Bärte, Busen und Bewerbungen

Während ich mir die Strümpfe anziehe und meine Tasche in den Schrank stelle kommt die Erkenntnis. So einfach dort in der Umkleide beim Sport. Frau Dienstag ist Zeugin.
„Ich will gar nicht wie Frl. Krise meine Klasse adoptieren, ich will und muss mich mal von der Verantwortung lösen!“

Ich bin zur Zeit mal wieder nicht gut zu sprechen auf die. Morgen erwarten mich deren Halbjahreszensuren und die muss ich eigentlich gar nicht sehen, um zu wissen, dass die mies sein werden. Nichts gemacht, jede dritte Stunde geschwänzt und wenn nicht geschwänzt, dann zu spät gekommen und wenn zu spät, dann auf jeden Fall mit Butterring, Börek oder Brötchen in den Unterricht, aber dafür ohne Hausaufgaben. Im Unterricht nur gequatscht, den eigenen Namen mit dem Edding, den man sich vom Geschichtslehrer für das Plakat „Können wir den mitnehmen, wir machen das dann zu Hause weiter…“ ausgeliehen hat den eigenen Namen auf diverse Blätter geschrieben (um sich zu vergewissern, dass man noch weiss, wer man ist, oder was?) Wenn man nicht den eigenen Namen geschrieben hat, hat man Bärte, Burkas oder Busen auf die unschuldigen beiden Peoples auf dem Workbook gemalt. Und dadrauf natürlich auch noch mal den eigenen Namen. Sorry Leute, den eigenen Namen auf alle Hefter zu klieren reicht nicht für einen Schulabschluss. Es reicht auch nicht nur im Raum zu sein und mit dem Oberkörper auf dem Tisch zu liegen. Kann mal jemand diese magnetischen Tische gegen normale umtauschen. Alle Tische in meinem Raum scheinen die Köpfe der Schüler anzuziehen. Apropos anziehen – auch wenn man das gut kann, gibt es dafür keinen Schulabschluss.
In der wöchentlichen Hausaufgabenstunde wird alles gemacht – nur keine Hausaufgaben. Ich bin kurz davor die für meine Schüler zu machen: „Was habt ihr auf in Deutsch? Gib mal her Ronnie, ich mach das schnell, du unterhältst dich ja gerade so angeregt mit Marcella und gefrühstückt hast du ja auch noch nicht.“
Meine Klasse ist in der Zehnten. Hallo!?! Zehnte? War da nicht irgendwas? Bewerben? Ausbildungsplätze? Außer Abdul „ich habe schon 13 Bewerbungen geschrieben, macht Spaß“ hat sich noch KEINER IRGENDWO beworben!!! Die Hälfte der Klasse weiss noch nicht mal, was sie machen will. Wenn ich sie frage, dann sagen sie: „Frau Freitag, das stresst.“ Vielleicht sollte ich nicht nur ihre Hausaufgaben machen, sondern auch noch ihre Bewerbungen schreiben. Sie tun es ja nicht und einer muss es ja machen.

In der letzten Hausaufgabenstunde hat meine Klasse nur darüber diskutiert, dass sie eine Klassenfahrt machen möchte. Ich bin echt abgegessen. Ich kann diese Haltung, dieses Verhalten, diese Verdrängung, diese Faulheit nicht mehr ertragen. Und deshalb bin ich jede Stunde, die wir zusammen haben extrem schlecht gelaunt. Aber langsam habe ich den Eindruck, dass sie gar nicht wissen, warum ich sauer bin. Dass das mit ihrem Verhalten zu tun hat, darauf kommen die gar nicht. Und heute dann die Erkenntnis. Ich werde mir nicht das letzte Halbjahr mit meiner Klasse damit versauen, mich um deren Zukunft zu kümmern. Wenn sie das nicht tun, dann tue ich das eben auch nicht. Ich will nicht mehr so schlecht gelaunt sein.

Am Freitag werde ich ihnen diese Gedanken mitteilen und dann jede Stunde mit ihnen genießen. Freundlich und nett sein und nicht mehr sauer und besorgt. Ich bin nicht deren Mutter!

Abooooo, ich freu‘ mich auf Freitag!!!!!!

Allgemein

32 Gedanken zu “Bärte, Busen und Bewerbungen

  1. So, Frau Freitag! Sie WOLLEN mich missverstehen! Ich habe geträumt, ich würde die adoptieren…und das fiel in die Kategorie ALBTRAUM!!!!!!!!!!!!!!
    Ansonsten bin ich heute auch zu einem Entschluss gekommen: EINMAL noch kriegt jeder von mir die rote Karte gezeigt, dann isset jut und ich falle in ein
    künstliches Koma…jedenfalls erstmal.

  2. Ich gratuliere sehr herzlich zu dieser überaus wichtigen Erkenntnis des Lehrerberufs! Schreiben Sie es sich aber besser irgendwo groß mit dem vom Geschichtslehrer geliehenen Edding auf und hängen Sie es sich dann dort auf, wo sie häufig dran vorbei kommen. Ich verspreche Ihnen nämlich, dass Sie Ihren guten Vorsatz schnell wieder vergessen haben, wenn die „Kleinen“ mal wieder ausnahmsweise brav waren. 😉
    Ich spreche da aus Erfahrung! 😀

  3. Find ich generell nicht die schlechteste aller Haltungen. Sie tun Ihr Möglichstes – alles andere liegt nicht in Ihren Händen. Bzw verursacht eh nur ein Gefühl der Ohnmacht und hat Magengeschwüre zur Folge. Ich weiß, wovon ich rede.

  4. Genau die richtige Einstellung. Die sind groß genug, was sie jetzt nicht lernen wollen, müßen sie eben später lernen.

    Übrigens, was will Abdul denn werden? Und was wollen Sie machen, wenn Abduls Tante nicht mehr zum Eltern sprechtag kommt?

    • abdul bewirbt sich für alle möglichen männerberufe. und die tante… bei uns gehen zwar irgendwann die schüler, aber die eltern sieht man immer wieder. bei bis zu 8 geschwistern… und als tante hat man ja noch mehr nichten und neffen.

  5. Find ich gut. Ich glaube auch, dass das der richtige Weg ist. Die Verantwortung bei den Schülern lassen. Mehr als es ihnen immer wieder sagen, kann man nicht.

  6. Klassenfahrt? Ganz ehrlich, verdient hätten die Schüler das wohl nicht.
    Keine Hausaufgaben, keine Beteiligung, kein Benehmen. Und dann noch allen Ernstes nach Klassenfahrt fragen? Haben die wahrscheinlich bei anderen Klassen (von anderen Schulen?) aufgeschnappt, dass die sowas machen – aber dort werden sicherlich noch Hausaufgaben gemacht!

    Wenn es mit dem Bewerben nichts wird sehe ich schwarz für diese Kinder. Früher oder später wachen sie auf aus ihrer Lethargie und dann ists zu spät.

    • Wie wäre es mit Bestechung? Wenn im März jeden Tag in allen Fächern mindestens 70 % der Schüler ihre Hausaufgaben haben, gibt es am Schuljahresende eine Klassenfahrt 😉
      Ja…das ist pädagogisch nicht hochwertig, könnte aber ausnahmsweise mal klappen! Dann motzen die, die gerne Klassenfahrt wollen, nämlich die anderen an, die die Aufgaben nicht machen. Klassenkeile kann viel effizienter sein als Lehrermotzen. Außerdem könnten sie so lernen wie man 70 % ermittelt…dieser Ansatz bietet doch echt viel Lernpotential 😉

  7. fühlen Sie sich bitte freundschaftlich in den Arm genommen und gedrückt.

    Würde ich Sie persönlich kennen, würden Sie noch eine Orangenölkakaobuttersprudelbadekugel fur Freitagabend bekommen

    🙂

  8. Hm, warum nicht einfach einen Deal mit den Schülern machen?
    So nach dem Motto: WENN die Zeugnisnoten der ganzen Klasse zusammengerechnet besser als 3,5 sind, DANN gibts nächstes Jahr ne Klassenfahrt.

    Gut, für diese Klasse hilft das ja nix mehr, aber für die Nächste…?

  9. Klassenfahrt? Nur bei einem Klassen-Notendurchschnitt von sagen wir 3,0 oder so. Erziehung ist Bestechung und Vorleben. Das Vorleben hilft nicht mehr. Also Bestechung.

    Bei uns hat es damals geholfen. Wir haben uns alle mächtig angestrengt. Und uns auch noch gegenseitig gepuscht. Die Konsequenz mussten ja alle gemeinsam aushalten. Es gab Lerngruppen und so Sachen.

  10. hallo. habe gerade dieses blog entdeckt als ich nach unterhaltsamen blogs über bewerbungen suchte. gefällt mir sehr gut! gibt es versteckte hinweise auf welche schule in berlin es hier betrifft? hat frau freitag das buch „föhn mich nicht zu“ gelesen und sich auch gut amüsiert? ich werde gerne wieder einschauen. leider bin ich keine lehrerin geworden, ich bedaure das sehr!

  11. sehr gut so;)
    irgendwann muss man richtig auf den (auf gut Deutsch gesagt) Arsch fallen!
    Ansonsten lernt man es einfach auch nicht….

    Ich musste selber fallen, um aufzustehen (metaphorisch gesprochen;) )
    Aber Lehrer sind nunmal keine Eltern, und wenn sie sich zu solchen machen, denke ich zumindest, dass sie dann kaputt gehen…
    Dafür sind es einfach zu viele….

    Grüße

  12. Liebe Frau Freitag,
    ihren Frust kann ich ka verstehen, habe auch gerade die Noten meiner Lieben bekommen. Und A meint auch er könne ohne Tasche (!!!) ohne Zeug (!!!!) ohne HA zum Schulabschluss surfen. (Alles von den blöden Eltern gedeckt! “ Is grad Hochwasser – muss helfen- geht nich mit Aufgaben.- musste verstehen… .)
    Aber ich verstehe das mit den Bewerbungen nicht. Ist das nicht unser Job??? Sorry aber sind WIR nicht die letzte BASTION unserer Schüler ? Wer fragt denn sonst danach? Soll das HARTZ IV Empfänger Meer immer größer werden?

    • wir haben an der schule mindestens 5 organisationen, die alle geld dafür bekommen sich um die bewerbungen der schüler zu kümmern. also ist das deren job. ich kenne mich da auch überhaupt nicht aus. aber wenn die nicht mal zu den terminen gehen…

  13. Eben, irgendwann ist mal gut und dann sind sie raus aus der Verantworutng. Freuen sie sich lieber über Abdul. Hurra, sie haben jemanden der Bewerbungen schreibt! Die Quote könnte schließlich schlechter sein…

  14. hallo frau freitag,
    ich wette ein ( virtuelles ) fruehstueck bei tiffany, dass sie den vorsaetz nicht durchhalten. weil irgendwie mögen sie die chaoten ja doch)))

  15. Das Lied „High School Dropout“ ist ja auch richtig nett. Das wäre doch ein sowohl als aber auch Einstieg in das Gespräch mit den Schülern. Zeigen Sie ihnen doch mal Fotos aus der echten Arbeitswelt, da wo es am schlimmsten ist. Wo BORE OUT statt Burn Out wohnt.

  16. Komplett richtige Entscheidung am Ende des Eintrags: Das Problem bei jenen lassen, die es haben, denn sonst erkennen sie (also jene…) nie, dass sie eines haben.
    Ohne Problem kein Leidensdruck auf Schülerseite, gleich keine Veränderung und – wichtig – nur Leidensdruck bei Ihnen!
    Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – Das Burnout kann warten…
    Aber hin und wieder, das sei Ihnen gesagt, Frau Freitag, packt mich mein eigener Anspruch auch, und will unbedingt was für die Klientel regeln, ihnen helfen, was mich immer wieder verzweifeln und leiden lässt, wenns nicht klappt… Das ist unsere Passion für den Job, aber wir müssen drauf schauen, dass wir realistisch bleiben und uns nicht übernehmen mit der Selbstverantwortung unserer KlientInnen, weil DAS IST DENEN IHRE ; D

    • ich weiss, ich weiss, ich rufe jetzt erst mal die erziehungsberechtigten von ronnie an. und dann ist wochenende und nächste woche gucken wir dann mal…

      • supi! dann schönes wochenende!
        wobei zwecks ronnie: ich hab das dunkle gefühl, der lehrer otto ist in diesem falle das problem und ronnie ist einfach zu stolz usw. wie das halt in dem alter und mit der sozialisation heutzutage so is…

  17. Also, ich muss schon sagen, ich als Schüler erkenne mich in ihrer Beschreibung sehr gut wieder. Es ist ja wirklich frundlich von ihnen, wenn sie versuchen, die Schüler dazu zu bewegen, endlich mal was zu tun. Das Problem ist nur, sie sind ausgelaugt, glauiben sie mir. Ich selbst sitze nun jeden Tag in der 10. Klasse, höre mir von meiner Lehrerin an, dass wir ENDLICH wissen müssen was wir tun wollen und habe trozdem noch keinen genauen Plan. Das liegt aber nicht allein an Faulheit, selbst wenn Sie mir nicht glauben möchten, doch es liegt auch daran, dass wir ja nicht einmal wissen, was denn genau uns liegt. Klar, bei den Jungs ist das einfach- die wollten ja schon immer bei Ford oder RheinEnergie arbeiten. Aber wir Mädchen? Wir, also die meisten jedenfalls, wollen weiter Schule machen. Aber das ist ja auch garnicht so leicht.
    In diesem Sinne,
    freundliche Grüße vom „Feind“ ;D
    Wie wärs denn mal so: Sie machen mit ihrer Klasse Stunden, gerade so, wie sie Ihnen gefallen. Aber sie könnten trozdem das Angebot machen : Wer hilfe braucht, kann zu mir kommen! Natürlich nach dem Unterricht. Das schaffst selbst unsere Klassenlehrerin, die ansonsten wohl völlig versagen würde. Tut mir leid, dies so ausdrücken zu müssen. Macvhen sie sich keinen Kopf, wie Schüler schaffen das, selbst wenn Sie das nicht sehen möchten. Selbst die, die immer einfach alles auf sich zukommen lassen. bekommen das auf die Kette, glauben sie mir.

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