es wirklich in den Köpfen bleibt ist fraglich – da ist doch diese Pubertätsdemenz.

    Wer die Sendung übrigens verpasst hat oder gerne noch einmal sehen möchte:
    Donnerstag, 10. Februar 2011, 14.15 – 15.00 Uhr (Wdh.)

  8. Ich würde ne kurze Pause empfehlen – nach den ersten Sequenzen, wo die alle sagen was sie wollen- Kurzer Einwurf: „Jeder überlegt mal, wer sein Ziel erreicht und wie.“ Paar Sekunden warten – weiter. Vielleicht fangen die an, sich mit denen im Film zu identifizieren und dann ist es umso härter, wenn die Akteure alle am Ende scheitern??

  9. Oh je, Frau Freitag, ich hab jetzt den gesamten Beitrag auch gesehen und – ganz ehrlich – er macht mich unglaublich traurig und betroffen. :o( Da läuft doch wirklich schon im Elternhaus was falsch. Diese Jugendlichen kamen mir so einsam vor und ausgerchnet in der schwierigen Phase namens „Pubertät“, in der sie sich irgendwie selber finden müssen, alleingelassen….

    Was für eine schwierige Aufgabe für Sie als Lehrerin, die da ja auch ein wenig das Elternhaus ersetzen muss, wenn von da nichts kommt!

    Traurig, echt traurig! Und ich bin froh, dass meine Kinder noch „klein“ sind und ich die Möglichkeit habe, für sie da zu sein und den Kontakt zu ihnen auch dann nicht zu verlieren, wenn sie älter und pubertär werden!

  10. Das solltest du lieber mal den Eltern deiner Schüler zeigen. Oder noch besser: Alle zusammen. Schüler und Eltern. Bei der Diskussion danach wäre ich gene dabei…

    SecretCoAuthor

  11. Also auf euch wartet keiner- mit Hauptschulabschluss-
    Auf Förderschüler mit Lernbeeinträchtigung mit und ohne Abschluss wartet auch keiner- wohin also mit den ganzen ehemaligen Schülern?

    Ich kann die schöne Rportage nicht zeigen – klar ist ja nicht meine Klientel- schließlich krebse ich am unteren Bildungsende rum – so sozusagen im Keller. Heute nur Zeugnisgespräche und geschockte Eltern- „Wie er schafft den Förderschulabschluss nicht???“ Tja was soll man machen bei 43 Fehltagen??? Es ist manchmal zum heulen!

  12. Super Tänze. Kann man alle mal nachtanzen.
    Und bei der Filmvorführung wäre ich auch gerne dabei. Und ob es jetzt was bringt oder nicht: Es wird doch wohl ein Riesenspaß für Sie werden. Und wäre doch gelacht, wenn der/die ein oder andere nicht doch ins Grübeln kommt…

  13. Naja…schon ein zweischneidiges Schwert. Wenn ich jetzt mal die andere Seite betrachte… also z.B. einen Schüler auf einer Haptschule der will, aber nicht kann – tja… dann frage ich mich schon, ob ich das noch amüsant finden soll, oder eher sehr sehr traurig.

    Oder – was ist mit den durchaus leistungsbereiten Hauptschülern, die trotz guter Noten keinen Ausbildungsplatz bekommen.

    Politik, Lehrer, Eltern…alle schieben die Verantwortung untereinander hin und her. Die Rechnung zahlen Kinder und die Steuerzahler. Hm.

  14. Ich weiß, wo ’s herkommt!
    Neulich hab ich mir einen Rüffel eingefangen, weil ich meinte, meine Schwägerin sei für die Erziehung ihrer Kinder zuständig.
    Meine Schwiegermutter hat mich zurechtgewiesen und mir erklärt, dass meine Schwägerin doch abends viel zu müde sei um die Kinder noch zu erziehen.
    Das müssen die Lehrer vormittags in der Schule, die Betreuer nachmittags im Hort und die _anderen_ Großeltern, bei denen die Kinder am Wochenende sind, machen, da könne meine Schwägerin gar nichts tun.

  15. Würde auch eher davon ausgehen, dass die Selbsterkenntnis in den meisten Fällen dieser Form des „Public Viewing“ im Sinne der Aufklärung ausbleiben wird. Erste zu erwartende Reaktion wäre meiner Meinung nach eine Reaktion im Sinne von „Guck‘ mal, die haben dieselben Probleme wie wir!“

  16. Liebe Frau Freitag, liebe Blog-Leser,
    im heute erschienenen ZEIT Magazin findet man einen größeren Artikel über die drei Schüler aus der oben angesprochenen Reportage. Ich musste gleich an die Filmvorstellung mit Ihrer damaligen Klasse denken. Der Titel lautet „Uns braucht keiner“ (S. 16-23).
    Viele Grüße

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